Produktdetails
  • Bodenseebibliothek
  • Verlag: Thorbecke
  • Seitenzahl: 508
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 1024g
  • ISBN-13: 9783799550383
  • Artikelnr.: 24707379
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.1995

Konkurrenz fürs Kloster
Die religiösen Frauengemeinschaften der Beginen am Bodensee

Kaum eine religiöse Bewegung des Mittelalters entzieht sich so sehr einer eindeutigen Klassifizierung wie die der in Askese und Keuschheit, aber ohne eine Ordensregel lebenden Beginen. So kam es, daß Leben und Arbeit dieser Frauen den einen zum Exempel einer traditionalen Lebensweise, den anderen dagegen als Revolte, Aufbruch und Emanzipation erscheinen mußten. Andreas Wilts hat sich nun in seiner Arbeit über "Beginen im Bodenseeraum" eine genaue Rekonstruktion städtischer und ländlicher Beginenkonvente seit ihrer Entstehung im dreizehnten Jahrhundert vorgenommen und der Interpretation eine eingehende und beeindruckende Sammlung von Einzelgeschichten der Konvente beigegeben, was ein umfangreicher Anhang dokumentiert.

Im Gegensatz zu anderen religiösen Bewegungen des Mittelalters existierten die Beginen ohne die Leitfigur eines Stifters und ohne verbindliche Regel. Doch stellte die Wahl eines Beginenkonvents keineswegs nur eine Notlösung für minderbemittelte Frauen dar, die sich den Eintritt in ein Frauenkloster finanziell nicht leisten konnten. Vielmehr war es so, daß die Beginen durch ihre Arbeit und Kontemplation verbindende Lebensweise den Traditionen des weiblichen Klosterlebens nicht entsprachen und sich für die besonderen Freiheiten in dieser Art von Konvent bewußt entschieden. Die Frauen konnten den Ein-und Austritt in eine Beginengemeinschaft selbst bestimmen, mußten keine Liturgie einhalten und kein Gelübde auf eine Ordensregel ablegen. Doch setzte bereits die Gründung eines Konvents Verbindungen zu einem Gönner voraus. Spenden wurden zumeist vom Adel oder wohlhabenden städtischen Patriziat geleistet.

Aus diesen Gruppen rekrutierten nun aber die bestehenden Klöster ihr Personal, die sich in andauerndem Konkurrenzkampf mit Neugründungen befanden und die neu entstehenden Frauengemeinschaften von Beginn an zu kontrollieren suchten. Beginen hatten es in dieser Situation doppelt schwer. Nicht nur fehlte ihnen, da sie allen Schichten offenstanden, das nötige Kapital, das etwa den Benediktinern in Hungerzeiten über die Runden half. Zugleich mußten sie sich des Verdachts der Häresie erwehren, der schließlich zu ihrer Verfolgung durch die Weltgeistlichkeit führte.

Da die Beginen die scharfe Trennung von vita activa und vita contemplativa nicht einhielten und damit einen Zwischenstand bildeten, der weder eindeutig dem Laienstand noch dem Mönchtum zuzuordnen war, lehnte der Weltklerus sie ab. In seinen Augen usurpierten die Beginen durch die Annahme von Schenkungen und Stiftungen klerikale Privilegien. Außerdem lasen sie selbständig die Bibel, diskutierten theologische Probleme und beachteten die Klausur nicht.

Im Leben der Städte traten die Beginen im Gegensatz zu den im Kloster lebenden Frauen durch ihren Dienst an Kranken, Schwachen und Sterbenden in Erscheinung. Auch das konnte der Kirche nicht recht passen. Moralisch und intellektuell galt die Frau ja als dem Manne unterlegen; sie wurde weiterhin der Sphäre von Familie und Haus zugeordnet. Doch kann Wilts mehrere Faktoren namhaft machen, die den starken Zulauf zu religiösen Frauengemeinschaften um 1200 ermöglicht haben. Parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung der Städte lockerten sich auch die rechtlichen Bestimmungen. Hilfsarbeiten in Bekleidungshandwerken, im Nahrungsmittelgewerbe und im Gesundheitswesen konnten Frauen eine bescheidene selbständige Existenz ermöglichen. Die Ehelehre und das wachsende Gewicht geistlicher Ehegerichte erleichterten es Frauen, bereits geschlossene Ehen aufzulösen. Der Zugang zum religiösen Leben wurde für Frauen nicht zuletzt auch durch das Vordringen der religiösen Laienbewegung erleichtert. Im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderts vervierfachte sich so der Beginenanteil im Bodenseeraum.

Die Frauen, die in ländlicher Umgebung die Abgeschiedenheit suchten, litten unter religiöser "Unterversorgung", solange sie keinen größeren Orden dafür gewannen, die Seelsorge zu übernehmen. Doch auch die Zuwendung der etablierten Autoritäten war gefährlich: Die umliegenden Dominikaner- oder Franziskanerklöster beanspruchten geistliche, die Städte und nicht zuletzt die Konstanzer Bischöfe zunehmend rechtliche Aufsichtsrechte. So kam es zur Verklösterlichung, auch zum gänzlichen Verlust alter Rechte und zur Auslöschung der Beginengemeinschaften.

Die Frauen selbst kommen bei Wilts nicht zu Wort. Die Gründe für den Bruch mit den Eltern und mit der ihnen zugedachten Lebensform als Ehefrauen und Mütter bleiben weitgehend dunkel. Das hängt vor allem mit der Quellenlage zusammen. Aufschluß über das Selbstverständnis, über Ziele und Sichtweisen der Beginen könnte aber wohl der genauere Blick auf die Konflikte geben, die die Frauen mit den Städten und den umliegenden Klöstern ausfochten. ANNE G. KOSFELD

Andreas Wilts: "Beginen im Bodenseeraum". Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1994. 508 Seiten, Abb., geb., 78,- DM.

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