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Zuerst wird der Autor vorgestellt, am Leitfaden seines Lebens, und schon der erste Blick zeigt: Wie fremd war er! Die Kindheit ein "patchwork", die Ausbildung ein Glücksspiel; kein geregelter und abgesicherter Lebenslauf, kein festes Einkommen, ein Herumirren von Ort zu Ort, physische und psychische Krisen, Ängste, Feindschaften, noch nicht einmal eine herzrührende Liebesgeschichte zwischendurch und am Ende - die Krankheit, der Wahnsinn. Welch ein Leben! Und doch hat dieser Johann Karl Wezel ein umfangreiches Werk hinterlassen, Romane vor allem, aber auch Erzählungen und Satiren, Schauspiele…mehr

Produktbeschreibung
Zuerst wird der Autor vorgestellt, am Leitfaden seines Lebens, und schon der erste Blick zeigt: Wie fremd war er! Die Kindheit ein "patchwork", die Ausbildung ein Glücksspiel; kein geregelter und abgesicherter Lebenslauf, kein festes Einkommen, ein Herumirren von Ort zu Ort, physische und psychische Krisen, Ängste, Feindschaften, noch nicht einmal eine herzrührende Liebesgeschichte zwischendurch und am Ende - die Krankheit, der Wahnsinn. Welch ein Leben! Und doch hat dieser Johann Karl Wezel ein umfangreiches Werk hinterlassen, Romane vor allem, aber auch Erzählungen und Satiren, Schauspiele und Gedichte sind darunter; theoretische Abhandlungen zur Kindererziehung wie Zeitschriftenartikel, Rezensionen, gar ein philosophisches Hauptwerk. Niemand kann heute all das mehr lesen. Aber im zweiten Teil dieses Lesebuches werden die Hauptwerke eines nach dem anderen vorgestellt und dabei von ihrer besten Seite präsentiert. Wezel beschreibt, was den Menschen so im Großen und Ganzen zu jeder Zeit bewegt: Wie lebt und arbeitet er als Autor, wovon lebt er eigentlich? Was will er mit seinen Werken erreichen? Was meint er zur Politik, zur Religion, zur Wissenschaft? Was denkt er zu Liebe und Ehe, zu Männern und Frauen? Wie würde er seine Kinder erziehen? Und Wezel antwortet, mal mit seiner eigenen Stimme, mal mit den Worten seiner erdachten Figuren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2019

Das Leben, ein Spiel
Ein Lesebuch feiert den Dichter Johann Karl Wezel

An einem mit Weinglas, Büchern und Schreibfeder bedeckten Tisch sitzt ein bärtiger, langhaariger alter Mann und deutet demonstrativ auf ein Manuskript mit der Anfangszeile "opera dei Vezelii", Werke des Gottes Vezelius. Dieses Silberstiftporträt soll ein durchreisender Maler 1807 im thüringischen Sondershausen durchs Guckloch einer Kammer spähend, gezeichnet haben, in der sich der einst bekannte Verfasser des "Belphegor", des "Tobias Knaut" oder der "Wilhelmine Arend" verborgen hatte. Schon viel früher war Johann Karl Wezel nach Jahren in Bautzen, Berlin, Leipzig und Wien in seinen Geburtsort zurückgekehrt, hatte durch recht auffälliges Verhalten das Gerücht des Wahnsinns genährt und war nach einem Spendenaufruf des Weimarer Arztes Hufeland im Jahre 1800 von dem Altonaer Homöopathen Hahnemann behandelt worden. Leider ohne Erfolg, denn Wezel sollte Sondershausen nie wieder verlassen - am 28. Januar vor 200 Jahren starb er dort als "einer der vorzüglichsten Schriftsteller Deutschlands", wie es im Kirchenbuch heißt, nach "71 Jahren 3 Monaten weniger 2 Tagen".

Von diesem schrägsten Kopf der Aufklärungszeit wüssten wir vielleicht kaum etwas, wenn Arno Schmidt ihn nicht vor über einem halben Jahrhundert in den illustren Kreis seiner Nachtgestalten aufgenommen hätte. Jetzt, da mit der kleiner werdenden Arno-Schmidt-Gemeinde auch dessen Gegenkanon der "Schreckensmänner" - trotz hochwertiger Ausgaben - erneut auf dem Spiel steht, droht auch der grandiose Spötter, Skeptiker und Streiter Wezel wieder aus dem Blick zu geraten. Jutta Heinz, die schon vor knapp zehn Jahren die erste moderne Biographie über ihn vorlegte, will das indes nicht zulassen. Zum 200. Todestag hat sie sich etwas Besonderes einfallen lassen: Statt eines der allfälligen Jubiläumslesebücher, in denen schnell ein paar Textauszüge mit einer Einleitung zusammengeschustert werden, legt sie uns eine pfiffige Werkschau und ein ausführliches "Geistergespräch" vor, in dem Wezel die Fragen der Interviewerin mit eigenen Bemerkungen aus Briefen und Schriften sowie Zitaten seiner Figuren beantwortet.

Die Kurzdarstellungen zum - anhand von Titelblättern vorgestellten - OEuvre sind keine konventionellen Synopsen wie in Literaturlexika, sondern sie verfolgen jeweils nur zwei Fragen: Was passiert und warum lesen? Als Quersumme könnte folgendes Motto aus der letzten märchenhaften Erzählung "Kakerlak" dienen: "Das ganze Leben ist ein Spiel" - und zwar im Sinne eines experimentellen Umgangs mit Illusionen, die ständig desillusioniert werden. So geht es dem unglücklichen Stotterer Tobias Knaut, dem vom Leben gedemütigten deutschen Candide Belphegor, den Tugendkämpfern Herrmann und Ulrike, den von schlimmen Ehestandsgeschichten gebeutelten Figuren Peter Marks und der wilden Betty, der seelenkranken Wilhelmine Arend oder dem kühnen Abenteurer Robinson, der anders als bei Defoe seine Insel irgendwann schrecklich degeneriert wiederfindet.

Die gleiche schonungslos kritische Sicht durchzieht Wezels reformpädagogische Schriften, seine Verteidigung der deutschen Literatur gegen die Angriffe des frankophilen Preußenkönigs oder seine philosophischen Versuche über die Menschennatur. Nicht zuletzt spiegelt sie sich in den oft erstaunlich modernen, aus gründlicher Werkkenntnis geschöpften Antworten auf Fragen im zweiten Teil des Buches, etwa nach Schriftstellerei und Leserschaft, Ehemodellen, Gleichberechtigung, Glückseligkeit, Erziehung, Wissenschaft, Willensfreiheit und Skeptizismus oder nach Demokratie. Wezel, "dieser sonderbare Meteor an unserm literarischen Lufthimmel", wie Wieland ihn nannte, lässt staunen und erhält durch dieses besondere Lesebuch neue Leuchtkraft.

ALEXANDER KOSENINA

"Bekenntnisse eines glücklichen Skeptikers". Ein Johann-Karl-Wezel-Lesebuch.

Herausgegeben von Jutta Heinz. Mattes Verlag, Heidelberg 2019. 197 S., br., 26 Abb., 18,- [Euro].

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