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Thomas Manns Hochstapler-Roman aus dem Jahr 1954
Wir alle spielen Theater. Ob auf Instagram, im Beruf oder in der Liebe: Verwandlungskunst und Selbstinszenierung gehören zum Alltag. Erst recht wenn man wie Felix Krull aus dem Elternhaus einer bankrotten Schaumweinfirma kommt, sich vor dem Militärdienst drücken will und eine Schwäche für Delikatessen und Grandhotels, für Luxus und Eleganz hat. Als er mit dem Marquis de Venosta die Rollen tauscht, steht seinem Glück zwischen Paris und Lissabon scheinbar nichts mehr im Weg ... Wie seine Hauptfigur betreibt auch Thomas Manns Roman ein heiteres,…mehr

Produktbeschreibung
Thomas Manns Hochstapler-Roman aus dem Jahr 1954

Wir alle spielen Theater. Ob auf Instagram, im Beruf oder in der Liebe: Verwandlungskunst und Selbstinszenierung gehören zum Alltag. Erst recht wenn man wie Felix Krull aus dem Elternhaus einer bankrotten Schaumweinfirma kommt, sich vor dem Militärdienst drücken will und eine Schwäche für Delikatessen und Grandhotels, für Luxus und Eleganz hat. Als er mit dem Marquis de Venosta die Rollen tauscht, steht seinem Glück zwischen Paris und Lissabon scheinbar nichts mehr im Weg ... Wie seine Hauptfigur betreibt auch Thomas Manns Roman ein heiteres, elegantes Rollenspiel. Kein Satz steht in diesem Roman ohne Anführungszeichen und doppelten Boden. Es ist ein Roman über das Glück, eine humorvolle Hommage an den schönen Schein - und damit auch ein Loblied auf die Freiheit der Literatur, deren Geschäftsmodell immer schon das Fabulieren und Erfinden war.
Autorenporträt
Thomas Mann, 1875-1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2012

Ein Leben ständiger Täuschungen nutzt seinen Mann früh ab

Die Hochstaplerfigur Felix Krulls stand am Anfang und am Ende von Thomas Manns Werk. Die kommentierte Ausgabe zeigt Kontinuität und Brüche.

Von Hubert Spiegel

Im Sommer des Jahres 1954, wenige Wochen vor Erscheinen des Buches und ein Jahr vor dem Tod seines Autors, erhält der Stempelschneider Wolfgang Moller einen Brief des S. Fischer Verlages. Moller, der den Auftrag hat, die Rückengravur für den Leineneinband von Thomas Manns letztem Roman zu gestalten, wird darin an ein kleines, indes sehr bedeutsames Detail erinnert, an die römische Ziffer I nämlich, die dem Kurztitel "Felix Krull" unbedingt folgen müsse: "Die römische Ziffer I ist sehr wichtig, weil es sich hier um den ersten Band des auf drei Bände berechneten Werkes handelt."

Thomas Mann ist zu diesem Zeitpunkt fast achtzig Jahre alt. Zwischen seiner ersten Beschäftigung mit dem Motiv des Hochstaplers und dem Erscheinen des "Felix Krull" liegt ein halbes Jahrhundert. Wäre es nun im selben Tempo weitergegangen, hätte die Welt vor acht Jahren staunend den zweiten Band entgegengenommen und würde jetzt geduldig dem Teil III entgegenblicken, dessen Abschluss im Jahr 2054 zu erwarten wäre.

Der Autor selbst hatte offenbar großes Zutrauen in seinen langen Atem. Im April 1955, nur vier Monate vor seinem Tod, ließ er wissen: "Was den zweiten Teil der Krull-Memoiren betrifft, von denen offengestanden noch kein Wort auf dem Papier steht, so ist der Roman ja seit mehr als vierzig Jahren zu Ende geplant, und wie er ausgeht, ist im ersten Teil mehrfach angedeutet. Das fernere Leben Krulls wird eine Ehe- und eine Zuchthaus-Episode bringen und ein Leben der beständigen Täuschungen darstellen, das sehr anstrengend ist und seinen Mann früh schon abnutzt. Er setzt sich zur Ruhe schon mit vierzig Jahren mit einer kleinen Erbschaft, die er von seinem Paten macht, und schreibt in London seine Memoiren. Denn, wie Napoleon sagte, man taugt nur einige wenige Jahre für den Krieg."

Es war beileibe kein Krieg, den Thomas Mann über so viele Jahrzehnte mit seiner Romanfigur führte, wohl aber eine Auseinandersetzung, die oft genug ebenfalls geeignet schien, ihren Mann früh schon abzunutzen. Immer wieder überfielen ihn Zweifel an dem Projekt, das ihm nicht von der Hand gehen wollte oder als unzeitgemäß erschien. Sorgen und Ängste, wie das humoristische und freizügige Werk aufgenommen werden würde, quälten ihn bis zuletzt, und immer wieder versicherte er sich deshalb bei Lesungen vor Publikum der Wirkung des Textes.

Anfang Februar 1914 berichtet die "München-Augsburger Abendzeitung", Thomas Mann habe "die erheiternde Abschilderung der Drückebergereien des jungen Gestellungspflichtigen bei der militärischen Musterung" vorgetragen, vier Jahre später, im Sommer 1918, äußert der Schriftsteller in einem Brief an Paul Amann schwere Bedenken gegen die legendär gewordene Musterungsszene wie gegen die "Bekenntnisse" überhaupt: "Ich mustere meine Pläne der Reihe nach durch und habe bei jedem meine Bedenken, besonders beim Hochstapler . . . Seine Anstößigkeit ist freilich nur aeußerlich, und im Grunde ist er ein Militarist, wie alle meine Helden. Aber in den nächsten zehn Jahren werde ich wohl oeffentlich nicht daraus vorlesen können."

Tatsächlich bestritt Thomas Mann schon zwei Jahre nach Kriegsende, nämlich 1920/21, insgesamt vierzehn öffentliche Lesungen mit seinem Hochstapler, allerdings wich er dafür in die vom Weltkrieg verschont gebliebene Schweiz aus, wie Friedrich Pfäfflin 1997 im Marbacher Magazin "Vom Schreiben 5" berichtet hat. Holger Pils, Leiter des Lübecker Buddenbrookhauses, spricht in seiner soeben erschienenen äußerst detailreichen Studie zur Publikations- und Rezeptionsgeschichte des "Felix Krull" von etwa fünfzig öffentlichen Lesungen bis Ende der zwanziger Jahre (Holger Pils: "Thomas Manns ,geneigte Leser'". Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012. 621 S., geb., 66,- [Euro].)

Lesungen und Teilabdrucke ließen die "Bekenntnisse" lange vor ihrem Erscheinen zur Legende werden, wie Thomas Sprecher, Monica Bussmann und Eckhard Heftrich in ihrem vorzüglichen Kommentarband zum "Felix Krull" in der "Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe" zeigen. Er umfasst neunhundert Seiten, von denen achtzig allein der langwierigen, überaus spannenden Entstehungsgeschichte des Romanfragments gelten. Dessen früheste Wurzeln datieren die Autoren noch in die Zeit vor den "Buddenbrooks", wenn sie das zentrale Motiv des Schwindlers und Hochstaplers bereits in den Erzählungen "Der Bajazzo" (1897) oder in "Luischen" (1900) entdecken. Der Felix Krull stand am Anfang des Gesamtwerkes und an dessen Ende.

In der Schaffenskrise, die den "Buddenbrooks" folgte, blieb das Hochstapler-Projekt ein stetig, aber erfolglos anvisiertes Ziel. Die frühesten erhaltenen Aufzeichnungen dazu stammen aus dem Jahr 1905. Fünf Jahre später wird die Arbeit am Roman in Angriff genommen, bleibt aber rasch stecken: "Ich kann wieder mal nicht anfangen und finde hundert Ausflüchte", heißt es in einem Brief an Bruder Heinrich im Februar 1910, dem ein Jahr später die Klage folgt, die Arbeit an dem zunächst als Novelle konzipierten Buch gehe "kümmerlich langsam" voran. Dennoch erfolgt im Oktober 1911 der erste von zahlreichen Teilabdrucken. Zu diesem Zeitpunkt war "Der Tod am Venedig", der im Oktober 1912 erschien, bereits in Arbeit.

Die Novelle war nur eines von mehreren Projekten, die von einer kontinuierlichen Arbeit an den "Bekenntnissen" abhielten. Was ist ihm nicht alles dazwischengekommen - im Grunde fast das gesamte Werk. Immer wieder musste der Hochstapler beiseitetreten, Platz machen für andere Projekte, die indes immer auf vielfältige Weise mit dem Krull verbunden waren. Vielleicht gab es allen Zweifeln zum Trotz die Gewissheit, dass am Ende alle Wege und Umwege zum Krull führen würden, der in Hans Castorp einen "Bruder" hat, wie Sprecher und Bussmann schreiben, in Gustav Aschenbach einen Onkel und in Joseph einen Berufskollegen, einen "mythischen Hochstapler", wie Thomas Mann es in einem Brief an die Tochter Erika ausdrückte. Der Felix Krull ist das Zentrum des Mannschen Werkes, auch wenn sein Verfasser das "wirklich lustig konzipierte Ding" immer wieder mit Worten charakterisiert hat, die neben Zweifel auch Ablehnung signalisieren.

Ja, das Werk ist "schwierig", "sonderbar", "anstößig", "aufwühlend", "kurios und äußerst heikel", "grundwunderlich" und "närrisch". Aber es ist eben auch ein großer Künstlerroman, Sinnbild der "beweglichen Existenz" seines Verfassers, der immer auch ein anderer war, und daher tatsächlich "Autobiographie in einem viel tieferen Sinn", wie die Kommentatoren schreiben. Felix Krull, dieses von den Hochstaplerfiguren der Gründerzeit inspirierte Kind des neunzehnten Jahrhunderts, sah zwei Weltkriege vorüberziehen, bevor ihn sein hochbetagter Autor in die letzten Mantelfalten hüllte, gerade so, wie es der spöttisch-liebevoll betrachtete große Rivale Goethe von seinem "Faust" gesagt hatte: "ein lebendiges Knochengeripp mit Sehnen, Fleisch und Oberhaut" und den Menschen ein "offenbares Rätsel".

Thomas Mann: "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil".

Hrsg., textkritisch durchgesehen und mit einem Kommentar von Thomas Sprecher und Monica Bussmann in Zusammenarbeit mit Eckhard Heftrich. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. Zwei Bände im Schuber, 449 und 903 S., geb., 80,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Über die enormen Schwierigkeiten, die Thomas Manns Roman "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" jedem Versuch seiner Übertragung in andere Medien entgegensetzt, schreibt Rezensent Christian Deutschmann in seiner Besprechung gleich dreier Hörbuchversionen des Buchs länger als über diese Hörbücher selbst. Zu sehr sei dieser Roman ein geschriebenes Werk, das die sprachliche und narrative Verfügungsgewalt des Erzählers im "Wohllaut" seiner ironisch getönten langen Satzperioden immerzu ausstellt und sogar "feiert". Zwischen zwei Einlesungen, die der Rezensent nur kurz streift, halte die von Sven Stricker für den NDR eingerichtete die Mitte. Weder ganz auktorial (wie Gert Westphal in seiner Version) noch ganz auf Figurenhöhe naiv (wie Boris Aljinovic) gibt sich diese Fassung. Geschmeidig liest Barnaby Metschurat, dazwischen gibt es Dialoge, Geräusch und Musik - insgesamt fügt sich das, so Deutschmann, zu einem "reizvollen Hin und Her zwischen Erzählung und Geschehen". Nicht das Original, aber doch das Reinhören wert.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein Meisterwerk an guten Stimmen, atmosphärischen Geräuschen, Klängen, Musik, das dem Klassiker einen schwebenden Glanz verleiht und Spaß macht." Münchner Merkur