"Ich wollte anfangs nur ein paar Szenen aus meiner eigenen Familie festhalten - natürlich Szenen um meine Söhne Caspar und Jacob. Aber dann machte sich das Geschriebene selbständig. Es stieß eine Figur dazu, die ich vorher noch gar nicht gekannt hatte: ein rothaariges Mädchen, quirlig und frech wie Pippi Langstrumpf, aber mit ganz modernen Problemen. Nach einem Jahr war ein ausgewachsener Roman entstanden. Er heißt nach einer stillen Hauptfigur Belgische Riesen'. Ich denke, das Thema von Belgische Riesen' betrifft Kinder so gut wie Erwachsene. Liebe und Freundschaft können in jedem Alter wunderbar sein oder viel Schmerz bereiten. Vielleicht kann das Buch eines für Kinder und Erwachsene werden. Ich habe versucht, eine große und eine kleine Geschichte ineinander zu flechten. Und ich habe versucht, alle meine Leser zum Lachen zu bringen." (Burkhard Spinnen)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Ein Glück, daß Fridz noch gekommen ist
Mit Waldschlangen-Poetik: Burkhard Spinnens Kinderbuch
Übrigens: Burkhard Spinnen hat jetzt auch ein Kinderbuch geschrieben. Das passiert vielen Schriftstellern, die auch Eltern sind. Der Auslöser ist fast immer der gleiche: die Gutenachtgeschichte. Wer als Elternteil auf sich und seine Phantasie hält, liest abends nicht vor, was ein anderer geschrieben hat, sondern denkt sich selber etwas aus. Vorteil: Man kann die Länge der Fortsetzungskapitel eigenmächtig festsetzen und aktuelle Bezüge aus dem Alltag der Jugend unterbringen, was Gelegenheit zu verdeckten erzieherischen Maßnahmen und Ermittlungen bietet.
Auch Burkhard Spinnen scheint das Gutenachtgeschichtenerzählen bestens zu kennen. Und ein wenig foppt er seine Leser, indem er zu Anfang Anstalten macht, nun ebenfalls eine Geschichte nach Hausmacherart vorzulegen, mit allen Abschweifungen und Langatmigkeiten, die einem Papa so einfallen, wenn ihm sonst nichts einfällt. Dazu kommen die Kommentare, Fragen und Änderungswünsche der Söhne Konrad und Peter (zehn und fünf Jahre alt) und, als running gag, das notorische Getrete vor allem des Jüngsten in Papas Bauch, wenn's spannend wird.
So hören wir mit den beiden Jungen die Geschichte von der Waldschlange Anabasis, die im tiefsten Dickicht des Dschungels einen geheimnisvollen unterirdischen Kristall bewachen muß, den aber der berühmte Professor Franzkarl Forscher erforschen will, behindert von einem Doktor B Punkt Trüger, der wie Professor Forscher den wichtigen Knobelpreis ergattern will, den Alfred Knobel gestiftet hat aus Ärger über das deprimierendste und elternfeindlichste Spiel aller Zeiten, nämlich "Mensch-ärgere-dich-nicht". Die Waldschlange aber . . . , und so weiter, gähn.
Ach, was wäre aus Burkhard Spinnens Buch geworden, wenn Fridz nicht aufgetaucht wäre? Auch rhetorische Fragen müssen manchmal beantwortet werden: Es wäre ein ausgezeichnetes Kinderbuch vor allem für Eltern daraus geworden, mit anrührendem, intelligentem Kindermund und trefflichen Milieubeschreibungen aus dem Kleinfamilienhaus-Neubaugebiet. Dies alles in der so präzisen wie sensiblen Sprache, die Spinnens Markenzeichen ist und mit der er die scheinbar unbedeutenden Alltagskleinigkeiten wunderbar grau in grau zu stricheln versteht.
Es wäre ein Buch geworden, das zeigt, daß Sprache für Kinder weder ironiefrei noch sonstwie putzig sein muß. Kinder mit Durchhaltevermögen wären in den Genuß eines Rhetorik-Grundkurses gekommen, sehr nützlich in sogenannten Verhandlungsfamilien. Zudem hätten wir anhand der Gespräche und Gedanken zur Waldschlangen-Geschichte einen interessanten Ansatz für eine Poetik der Kinderliteratur kennengelernt. Dafür hätten wir auch die Selbstzufriedenheit dieses Papas hingenommen, der in der ersten Hälfte der Geschichte ziemlich im Vordergrund steht als eine sympathische, witzige und souveräne heimliche Hauptfigur mit erstaunlicher Ähnlichkeit zum Autor. Keine Frage, "Belgische Riesen" wäre ein ungewohntes, lustiges und brauchbares Kinderbuch, auch ohne Fridz.
Aber plötzlich steht sie da, frech und fordernd, als wollte sie sagen: "Hör mal auf mit dem Geschwafel von der dämlichen Waldschlange! Laß aus Worten Taten werden! Mach, daß was passiert! Bring Konrad auf Zack!" Denn Konrad, da hat sie recht, ist bisher etwas lahm mit der Geschichte mitgezockelt, grübelnd, leicht zwanghaft, vorsichtig - ein Junge, der nicht gerade auf Abenteuer erpicht ist. Deswegen meidet er auch die Mädchen. Bei Fridz ist er auf den Namen reingefallen - wer ahnt schon, daß es die Abkürzung von Friederike ist. Bei Fridz ist so einiges anders. Als Konrad das erste Mal bei ihr zu Hause ist, registriert er staunend, welche kleinfamilientypischen Requisiten dort fehlen - keine bunten Namensbuchstaben an der Kinderzimmertür, kein Passat in der Einfahrt, um nur die wichtigsten zu nennen. Und kein Papa.
"Mama und Papa lieben sich nicht mehr. Kurz vor dem Umzug haben sie beschlossen sich zu trennen. So ist das", teilt Fridz ihm mit, und daß es da eine Kristine gibt, die an allem schuld ist, weil sie Papas neue Freundin ist, "diese dämliche Ziege". Fridz kennt sich auch sonst mit Scheidungsgeschichten gut aus. Konrad kommt sich plötzlich wie ein Mensch ohne jede Lebenserfahrung vor. Fridz' großen Eltern-Scheidungs-Test besteht er knapp mit 3:2 gegen Scheidung. Aber Lebenserfahrung sammelt er jetzt trotzdem reichlich. Mit Fridz.
Als hätte sich Spinnen seine eigenen Waldschlangen-Forderungen für eine spannende Kindergeschichte zu Herzen genommen, legt er los: Der bedächtige Konrad wird - zeitweise - zum Draufgänger, der Fridz bei der Racheaktion gegen Kristine mit allem beisteht, was er aufbringen kann an Todesverachtung, Treue zu sich selbst und Taschengeld. Bei den Waldschlangen-Sessions kann er noch ein paar verdeckte Fragen loswerden, sonst handelt er jetzt eigenständig. Bis es ihm zuviel wird und die Geschichte in einem Kuddelmuddel endet, so unlogisch und glaubwürdig, wie es nur Kinder anstellen können. "Können wir was Schönes machen?" fragt er seine Familie, nachdem alles vorbei ist und er fünf Minuten lang geweint hat. "Mir zuliebe." Wenn sie nicht schon mittendrin wären, könnte man ihnen vorschlagen, zusammen "Belgische Riesen" zu lesen. Das ist etwas sehr Schönes.
MONIKA OSBERGHAUS
Burkhard Spinnen: "Belgische Riesen". Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2000. 291 S., geb., 29,80 DM. Ab 9 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Waldschlangen-Poetik: Burkhard Spinnens Kinderbuch
Übrigens: Burkhard Spinnen hat jetzt auch ein Kinderbuch geschrieben. Das passiert vielen Schriftstellern, die auch Eltern sind. Der Auslöser ist fast immer der gleiche: die Gutenachtgeschichte. Wer als Elternteil auf sich und seine Phantasie hält, liest abends nicht vor, was ein anderer geschrieben hat, sondern denkt sich selber etwas aus. Vorteil: Man kann die Länge der Fortsetzungskapitel eigenmächtig festsetzen und aktuelle Bezüge aus dem Alltag der Jugend unterbringen, was Gelegenheit zu verdeckten erzieherischen Maßnahmen und Ermittlungen bietet.
Auch Burkhard Spinnen scheint das Gutenachtgeschichtenerzählen bestens zu kennen. Und ein wenig foppt er seine Leser, indem er zu Anfang Anstalten macht, nun ebenfalls eine Geschichte nach Hausmacherart vorzulegen, mit allen Abschweifungen und Langatmigkeiten, die einem Papa so einfallen, wenn ihm sonst nichts einfällt. Dazu kommen die Kommentare, Fragen und Änderungswünsche der Söhne Konrad und Peter (zehn und fünf Jahre alt) und, als running gag, das notorische Getrete vor allem des Jüngsten in Papas Bauch, wenn's spannend wird.
So hören wir mit den beiden Jungen die Geschichte von der Waldschlange Anabasis, die im tiefsten Dickicht des Dschungels einen geheimnisvollen unterirdischen Kristall bewachen muß, den aber der berühmte Professor Franzkarl Forscher erforschen will, behindert von einem Doktor B Punkt Trüger, der wie Professor Forscher den wichtigen Knobelpreis ergattern will, den Alfred Knobel gestiftet hat aus Ärger über das deprimierendste und elternfeindlichste Spiel aller Zeiten, nämlich "Mensch-ärgere-dich-nicht". Die Waldschlange aber . . . , und so weiter, gähn.
Ach, was wäre aus Burkhard Spinnens Buch geworden, wenn Fridz nicht aufgetaucht wäre? Auch rhetorische Fragen müssen manchmal beantwortet werden: Es wäre ein ausgezeichnetes Kinderbuch vor allem für Eltern daraus geworden, mit anrührendem, intelligentem Kindermund und trefflichen Milieubeschreibungen aus dem Kleinfamilienhaus-Neubaugebiet. Dies alles in der so präzisen wie sensiblen Sprache, die Spinnens Markenzeichen ist und mit der er die scheinbar unbedeutenden Alltagskleinigkeiten wunderbar grau in grau zu stricheln versteht.
Es wäre ein Buch geworden, das zeigt, daß Sprache für Kinder weder ironiefrei noch sonstwie putzig sein muß. Kinder mit Durchhaltevermögen wären in den Genuß eines Rhetorik-Grundkurses gekommen, sehr nützlich in sogenannten Verhandlungsfamilien. Zudem hätten wir anhand der Gespräche und Gedanken zur Waldschlangen-Geschichte einen interessanten Ansatz für eine Poetik der Kinderliteratur kennengelernt. Dafür hätten wir auch die Selbstzufriedenheit dieses Papas hingenommen, der in der ersten Hälfte der Geschichte ziemlich im Vordergrund steht als eine sympathische, witzige und souveräne heimliche Hauptfigur mit erstaunlicher Ähnlichkeit zum Autor. Keine Frage, "Belgische Riesen" wäre ein ungewohntes, lustiges und brauchbares Kinderbuch, auch ohne Fridz.
Aber plötzlich steht sie da, frech und fordernd, als wollte sie sagen: "Hör mal auf mit dem Geschwafel von der dämlichen Waldschlange! Laß aus Worten Taten werden! Mach, daß was passiert! Bring Konrad auf Zack!" Denn Konrad, da hat sie recht, ist bisher etwas lahm mit der Geschichte mitgezockelt, grübelnd, leicht zwanghaft, vorsichtig - ein Junge, der nicht gerade auf Abenteuer erpicht ist. Deswegen meidet er auch die Mädchen. Bei Fridz ist er auf den Namen reingefallen - wer ahnt schon, daß es die Abkürzung von Friederike ist. Bei Fridz ist so einiges anders. Als Konrad das erste Mal bei ihr zu Hause ist, registriert er staunend, welche kleinfamilientypischen Requisiten dort fehlen - keine bunten Namensbuchstaben an der Kinderzimmertür, kein Passat in der Einfahrt, um nur die wichtigsten zu nennen. Und kein Papa.
"Mama und Papa lieben sich nicht mehr. Kurz vor dem Umzug haben sie beschlossen sich zu trennen. So ist das", teilt Fridz ihm mit, und daß es da eine Kristine gibt, die an allem schuld ist, weil sie Papas neue Freundin ist, "diese dämliche Ziege". Fridz kennt sich auch sonst mit Scheidungsgeschichten gut aus. Konrad kommt sich plötzlich wie ein Mensch ohne jede Lebenserfahrung vor. Fridz' großen Eltern-Scheidungs-Test besteht er knapp mit 3:2 gegen Scheidung. Aber Lebenserfahrung sammelt er jetzt trotzdem reichlich. Mit Fridz.
Als hätte sich Spinnen seine eigenen Waldschlangen-Forderungen für eine spannende Kindergeschichte zu Herzen genommen, legt er los: Der bedächtige Konrad wird - zeitweise - zum Draufgänger, der Fridz bei der Racheaktion gegen Kristine mit allem beisteht, was er aufbringen kann an Todesverachtung, Treue zu sich selbst und Taschengeld. Bei den Waldschlangen-Sessions kann er noch ein paar verdeckte Fragen loswerden, sonst handelt er jetzt eigenständig. Bis es ihm zuviel wird und die Geschichte in einem Kuddelmuddel endet, so unlogisch und glaubwürdig, wie es nur Kinder anstellen können. "Können wir was Schönes machen?" fragt er seine Familie, nachdem alles vorbei ist und er fünf Minuten lang geweint hat. "Mir zuliebe." Wenn sie nicht schon mittendrin wären, könnte man ihnen vorschlagen, zusammen "Belgische Riesen" zu lesen. Das ist etwas sehr Schönes.
MONIKA OSBERGHAUS
Burkhard Spinnen: "Belgische Riesen". Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2000. 291 S., geb., 29,80 DM. Ab 9 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main