"Wenn Sie das Buch eines Autors lesen wollen, der wirklich weiß, worüber er schreibt und das auch noch großartig kann, dann lesen Sie "Begegnung in Samarra' von John O'Hara."
Ernest Hemingway
Im Dezember 1930, kurz vor Weihnachten, ist das gesellschaftliche Leben von Gibbsville, Pennsylvania, hochaufgeladen: Partys und Tanzfeste in den exklusiven Clubs der Stadt, in denen bis in die Nacht hinein Bands spielen und der Alkohol fließt, trotz der Prohibition und mit Hilfe der Mafia. Im Mittelpunkt der gehobenen Gesellschaft stehen Julian und Caroline English - von Freunden und Fremden gleichermaßen beneidet. Denn Julian und Caroline sind erfolgreich, jung und schön, English kann sich als Autohändler trotz der Wirtschaftskrise immer noch ganz gut halten.
Doch etwas in ihm wehrt sich gegen den sozialen Druck der guten Gesellschaft, gegen Dünkel und die Rituale der Angepaßtheit, und in einem Augenblick des Überdrusses schüttet Julian English ausgerechnet Harry Reilly, einem reichen und begüterten Mitglied der örtlichen High Society, bei einer Party einen Drink ins Gesicht. Das ist umso folgenreicher, als Reilly ein wichtiger Investor seines Autohauses ist. So banal dieser Ausbruch gewesen sein mag, es gelingt Julian English nicht mehr, die Folgen in den Griff zu bekommen.
Mit "Begegnung in Samarra", seinem ersten Roman von 1934, gelang John O'Hara der literarische Durchbruch und zusammen mit "Butterfield 8" ist dieses Buch sein wichtigstes geblieben, ein Klassiker der modernen amerikanischen Literatur, ein Roman, der nun in einer neuen Übersetzung wieder auf Deutsch zugänglich ist. Die Zeitschrift "Time" zählt "Begegnung in Samarra" zu den 100 bedeutendsten Romanen der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Mit seinem präzisen und zugleich unerschrockenen Stil, dem subtilen Einblick in die gesellschaftliche Maschinerie, seinem Porträt einer Kleinstadt und ihrer Intrigen, den feinfühlig gezeichneten Figuren - besonders eindrucksvoll die weiblichen - ist John O'Hara ein unvergeßlicher Roman gelungen.
Ernest Hemingway
Im Dezember 1930, kurz vor Weihnachten, ist das gesellschaftliche Leben von Gibbsville, Pennsylvania, hochaufgeladen: Partys und Tanzfeste in den exklusiven Clubs der Stadt, in denen bis in die Nacht hinein Bands spielen und der Alkohol fließt, trotz der Prohibition und mit Hilfe der Mafia. Im Mittelpunkt der gehobenen Gesellschaft stehen Julian und Caroline English - von Freunden und Fremden gleichermaßen beneidet. Denn Julian und Caroline sind erfolgreich, jung und schön, English kann sich als Autohändler trotz der Wirtschaftskrise immer noch ganz gut halten.
Doch etwas in ihm wehrt sich gegen den sozialen Druck der guten Gesellschaft, gegen Dünkel und die Rituale der Angepaßtheit, und in einem Augenblick des Überdrusses schüttet Julian English ausgerechnet Harry Reilly, einem reichen und begüterten Mitglied der örtlichen High Society, bei einer Party einen Drink ins Gesicht. Das ist umso folgenreicher, als Reilly ein wichtiger Investor seines Autohauses ist. So banal dieser Ausbruch gewesen sein mag, es gelingt Julian English nicht mehr, die Folgen in den Griff zu bekommen.
Mit "Begegnung in Samarra", seinem ersten Roman von 1934, gelang John O'Hara der literarische Durchbruch und zusammen mit "Butterfield 8" ist dieses Buch sein wichtigstes geblieben, ein Klassiker der modernen amerikanischen Literatur, ein Roman, der nun in einer neuen Übersetzung wieder auf Deutsch zugänglich ist. Die Zeitschrift "Time" zählt "Begegnung in Samarra" zu den 100 bedeutendsten Romanen der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Mit seinem präzisen und zugleich unerschrockenen Stil, dem subtilen Einblick in die gesellschaftliche Maschinerie, seinem Porträt einer Kleinstadt und ihrer Intrigen, den feinfühlig gezeichneten Figuren - besonders eindrucksvoll die weiblichen - ist John O'Hara ein unvergeßlicher Roman gelungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Rendezvous mit dem Tod
John O'Haras vergessenes Debüt / Von Thomas David
Als Julian English und seine Frau Caroline am nächsten Tag wieder im Lantenengo Country Club eintreffen, hat sich der Vorfall längst herumgesprochen. Bobby Herrmann, der schon ein paar Drinks getrunken hat, pöbelt seinen Kumpel an und lässt einem alten Ärger freien Lauf; vom Tisch der Gormans schlägt Julian eine Frostigkeit entgegen, als hätte seine Beleidigung ihnen allen gegolten und nicht nur Harry Reilly, der sich den Abend schenkt und zu Hause sein blaues Auge pflegt. Reilly ist eines der einflussreichsten Mitglieder der High Society von Gibbsville, der fiktiven, etwa 24 000 Einwohner zählenden Industriestadt in Pennsylvania, in der John O'Haras erstaunlicher Roman spielt.
Weihnachten 1930, Schnee türmt sich an den Straßen, die Truthähne sind gerupft, die Bäume längst geschmückt. Reilly ist Mitglied der Ratsversammlung, des Golfplatz- und des Festkomitees - in Zeiten der Wirtschaftskrise ist er "weit und breit praktisch der einzige Mensch mit Geld". Nachdem ihm Julian English im überfüllten Rauchsalon des Country Clubs einen Drink ins Gesicht gekippt hat, enthüllt er mit einem verständnislosen Lächeln das kalte Antlitz echter Macht. Während andere Skandale - "wirklich schreckliche Dinge, die im Club vorgefallen waren, ohne dass man den dafür Verantwortlichen das Gefühl gegeben hätte, ein Sakrileg begangen zu haben" - schlimmstenfalls als schlechter Witz in die Folklore des Clubs eingegangen sind, entspinnt sich aus Julians Provokation ein soziales Drama, dessen tragischer Verlauf schließlich nicht mehr aufzuhalten ist. In Samarra - wie in Somerset Maughams kurzer Fabel "The Appointment in Samarra", die John O'Hara in seinem 1934 erschienenen Roman zitiert - hat der Diener eines reichen Mannes eine schicksalhafte Verabredung mit dem Tod.
Julian ist Geschäftsführer der "Gibbsville Cadillac Motor Car Company"; wie die meisten seiner Freunde schuldet er Harry Reilly Geld. Feigheit, Angst und Ambition, Neid und Opportunismus, die vermeintliche, von John O'Hara in all ihrer Arroganz entblößte Rechtschaffenheit des Erfolgs und ihr blinder Dünkel, die Lügen von Freundschaft und Loyalität: O'Hara zeichnet das ungeschönte Porträt einer Gesellschaft, die ihre zweifelhaften Werte im Augenblick der Krise mitleidslos verteidigt und den Spiegel, der ihr die Verkommenheit und die Unmoral ihres Wesens vor Augen führt, brutal zerschlägt. Der Markt für Anthrazitkohle, auf dem die Neureichen von Gibbsville ihr Geld gemacht haben, ist seit Mitte der zwanziger Jahre ruiniert; seit dem Schwarzen Freitag vom Oktober 1929 sind auch Männer wie Harry Reilly ziemlich nervös und versuchen, um jeden Preis an der Illusion festzuhalten, dass es sich bei dem Kurssturz nur um eine vorübergehende Schwäche handelt.
Indem er Reillys Selbstherrlichkeit, sein in Posen, die man "aus Cowboyfilmen kennt", zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein in einem unkalkulierten Moment der Wahrheit blamiert, mobilisiert Julian ebenjene unmenschliche Zerstörungskraft, der seine stolze Abscheu und sein Überdruss gelten, und richtet sie gegen sich selbst. "Warum, fragte er sich, hasste er Harry Reilly eigentlich? Warum konnte er ihn nicht ertragen?" Es gehört zu den Raffinessen dieses Romans, dass Julian die eigentlichen Gründe für seinen impulsiven, scheinbar aus einer Laune herausbrechenden Affront bis zum bitteren Ende nicht erkennt.
"Faktizität", so John Updike, der wie Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Dorothy Parker oder Philip Roth zu den Bewunderern dieses bei uns zu Unrecht vergessenen Romans zählt, "war O'Haras rauhe Art, der Welt seine Liebe zu erklären." Tatsächlich ist der Roman von einem Realismus, der es mit allem aufnehmen kann, was Fitzgerald berühmt gemacht hat, der Parabel vom Glanz und Elend der Schönen und Verdammten allerdings jede Romantik nimmt. Der Roman, das literarische Debüt des 1905 in Pottsville, Pennsylvania geborenen Journalisten, hat einen unerhörten, mitunter kruden Ton nervöser Erregung, der sich in Klaus Modicks hervorragender Übersetzung ungedämpft überträgt: Das hohe Tempo der nur wenige Tage andauernden Chronik von Julians ganz und gar unfeierlichem Niedergang, der auch das Scheitern seiner Ehe mit der schließlich sterbensunglücklichen Caroline umfasst, zieht den Leser mühelos in eine Atmosphäre, deren von Alkohol und Zigarettenrauch aromatisierter Dunst buchstäblich aus allen Poren der Erzählung strömt.
Der ehrgeizige Autoverkäufer Lute Fliedler, der zu Beginn des Romans noch auf seine Chance wartet, erhält nach Julians Selbstmord einen Anruf vom Präsidenten der General Motors; Harry Reilly, der für Julians Versuche, sich zu entschuldigen, keine Zeit mehr hatte, schickt zur Beerdigung einen Strauß Blumen, während Caroline, die seit einem letzten Streit bei ihrer Mutter Zuflucht sucht, noch bei Tagesanbruch wach liegt und "den herzlosen Geräuschen der Leute", lauscht, "die zur Arbeit gingen und ihr Leben trotz alledem lebten. Merkwürdig war nur, dass es ein schöner Tag war."
John O'Hara: "Begegnung in Samarra". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Modick. Mit einem Nachwort von John Updike. Verlag C.H. Beck, München 2007. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John O'Haras vergessenes Debüt / Von Thomas David
Als Julian English und seine Frau Caroline am nächsten Tag wieder im Lantenengo Country Club eintreffen, hat sich der Vorfall längst herumgesprochen. Bobby Herrmann, der schon ein paar Drinks getrunken hat, pöbelt seinen Kumpel an und lässt einem alten Ärger freien Lauf; vom Tisch der Gormans schlägt Julian eine Frostigkeit entgegen, als hätte seine Beleidigung ihnen allen gegolten und nicht nur Harry Reilly, der sich den Abend schenkt und zu Hause sein blaues Auge pflegt. Reilly ist eines der einflussreichsten Mitglieder der High Society von Gibbsville, der fiktiven, etwa 24 000 Einwohner zählenden Industriestadt in Pennsylvania, in der John O'Haras erstaunlicher Roman spielt.
Weihnachten 1930, Schnee türmt sich an den Straßen, die Truthähne sind gerupft, die Bäume längst geschmückt. Reilly ist Mitglied der Ratsversammlung, des Golfplatz- und des Festkomitees - in Zeiten der Wirtschaftskrise ist er "weit und breit praktisch der einzige Mensch mit Geld". Nachdem ihm Julian English im überfüllten Rauchsalon des Country Clubs einen Drink ins Gesicht gekippt hat, enthüllt er mit einem verständnislosen Lächeln das kalte Antlitz echter Macht. Während andere Skandale - "wirklich schreckliche Dinge, die im Club vorgefallen waren, ohne dass man den dafür Verantwortlichen das Gefühl gegeben hätte, ein Sakrileg begangen zu haben" - schlimmstenfalls als schlechter Witz in die Folklore des Clubs eingegangen sind, entspinnt sich aus Julians Provokation ein soziales Drama, dessen tragischer Verlauf schließlich nicht mehr aufzuhalten ist. In Samarra - wie in Somerset Maughams kurzer Fabel "The Appointment in Samarra", die John O'Hara in seinem 1934 erschienenen Roman zitiert - hat der Diener eines reichen Mannes eine schicksalhafte Verabredung mit dem Tod.
Julian ist Geschäftsführer der "Gibbsville Cadillac Motor Car Company"; wie die meisten seiner Freunde schuldet er Harry Reilly Geld. Feigheit, Angst und Ambition, Neid und Opportunismus, die vermeintliche, von John O'Hara in all ihrer Arroganz entblößte Rechtschaffenheit des Erfolgs und ihr blinder Dünkel, die Lügen von Freundschaft und Loyalität: O'Hara zeichnet das ungeschönte Porträt einer Gesellschaft, die ihre zweifelhaften Werte im Augenblick der Krise mitleidslos verteidigt und den Spiegel, der ihr die Verkommenheit und die Unmoral ihres Wesens vor Augen führt, brutal zerschlägt. Der Markt für Anthrazitkohle, auf dem die Neureichen von Gibbsville ihr Geld gemacht haben, ist seit Mitte der zwanziger Jahre ruiniert; seit dem Schwarzen Freitag vom Oktober 1929 sind auch Männer wie Harry Reilly ziemlich nervös und versuchen, um jeden Preis an der Illusion festzuhalten, dass es sich bei dem Kurssturz nur um eine vorübergehende Schwäche handelt.
Indem er Reillys Selbstherrlichkeit, sein in Posen, die man "aus Cowboyfilmen kennt", zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein in einem unkalkulierten Moment der Wahrheit blamiert, mobilisiert Julian ebenjene unmenschliche Zerstörungskraft, der seine stolze Abscheu und sein Überdruss gelten, und richtet sie gegen sich selbst. "Warum, fragte er sich, hasste er Harry Reilly eigentlich? Warum konnte er ihn nicht ertragen?" Es gehört zu den Raffinessen dieses Romans, dass Julian die eigentlichen Gründe für seinen impulsiven, scheinbar aus einer Laune herausbrechenden Affront bis zum bitteren Ende nicht erkennt.
"Faktizität", so John Updike, der wie Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Dorothy Parker oder Philip Roth zu den Bewunderern dieses bei uns zu Unrecht vergessenen Romans zählt, "war O'Haras rauhe Art, der Welt seine Liebe zu erklären." Tatsächlich ist der Roman von einem Realismus, der es mit allem aufnehmen kann, was Fitzgerald berühmt gemacht hat, der Parabel vom Glanz und Elend der Schönen und Verdammten allerdings jede Romantik nimmt. Der Roman, das literarische Debüt des 1905 in Pottsville, Pennsylvania geborenen Journalisten, hat einen unerhörten, mitunter kruden Ton nervöser Erregung, der sich in Klaus Modicks hervorragender Übersetzung ungedämpft überträgt: Das hohe Tempo der nur wenige Tage andauernden Chronik von Julians ganz und gar unfeierlichem Niedergang, der auch das Scheitern seiner Ehe mit der schließlich sterbensunglücklichen Caroline umfasst, zieht den Leser mühelos in eine Atmosphäre, deren von Alkohol und Zigarettenrauch aromatisierter Dunst buchstäblich aus allen Poren der Erzählung strömt.
Der ehrgeizige Autoverkäufer Lute Fliedler, der zu Beginn des Romans noch auf seine Chance wartet, erhält nach Julians Selbstmord einen Anruf vom Präsidenten der General Motors; Harry Reilly, der für Julians Versuche, sich zu entschuldigen, keine Zeit mehr hatte, schickt zur Beerdigung einen Strauß Blumen, während Caroline, die seit einem letzten Streit bei ihrer Mutter Zuflucht sucht, noch bei Tagesanbruch wach liegt und "den herzlosen Geräuschen der Leute", lauscht, "die zur Arbeit gingen und ihr Leben trotz alledem lebten. Merkwürdig war nur, dass es ein schöner Tag war."
John O'Hara: "Begegnung in Samarra". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Modick. Mit einem Nachwort von John Updike. Verlag C.H. Beck, München 2007. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Michael Schmitt kann überhaupt nicht verstehen, warum die Literaturgeschichte über John O'Hara so schmählich hinweg gegangen ist. Auch wenn sich seine Bücher millionenfach verkauft hätten, sei O'Hara bei der Kritik nie besonders wohlgelitten gewesen, erinnert der Rezensent, findet dies aber ungerecht. Denn ihm erscheint zumindest der Roman "Begegnung in Samarra" auch heute noch so modern, dass er ihn durchaus neben John Dos Passos oder Ernest Hemingway stellen würde. Was Schmitt an diesem Roman von 1934 beeindruckt, ist die "fulminante Mischung von Sozialkunde und Schmöker". Er schildert in einer Momentaufnahme die gesellschaftlichen Verhältnisse in Gibbsville, Pennsylvania, zur Zeit der Großen Depression. Und in den Augen des Rezensenten tut er dies "mit der Genauigkeit eines Reporters und der analytischen Präszion eines Soziologen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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