+++ Im Schatten des Drachen - ein kluger Blick auf das »Reich der Mitte« und seine Nachbarn +++
Asien ist in Bewegung. Die neue Supermacht China dominiert sowohl den Kontinent als auch den Diskurs über die Region. Um besser zu verstehen, was in seinem Inneren vorgeht, lohnt sich vor allem ein Blick an die Ränder des riesigen Staates.
Keiner kann das so meisterhaft und kenntnisreich wie der vielfach ausgezeichnete Publizist und Essayist Pankaj Mishra, der sich der Großmacht China über ihre Grenzen annähert und gekonnt politisches Geschehen, Reisebericht und große Historie miteinander verwebt. Er reist von Beijing über die Mongolei nach Tibet und durch Länder wie Indonesien, Malaysia und Taiwan, um herauszufinden, wie es sich im Schatten des Drachen lebt und welchen Einfluss die unmittelbare Nähe des »Reichs der Mitte« auf seine Nachbarn hat.
Erhellende und ungewöhnliche Einblicke in eine der wichtigsten Regionen des 21. Jahrhunderts.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Asien ist in Bewegung. Die neue Supermacht China dominiert sowohl den Kontinent als auch den Diskurs über die Region. Um besser zu verstehen, was in seinem Inneren vorgeht, lohnt sich vor allem ein Blick an die Ränder des riesigen Staates.
Keiner kann das so meisterhaft und kenntnisreich wie der vielfach ausgezeichnete Publizist und Essayist Pankaj Mishra, der sich der Großmacht China über ihre Grenzen annähert und gekonnt politisches Geschehen, Reisebericht und große Historie miteinander verwebt. Er reist von Beijing über die Mongolei nach Tibet und durch Länder wie Indonesien, Malaysia und Taiwan, um herauszufinden, wie es sich im Schatten des Drachen lebt und welchen Einfluss die unmittelbare Nähe des »Reichs der Mitte« auf seine Nachbarn hat.
Erhellende und ungewöhnliche Einblicke in eine der wichtigsten Regionen des 21. Jahrhunderts.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2015Der Weg in die Sackgasse
Nachbars Lage: Pankaj Mishra misstraut dem Westen
Knapp vierhundert Seiten Leiden an der Welt - und doch liest man dieses Buch gern. Der Autor, laut Klappentext einer der "großen Intellektuellen Asiens" (was sich leicht behaupten lässt), hat eine Sprache, die den Leser mitnimmt und das Geschilderte fühlbar macht. Die Übersetzung lässt diesem Sprachfluss glücklicherweise seinen Lauf, und so lässt Pankaj Mishra uns an seinen Reisen teilhaben.
Der Inder begegnet den nahen und ferneren Nachbarn seines Landes. Von diesen lässt ihn naheliegenderweise vor allem China nicht los. Ein roter Faden zieht sich durch das Buch: Gerade in Asien wird propagandistisch der Niedergang des "Westens" gefeiert und als eigene (Wieder-)Auferstehung interpretiert. Folgt man dem Autor, erlebt dieser "Westen" aber gerade einen großen Sieg auf dem Aufsteigerkontinent. Dies allerdings weitgehend ohne eigenes Zutun, schon gar nicht dank eigener Macht. Vielmehr hätten gerade "westliche" Ideen wie rabiater Nationalismus in Asien Hochkonjunktur. Und schon werden Nachbarn schnell zum Problem, zumal wenn es gewachsene kulturelle und andere Unterschiede gibt.
Dieser Siegeszug negativer Werte bereitet Mishra beinahe körperlichen Schmerz. Und deshalb sucht er inmitten aller Verderbtheit eine bessere, den Ländern angemessenere Welt. Präzise und schonungslos benennt er die Mängel in asiatischen Ländern. Man ist allerdings versucht, Mishra einen Denkfehler vorzuhalten. "Westliche" Werte mögen von Asiens Eliten missbraucht werden. Daraus freilich auf die mangelnde Qualität der Werte an sich zu schließen erscheint doch etwas schlicht. Jedenfalls kommt bei der Beschreibung von Armut, Korruption und Unterdrückung in jedem denkbaren Land unweigerlich der Punkt, an dem etwas "Westliches", eine Macht, ein Politiker, am besten aber die Idee, als eigentlicher Übeltäter dasteht. Unter keinen Umständen kann für Mishra der "westliche" Weg der zur Lösung der Probleme sein.
In dieser Haltung spiegelt sich auch die Erfahrung eines Kontinents, der seine heutige Position im Kampf gegen westliche Kolonialmächte mühsam errungen hat. Dass diese Mächte die Kolonien mit nicht akzeptablen Methoden unterdrückt haben, bestreitet niemand, der bei Verstand ist. Das muss freilich nicht heißen, dass die ehemaligen Unterdrücker nicht zum Umdenken in der Lage sind. Und ein System, das bei ihnen doch einigermaßen gut funktioniert, könnte auch für die ehemals Unterdrückten durchaus von Nutzen sein. Es sei denn, man lehnt es aus Prinzip und Engstirnigkeit ab. Vielleicht dauert es noch eine Generation, bis diese Abstoßungseffekte einer rationaleren Auseinandersetzung weichen. Im willentlichen Nachahmen westlicher Fehler, zum Beispiel der Zerstörung der Umwelt, macht den asiatischen Aufsteigern jedenfalls niemand etwas vor.
Probleme liegen möglicherweise auch schlicht in der Natur des Menschen. Besonders deutlich wird das in dem Kapitel, das von einer Reise nach Indonesien handelt. Mishra nimmt die politischen Veränderungen nach dem Sturz des Diktators Suharto zur Kenntnis und benennt auch hier präzise ihre hellen genauso wie ihre dunklen Seiten. Zu Letzteren zählt er aber offenbar den Menschen an sich. Die Veränderungen haben den Menschen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und was passiert? Es gibt tatsächlich Menschen, die diese Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit!
Fragte man ihn, wäre Pankaj Mishra wahrscheinlich bereit zuzugestehen, dass es die Werte des verachteten "Westens" sind, die es ihm ermöglichen, seine Verzweiflung über und Kritik an herrschenden Verhältnissen öffentlich zu artikulieren. Und was Systemfragen betrifft: Die Demokratie ist mit vielen Fehlern behaftet. Aber nirgendwo in seinem Buch scheint auch nur aus der Ferne ein besseres System auf.
PETER STURM.
Pankaj Mishra: "Begegnungen mit China und seinen Nachbarn". Malaysia, Hongkong, Indonesien, Taiwan, Mongolei, Tibet, Japan, Indien.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 380 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nachbars Lage: Pankaj Mishra misstraut dem Westen
Knapp vierhundert Seiten Leiden an der Welt - und doch liest man dieses Buch gern. Der Autor, laut Klappentext einer der "großen Intellektuellen Asiens" (was sich leicht behaupten lässt), hat eine Sprache, die den Leser mitnimmt und das Geschilderte fühlbar macht. Die Übersetzung lässt diesem Sprachfluss glücklicherweise seinen Lauf, und so lässt Pankaj Mishra uns an seinen Reisen teilhaben.
Der Inder begegnet den nahen und ferneren Nachbarn seines Landes. Von diesen lässt ihn naheliegenderweise vor allem China nicht los. Ein roter Faden zieht sich durch das Buch: Gerade in Asien wird propagandistisch der Niedergang des "Westens" gefeiert und als eigene (Wieder-)Auferstehung interpretiert. Folgt man dem Autor, erlebt dieser "Westen" aber gerade einen großen Sieg auf dem Aufsteigerkontinent. Dies allerdings weitgehend ohne eigenes Zutun, schon gar nicht dank eigener Macht. Vielmehr hätten gerade "westliche" Ideen wie rabiater Nationalismus in Asien Hochkonjunktur. Und schon werden Nachbarn schnell zum Problem, zumal wenn es gewachsene kulturelle und andere Unterschiede gibt.
Dieser Siegeszug negativer Werte bereitet Mishra beinahe körperlichen Schmerz. Und deshalb sucht er inmitten aller Verderbtheit eine bessere, den Ländern angemessenere Welt. Präzise und schonungslos benennt er die Mängel in asiatischen Ländern. Man ist allerdings versucht, Mishra einen Denkfehler vorzuhalten. "Westliche" Werte mögen von Asiens Eliten missbraucht werden. Daraus freilich auf die mangelnde Qualität der Werte an sich zu schließen erscheint doch etwas schlicht. Jedenfalls kommt bei der Beschreibung von Armut, Korruption und Unterdrückung in jedem denkbaren Land unweigerlich der Punkt, an dem etwas "Westliches", eine Macht, ein Politiker, am besten aber die Idee, als eigentlicher Übeltäter dasteht. Unter keinen Umständen kann für Mishra der "westliche" Weg der zur Lösung der Probleme sein.
In dieser Haltung spiegelt sich auch die Erfahrung eines Kontinents, der seine heutige Position im Kampf gegen westliche Kolonialmächte mühsam errungen hat. Dass diese Mächte die Kolonien mit nicht akzeptablen Methoden unterdrückt haben, bestreitet niemand, der bei Verstand ist. Das muss freilich nicht heißen, dass die ehemaligen Unterdrücker nicht zum Umdenken in der Lage sind. Und ein System, das bei ihnen doch einigermaßen gut funktioniert, könnte auch für die ehemals Unterdrückten durchaus von Nutzen sein. Es sei denn, man lehnt es aus Prinzip und Engstirnigkeit ab. Vielleicht dauert es noch eine Generation, bis diese Abstoßungseffekte einer rationaleren Auseinandersetzung weichen. Im willentlichen Nachahmen westlicher Fehler, zum Beispiel der Zerstörung der Umwelt, macht den asiatischen Aufsteigern jedenfalls niemand etwas vor.
Probleme liegen möglicherweise auch schlicht in der Natur des Menschen. Besonders deutlich wird das in dem Kapitel, das von einer Reise nach Indonesien handelt. Mishra nimmt die politischen Veränderungen nach dem Sturz des Diktators Suharto zur Kenntnis und benennt auch hier präzise ihre hellen genauso wie ihre dunklen Seiten. Zu Letzteren zählt er aber offenbar den Menschen an sich. Die Veränderungen haben den Menschen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und was passiert? Es gibt tatsächlich Menschen, die diese Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit!
Fragte man ihn, wäre Pankaj Mishra wahrscheinlich bereit zuzugestehen, dass es die Werte des verachteten "Westens" sind, die es ihm ermöglichen, seine Verzweiflung über und Kritik an herrschenden Verhältnissen öffentlich zu artikulieren. Und was Systemfragen betrifft: Die Demokratie ist mit vielen Fehlern behaftet. Aber nirgendwo in seinem Buch scheint auch nur aus der Ferne ein besseres System auf.
PETER STURM.
Pankaj Mishra: "Begegnungen mit China und seinen Nachbarn". Malaysia, Hongkong, Indonesien, Taiwan, Mongolei, Tibet, Japan, Indien.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 380 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
kühle Analyse mit empathischer essayistischer Reportage Marko Martin Tages-Anzeiger 20150821
Der Weg in die Sackgasse
Nachbars Lage: Pankaj Mishra misstraut dem Westen
Knapp vierhundert Seiten Leiden an der Welt - und doch liest man dieses Buch gern. Der Autor, laut Klappentext einer der "großen Intellektuellen Asiens" (was sich leicht behaupten lässt), hat eine Sprache, die den Leser mitnimmt und das Geschilderte fühlbar macht. Die Übersetzung lässt diesem Sprachfluss glücklicherweise seinen Lauf, und so lässt Pankaj Mishra uns an seinen Reisen teilhaben.
Der Inder begegnet den nahen und ferneren Nachbarn seines Landes. Von diesen lässt ihn naheliegenderweise vor allem China nicht los. Ein roter Faden zieht sich durch das Buch: Gerade in Asien wird propagandistisch der Niedergang des "Westens" gefeiert und als eigene (Wieder-)Auferstehung interpretiert. Folgt man dem Autor, erlebt dieser "Westen" aber gerade einen großen Sieg auf dem Aufsteigerkontinent. Dies allerdings weitgehend ohne eigenes Zutun, schon gar nicht dank eigener Macht. Vielmehr hätten gerade "westliche" Ideen wie rabiater Nationalismus in Asien Hochkonjunktur. Und schon werden Nachbarn schnell zum Problem, zumal wenn es gewachsene kulturelle und andere Unterschiede gibt.
Dieser Siegeszug negativer Werte bereitet Mishra beinahe körperlichen Schmerz. Und deshalb sucht er inmitten aller Verderbtheit eine bessere, den Ländern angemessenere Welt. Präzise und schonungslos benennt er die Mängel in asiatischen Ländern. Man ist allerdings versucht, Mishra einen Denkfehler vorzuhalten. "Westliche" Werte mögen von Asiens Eliten missbraucht werden. Daraus freilich auf die mangelnde Qualität der Werte an sich zu schließen erscheint doch etwas schlicht. Jedenfalls kommt bei der Beschreibung von Armut, Korruption und Unterdrückung in jedem denkbaren Land unweigerlich der Punkt, an dem etwas "Westliches", eine Macht, ein Politiker, am besten aber die Idee, als eigentlicher Übeltäter dasteht. Unter keinen Umständen kann für Mishra der "westliche" Weg der zur Lösung der Probleme sein.
In dieser Haltung spiegelt sich auch die Erfahrung eines Kontinents, der seine heutige Position im Kampf gegen westliche Kolonialmächte mühsam errungen hat. Dass diese Mächte die Kolonien mit nicht akzeptablen Methoden unterdrückt haben, bestreitet niemand, der bei Verstand ist. Das muss freilich nicht heißen, dass die ehemaligen Unterdrücker nicht zum Umdenken in der Lage sind. Und ein System, das bei ihnen doch einigermaßen gut funktioniert, könnte auch für die ehemals Unterdrückten durchaus von Nutzen sein. Es sei denn, man lehnt es aus Prinzip und Engstirnigkeit ab. Vielleicht dauert es noch eine Generation, bis diese Abstoßungseffekte einer rationaleren Auseinandersetzung weichen. Im willentlichen Nachahmen westlicher Fehler, zum Beispiel der Zerstörung der Umwelt, macht den asiatischen Aufsteigern jedenfalls niemand etwas vor.
Probleme liegen möglicherweise auch schlicht in der Natur des Menschen. Besonders deutlich wird das in dem Kapitel, das von einer Reise nach Indonesien handelt. Mishra nimmt die politischen Veränderungen nach dem Sturz des Diktators Suharto zur Kenntnis und benennt auch hier präzise ihre hellen genauso wie ihre dunklen Seiten. Zu Letzteren zählt er aber offenbar den Menschen an sich. Die Veränderungen haben den Menschen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und was passiert? Es gibt tatsächlich Menschen, die diese Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit!
Fragte man ihn, wäre Pankaj Mishra wahrscheinlich bereit zuzugestehen, dass es die Werte des verachteten "Westens" sind, die es ihm ermöglichen, seine Verzweiflung über und Kritik an herrschenden Verhältnissen öffentlich zu artikulieren. Und was Systemfragen betrifft: Die Demokratie ist mit vielen Fehlern behaftet. Aber nirgendwo in seinem Buch scheint auch nur aus der Ferne ein besseres System auf.
PETER STURM.
Pankaj Mishra: "Begegnungen mit China und seinen Nachbarn". Malaysia, Hongkong, Indonesien, Taiwan, Mongolei, Tibet, Japan, Indien.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 380 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nachbars Lage: Pankaj Mishra misstraut dem Westen
Knapp vierhundert Seiten Leiden an der Welt - und doch liest man dieses Buch gern. Der Autor, laut Klappentext einer der "großen Intellektuellen Asiens" (was sich leicht behaupten lässt), hat eine Sprache, die den Leser mitnimmt und das Geschilderte fühlbar macht. Die Übersetzung lässt diesem Sprachfluss glücklicherweise seinen Lauf, und so lässt Pankaj Mishra uns an seinen Reisen teilhaben.
Der Inder begegnet den nahen und ferneren Nachbarn seines Landes. Von diesen lässt ihn naheliegenderweise vor allem China nicht los. Ein roter Faden zieht sich durch das Buch: Gerade in Asien wird propagandistisch der Niedergang des "Westens" gefeiert und als eigene (Wieder-)Auferstehung interpretiert. Folgt man dem Autor, erlebt dieser "Westen" aber gerade einen großen Sieg auf dem Aufsteigerkontinent. Dies allerdings weitgehend ohne eigenes Zutun, schon gar nicht dank eigener Macht. Vielmehr hätten gerade "westliche" Ideen wie rabiater Nationalismus in Asien Hochkonjunktur. Und schon werden Nachbarn schnell zum Problem, zumal wenn es gewachsene kulturelle und andere Unterschiede gibt.
Dieser Siegeszug negativer Werte bereitet Mishra beinahe körperlichen Schmerz. Und deshalb sucht er inmitten aller Verderbtheit eine bessere, den Ländern angemessenere Welt. Präzise und schonungslos benennt er die Mängel in asiatischen Ländern. Man ist allerdings versucht, Mishra einen Denkfehler vorzuhalten. "Westliche" Werte mögen von Asiens Eliten missbraucht werden. Daraus freilich auf die mangelnde Qualität der Werte an sich zu schließen erscheint doch etwas schlicht. Jedenfalls kommt bei der Beschreibung von Armut, Korruption und Unterdrückung in jedem denkbaren Land unweigerlich der Punkt, an dem etwas "Westliches", eine Macht, ein Politiker, am besten aber die Idee, als eigentlicher Übeltäter dasteht. Unter keinen Umständen kann für Mishra der "westliche" Weg der zur Lösung der Probleme sein.
In dieser Haltung spiegelt sich auch die Erfahrung eines Kontinents, der seine heutige Position im Kampf gegen westliche Kolonialmächte mühsam errungen hat. Dass diese Mächte die Kolonien mit nicht akzeptablen Methoden unterdrückt haben, bestreitet niemand, der bei Verstand ist. Das muss freilich nicht heißen, dass die ehemaligen Unterdrücker nicht zum Umdenken in der Lage sind. Und ein System, das bei ihnen doch einigermaßen gut funktioniert, könnte auch für die ehemals Unterdrückten durchaus von Nutzen sein. Es sei denn, man lehnt es aus Prinzip und Engstirnigkeit ab. Vielleicht dauert es noch eine Generation, bis diese Abstoßungseffekte einer rationaleren Auseinandersetzung weichen. Im willentlichen Nachahmen westlicher Fehler, zum Beispiel der Zerstörung der Umwelt, macht den asiatischen Aufsteigern jedenfalls niemand etwas vor.
Probleme liegen möglicherweise auch schlicht in der Natur des Menschen. Besonders deutlich wird das in dem Kapitel, das von einer Reise nach Indonesien handelt. Mishra nimmt die politischen Veränderungen nach dem Sturz des Diktators Suharto zur Kenntnis und benennt auch hier präzise ihre hellen genauso wie ihre dunklen Seiten. Zu Letzteren zählt er aber offenbar den Menschen an sich. Die Veränderungen haben den Menschen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und was passiert? Es gibt tatsächlich Menschen, die diese Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit!
Fragte man ihn, wäre Pankaj Mishra wahrscheinlich bereit zuzugestehen, dass es die Werte des verachteten "Westens" sind, die es ihm ermöglichen, seine Verzweiflung über und Kritik an herrschenden Verhältnissen öffentlich zu artikulieren. Und was Systemfragen betrifft: Die Demokratie ist mit vielen Fehlern behaftet. Aber nirgendwo in seinem Buch scheint auch nur aus der Ferne ein besseres System auf.
PETER STURM.
Pankaj Mishra: "Begegnungen mit China und seinen Nachbarn". Malaysia, Hongkong, Indonesien, Taiwan, Mongolei, Tibet, Japan, Indien.
Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 380 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main