Vom Vollmond getrieben, irrt Giuseppe Marano, der "Werwolf", durch die Gassen und die silbrig-glänzenden Olivenhaine Cefalùs und schreit sich seine Erbschuld von der Seele. Angeführt vom selbst ernannten Übermenschen Aleister Crowley, Magier und Schriftsteller, der sein Leben als Gesamtkunstwerk inszeniert, lässt sich eine Schar extravaganter Fremder nieder, um die Abtei von Thélème zu gründen: Hier frönt man gnostischen Messen, esoterischen Riten und feiert heidnische Hochzeitsnächte. Der gelangweilte Baron Cìcio, ein Bewunderer des schwülstigen Poeten und Fiume-Eroberers D'Annunzio und Faschist, sieht eine Gelegenheit, seine erotischen Phantasien umzusetzen. Der Lehrer Petro, Sohn des "Werwolfs", sühnt den sozialen Aufstieg seiner Familie durch die Teilnahme an sozialistischen Aufruhren und muss - wie seine jüdischen Vorfahren - ins Exil gehen, nach Algerien. Vincenzo Consolo - nach Leonardo Sciascia die moralische Instanz Italiens gegen die Ausbeutung des Südens - zielt in seinem chorisch angelegten, poetischen Roman über den in unsicheren Zeiten aufkommenden Irrationalismus und Personenkult auf unsere Tage ab und legt mit dem Leitmotiv der Melancholie die menschlichen Abgründe frei.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Franz Haas kann sein Erstaunen nicht verhehlen, dass der Roman des italienischen Autors Vincenzo Consolo erst nach elf Jahren in einer deutschen Übersetzung erscheint. Zunächst rühmt er die "brillante" Übersetzung von Maria Brunner und ihr sehr informatives Nachwort, mit dem sie den deutschen Lesern Hilfestellung bei der Durchdringung der vielen "literarischen Anspielungen" gibt, die dieser vielschichtige Roman enthält. Das Buch spielt in einer kleinen sizilianischen Stadt in den 1920er Jahren, in der ein verrückter englischer Sektenguru auftaucht, während gleichzeitig der Faschismus in der Gegend Einzug hält, fasst der Rezensent zusammen. Die Übersetzerin weise darauf hin, dass der Roman ebenso als Parabel der 1990er Jahre in Italien gelesen werden kann, meint Haas. Er entwickelt aber nicht nur ein "metaphorisches Gesellschaftsbild", sondern ist durch seine vielen literarischen Verweise auch ein "Echotext", der sich beispielsweise mit Carlo Emilio Gaddas "Die Erkenntnis des Schmerzes" auseinandersetzt, weiß der Rezensent. Er zeigt sich sehr angetan von der "virtuos vielstimmigen Technik", mit der Consolo seine Geschichte entwickelt, und lobt besonders, dass er bei aller "politischen Deutlichkeit" nicht der Versuchung anheim fällt, eine gar zu einfache "antifaschistische Botschaft" an seine Leser zu bringen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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