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Dieser Band ist die erste Komplettübersetzung der französischen Ausgabe, in der 1988 unter dem Titel "Monsieur Thorpe" gesammelte Erzählungen Boves aus verschiedenen Schaffensphasen und aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden. Und auch in diesen Geschichten bewährt sich Bove als glänzender Psychologe, der mit einem ganz eigenen Humor Verschränkungen und Widersprüche freilegt. Dabei begegnet man überwiegend jungen Männern, die glauben, souverän zu handeln, sich dann aber in geradezu grotesker Weise in den Fallstricken des eigenen Begehrens verheddern. Die Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Band ist die erste Komplettübersetzung der französischen Ausgabe, in der 1988 unter dem Titel "Monsieur Thorpe" gesammelte Erzählungen Boves aus verschiedenen Schaffensphasen und aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden. Und auch in diesen Geschichten bewährt sich Bove als glänzender Psychologe, der mit einem ganz eigenen Humor Verschränkungen und Widersprüche freilegt. Dabei begegnet man überwiegend jungen Männern, die glauben, souverän zu handeln, sich dann aber in geradezu grotesker Weise in den Fallstricken des eigenen Begehrens verheddern. Die Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht zeitigen ein denkwürdiges Kuriosum: das gekonnte Sichhineinversetzen in das Denken des Gegenübers verschafft keinerlei Vorteil. Im Gegenteil: die vermeintliche Gabe wird zum größten Hindernis
Autorenporträt
Emmanuel Bove wurde 1898 in Paris geboren und starb dort 1945. Seine Kindheit war von großer Armut gekennzeichnet, seine Jugend verbrachte er in diversen Internaten, u.a. in England und in der Schweiz. Jahrelang verdingte er sich in verschiedenen Gelegenheitsjobs - als Kellner, Taxifahrer, Hilfsarbeiter. Sein literarischer Durchbruch fand 1924 statt mit seinem Romanerstling "Mes amis" (dt.: "Meine Freunde", 1981), der von Colette lebhaft unterstützt wurde. In den darauffolgenden zwei Jahrzehnten kam es zu einer enormen Produktion von Romanen und Erzählungen. Nach 1945 geriet Bove dann vollkommen in Vergessenheit und wurde in Frankreich erst in den späten 70er, in Deutschland ab den 80er Jahren zuerst durch Peter Handke wiederentdeckt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2013

Die weiche Haut des Halses

Sinn für Details, scharfe Beobachtungsgabe und die Kunst der treffenden Pointe: Trotz seiner Talente ist Emmanuel Bove immer noch ein großer Halbbekannter.

Wenn die Stimmung das Werk prägt, kann das Wetter literarische Weihen erhalten. Das ist ganz sicher dann der Fall, wenn Emmanuel Bove (1898 bis 1945) dem Regen feinste Nuancen entlockt: "Es regnete. Obwohl der Himmel grau war, fielen durchsichtige Tropfen auf den Balkon. Im Sommer fällt der Regen aus großer Höhe. Bevor er den Boden berührt, hat er Zeit umherzutanzen. Er gehorcht nicht. Man könnte nicht sagen, aus welcher Wolke er kommt. An diesem späten Januarnachmittag aber fiel er vom gesamten Himmel herab." So beginnt die Titelgeschichte des Bandes "Begegnung und andere Erzählungen": Mit knappen, nüchternen Sätzen, die vor untergründiger Poesie vibrieren, ist der Ton gegeben für das nächtliche Treffen zwischen einem leicht perversen Flaneur und einem Mädchen. Viel passiert nicht: Er gabelt sie auf und lässt sie in seinem Hotelbett schlafen, während er den Morgen erwartet. Ein Tableau, irgendwo zwischen Impressionismus und Neuer Sachlichkeit - Bove zeigt, wie er Gemälde grundiert.

Die anderen Erzählungen des Bandes stellen meist die Handlung ins Zentrum, auch wenn die oft im Scheitern mündet: Boves Kosmos ist bevölkert von Antihelden, von versehrten Männern zwischen zwei Kriegen. Das beginnt mit dem Veteranen Victor Bâton im Romanerstling "Meine Freunde" von 1924, geht weiter mit "Armand" (1926) und endet mit Joseph Bridet in "Die Falle", dem letzten Roman, der kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs erschien.

Im vorliegenden Band trifft man ebenfalls diese Figuren, Monsieur Thorpe etwa, einen exzentrischen Engländer, dessen Güte ihn zum Opfer seiner leichtlebigen Tochter macht, oder Charles Becquet, einen ehemaligen Sträfling, der ins Heimatdorf zurückkehren möchte. Bove beschränkt sich nicht darauf: Seine Figuren entstammen vielen Schichten, vom Landstreicher bis zum bekannten Künstler, auch wenn er eine Vorliebe für Mittelmäßigkeit und Abstieg hat; ihre Erlebnisse umfassen die weite Spanne zwischen der Vermietung eines Hauses in der Provinz bis hin zur anstößigen und berührenden Liebesgeschichte zwischen Neffe und Tante ("Die Tante").

Ein schönes Beispiel ist "Eine Kränkung", die Geschichte vom Sohn eines berühmten Generals, der sein Dasein als Bankangestellter fristet. Er wird durch Monsieur Liotard, einen wichtigen Kunden, beleidigt, als dieser ihn in einem Wutanfall mit seinem nichtsnutzigen Neffen verwechselt. Die weit schwerere Kränkung liegt im Ausbleiben der Entschuldigung: ein schmerzliches Symptom für die Lage des zum "Chaussac" deklassierten Monsieur de Chaussac. Bove beweist hier seine feine psychologisch-soziale Beobachtungsgabe, die Details zum Sprechen bringt, etwa den Hemdkragen von Monsieur Liotard: "Ein steifer Stehkragen zwickte in die weiche Haut seines Halses. Seine immer noch sehr hellen blauen Augen ließen ihn jünger erscheinen. Seltsamer Zufall: Er ähnelte ein bisschen meinem Vater." Form und Gehalt, Freundlichkeit und Härte, eine ödipale Assoziation - die untergründige Dynamik der Situation zeichnet sich bereits ab.

Der Düsseldorfer Lilienfeld Verlag präsentiert "Begegnung und andere Erzählungen" in einem der ansprechenden Bände der "Lilienfeldiana"-Reihe. Er enthält Geschichten aus allen Schaffensphasen des Schriftstellers, einige davon erstmals auf Deutsch. Thomas Laux, der unermüdliche Bove-Übersetzer, hat recht: Es ist ein Vergnügen, sie zu lesen, und es ist fast eine Pflicht, den Rang des Autors anzuerkennen. Trotz spannender Geschichten und einer eindringlichen Sprache: Bove ist einer der großen Halbbekannten des vergangenen Jahrhunderts, das gilt für Frankreich ebenso wie für Deutschland. In beiden Ländern liegen wichtige Werke in aktuellen Ausgaben vor, in Boves Mutterland bezeichnenderweise teils bei einem Wissenschaftsverlag aus Quebec. Im deutschsprachigen Raum hat Peter Handke viel für Bove getan; dennoch droht das Vergessen.

Wahrscheinlich liegt es an der Zwitternatur des Autors und seiner Charaktere: ein kleiner Raskolnikow, ein abgerissener Marcel, ein prosaischer Gide, ein mitleiderregender Bardamu, ein psychologisierender Beckett - Zwischenfiguren. Boves Werk ist jedoch weit mehr als ein Übergangsphänomen, es lässt wichtige Entwicklungslinien des französischen Romans erst erkennen. Die soziale und psychologische Erforschung der Figuren treibt er in die radikale Elementaranalyse voran, daher Becketts Wertschätzung. Das für die französische Literatur zentrale Flaneurthema prägen seine abgebrannten, traumatisierten Stromer neu. Das moralische Schillern seiner Helden schließlich, die den Leser oft mit einem ambivalenten Eindruck sitzenlassen, ist resolut modern. Von alledem liefert der Band eindrucksvolle Kostproben.

Der Journalist Bove hat die Gabe der Pointe, seine Romane sind präzise Kabinettstücke, in denen jeder Satz sitzt. Dementsprechend souverän bedient er das Format der Kurzgeschichte, knappe Zeilen genügen, um Charaktere und Situationen zu umreißen. In "Lampenfieber" heißt es von Pierre Waldeck: "Nun ging er auf die dreißig zu. Verbraucht, desillusioniert und verbittert, träumte er nur noch von einer Arbeit im Sitzen, von Ansehen, von Reichtum." Er findet eine Seelenverwandte: "So stand es an dem Abend, als er Olga traf. Für den Beginn ihrer Beziehung spielte Liebe keine Rolle. Und später ebenso wenig." So abgeklärt die Darstellung, so unklar der Sinn: Erzählt werden zwar Ereignisse, die eine Moral zu suggerieren scheinen, tatsächlich bleibt das Geheimnis oft intakt. Der Leser gerät ins Grübeln ob der Abgründe der menschlichen Psyche. Eine angenehme Denkverwirrung - nicht der schlechteste Grund, endlich Bove zu lesen.

NIKLAS BENDER.

Emmanuel Bove: "Begegnung und andere Erzählungen".

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Thomas Laux. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012. 448 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Klassiker der Moderne, dieses Label passt laut Ingeborg Waldinger gut auf Emmanuel Bove. Der Band bietet Waldinger einen Querschnitt durch das erzählerische Werk Boves, hier in "feinsinniger" Übersetzung von Thomas Laux. Traurige, abgebrannte Helden, eine subtile wie radikale Seelenschau und ein lapidarer sprachlicher Gestus, das sind für Waldinger Markenzeichen des Autors, dessen "hochpoetischer" Kosmos sich ihr mit diesem Band erschließt

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