With this masterly and original work, Bellow: A Biography, National Book Award nominee James Atlas gives the first definitive account of the Nobel Prize winning author s turbulent personal and professional life, as it unfolded against the background of twentieth-century events the Depression, World War II, the upheavals of the sixties and amid all the complexities of the Jewish-immigrant experience in America, which generated a vibrant new literature.
Drawing upon a vast body of original research, including Bellow s extensive correspondence with Ralph Ellison, Delmore Schwartz, John Berryman, Robert Penn Warren, John Cheever, and many other luminaries of the twentieth-century literary community, Atlas weaves a rich and revealing portrait of one of the most talented and enigmatic figures in American intellectual history.
Detailing Bellow s volatile marriages and numerous tempestuous relation-ships with women, publishers, and friends, Bellow: A Biography is a magnificent chronicle of one of the premier writers in the English language, whose prize-winning works include Herzog, The Adventures of Augie March, and, most recently, Ravelstein.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Drawing upon a vast body of original research, including Bellow s extensive correspondence with Ralph Ellison, Delmore Schwartz, John Berryman, Robert Penn Warren, John Cheever, and many other luminaries of the twentieth-century literary community, Atlas weaves a rich and revealing portrait of one of the most talented and enigmatic figures in American intellectual history.
Detailing Bellow s volatile marriages and numerous tempestuous relation-ships with women, publishers, and friends, Bellow: A Biography is a magnificent chronicle of one of the premier writers in the English language, whose prize-winning works include Herzog, The Adventures of Augie March, and, most recently, Ravelstein.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungEr war ein Wilder und wollte seine Artgenossen studieren
Die Komödie des denkenden Menschen: James Atlas hat eine Biographie des Nobelpreisträgers Saul Bellow geschrieben
Es ist der Tonfall, nicht so sehr der Handlungsablauf der Romane von Saul Bellow, der sich mir eingeprägt hat. Seine Helden tun nicht besonders viel. Sie reden endlos, meist mit sich selbst. In langen, unterhaltsamen und komischen Monologen führen sie dem Leser in einer Mischung von Straßensprache und zusammengelesener Philosophie ihre Probleme vor. Wie die Volksredner auf ihren Seifenkisten, die ich in meiner Jugend an der Verrücktenecke in Chicago hörte, haben sie Hunderte von bitteren Klagen vorzubringen und nehmen zu allen möglichen Themen die unmöglichsten Standpunkte ein, von den Frauen bis zu der Art und Weise, wie das Land regiert wird. Sie sind intelligent, selbstverliebt, ständig obsessiv mit einem ihnen angetanen Unrecht beschäftigt und in fortwährender Erregung. Die Grundvoraussetzung von Bellows Humor ist es stets, daß der Held ein Mensch ist, der aus seinem eigenen Leben ein totales Chaos gemacht hat. Dies war stets die Perspektive des komischen Schriftstellers. Tragische Helden beklagen sich nur bei den Göttern; die komischen Helden zanken sich endlos mit ihren Familien und träumen davon, es ihren realen oder imaginären Feinden endlich einmal zu zeigen.
Bei Bellow hängt dieses Gefühl, daß einem ständig übel mitgespielt wird, gewiß zu einem Teil mit der Erfahrung der Einwandererfamilien zusammen, wo es durchaus üblich ist, daß das Leben absurder verläuft als die Handlung des chaotischsten pikaresken Romans. Es ist sehr schwer, sich darüber klar zu werden, weshalb das eigene Leben nun gerade so verlaufen ist und nicht anders. Für einen Immigranten wird das geradezu zu einem metyphysischen Problem. Das Absurde ist die einzige Realität, also zählt für den einzelnen Menschen im Leben nur die Kontingenz.
Bellow selbst, so teilt uns James Atlas in seiner Biographie mit, wurde 1915 in Lachine geboren, einer Vorstadt von Montreal, wo in drangvoller Enge russische, polnische, ukrainische, griechische und italienische Arbeiter lebten. Er war das vierte Kind jüdischer Eltern, die zwei Jahre vor seiner Geburt aus Rußland ausgewandert waren. "Die Koffer, mit denen meine Eltern reisten, waren exotisch - die Taftunterröcke, die Straußenfedern, die langen Handschuhe, die Knopfstiefel und der Rest all dieser Familienschätze", so erinnerte sich Bellow, "gaben mir das Gefühl, aus einer anderen Welt gekommen zu sein." Nun war die Familie eine unter Millionen neuangekommener Einwanderer und tat sich schwer damit, einigermaßen durchzukommen. "Ein kränkliches Kind, das an Beschwerden der Atemwege litt, war er der Liebling seiner Mutter, sie behandelte ihn wie einen hinfälligen Patienten", schreibt Atlas. Nachdem man dem Vater - der in der Zwischenzeit in den Alkoholschmuggel eingestiegen war - mit vorgehaltener Pistole eine Wagenladung Fusel geraubt, ihn verprügelt und in einem Graben liegengelassen hatte, nahm die Familie Verbindung mit einem Vetter in Chicago auf. Der Vater ging zuerst hinüber und Mutter und Kinder wurden im Juli 1924 von einem Unterweltskollegen des Vaters heimlich über die Grenze in die USA gebracht.
An der University of Chicago, die Bellow besuchte, ehe er zur Northwestern University wechselte, um Ethnologie zu studieren, konzentrierte sich der Lehrplan auf die kanonischen Klassiker der westlichen Zivilisation. Was den Wechsel betrifft, so schreibt Atlas: "Er war selbst ein Wilder, scherzte er; warum sollte er nicht seine Artgenossen studieren?" Tatsächlich wollte er in Wirklichkeit Schriftsteller werden. Seine Familie war - wie das üblich ist - strikt dagegen. Wenn er Bücher schreibt, dann schmeißt den Penner raus: eine Maxime, so alt wie die Geschichte der Literatur. Selbst an der Northwestern University sagte ihm, als seine Abschlußprüfung heranrückte, der Leiter des Fachbereichs Anglistik, er solle doch aufhören, sich mit Literatur abzugeben. "Kein Jude könnte je die Tradition der englischen Literatur wirklich erfassen", erklärte der Mann. Man muß sich daran erinnern, wie extrem anglophil damals die amerikanische Anglistik war: Wenn man zu meiner Zeit bewundernd von Dreiser oder Frank Norris sprach, wurde man meist als Hinterwäldler bemitleidet. Bellow, der nie eine Demütigung vergaß, mißtraute sein ganzes Leben lang den Universitäten und dem literarischen Establishment, als wäre er immer noch ein Außenseiter.
Einwanderer stellen sich manchmal als die subversivsten Radikalen heraus. Kein Wunder, daß die Nationalisten sie überall so wütend angreifen - wenn sie sie nicht umbringen. Im Lauf der Zeit aber mag es den Immigranten gelingen, ihre Küche und ihren Humor in die Normalkultur einzuschmuggeln. Sie können die Sprache bereichern. Man hat immer und immer wieder gesagt, daß Bellow der amerikanischen Literatur neues Leben eingehaucht hat, indem er dem Erzählen die jüdische Erfahrung und ihren verbalen Witz zugeführt hat, und man sollte es durchaus noch einmal sagen. Die "Europäisierung der amerikanischen Literatur" hat der Kritiker Philip Rahv es genannt, und das hat nichts mit dem akademischen Beifall aus London oder Paris zu tun. Bellow hat dem realistischen Roman von Dreiser und Farrell eine neue Wendung gegeben, indem er ihm Tschechow, Babel, Joyce, sogar Céline beimischte. Er wollte einen Roman, der vieles gleichzeitig sein kann - derb und philosophisch, alltagsgeschwätzig und literarisch, mit viel Spielraum für Clownerien.
Bellow ist gewiß kein einfacher Gegenstand eines Buches. Er ist ein komplexer Charakter, dem man sich vielleicht besser fiktional nähern könnte als biographisch. Wie es der alte Blues formuliert, hat er mehr Frauen gehabt, als in einen D-Zug gehen. Für einen Biographen kann das eine Falle sein, weil es ihn einlädt, in all diesen Beziehungen Schuldige und Unschuldige zu ermitteln. Fünfmal verheiratet, viermal geschieden, auch wegen reichlicher Untreue seinerseits, hat Bellow in seinen Romanen diverse Entschuldigungen für sich vorgebracht, während er seine Frauen anschwärzt. Das gehört zu den Schwierigkeiten, in die man sich verwickelt, wenn man Figuren in Büchern nach realen Menschen bildet. Der Biograph mag sich noch so sehr vor naiver Lektüre hüten - trotzdem liest er die Romane, als seien sie Autobiographie und keine Fiktion. Diese Gattinnen können einfach nicht alle derart übel gewesen sein, wie Bellow sie schildert, denkt sich Atlas, und wer wollte widersprechen?
Unglücklicherweise zieht er dann eine Schlußfolgerung. Kein Biograph stellt sich jemals hin, breitet die Arme aus und sagt: Ich habe keine Ahnung, was ich von diesem Typ halten soll. Ich selbst habe mir schon öfters gewünscht, daß die Biographen genau das täten. Statt dessen wird Bellow von Atlas psychoanalysiert, und Atlas glaubt, er habe das entscheidende Verdrängte entdeckt, nämlich das lebenslange Schuldgefühl, das Bellows Achtlosigkeit der sterbenden Mutter gegenüber entsprang. Es wird noch schlimmer. Bellow ist, in Atlas' Darstellung, ein schlechter Freund. Er ist ein lausiger Liebhaber. Er ist möglicherweise ein Kryptoschwuler und ein Rassist. Er ist ein Meister der Selbstrechtfertigung. Er fällt auf jede Schmeichelei herein. In seinen Büchern liefert er idealisierte Versionen seiner selbst, während er in Wirklichkeit vor den tieferen Wahrheiten seines Lebens davonläuft.
Für mich ist die Frage nicht die, ob Atlas mit irgendeiner dieser Diagnosen recht hat oder nicht, sondern eher die, ob es irgendwo ein menschliches Wesen gibt, das nach eingehender Analyse sämtlicher Aspekte seines Lebens noch eine einigermaßen passable Figur abgeben würde. Die katholische Kirche ist sehr vorsichtig, wenn es darum geht, jemanden heiligzusprechen, und nimmt sich manchmal jahrhundertelang Zeit, um die Indizien zu sichten. Ihre Botschaft ist klar. Die meisten von uns sind Sünder; wir unterscheiden uns nur graduell. Wenn diese Wahrheit einem Biographen entgleitet und er zu seiner schockierten Überraschung feststellen muß, daß der Mann, über den er schreibt, gravierende Fehler hat, dann gerät sein Unternehmen in eine eigenartige Schräglage. Am Schluß kommt es soweit, daß sich der Biograph angesichts der vielen Fehler des Dargestellten diesem moralisch überlegen fühlt, und das ist eine lächerliche Position. Was mich betrifft, sind jene Fehler weitgehend irrelevant. Große Werke der Literatur sind aus schäbigsten Motiven von verachtungswürdigen Menschen geschrieben worden.
Bellows Genie kommt darin zum Ausdruck, daß wir uns selbst in seinen exotischsten Figuren wiedererkennen müssen. Mit einigen seiner Helden können wir uns direkt identifizieren, wenn wir einmal erkannt haben, daß wir uns intellektuell in derselben Patsche befinden wie sie. Ich meine damit die Schwierigkeiten, die jeder denkende Mensch in einer Welt wie der unseren hat, die auf unabhängiges Denken keinen Wert legt. Da seine Helden außerdem gewöhnlich Angehörige irgendeiner bedrängten Minderheit sind, machen es das zur Gewohnheit gewordene Mißtrauen und der sardonische Humor um so schwieriger, zu entscheiden, was man noch glauben soll. Im Falle Bellows, der im Erzählen eine höhere Form der Autobiographie sah, geht es am Ende um die grundsätzlichen Fragen, wer ich bin und wozu ich lebe.
Als ich viele der Romane Bellows für diese Rezension noch einmal las, wurde mir wieder bewußt, wie gut die besten davon sind. Bellow ist ein höchst unterhaltender Autor nicht nur deshalb, weil er wunderbare Prosa schreibt, sondern weil er immer einen aktuellen Bezug nimmt. Welche intellektuelle Mode zum Zeitpunkt der Niederschrift eines Romans auch angesagt war - dort wird sie seziert. Es kommt hinzu, daß er über eine außerordentliche Beobachtungsgabe verfügt. Seine Bücher sind voller glühender Details der äußerlichen Welt. Sehen ist für Bellow das höchste sinnliche Vergnügen. Wenn man wissen will, wie es war, die Straßen Chicagos und New Yorks in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entlangzugehen, dann sollte man ihn lesen. Seine besten Beschreibungen verbinden Klarheit und Geheimnis in der Art der großen Schwarz-Weiß-Photographien der dreißiger und vierziger Jahre. Man fühlt sich an Walker Evans, Helen Levitt, David Vestal und Louis Stettner erinnert, nur sind Photographien stumm.
Wenn Bellow ein wiederkehrendes Thema hat (und das hat er), dann ist es die unglückliche Familie. Die Familie, jene Institution, die unsere Konservativen gerne zu lyrischen Ergüssen hinreißt, ist zweifellos der Ort sowohl unserer größten Freuden wie unseres hartnäckigsten Elends. Bellows Romane bieten zahllose Beispiele dafür, daß Menschen, die sich geliebt haben, in den Haß versinken. Meist gibt es irgendeine selbstlose Figur, eine Tante, einen Großvater, die sich über die endlose Streiterei erheben und lange noch im Gedächtnis bewahrt und geliebt werden, aber der Rest dessen, was in der Familie vor sich geht, ist nackte Aggression. Bellows Hauptfiguren kommen gewöhnlich nicht gut mit Frauen zurecht. Sie sind überzeugt, daß ihre Ehefrauen sie vernichten wollen. "Weisheit, Schönheit, Ruhm, Mut - das sind bei den Männern nur Eitelkeiten, und es ist Sache der Frau, diese Legenden, die der Mann von sich erzählen möchte, niederzumachen", schreibt er in "Mr. Sammlers Planet". Trotz aller Komödienzüge seiner Bücher hat Bellow eine tragische Lebensauffassung. Sein kurzes Meisterwerk "Das Geschäft des Lebens" ist typisch - mit seinem geizigen, fühllosen Vater, dem Sohn, der sich ein einziges Wort des Mitgefühls von ihm erhofft, jetzt, da sein Leben in Trümmern liegt, und der ebenso gleichgültigen Frau, von der er getrennt lebt. Wie immer bemüht sich Bellow, jeder Figur gerecht zu werden. "In der Kunst wird man vertraut mit den Rechten der Angeklagten", schreibt er in "Ravelstein". "Man kann die Leute nicht einfach abschreiben oder sie zur Hölle schicken."
Was Bellows Weltsicht so zwingend macht - und hier muß ich mich wiederum von seinem Biographen distanzieren, der ihn bezichtigt, keine Sympathie für andere zu empfinden -, ist eben jene Sympathie. Es stimmt, daß die Frauen es bei ihm schwer haben, aber selbst hier wäre es unfair, ihm vorzuwerfen, er mache sie zu Karikaturen. Ihre Mängel sind in den Augen des Autors menschliche Mängel. Sehr selten nur fehlt in der Schilderung selbst der widerwärtigsten Figuren seiner Romane ein Element des Mitgefühls. Die Zuneigung, mit welcher er oft über Kinder und alte Menschen schreibt, ist unzweifelhaft. Wenn man akzeptiert, was Atlas behauptet, dann müßte man wohl auch zu dem Schluß kommen, daß ein herzloser Drecksack ein großes Buch schreiben kann.
Das Mitgefühl ist entscheidend in Bellows Welt, denn gäbe es dies nicht, wären seine einsamen Gestalten ihrem Solipsismus ausgeliefert. "Ein Mensch ist nur so gut wie das, was er liebt" - an diesen Satz, den sie irgend jemand hat sagen hören, erinnert sich eine Figur Bellows einmal. Das Mitgefühl hat eine mystische Seite; es gehört zur Suche nach dem eigentlichen Selbst, zur Suche nach einer Wahrheit, die in der Tiefe des Wesens eines jeden von uns liegt. In seiner Nobelpreisrede zitiert Bellow Joseph Conrad, der davon spricht, es gebe "eine leise, aber unbesiegbare Überzeugung von einer Solidarität, welche die Einsamkeit unzähliger Herzen verknüpft . . . , welche die ganze Menschheit verbindet - die Toten mit den Lebenden und die Lebenden mit den Ungeborenen." Die höchste Aufgabe der Literatur ist es, eben dies zu leisten. In ihren besten Augenblicken, glaubt Bellow, kann sie uns in etwas hineingeleiten, was er "heilige Seelenzustände" nennt. Jeder, der von einem Roman oder einer Erzählung Bellows tief bewegt worden ist, müßte ihm zustimmen, daß eine solche Erfahrung in der Tat möglich ist.
Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka.
James Atlas: "Bellow: A Biography". Random House, New York 2001. 686 S., geb., 35,- $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Komödie des denkenden Menschen: James Atlas hat eine Biographie des Nobelpreisträgers Saul Bellow geschrieben
Es ist der Tonfall, nicht so sehr der Handlungsablauf der Romane von Saul Bellow, der sich mir eingeprägt hat. Seine Helden tun nicht besonders viel. Sie reden endlos, meist mit sich selbst. In langen, unterhaltsamen und komischen Monologen führen sie dem Leser in einer Mischung von Straßensprache und zusammengelesener Philosophie ihre Probleme vor. Wie die Volksredner auf ihren Seifenkisten, die ich in meiner Jugend an der Verrücktenecke in Chicago hörte, haben sie Hunderte von bitteren Klagen vorzubringen und nehmen zu allen möglichen Themen die unmöglichsten Standpunkte ein, von den Frauen bis zu der Art und Weise, wie das Land regiert wird. Sie sind intelligent, selbstverliebt, ständig obsessiv mit einem ihnen angetanen Unrecht beschäftigt und in fortwährender Erregung. Die Grundvoraussetzung von Bellows Humor ist es stets, daß der Held ein Mensch ist, der aus seinem eigenen Leben ein totales Chaos gemacht hat. Dies war stets die Perspektive des komischen Schriftstellers. Tragische Helden beklagen sich nur bei den Göttern; die komischen Helden zanken sich endlos mit ihren Familien und träumen davon, es ihren realen oder imaginären Feinden endlich einmal zu zeigen.
Bei Bellow hängt dieses Gefühl, daß einem ständig übel mitgespielt wird, gewiß zu einem Teil mit der Erfahrung der Einwandererfamilien zusammen, wo es durchaus üblich ist, daß das Leben absurder verläuft als die Handlung des chaotischsten pikaresken Romans. Es ist sehr schwer, sich darüber klar zu werden, weshalb das eigene Leben nun gerade so verlaufen ist und nicht anders. Für einen Immigranten wird das geradezu zu einem metyphysischen Problem. Das Absurde ist die einzige Realität, also zählt für den einzelnen Menschen im Leben nur die Kontingenz.
Bellow selbst, so teilt uns James Atlas in seiner Biographie mit, wurde 1915 in Lachine geboren, einer Vorstadt von Montreal, wo in drangvoller Enge russische, polnische, ukrainische, griechische und italienische Arbeiter lebten. Er war das vierte Kind jüdischer Eltern, die zwei Jahre vor seiner Geburt aus Rußland ausgewandert waren. "Die Koffer, mit denen meine Eltern reisten, waren exotisch - die Taftunterröcke, die Straußenfedern, die langen Handschuhe, die Knopfstiefel und der Rest all dieser Familienschätze", so erinnerte sich Bellow, "gaben mir das Gefühl, aus einer anderen Welt gekommen zu sein." Nun war die Familie eine unter Millionen neuangekommener Einwanderer und tat sich schwer damit, einigermaßen durchzukommen. "Ein kränkliches Kind, das an Beschwerden der Atemwege litt, war er der Liebling seiner Mutter, sie behandelte ihn wie einen hinfälligen Patienten", schreibt Atlas. Nachdem man dem Vater - der in der Zwischenzeit in den Alkoholschmuggel eingestiegen war - mit vorgehaltener Pistole eine Wagenladung Fusel geraubt, ihn verprügelt und in einem Graben liegengelassen hatte, nahm die Familie Verbindung mit einem Vetter in Chicago auf. Der Vater ging zuerst hinüber und Mutter und Kinder wurden im Juli 1924 von einem Unterweltskollegen des Vaters heimlich über die Grenze in die USA gebracht.
An der University of Chicago, die Bellow besuchte, ehe er zur Northwestern University wechselte, um Ethnologie zu studieren, konzentrierte sich der Lehrplan auf die kanonischen Klassiker der westlichen Zivilisation. Was den Wechsel betrifft, so schreibt Atlas: "Er war selbst ein Wilder, scherzte er; warum sollte er nicht seine Artgenossen studieren?" Tatsächlich wollte er in Wirklichkeit Schriftsteller werden. Seine Familie war - wie das üblich ist - strikt dagegen. Wenn er Bücher schreibt, dann schmeißt den Penner raus: eine Maxime, so alt wie die Geschichte der Literatur. Selbst an der Northwestern University sagte ihm, als seine Abschlußprüfung heranrückte, der Leiter des Fachbereichs Anglistik, er solle doch aufhören, sich mit Literatur abzugeben. "Kein Jude könnte je die Tradition der englischen Literatur wirklich erfassen", erklärte der Mann. Man muß sich daran erinnern, wie extrem anglophil damals die amerikanische Anglistik war: Wenn man zu meiner Zeit bewundernd von Dreiser oder Frank Norris sprach, wurde man meist als Hinterwäldler bemitleidet. Bellow, der nie eine Demütigung vergaß, mißtraute sein ganzes Leben lang den Universitäten und dem literarischen Establishment, als wäre er immer noch ein Außenseiter.
Einwanderer stellen sich manchmal als die subversivsten Radikalen heraus. Kein Wunder, daß die Nationalisten sie überall so wütend angreifen - wenn sie sie nicht umbringen. Im Lauf der Zeit aber mag es den Immigranten gelingen, ihre Küche und ihren Humor in die Normalkultur einzuschmuggeln. Sie können die Sprache bereichern. Man hat immer und immer wieder gesagt, daß Bellow der amerikanischen Literatur neues Leben eingehaucht hat, indem er dem Erzählen die jüdische Erfahrung und ihren verbalen Witz zugeführt hat, und man sollte es durchaus noch einmal sagen. Die "Europäisierung der amerikanischen Literatur" hat der Kritiker Philip Rahv es genannt, und das hat nichts mit dem akademischen Beifall aus London oder Paris zu tun. Bellow hat dem realistischen Roman von Dreiser und Farrell eine neue Wendung gegeben, indem er ihm Tschechow, Babel, Joyce, sogar Céline beimischte. Er wollte einen Roman, der vieles gleichzeitig sein kann - derb und philosophisch, alltagsgeschwätzig und literarisch, mit viel Spielraum für Clownerien.
Bellow ist gewiß kein einfacher Gegenstand eines Buches. Er ist ein komplexer Charakter, dem man sich vielleicht besser fiktional nähern könnte als biographisch. Wie es der alte Blues formuliert, hat er mehr Frauen gehabt, als in einen D-Zug gehen. Für einen Biographen kann das eine Falle sein, weil es ihn einlädt, in all diesen Beziehungen Schuldige und Unschuldige zu ermitteln. Fünfmal verheiratet, viermal geschieden, auch wegen reichlicher Untreue seinerseits, hat Bellow in seinen Romanen diverse Entschuldigungen für sich vorgebracht, während er seine Frauen anschwärzt. Das gehört zu den Schwierigkeiten, in die man sich verwickelt, wenn man Figuren in Büchern nach realen Menschen bildet. Der Biograph mag sich noch so sehr vor naiver Lektüre hüten - trotzdem liest er die Romane, als seien sie Autobiographie und keine Fiktion. Diese Gattinnen können einfach nicht alle derart übel gewesen sein, wie Bellow sie schildert, denkt sich Atlas, und wer wollte widersprechen?
Unglücklicherweise zieht er dann eine Schlußfolgerung. Kein Biograph stellt sich jemals hin, breitet die Arme aus und sagt: Ich habe keine Ahnung, was ich von diesem Typ halten soll. Ich selbst habe mir schon öfters gewünscht, daß die Biographen genau das täten. Statt dessen wird Bellow von Atlas psychoanalysiert, und Atlas glaubt, er habe das entscheidende Verdrängte entdeckt, nämlich das lebenslange Schuldgefühl, das Bellows Achtlosigkeit der sterbenden Mutter gegenüber entsprang. Es wird noch schlimmer. Bellow ist, in Atlas' Darstellung, ein schlechter Freund. Er ist ein lausiger Liebhaber. Er ist möglicherweise ein Kryptoschwuler und ein Rassist. Er ist ein Meister der Selbstrechtfertigung. Er fällt auf jede Schmeichelei herein. In seinen Büchern liefert er idealisierte Versionen seiner selbst, während er in Wirklichkeit vor den tieferen Wahrheiten seines Lebens davonläuft.
Für mich ist die Frage nicht die, ob Atlas mit irgendeiner dieser Diagnosen recht hat oder nicht, sondern eher die, ob es irgendwo ein menschliches Wesen gibt, das nach eingehender Analyse sämtlicher Aspekte seines Lebens noch eine einigermaßen passable Figur abgeben würde. Die katholische Kirche ist sehr vorsichtig, wenn es darum geht, jemanden heiligzusprechen, und nimmt sich manchmal jahrhundertelang Zeit, um die Indizien zu sichten. Ihre Botschaft ist klar. Die meisten von uns sind Sünder; wir unterscheiden uns nur graduell. Wenn diese Wahrheit einem Biographen entgleitet und er zu seiner schockierten Überraschung feststellen muß, daß der Mann, über den er schreibt, gravierende Fehler hat, dann gerät sein Unternehmen in eine eigenartige Schräglage. Am Schluß kommt es soweit, daß sich der Biograph angesichts der vielen Fehler des Dargestellten diesem moralisch überlegen fühlt, und das ist eine lächerliche Position. Was mich betrifft, sind jene Fehler weitgehend irrelevant. Große Werke der Literatur sind aus schäbigsten Motiven von verachtungswürdigen Menschen geschrieben worden.
Bellows Genie kommt darin zum Ausdruck, daß wir uns selbst in seinen exotischsten Figuren wiedererkennen müssen. Mit einigen seiner Helden können wir uns direkt identifizieren, wenn wir einmal erkannt haben, daß wir uns intellektuell in derselben Patsche befinden wie sie. Ich meine damit die Schwierigkeiten, die jeder denkende Mensch in einer Welt wie der unseren hat, die auf unabhängiges Denken keinen Wert legt. Da seine Helden außerdem gewöhnlich Angehörige irgendeiner bedrängten Minderheit sind, machen es das zur Gewohnheit gewordene Mißtrauen und der sardonische Humor um so schwieriger, zu entscheiden, was man noch glauben soll. Im Falle Bellows, der im Erzählen eine höhere Form der Autobiographie sah, geht es am Ende um die grundsätzlichen Fragen, wer ich bin und wozu ich lebe.
Als ich viele der Romane Bellows für diese Rezension noch einmal las, wurde mir wieder bewußt, wie gut die besten davon sind. Bellow ist ein höchst unterhaltender Autor nicht nur deshalb, weil er wunderbare Prosa schreibt, sondern weil er immer einen aktuellen Bezug nimmt. Welche intellektuelle Mode zum Zeitpunkt der Niederschrift eines Romans auch angesagt war - dort wird sie seziert. Es kommt hinzu, daß er über eine außerordentliche Beobachtungsgabe verfügt. Seine Bücher sind voller glühender Details der äußerlichen Welt. Sehen ist für Bellow das höchste sinnliche Vergnügen. Wenn man wissen will, wie es war, die Straßen Chicagos und New Yorks in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entlangzugehen, dann sollte man ihn lesen. Seine besten Beschreibungen verbinden Klarheit und Geheimnis in der Art der großen Schwarz-Weiß-Photographien der dreißiger und vierziger Jahre. Man fühlt sich an Walker Evans, Helen Levitt, David Vestal und Louis Stettner erinnert, nur sind Photographien stumm.
Wenn Bellow ein wiederkehrendes Thema hat (und das hat er), dann ist es die unglückliche Familie. Die Familie, jene Institution, die unsere Konservativen gerne zu lyrischen Ergüssen hinreißt, ist zweifellos der Ort sowohl unserer größten Freuden wie unseres hartnäckigsten Elends. Bellows Romane bieten zahllose Beispiele dafür, daß Menschen, die sich geliebt haben, in den Haß versinken. Meist gibt es irgendeine selbstlose Figur, eine Tante, einen Großvater, die sich über die endlose Streiterei erheben und lange noch im Gedächtnis bewahrt und geliebt werden, aber der Rest dessen, was in der Familie vor sich geht, ist nackte Aggression. Bellows Hauptfiguren kommen gewöhnlich nicht gut mit Frauen zurecht. Sie sind überzeugt, daß ihre Ehefrauen sie vernichten wollen. "Weisheit, Schönheit, Ruhm, Mut - das sind bei den Männern nur Eitelkeiten, und es ist Sache der Frau, diese Legenden, die der Mann von sich erzählen möchte, niederzumachen", schreibt er in "Mr. Sammlers Planet". Trotz aller Komödienzüge seiner Bücher hat Bellow eine tragische Lebensauffassung. Sein kurzes Meisterwerk "Das Geschäft des Lebens" ist typisch - mit seinem geizigen, fühllosen Vater, dem Sohn, der sich ein einziges Wort des Mitgefühls von ihm erhofft, jetzt, da sein Leben in Trümmern liegt, und der ebenso gleichgültigen Frau, von der er getrennt lebt. Wie immer bemüht sich Bellow, jeder Figur gerecht zu werden. "In der Kunst wird man vertraut mit den Rechten der Angeklagten", schreibt er in "Ravelstein". "Man kann die Leute nicht einfach abschreiben oder sie zur Hölle schicken."
Was Bellows Weltsicht so zwingend macht - und hier muß ich mich wiederum von seinem Biographen distanzieren, der ihn bezichtigt, keine Sympathie für andere zu empfinden -, ist eben jene Sympathie. Es stimmt, daß die Frauen es bei ihm schwer haben, aber selbst hier wäre es unfair, ihm vorzuwerfen, er mache sie zu Karikaturen. Ihre Mängel sind in den Augen des Autors menschliche Mängel. Sehr selten nur fehlt in der Schilderung selbst der widerwärtigsten Figuren seiner Romane ein Element des Mitgefühls. Die Zuneigung, mit welcher er oft über Kinder und alte Menschen schreibt, ist unzweifelhaft. Wenn man akzeptiert, was Atlas behauptet, dann müßte man wohl auch zu dem Schluß kommen, daß ein herzloser Drecksack ein großes Buch schreiben kann.
Das Mitgefühl ist entscheidend in Bellows Welt, denn gäbe es dies nicht, wären seine einsamen Gestalten ihrem Solipsismus ausgeliefert. "Ein Mensch ist nur so gut wie das, was er liebt" - an diesen Satz, den sie irgend jemand hat sagen hören, erinnert sich eine Figur Bellows einmal. Das Mitgefühl hat eine mystische Seite; es gehört zur Suche nach dem eigentlichen Selbst, zur Suche nach einer Wahrheit, die in der Tiefe des Wesens eines jeden von uns liegt. In seiner Nobelpreisrede zitiert Bellow Joseph Conrad, der davon spricht, es gebe "eine leise, aber unbesiegbare Überzeugung von einer Solidarität, welche die Einsamkeit unzähliger Herzen verknüpft . . . , welche die ganze Menschheit verbindet - die Toten mit den Lebenden und die Lebenden mit den Ungeborenen." Die höchste Aufgabe der Literatur ist es, eben dies zu leisten. In ihren besten Augenblicken, glaubt Bellow, kann sie uns in etwas hineingeleiten, was er "heilige Seelenzustände" nennt. Jeder, der von einem Roman oder einer Erzählung Bellows tief bewegt worden ist, müßte ihm zustimmen, daß eine solche Erfahrung in der Tat möglich ist.
Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka.
James Atlas: "Bellow: A Biography". Random House, New York 2001. 686 S., geb., 35,- $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main