Produktdetails
- Politica Edition, Konzepte für Österreich
- Verlag: Ibera
- 2., aktualis. Aufl.
- Seitenzahl: 272
- Erscheinungstermin: Oktober 2010
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 438g
- ISBN-13: 9783900436544
- ISBN-10: 3900436541
- Artikelnr.: 07148932
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2000Verwandlungskünstler
Wie Jörg Haider alte Tanzbären neu vorzuführen versteht
Jörg Haider: Befreite Zukunft jenseits von links und rechts. Menschliche Alternativen für eine Brücke ins neue Jahrtausend. Politica Edition. Ibera & Molden, Wien 1997. 250 Seiten, 34,- Mark.
Jedes Buch wird mit bestimmten Erwartungen zur Hand genommen. Vor allem dann natürlich, wenn es von einem Mann wie Jörg Haider stammt. Die auf Skandal und Ähnliches gerichtete Erwartung wird allerdings enttäuscht. Das Buch, das in der Reihe "Konzepte für Österreich" erschienen ist, enthält nichts Aufregendes, nicht einmal in dem Kapitel, das der Autor seinen speziellen Freunden gewidmet hat, "den Kulturschaffenden, Kulturjournalisten, Kulturgenießern, Kulturpolitikern, Kulturkämpfern, Kulturlandschaftsmalern, Kulturgutbewahrern, Kulturrevolutionären, Kulturkritikern, Kulturgutverteidigern und all den anderen kultivierten Menschen, die in der Vergangenheit eine Kultur betrieben, sich als Teil einer Elite im Lande von der Nicht-Elite abzusetzen; und damit vor allem von den Freiheitlichen".
Wer das gelesen hat, der hat verstanden, warum Jörg Haider so erfolgreich ist. Wie alle Politiker teilt er die Welt in Freunde und Feinde ein; wie die meisten von ihnen genießt er die Polemik gegen seine Gegner; er ist jedoch einer der wenigen, die den Kampf grundsätzlich von unten her, aus der Position des "underdog" führen. Zumindest tut er so, als ob. Haider stellt sich als Mandantar der kleinen Leute vor, der einfachen Bürger. "Ich stehe auf der Seite der arbeitenden Menschen in Österreich, ganz gleich, was sie für einen Pass haben oder wo sie geboren sind", lautet sein Dogma. "Ich unterscheide bei einem Kriminellen nicht, welche Sprache er spricht. Entscheidend ist, der Bevölkerung den nötigen Schutz zu bieten."
Zur Kultivierung eines solchen, nach oben und unten geteilten Weltbildes bietet Österreich die allerbesten Bedingungen. Nirgendwo sonst hat der Begriff der politischen Klasse so viel Anschaulichkeit gewonnen wie dort, kein zweites Land hat den Begriff der Volkspartei so gründlich pervertiert wie Österreich, wo jeder einflussreiche Posten dreimal besetzt zu werden pflegt: mit einem Schwarzen, einem Roten und einem, der die Arbeit macht. Wenn Haider dieses System, die alteingesessene Sozialpartnerschaft, als eine Mischung aus Unfähigkeit, Naivität und Selbstgefälligkeit beschreibt, hat er den Augenschein für sich. Und wenn er fortfährt: "Ich schäme mich für solche Dinge, weil ich es zu oft erlebe, wie sich allein stehende, berufstätige Mütter verzweifelt durchkämpfen, in welch armseligen Verhältnissen eine junge Facharbeiterin heute in der Regel lebt, und da haben die Betuchten nichts anderes zu tun, als auch ein bisschen am Sozialstaat mitzunaschen": dann begreift man, warum Haider und seine FPÖ bei den Arbeitern und den Jungwählern so gut ankommen.
Dies, der Blick von unten, ist die Perspektive, aus der sich die Vorführung selbst altbekannter Tanzbären plötzlich wieder wie neu ausnimmt. Haider kennt und beherrscht das gängige politische Vokabular, er wirbt für Anpassung und Wettbewerb, lobt die Flexibilität und die Mobilität und preist das lebenslange Lernen als Zulassungsvoraussetzung für die Wissensgesellschaft. Er spricht über den Standort, der zu sichern, über die Zivilgesellschaft, die zu verteidigen, und die Kinderarbeit, die zu verbieten sei, genauso routiniert wie Norbert Blüm. Selbst für den Feminismus findet er ein paar freundliche Worte, und gegen die Atomkraft ist er auch. Von den Verstorbenen werden Bert Brecht und Karl Kraus zitiert, von den Lebenden vor allem Tony Blair und, mehr als einmal, der frühere Juso-Vize und heutige SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer. Auf der letzten Seite des Buches liest man sogar den Glaubenssatz von Willy Brandt und seinen Freunden "Wir wollen mehr Demokratie wagen" - ohne Quellenangabe allerdings.
Wer so weit gekommen ist und sich rückschauend fragt, was er da eigentlich gelesen hat, der findet wenig Anstößiges, dafür aber umso mehr von dem, was er schon tausendmal gehört hatte: von anderen Parteien. Die Übermacht der Bürokraten, die vielen, unverständlichen Gesetze, die Willkür, mit der die Sozialverwaltung den einen gibt und den anderen nimmt - das kennt man längst und will man eigentlich nicht noch mal hören. Haiders Kunststück besteht darin, das Überdrussgefühl, das sich beim Anhören solcher Litaneien einstellt, in ein Gefühl der Ungeduld zu verwandeln: Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht ich?
Haider liebt die Pose des David, der mit seiner Schleuder erreicht, was andere mit einem Aufgebot von tausend Kämpfern nicht zustande gebracht haben. Die Europäische Union ist eine Großmacht und hat deshalb wie alle solche Mächte einen latenten Hang zum Autoritären. Aber das täuscht, denn im Grunde ist sie von nur "schwächlicher Struktur"; sie ist ein Papiertiger, vor dem man keine Angst zu haben braucht. Haider spricht wie der geborene Oppositionelle, der er im Grunde seiner Seele wohl auch ist. "Genießen Sie die Opposition!" zitiert er den ÖVP-Politiker Alois Mock. Als ob man ihn dazu hätte einladen müssen!
KONRAD ADAM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Jörg Haider alte Tanzbären neu vorzuführen versteht
Jörg Haider: Befreite Zukunft jenseits von links und rechts. Menschliche Alternativen für eine Brücke ins neue Jahrtausend. Politica Edition. Ibera & Molden, Wien 1997. 250 Seiten, 34,- Mark.
Jedes Buch wird mit bestimmten Erwartungen zur Hand genommen. Vor allem dann natürlich, wenn es von einem Mann wie Jörg Haider stammt. Die auf Skandal und Ähnliches gerichtete Erwartung wird allerdings enttäuscht. Das Buch, das in der Reihe "Konzepte für Österreich" erschienen ist, enthält nichts Aufregendes, nicht einmal in dem Kapitel, das der Autor seinen speziellen Freunden gewidmet hat, "den Kulturschaffenden, Kulturjournalisten, Kulturgenießern, Kulturpolitikern, Kulturkämpfern, Kulturlandschaftsmalern, Kulturgutbewahrern, Kulturrevolutionären, Kulturkritikern, Kulturgutverteidigern und all den anderen kultivierten Menschen, die in der Vergangenheit eine Kultur betrieben, sich als Teil einer Elite im Lande von der Nicht-Elite abzusetzen; und damit vor allem von den Freiheitlichen".
Wer das gelesen hat, der hat verstanden, warum Jörg Haider so erfolgreich ist. Wie alle Politiker teilt er die Welt in Freunde und Feinde ein; wie die meisten von ihnen genießt er die Polemik gegen seine Gegner; er ist jedoch einer der wenigen, die den Kampf grundsätzlich von unten her, aus der Position des "underdog" führen. Zumindest tut er so, als ob. Haider stellt sich als Mandantar der kleinen Leute vor, der einfachen Bürger. "Ich stehe auf der Seite der arbeitenden Menschen in Österreich, ganz gleich, was sie für einen Pass haben oder wo sie geboren sind", lautet sein Dogma. "Ich unterscheide bei einem Kriminellen nicht, welche Sprache er spricht. Entscheidend ist, der Bevölkerung den nötigen Schutz zu bieten."
Zur Kultivierung eines solchen, nach oben und unten geteilten Weltbildes bietet Österreich die allerbesten Bedingungen. Nirgendwo sonst hat der Begriff der politischen Klasse so viel Anschaulichkeit gewonnen wie dort, kein zweites Land hat den Begriff der Volkspartei so gründlich pervertiert wie Österreich, wo jeder einflussreiche Posten dreimal besetzt zu werden pflegt: mit einem Schwarzen, einem Roten und einem, der die Arbeit macht. Wenn Haider dieses System, die alteingesessene Sozialpartnerschaft, als eine Mischung aus Unfähigkeit, Naivität und Selbstgefälligkeit beschreibt, hat er den Augenschein für sich. Und wenn er fortfährt: "Ich schäme mich für solche Dinge, weil ich es zu oft erlebe, wie sich allein stehende, berufstätige Mütter verzweifelt durchkämpfen, in welch armseligen Verhältnissen eine junge Facharbeiterin heute in der Regel lebt, und da haben die Betuchten nichts anderes zu tun, als auch ein bisschen am Sozialstaat mitzunaschen": dann begreift man, warum Haider und seine FPÖ bei den Arbeitern und den Jungwählern so gut ankommen.
Dies, der Blick von unten, ist die Perspektive, aus der sich die Vorführung selbst altbekannter Tanzbären plötzlich wieder wie neu ausnimmt. Haider kennt und beherrscht das gängige politische Vokabular, er wirbt für Anpassung und Wettbewerb, lobt die Flexibilität und die Mobilität und preist das lebenslange Lernen als Zulassungsvoraussetzung für die Wissensgesellschaft. Er spricht über den Standort, der zu sichern, über die Zivilgesellschaft, die zu verteidigen, und die Kinderarbeit, die zu verbieten sei, genauso routiniert wie Norbert Blüm. Selbst für den Feminismus findet er ein paar freundliche Worte, und gegen die Atomkraft ist er auch. Von den Verstorbenen werden Bert Brecht und Karl Kraus zitiert, von den Lebenden vor allem Tony Blair und, mehr als einmal, der frühere Juso-Vize und heutige SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer. Auf der letzten Seite des Buches liest man sogar den Glaubenssatz von Willy Brandt und seinen Freunden "Wir wollen mehr Demokratie wagen" - ohne Quellenangabe allerdings.
Wer so weit gekommen ist und sich rückschauend fragt, was er da eigentlich gelesen hat, der findet wenig Anstößiges, dafür aber umso mehr von dem, was er schon tausendmal gehört hatte: von anderen Parteien. Die Übermacht der Bürokraten, die vielen, unverständlichen Gesetze, die Willkür, mit der die Sozialverwaltung den einen gibt und den anderen nimmt - das kennt man längst und will man eigentlich nicht noch mal hören. Haiders Kunststück besteht darin, das Überdrussgefühl, das sich beim Anhören solcher Litaneien einstellt, in ein Gefühl der Ungeduld zu verwandeln: Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht ich?
Haider liebt die Pose des David, der mit seiner Schleuder erreicht, was andere mit einem Aufgebot von tausend Kämpfern nicht zustande gebracht haben. Die Europäische Union ist eine Großmacht und hat deshalb wie alle solche Mächte einen latenten Hang zum Autoritären. Aber das täuscht, denn im Grunde ist sie von nur "schwächlicher Struktur"; sie ist ein Papiertiger, vor dem man keine Angst zu haben braucht. Haider spricht wie der geborene Oppositionelle, der er im Grunde seiner Seele wohl auch ist. "Genießen Sie die Opposition!" zitiert er den ÖVP-Politiker Alois Mock. Als ob man ihn dazu hätte einladen müssen!
KONRAD ADAM
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