Produktdetails
- Verlag: Residenz
- Seitenzahl: 96
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 251g
- ISBN-13: 9783701712021
- ISBN-10: 3701712026
- Artikelnr.: 24711562
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2000Die nichtigen Beine roter Ameisen
Wo Flüsse durchs Nadelöhr fließen: Gedichte von Uros Zupan
Auf Fragen, die heute als müßig gelten, wie auf diejenige nach der Beschaffenheit des auferstandenen Leibes, wurden einst Antworten gegeben, die einem das Auferstehen recht verlockend erscheinen lassen mussten. Impassibilitas, Leidlosigkeit, komme dem verklärten Leibe zu, ferner agilitas, Beweglichkeit bis zur Gabe, an mehreren Orten zugleich zu sein, des Weiteren subtilitas, eine so hohe Feinheit, dass durch geschlossene Türen zu gehen kein Kunststück mehr ist, endlich claritas, Lichtigkeit. "Der Leib ist klar, klar wie Kristall", dichtete Friedrich von Spee, so dass "die Seel hierdurch glänzt hübsch und fein." Er ist transparent für das in ihm wohnende Göttliche, kann aber seinerseits alles Materielle durchdringen: "O wie subtil! Der Leib wie zart! du gehst durch Stahl und Eisen hart, gleich wie die Sonn das Glas durchgeht, da nichts den Strahlen widersteht."
Novalis träumte das nach, als er die Poesie ein großes Alkahest nannte, einen Allesverflüssiger, in dem das Harte, Begrenzte, Materielle sich selig löse in Geist, in dem alles Fest schmelzend zergehe, wie in der Liebe, wie im Tode. "Wem heilige Glut", so kündet die Abendmahlshymne, "in zitternde Wellen das Herz schmolz", schwimmen wird der im himmlischen Blute. "O! dass das Weltmeer schon errötete, und in duftiges Fleisch aufquölle der Fels!" Herzlos erkannte die Psychoanalyse in solchen Vermischungsträumen nichts als Sexualphantasien. Ihr eigentlicher Inhalt sei der Wunsch nach dem beglückenden Bewusstseinsverlust im Orgasmus. Poesie, Religion, Liebe - sie schienen danach nur noch des rumorenden Unterleibs aufsteigende Gasblasen.
Von all dem weiß Uros Zupan nichts, Gott sei Dank. Seine Stärke liegt in seiner entzückenden Naivität. Das soll keine Beleidigung sein. Er hat zwar allerlei gelesen, den Hölderlin sogar, aber nichts kann ihn davon abhalten, die Entgrenzungsphantasie seines Ichs auszubreiten, als wäre sie das Erstaunlichste und bisher nie da gewesen. "Wir sind wie das Meer." Das Fließen und Fliegen, Eintauchen und Abschmelzen, Schweben und Mischen, das Leicht-, Licht- und Verklärtwerden ("Du wirst von licht überflutet werden") will kein Ende nehmen. Sogar die Theorie, die Zupan nachliefert, kommt ohne Entgrenzung nicht aus. Als Grund für die Länge seiner Gedichte gibt er an, dass er "nach Herzenslust kontrolliert zerfließen" wolle. Ein kurzes Gedicht hieße ja pointieren, abgrenzen, fertig werden - das liegt ihm nicht. Das alles ist so epigonal, dass es bisweilen wehtut, aber es rührt dennoch kraft seiner jungenhaften Unbefangenheit. Hat man nicht auch an die vielen zu denken, die noch nicht mit allen Hunden gehetzt sind? Die des Zerfließens bedürftig sind, weil die strenge Form sie überfordert?
Der Verfasser ist ein langhaariger Träumer mit Novalis-Gesicht. Sein Vater scheint von ihm verlangt zu haben, dass er was Ordentliches werden solle, ein glatt rasierter Angestellter zum Beispiel. Damit lieferte der Vater sich den Messern der romantischen Philisterkritik aus, die der Sohn zu führen weiß, als gäbe es kein einziges Argument dagegen. Auffahrend wie Ikarus kanzelt er den Dädalus ab, als wäre er nach seinem Flug zur Sonne planmäßig gelandet: Wie er dazu komme, ihm die Höhenflüge zu vermiesen! Anders als Kafka, dem Zupan sich zu Unrecht verwandt fühlt, schickt er seinen Brief an den Vater ab, lässt ihn sogar drucken, ins Deutsche übersetzen und als Literatur bestaunen.
Auf Slowenisch ist sicher manches gedrungener, manches besser als im Deutschen. Auch ist den Gedichten eine Entwicklung anzumerken. Die späteren sind herber, fester, ehrlicher als die frühen. Der Dichter liebt das Leben, obwohl er - so sagt er selbst - es nicht versteht. Gut so, die Liebe könnte sonst Schaden leiden. Nur "Komik und Elend" sah einer, der vor hundert Jahren das Leben durchschaute, Tonio Kröger. Siebenundzwanzig war Thomas Mann, als er seinen Helden so pessimistisch denken ließ. Siebenunddreißig ist Uros Zupan und erklärt uns in einem Nachwort, dass er nicht dorthin gehören wolle, wo die Glieder des mittleren linken Beines einer roten Ameise gezählt würden, sondern auf die andere Seite, "wo jene leben, die einen Fluss dazu bringen können, durch ein Nadelöhr zu fließen".
Viel Glück, Uros Zupan, aber hilf unserem Unglauben! Komm wieder, wenn der Fluss durch ist, wir wollen dir dann die Hand in die Seitenwunde legen!
HERMANN KURZKE
Uros Zupan: "Beim Verlassen des Hauses, in dem wir uns liebten". Gedichte. Aus dem Slowenischen übersetzt von Fabjan Hafner. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000. 96 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wo Flüsse durchs Nadelöhr fließen: Gedichte von Uros Zupan
Auf Fragen, die heute als müßig gelten, wie auf diejenige nach der Beschaffenheit des auferstandenen Leibes, wurden einst Antworten gegeben, die einem das Auferstehen recht verlockend erscheinen lassen mussten. Impassibilitas, Leidlosigkeit, komme dem verklärten Leibe zu, ferner agilitas, Beweglichkeit bis zur Gabe, an mehreren Orten zugleich zu sein, des Weiteren subtilitas, eine so hohe Feinheit, dass durch geschlossene Türen zu gehen kein Kunststück mehr ist, endlich claritas, Lichtigkeit. "Der Leib ist klar, klar wie Kristall", dichtete Friedrich von Spee, so dass "die Seel hierdurch glänzt hübsch und fein." Er ist transparent für das in ihm wohnende Göttliche, kann aber seinerseits alles Materielle durchdringen: "O wie subtil! Der Leib wie zart! du gehst durch Stahl und Eisen hart, gleich wie die Sonn das Glas durchgeht, da nichts den Strahlen widersteht."
Novalis träumte das nach, als er die Poesie ein großes Alkahest nannte, einen Allesverflüssiger, in dem das Harte, Begrenzte, Materielle sich selig löse in Geist, in dem alles Fest schmelzend zergehe, wie in der Liebe, wie im Tode. "Wem heilige Glut", so kündet die Abendmahlshymne, "in zitternde Wellen das Herz schmolz", schwimmen wird der im himmlischen Blute. "O! dass das Weltmeer schon errötete, und in duftiges Fleisch aufquölle der Fels!" Herzlos erkannte die Psychoanalyse in solchen Vermischungsträumen nichts als Sexualphantasien. Ihr eigentlicher Inhalt sei der Wunsch nach dem beglückenden Bewusstseinsverlust im Orgasmus. Poesie, Religion, Liebe - sie schienen danach nur noch des rumorenden Unterleibs aufsteigende Gasblasen.
Von all dem weiß Uros Zupan nichts, Gott sei Dank. Seine Stärke liegt in seiner entzückenden Naivität. Das soll keine Beleidigung sein. Er hat zwar allerlei gelesen, den Hölderlin sogar, aber nichts kann ihn davon abhalten, die Entgrenzungsphantasie seines Ichs auszubreiten, als wäre sie das Erstaunlichste und bisher nie da gewesen. "Wir sind wie das Meer." Das Fließen und Fliegen, Eintauchen und Abschmelzen, Schweben und Mischen, das Leicht-, Licht- und Verklärtwerden ("Du wirst von licht überflutet werden") will kein Ende nehmen. Sogar die Theorie, die Zupan nachliefert, kommt ohne Entgrenzung nicht aus. Als Grund für die Länge seiner Gedichte gibt er an, dass er "nach Herzenslust kontrolliert zerfließen" wolle. Ein kurzes Gedicht hieße ja pointieren, abgrenzen, fertig werden - das liegt ihm nicht. Das alles ist so epigonal, dass es bisweilen wehtut, aber es rührt dennoch kraft seiner jungenhaften Unbefangenheit. Hat man nicht auch an die vielen zu denken, die noch nicht mit allen Hunden gehetzt sind? Die des Zerfließens bedürftig sind, weil die strenge Form sie überfordert?
Der Verfasser ist ein langhaariger Träumer mit Novalis-Gesicht. Sein Vater scheint von ihm verlangt zu haben, dass er was Ordentliches werden solle, ein glatt rasierter Angestellter zum Beispiel. Damit lieferte der Vater sich den Messern der romantischen Philisterkritik aus, die der Sohn zu führen weiß, als gäbe es kein einziges Argument dagegen. Auffahrend wie Ikarus kanzelt er den Dädalus ab, als wäre er nach seinem Flug zur Sonne planmäßig gelandet: Wie er dazu komme, ihm die Höhenflüge zu vermiesen! Anders als Kafka, dem Zupan sich zu Unrecht verwandt fühlt, schickt er seinen Brief an den Vater ab, lässt ihn sogar drucken, ins Deutsche übersetzen und als Literatur bestaunen.
Auf Slowenisch ist sicher manches gedrungener, manches besser als im Deutschen. Auch ist den Gedichten eine Entwicklung anzumerken. Die späteren sind herber, fester, ehrlicher als die frühen. Der Dichter liebt das Leben, obwohl er - so sagt er selbst - es nicht versteht. Gut so, die Liebe könnte sonst Schaden leiden. Nur "Komik und Elend" sah einer, der vor hundert Jahren das Leben durchschaute, Tonio Kröger. Siebenundzwanzig war Thomas Mann, als er seinen Helden so pessimistisch denken ließ. Siebenunddreißig ist Uros Zupan und erklärt uns in einem Nachwort, dass er nicht dorthin gehören wolle, wo die Glieder des mittleren linken Beines einer roten Ameise gezählt würden, sondern auf die andere Seite, "wo jene leben, die einen Fluss dazu bringen können, durch ein Nadelöhr zu fließen".
Viel Glück, Uros Zupan, aber hilf unserem Unglauben! Komm wieder, wenn der Fluss durch ist, wir wollen dir dann die Hand in die Seitenwunde legen!
HERMANN KURZKE
Uros Zupan: "Beim Verlassen des Hauses, in dem wir uns liebten". Gedichte. Aus dem Slowenischen übersetzt von Fabjan Hafner. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2000. 96 S., geb., 38,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ilma Rakusa zeigt sich sehr angetan von diesen Gedichten, mit denen sich der Autor, wie sie feststellt, in mancherlei Hinsicht von der traditionellen slowenischen Dichtung abhebt: Keine Melancholie oder auch Erinnerung an den Krieg mehr, stattdessen eine "quasibuddhistische Heiterkeit" und den Einfluss verschiedenster Kulturen diagnostiziert sie hier. Rakusa macht darauf aufmerksam, dass Zupan die längere Form bevorzugt, dass er sich in ihr besser entfalten kann und sie seinem "geschmeidig flutenden Parlando" entgegen kommt. Dabei betont die Rezensentin das behutsam Betrachtende und Reflektierende in Zupans Dichtung, das Stille, mit dem er gleichermaßen Gegenstände wie auch existentielle Fragen zu seinem Thema macht. Rakusa begrüßt es sehr, dass diese Gedichte nun auch - in einer "kongenialen" Übersetzung - auf Deutsch veröffentlicht wurden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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