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Axel den Dooven, ein alternder Schriftsteller, erhält den Auftrag, ein Drehbuch zu schreiben für ein Projekt, wie es flämischer nicht sein kann: Ein Film über Breughel soll gedreht werden, man verspricht sich einiges. Doch die Vorbereitungen ziehen sich hin, das Prestigeprojekt kommt aus den Finanznöten nicht hinaus. In rascher Folge ziehen Szenen aus der symptomatisch korrumpierten Bewußtseinsindustrie vorüber: Arbeitsessen und Talkshows, Preisverleihungen und Krisensitzungen. Ein komplettes Panorama der Medien- und Kulturwelt, in der Journalisten, Regisseure, Maler und Manager agieren - und…mehr

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Produktbeschreibung
Axel den Dooven, ein alternder Schriftsteller, erhält den Auftrag, ein Drehbuch zu schreiben für ein Projekt, wie es flämischer nicht sein kann: Ein Film über Breughel soll gedreht werden, man verspricht sich einiges. Doch die Vorbereitungen ziehen sich hin, das Prestigeprojekt kommt aus den Finanznöten nicht hinaus. In rascher Folge ziehen Szenen aus der symptomatisch korrumpierten Bewußtseinsindustrie vorüber: Arbeitsessen und Talkshows, Preisverleihungen und Krisensitzungen. Ein komplettes Panorama der Medien- und Kulturwelt, in der Journalisten, Regisseure, Maler und Manager agieren - und ein Minister: Als der sich souverän der Sache annimmt, bekommt sie politische Dimensionen, ja patriotische. Die Premiere kommt zustande. Doch bei Licht besehen ist das Ganze viel Lärm um nichts gewesen.
Autorenporträt
Hugo Claus (1929-2008) gilt als der bedeutendste belgische Nachkriegsautor niederländischer Sprache. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in einem katholischen Internat; danach lebte er mehrere Jahre u.a. in Rom, Amsterdam und in den USA. In Paris schloss er sich der Künstlergruppe »Cobra« an, bevor er 1947 mit seinem Gedichtband debütierte. Claus trat auch als Drehbuchautor, Übersetzer (etwa von Georg Büchner und Dylan Thomas), Dramatiker, Maler, Film- und Fernsehregisseur in Erscheinung. Sein Werk umfasst über 150 Buchveröffentlichungen, wurde vielfach ausgezeichnet (u.a. mit dem Preis der Niederländischen Literatur und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung) und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.1996

Der Hammer Flanderns
Hugo Claus hält Strafgericht über sein Land · Von Dirk Schümer

"Zwei Dinge beschäftigten den Minister an diesem Vormittag: sein Körpergewicht und der Tod." So beginnt "Belladonna", der neueste Roman des Flamen Hugo Claus. Und schon mit dem ersten Satz bekommen alle Leser mit, daß sie sich fortan in einem Enthüllungsroman befinden. Denn dieser Autor weiß vom Minister alles, was die Öffentlichkeit sonst allerhöchstens ahnen kann: daß der Minister verfressen ist, daß er statt der Kultur lieber das Landwirtschaftsressort verwaltete, daß seine rumänische Freundin vom belgischen Geheimdienst überwacht wird und an Krebs im letzten Stadium dahinsiecht. Es steht nicht gut um den Minister, wissen wir Leser schon nach einer Seite. Am Ende des Buches wird der Mann dann auch abgelöst. Höchste Zeit.

So ist es mit allen Personen: Claus dringt blitzschnell in ihre tiefsten Geheimnisse ein, und die sind nie von Pappe. Der gleichfalls verfressene und dementsprechend verfettete Axel den Dooven, Ex-Lyriker und Direktor eines verstaubten Lokalmuseums, träumt unausgesetzt von seiner verflossenen Liebe Roberte, während es seine jetzige Gemahlin daheim mit dem Schmierenschauspieler Grootaers treibt, der bei den beiden logiert. Den Doovens Sohn Just ist ein arroganter, liebesunfähiger Yuppie, und bei dessen Frau Caroline handelt es sich um eine durchgeknallte Nymphomanin, die aus dem Radio die Stimme ihres Schwiegervaters hört und sich ihm darum bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit hinzugeben versucht. Es steht schlimm um das Personal von Hugo Claus.

Dramaturgisch zusammengehalten wird dieser Reigen verderbter Groß- und Kleinbürger von einem Filmprojekt über das Leben von Pieter Breughel. Geschickt läßt Claus das Filmscript von einer korrupten Hand zur anderen wandern. Ein bigottes Gremium zur Förderung des flämischen Films entscheidet sich aus nationalistischen Gründen für Breughel, jeder hat aber irgendwie auch ökonomisch die Finger drin. Der bauernschlaue Produzent Walter Oorslag zieht dem Staat Subventionen aus der Tasche, legt aber auf der anderen Seite seine Drehbuchautoren aufs Kreuz. Die sind allesamt gierig, doch schreibunfähig. Die Schauspieler chargieren, der Regisseur läßt einfach laufen. Am Ende kommt ein kitschiges Machwerk heraus. Flanderns Kulturbetrieb - ein Sumpf.

Dieses gar nicht so abwegige Urteil bringt Claus hemmungslos in Rage. In seinen politsatirischen Passagen schildert der Autor die belgische Gesellschaft als verkommene Vetternwirtschaft. Kunst wird vor den Karren von Wahlkämpfern gespannt; denn das kleine Flandern funktioniert immer noch nach den Vorgaben katholischer Sozialordnung: Alle Entscheidungen fallen in Clubs, Kongregationen, Parteizirkeln und unterliegen einem filzigen Proporz. Ressentiments gegen Wallonen, Niederländer, Immigranten (in dieser Reihenfolge) spielen allzeit mit. Und eine kleine Schicht von Postenschacherern verdient prächtig an diesem Spiel, umgeben von einem korrupten Juste Milieu aus dem Kulturbetrieb: Kritiker, Regisseure, Literaten, Referenten, Mimen, Museumsleute. Alle stecken mit drin.

Diese Beschreibung setzt Claus polyzentrisch ins Werk, mit immer wechselnden Schlaglichtern in Kurzkapiteln, doch als beständig allwissender Erzähler. Die Diagnose entspricht dabei sogar im großen und ganzen der Wirklichkeit; man braucht sich nur die regelmäßigen Nachrichten über die politischen Bestechungsskandale Belgiens ins Gedächtnis zu rufen. Ist Claus also der Mahner und Warner, das polternde, ruhelose nationale Gewissen, als das er seit seinem Welterfolg "Der Kummer von Flandern" international gilt? Er ist es mitnichten, leider. Zwar läßt er - genau wie in seinen meisten Prosawerken - kaum ein Segment des belgischen Babylons aus. Doch er kommt über sein Volk wie der Gott des Alten Testaments: mit furchtbarem Groll und Strafgericht.

Das macht sein Panoptikum von Päderasten und Parteiknechten, Nymphomaninnen und Ehebrechern, Lustknaben und Neonazis auf die Dauer lächerlich. Claus kann seine sadistische Phantasie nicht bremsen, wenn einer ehemaligen Auschwitz-Gefangenen ein als Himmler verkleideter Komödiant ins Haus steigt, weil er ihren Hund am Beschmutzen des Gehwegs hindern will. Wenn den griechischen Strichjungen seine Erinnerungen an türkische Folterkeller dahin bringen, daß er aus Furcht vor Abschiebung das Mahnmal der Widerstandskämpfer mit dem BMW des Gouverneurs umnietet, der natürlich gerade im Jungenspuff zugange war. Und die Widerstandskämpfer? Natürlich war deren Tod 1945 nur ein Mißverständnis; es handelte sich um verkappte Kollaborateure.

Am Ende weiß man gar nicht mehr, was einem in diesem Roman alles über den Weg gelaufen ist: verhungerte Katzen in der Küche einer geilen Künstlerswitwe, betriebsame Sadomasostudios, inzestuöser Beischlaf auf dem Schreibtisch eines Museumsdirektors, Damen der höheren Gesellschaft mit "lila Nuttenstrümpfen und halbnacktem Busen". Oje! Wenn die Gesellschaft wirklich und überall so wäre, wäre sie regelrecht interessant. Claus als alter Adept von Antonin Artaud und Georges Bataille müßte bei den beiden doch gelernt haben, daß die öbszöne Überschreitung nur als Ausnahme funktioniert.

Schon die Pose des Autors als Strafrichter gehört zur Ästhetik der fünfziger Jahre. Claus vermeint der flämischen Gesellschaft mit diesem soundsovielten ätzenden Sittenbild die Maske vom Gesicht zu reißen, doch dahinter kommt nur ein wütender Großschriftsteller zum Vorschein, der - wie bei den ähnlich gelagerten Fällen Grass, Handke oder Böll selig - die eigene Provinzialität nicht mehr erträgt und sich darum in plumpe Moralistik gerettet hat. In Wahrheit reißt er nur sich selbst die Maske vom Gesicht, das zeigt sich vor allem an den allgegenwärtigen Altmännerphantasien. Dreizehnjährige Lolitas machen sich mit obszönen Anrufen an den alternden und aus den Nähten platzenden den Dooven heran; die ewig lüsterne Gattin eines Fabrikanten wird bei der Safari von einem Gnu ins aufreizend pralle Hinterteil gebissen. Und so weiter.

Da rumpelt Claus' strapazierte Romanmaschine - ein bißchen flämischer Realismus, eine Prise Nouveau Roman, das Ganze verrührt zum Welttheater - in allen Schweißnähten. Aber so ist die Welt nicht. Natürlich sind Gnus harmlose Pflanzenfresser und - anders als alternde Schriftsteller - auf keinen Frauenhintern scharf. Und die kleinen Mädchen - so verderbt sie auch sein mögen - probieren keinen Telefonsex mit Literaten, die sie zufällig im "Literarischen Quartett" gesehen haben. Es nötigt dem Leser beinahe schon Bewunderung ab, daß Claus bei dergleichen wildwuchernden Obsessionen auch noch Platz für die obligatorische weinerliche Haßbeichte der fünfziger Jahre (Bergman, Miller) findet: "Es war die Katastrophe meines Lebens, daß du mich nicht an dich herangelassen hast. Was hätte uns daran gehindert, einander in die Arme zu fallen?" Vielleicht der Autor, für dessen Geschmack solche Vater-Sohn-Beziehungen viel zu harmonisch sind?

Wenn Claus schon die stilistische Unsitte pflegt, die Verderbtheit von Charakteren dadurch anzuzeigen, daß er andauernd lässig die Namen von Luxusprodukten aus dem jeweiligen Hausstand in die Prosa streut, dann sollte das auch stimmen: Der schottische Single Malt Whisky Laphraic heißt in Wahrheit Laphroig. Den böllschen Tick, die Akteure schon über die Namensgebung lächerlich zu machen (was bedeutet wohl Grootaers oder den Dooven?) bekommen die deutschen Leser meist Gott sei Dank nicht mit.

Dabei ist Claus mit seiner Suada gegen Gier und Mittelmäßigkeit ja gar nicht im Unrecht. Nur wendet er völlig inadäquate ästhetische Mittel an, und vor allem gebricht es ihm an Selbstironie. Von welcher hohen Warte wettert er? Legion sind seine Anspielungen auf die flämische Literatur- und Polit-Szene. Daß er den Thronfolger als degeneriertes Muttersöhnchen kennzeichnet, wird in Belgien, wo die Witze über das jetzige Königshaus ins Kraut schießen, niemanden überraschen und sogar im Ausland für Lacher sorgen. Auch das bloßgestellte flämische Hickhack gegen die Wallonen wird man im Ausland lächelnd goutieren.

Darüber hinaus macht Claus vorzugsweise den Klüngel seines Berufsstandes nieder, nämlich der Viertels- und Achtels-Genies, die sich um den Literaturpreis von Dendermonde balgen, einander gegenseitig belobhudeln und noch nicht einmal einen Drehbuch-Dialog verfassen können. Das Meisterwerk des einzigen flämischen Autors von Weltgeltung, Willem Elsschots "Villa des Roses", wird bei Claus nur deshalb nicht verfilmt, weil der Titel zu französisch klingt. Und der fromme, doch bedeutende Pater-Lyriker Guido Gezelle tritt als Autor eines Standardwerkes für Sexualaufklärung auf.

Gerade solche Anspielungen, die jenseits von Antwerpen und Kortrijk niemand mehr lustig finden kann, entlarven eine Beschränktheit, unverhältnismäßig zu Claus' aufgegeiltem Weltekel. Es geht ihm wie jedem Bußprediger: Er gehört unlöslich mit dazu, sonst hätte er nicht solchen Spaß, aber auch allen eins auszuwischen. In Belgien hat er, nachdem er zweimal in Stockholm in der engeren Auswahl war, seinen Ruf als ewiger abrufbereiter Nobelpreisnichtgewinner weg. Und auch die Wahl des Sujets für "Belladonna" beweist, daß er, der auch als Maler, Regisseur, Übersetzer, Dramatiker und Lyriker in Erscheinung tritt, dem Kulturbetrieb beileibe so fern nicht steht, wie er hier tut.

Die "Breughel"-Adaption, über welche hier Strafgericht gehalten wird, gibt es übrigens wirklich: "Die Elster auf dem Galgen" von John Vermeulen, und dieser Roman wurde auch tatsächlich verfilmt. Ein grauslich biederer flämischer Schinken fürwahr. Doch gewiß kein Anlaß für ein flämisches Strafgericht.

Hugo Claus: "Belladonna". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Waltraud Hüsmert. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1996. 340 S., geb., 38,- DM.

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