Thomas Manns Wende zum Glück
Fast jedes Jahr im Herbst geschieht ein kleines Wunder in der Bücherwelt. Feuilletons präsentieren in gedämpften Superlativen ihrem Lesepublikum ein Buchzwillingspaar in einem eleganten, schwarz lackierten Schuber. Auch mit dem Band „Bekenntnisse des Hochstaplers
Felix Krull“ samt Kommentar hat der S. Fischer Verlag wieder ein verlegerisches Prachtstück vorgelegt. …mehrThomas Manns Wende zum Glück
Fast jedes Jahr im Herbst geschieht ein kleines Wunder in der Bücherwelt. Feuilletons präsentieren in gedämpften Superlativen ihrem Lesepublikum ein Buchzwillingspaar in einem eleganten, schwarz lackierten Schuber. Auch mit dem Band „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ samt Kommentar hat der S. Fischer Verlag wieder ein verlegerisches Prachtstück vorgelegt.
Da ist zunächst der junge Felix, aus „liederlichem Hause“, aber doch schon ein hübscher Kostümkopf, dessen kleine Diebereien verzeihlich sind, weil er ein Günstling des Lebens ist, auf den rohe Bezeichnungen wie „Dieb“ nicht anwendbar sind. Da Felix alsbald zum (falschen) Marquis de Venosta avanciert, ist der Roman deshalb eine Parodie des deutschen Bildungsromans? Im Zug nach Lissabon erhält Felix eine Privatlektion von Professor Kuckuck, der mit seinen Sternenaugen tief in die Geheimnisse von Seele und Sein blicken kann. Zur Bildung gehört neben der Naturphilosophie aber auch eine sorgfältige Erziehung im Fach Erotik. Seine erste Lehrerin ist das vollbusige Zimmermädchen Genovefa. Auf diese Elementarschule folgen Studien in der fortgeschrittenen ars amandi unter der Leitung der erfahrenen Rozsa, die hochbeinig ist „nach Art eines Füllens“. Als Felix der Schriftstellerin Madame Houpflé durch sein fachmännisches Können eine grosse Freude macht, aber die inständige Werbung Lord Kilmarnocks ausschlägt, da hat der gerade Zwanzigjähriger längst in eroticis graduiert. Also ein erotischer Roman, in dem sich der fast achtzigjährige Thomas Mann gleichzeitig in der Poetin Houpflé, dem schottischen Lord und dem liebeskundigen Felix Krull verjüngt widerspiegelt?
Als der Roman 1954 erschien, wurde er mit enthusiastischem Applaus empfangen. Es war, als hätte Thomas Mann unverhofft einem Publikum, das zwischen Vergangenheitsbewältigung und Wirtschaftswunder ein etwas spiessiges Leben führte, ein glänzendes Geschenk gemacht. Die Herausgeber Thomas Sprecher und Monica Bussmann (unter Mitarbeit von Eckhard Heftrich) dokumentieren aber auch, dass dieses heiteres Rankenwerk aus feinen Scherzen und geistreichem Amüsement nur einen Teil der Leserreaktionen beschrieb. Kritischere Besprechungen warnten, dass das „ironisch-geistreich-parodistische Spiel“ des Protagonisten Felix nicht die Grundlage einer christlich-moralen Existenz sein könne. Auch der Mann-Kenner T. J. Reed hielt die Bekenntnisse für leichtgewichtig. Erst viel später, 1982, hat Hans Wysling in „Narzismus und illusionäre Existenzform“ Felix Krulls Bekenntnisse zu einem literarischen Schwergewicht erklärt, in dem sich Mythologie, Philosophie, Autobiographie und vielsagende Spuren des Gesamtwerkes Thomas Manns aufweisen lassen.
Das Herzstück der Edition ist ein philologisch fundierter textkritischer Apparat: der Stellenkommentar. Hier werden nicht nur inhaltliche „Stellen“ erläutert, sondern man lernt auch Neues. Zum Beispiel, dass Felix sich in früheren Text-Fassungen nicht nur der besinnungslosen Vernarrtheit des jungen Fräuleins Twentyman erwehren musste, sondern auch der Annäherungen ihrer ebenfalls betörten Eltern Mrs. und Mr. Twentyman! Es ist Erika Manns Redaktion zu verdanken, dass eine derartig verzwickte Situation der letzten Romanseite als Höhepunkt vorbehalten blieb, und zwar mit unendlich attraktiveren Teilnehmern: der süssen Zouzou und ihrer schönen Mutter Maria Pia Kuckuck.
Besonders gut gelungen sind die kurzen Leitfäden, die im Stellenkommentar den drei sog. „Büchern“ der Bekenntnisse vorangestellt sind. Zum Beispiel die Skizze „Kosmischer Schein“ über Professor Kuckucks Allsympathie und, merkwürdig verwandt mit diesem erotischen Verhältnis zum Kosmos, der Abschnitt „Glück“, das für Thomas Mann den Abschied von Schopenhauers Todesmetaphysik bezeichnete und sein tiefes Einverständnis mit „Goethes erotischem Verhältnis zum Leben“ signalisierte. In dieser Wende liegt für mich das Schwergewicht der „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.