Rousseau hat mit den Bekenntnissen eine neue Ära der autobiographischen Literatur eingeläutet. Während die Memoiren-Literatur bis dahin eine intime Kenntnis des Zeitgeschehens vermitteln wollte, schilderte Rousseau die »Erinnerung an den empfangenen Eindruck« und die »gegenwärtige Empfindung«, also einen zweifachen Seelenzustand bei der Beschreibung seines Lebensweges.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.19981781
Jean-Jacques Rousseau "Bekenntnisse"
Rousseau war schon ein paar Jahre tot. Mindestens acht Jahre vor seinem Tod hatte er autobiographische Aufzeichnungen beendet; daß er daran schrieb, soll der große David Hume an die Öffentlichkeit gebracht haben. Hume, ein Jahr älter als Rousseau (und er starb zwei Jahre vor ihm, ebenfalls unter Hinterlassung einer Autobiographie), hatte den überaus angefeindeten Rousseau (man verunglimpfte ihn von Kanzeln, beschmiß ihn mit Steinen) nach England geholt, sie küßten und schlugen sich, mit Rousseau war einfach kein Aushalten auf lange. Hume, der die Gerechtigkeit liebte, veröffentlichte Briefe Rousseaus an ihn. Alle, die je mit Rousseau zu tun gehabt hatten, wurden nervös, als sie von seiner noch geheimen Autobiographie hörten; wenn je ein Buch eine Zeitbombe war, dann dies. Einmal begann Rousseau, in einem Privathause, daraus vorzulesen - die Polizei mußte weitere Lesungen untersagen, so krawallgeladen war die Stimmung. Rousseau wollte dann eigentlich, daß seine Konfessionen so lange ungedruckt liegenblieben, bis, wie er, auch alle die tot wären, die jetzt noch nervös waren; Verleger und Freunde fanden natürlich, daß sie dabei nicht recht auf ihre Kosten kommen würden, und so begannen sie jetzt zu drucken. Rousseau war verrückt, er litt an Verfolgungswahn, sobald man ihn nicht anbetete, das ist alles wahr; er war entsetzlich weinerlich, und natürlich log er ganz ungeheuerlich, wenn er sich selbst hinstilisierte als den armen guten Jungen, der dann unter die Bösen geraten war, die sich kaum um ihre eigenen, gar nicht aber um seine Seele kümmerten, vom Leib zu schweigen, dem armen. Andrerseits war er begnadet in der Wahrnehmung jener feinsten Schwingungen, die das Wesen der lebenden Seele und ihrer Sensibilität sind; wie ein Kind und ein junger Mensch, noch gut wie aus Gottes Hand sozusagen, auf die Beseelung der Natur, bis hinab zu den Steinen, antworten können. Rousseau machte denen, die, in ihrer Unschuld, noch keinen fürchten mußten, Mut zu sich selbst und dem, was die Gesellschaft in ihrem Innern gründlich zuzuschütten begann, eben wenn sie anfingen, etwas in ihr sein zu wollen. Möglich sicher, daß die Gesellschaft Recht hat - aber eben auch die Seele, und vielleicht eben sie noch mehr. (Jean-Jacques Rousseau: "Bekenntnisse". Aus dem Französischen übersetzt von Ernst Hardt. Mit einer Einführung von Werner Krauss. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1985. 917 S., br., 29,80 DM.) R.V.
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Jean-Jacques Rousseau "Bekenntnisse"
Rousseau war schon ein paar Jahre tot. Mindestens acht Jahre vor seinem Tod hatte er autobiographische Aufzeichnungen beendet; daß er daran schrieb, soll der große David Hume an die Öffentlichkeit gebracht haben. Hume, ein Jahr älter als Rousseau (und er starb zwei Jahre vor ihm, ebenfalls unter Hinterlassung einer Autobiographie), hatte den überaus angefeindeten Rousseau (man verunglimpfte ihn von Kanzeln, beschmiß ihn mit Steinen) nach England geholt, sie küßten und schlugen sich, mit Rousseau war einfach kein Aushalten auf lange. Hume, der die Gerechtigkeit liebte, veröffentlichte Briefe Rousseaus an ihn. Alle, die je mit Rousseau zu tun gehabt hatten, wurden nervös, als sie von seiner noch geheimen Autobiographie hörten; wenn je ein Buch eine Zeitbombe war, dann dies. Einmal begann Rousseau, in einem Privathause, daraus vorzulesen - die Polizei mußte weitere Lesungen untersagen, so krawallgeladen war die Stimmung. Rousseau wollte dann eigentlich, daß seine Konfessionen so lange ungedruckt liegenblieben, bis, wie er, auch alle die tot wären, die jetzt noch nervös waren; Verleger und Freunde fanden natürlich, daß sie dabei nicht recht auf ihre Kosten kommen würden, und so begannen sie jetzt zu drucken. Rousseau war verrückt, er litt an Verfolgungswahn, sobald man ihn nicht anbetete, das ist alles wahr; er war entsetzlich weinerlich, und natürlich log er ganz ungeheuerlich, wenn er sich selbst hinstilisierte als den armen guten Jungen, der dann unter die Bösen geraten war, die sich kaum um ihre eigenen, gar nicht aber um seine Seele kümmerten, vom Leib zu schweigen, dem armen. Andrerseits war er begnadet in der Wahrnehmung jener feinsten Schwingungen, die das Wesen der lebenden Seele und ihrer Sensibilität sind; wie ein Kind und ein junger Mensch, noch gut wie aus Gottes Hand sozusagen, auf die Beseelung der Natur, bis hinab zu den Steinen, antworten können. Rousseau machte denen, die, in ihrer Unschuld, noch keinen fürchten mußten, Mut zu sich selbst und dem, was die Gesellschaft in ihrem Innern gründlich zuzuschütten begann, eben wenn sie anfingen, etwas in ihr sein zu wollen. Möglich sicher, daß die Gesellschaft Recht hat - aber eben auch die Seele, und vielleicht eben sie noch mehr. (Jean-Jacques Rousseau: "Bekenntnisse". Aus dem Französischen übersetzt von Ernst Hardt. Mit einer Einführung von Werner Krauss. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1985. 917 S., br., 29,80 DM.) R.V.
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»Rousseau hat mit seiner Autobiographie eines der großen Lese- und Lehrbücher der europäischen Literatur geschrieben.« Die Zeit »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK