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Die erste fundierte Untersuchung des frühen Nachkriegsprozesses zu den Verbrechen in Auschwitz und Bergen-Belsen.Bereits zwei Monate vor dem Nürnberger Prozess fand vor einem britischen Militärgericht in Lüneburg der erste alliierte Prozess gegen Kriegsverbrecher statt. Angeklagt waren Josef Kramer, der letzte Kommandant von Auschwitz, und 44 weitere KZ-Wachleute, die im Januar 1945 von Auschwitz nach Bergen-Belsen versetzt worden waren. Erstmals kamen die Verbrechen in den Konzentrationslagern Auschwitz und Bergen-Belsen ausführlich zur Sprache. Eine umfängliche Berichterstattung im In- und…mehr

Produktbeschreibung
Die erste fundierte Untersuchung des frühen Nachkriegsprozesses zu den Verbrechen in Auschwitz und Bergen-Belsen.Bereits zwei Monate vor dem Nürnberger Prozess fand vor einem britischen Militärgericht in Lüneburg der erste alliierte Prozess gegen Kriegsverbrecher statt. Angeklagt waren Josef Kramer, der letzte Kommandant von Auschwitz, und 44 weitere KZ-Wachleute, die im Januar 1945 von Auschwitz nach Bergen-Belsen versetzt worden waren. Erstmals kamen die Verbrechen in den Konzentrationslagern Auschwitz und Bergen-Belsen ausführlich zur Sprache. Eine umfängliche Berichterstattung im In- und Ausland informierte über Systematik und Ausmaß, Perfidie und Grausamkeit des Vernichtungsprozesses. Cramer legt die erste Darstellung dieses wegweisenden Nachkriegsprozesses vor und stützt sich dabei auf größtenteils unveröffentlichte Quellen aus zahlreichen Archiven. Er untersucht detailliert die Vorbereitung des Prozesses, die Hauptverhandlung sowie die Vollstreckung der Urteile. Er widmet sich ausführlich der breiten Rezeption in der internationalen Presse und in der Öffentlichkeit. Auch die Folgeprozesse von 1946 und 1948 werden dargestellt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
John Cramer, geb. 1971, studierte Neuere Geschichte und Neuere Englische Literatur an der Universität Tübingen, der University of St. Andrews und dem Trinity College Dublin. Schul- und Bildungsreferent des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. im Bezirksverband Lüneburg/Stade.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2011

Vor spärlichem Publikum
Lüneburger Prozess gegen Wachpersonal der KZ Auschwitz und Bergen-Belsen.

Im September 1945, nur wenige Monate nach der Befreiung des Lagers Bergen-Belsen im April, wurde im benachbarten Lüneburg vor einem britischen Militärgericht das Verfahren gegen den ehemaligen Lagerkommandanten Josef Kramer und über 40 weitere Männer und Frauen eröffnet. Sie wurden beschuldigt, als Mitglieder des SS-Lagerpersonals, Aufseherinnen und "Funktionshäftlinge" in Bergen-Belsen und zuvor in Auschwitz Verbrechen begangen zu haben.

Zum ersten Mal traten in den folgenden Wochen ehemalige KZ-Häftlinge in den Zeugenstand. Sie sagten aus über die unvorstellbaren Zustände in Bergen-Belsen, wo allein zwischen Januar und April 1945 etwa 35 000 Menschen an Hunger, Kälte und Krankheiten krepiert waren. Sie berichteten von mit Stöcken, Gummischläuchen, Suppenkellen und selbstgebastelten Zellophanpeitschen zu Tode geprügelten Menschen, von Erschießungen, zynischen Witzen und ausgeklügelten Foltermethoden. Sie beschrieben Selektionen, Gaskammern und Verbrennungsanlagen mit Abflussrinnen für Menschenfett in Auschwitz. Ergänzt wurden ihre Aussagen von denen britischer Soldaten, die in Bergen-Belsen Tausende Leichen und halbtote Menschen vorgefunden hatten.

Lange vor den aufsehenerregenden Auschwitz-Prozessen der sechziger Jahre - das ruft die erste umfassende Darstellung des "Belsen Trials" von John Cramer in Erinnerung - war damit die Öffentlichkeit mit den Verbrechen in den nationalsozialistischen Lagern konfrontiert. Noch bevor den "Hauptkriegsverbrechern" in Nürnberg der Prozess gemacht wurde, hatten deutsche Täter vor alliierten Militärgerichten ihr Urteil empfangen. Cramer kann am Beispiel des ersten der drei Belsen-Prozesse zeigen, wie schwierig und ambivalent die Verfolgung von NS-Verbrechen vor Gericht von Beginn an war. Die britischen Behörden betraten mit diesem Verfahren Neuland; sie hatten so kurz nach Kriegsende mit zahlreichen organisatorischen Problemen zu kämpfen, nicht zuletzt bei der eher "zufälligen" Auswahl der Angeklagten. Doch vor allem stellt Cramer heraus, welche Konflikte durch die Anwendung konventioneller Rechtsprechung auf Ereignisse entstanden, "die nicht nur außerhalb jedes Gesetzes, sondern überhaupt jeglicher Vorstellungskraft" standen.

Die Anklage wurde erhoben auf Grund des Tatbestandes "war crime", so dass von vorneherein nur bestimmte Taten erfasst werden konnten. Und trotz der von der Anklage formulierten Denkfigur der "concerted action" galt es letztlich, den Angeklagten in Einzelfallprüfungen konkrete Taten nachzuweisen. Die bestellten, aber doch engagierten britischen Pflichtverteidiger versuchten daher, die ehemaligen Häftlinge als verwirrt und unzuverlässig darzustellen. Tatsächlich war es für die Zeugen schwer, sich "richtig" zu erinnern: Mord und Quälereien waren so allgegenwärtig gewesen, dass sie eine Tat kaum einem bestimmten Datum, Ort und Täter zuordnen konnten. Gerade die Masse an Verbrechen erschwerte ihre Ahndung, und ein "tieferes Verständnis für die Strukturen und Mechanismen der NS-Verfolgungspolitik" und den systematischen Terror konnte laut Cramer durch das strafrechtlich ausgerichtete Erkenntnisinteresse nicht entstehen.

Hinzu kam die erschreckend gleichgültige, "schamlose" Reaktion der Angeklagten. Sie seien nie in einem Lager gewesen, hätten zwar selektiert, von Gaskammern aber nichts gewusst, ihre Schläge seien so leicht gewesen, dass die Häftlinge darüber "gelacht" hätten. Er habe in Bergen-Belsen zwar "dünne" Menschen gesehen, so ein Angeklagter, aber ob sie verhungert seien, könne er wirklich nicht sagen. Einige Täter stilisierten sich selbst gar als Opfer: Es sei keineswegs "nett" gewesen, "ein Nazi zu sein", erklärte Franz Hoessler, der unter anderem als Schutzhaftlagerführer in Auschwitz und stellvertretender Kommandant in Bergen-Belsen gewütet hatte.

Zu Beginn des Prozesses beherrschten die Angeklagten die Titelseiten nationaler und internationaler Tageszeitungen, doch insgesamt, so Cramer, verfehlte der Prozess in Deutschland seine Wirkung: Die Zuschauerbänke blieben meist leer, nach ersten schockierten Reaktionen wünschten sich deutsche Radiohörer statt der Prozessberichterstattung "Frohsinn und gute Laune". Die Lager blieben eine scheinbar "hermetisch abgeschlossene Schreckenswelt" ohne Verbindungen nach außen, und die schrecklichen Erzählungen der Opfer riefen eher Abwehrreaktionen als Empathie hervor.

Vor allem durch solche sensiblen Beobachtungen überzeugt Cramers gut erzählte Darstellung. Er argumentiert differenziert und präsentiert mit Detailkenntnis eine große Fülle an Material, die den Leser an einigen Stellen allerdings auch vor Herausforderungen stellt. Eine "Erklärung" der Täter, ihrer "Eigenarten und Beweggründe" bleibt Cramer am Ende seines Buches bewusst schuldig - ihre Verbrechen, ihr fehlendes Schuldbewusstsein und ihre Unfähigkeit zur Empathie führt er eindrücklich vor Augen.

HANNAH AHLHEIM.

John Cramer: Belsen Trial 1945. Der Lüneburger Prozess gegen Wachpersonal der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 427 S., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erklärungen gibt es nicht, richtig so. In diesem Punkt scheinen Autor und Rezensentin sich einig. Was John Cramer in seiner Aufarbeitung des ersten von drei Prozessen gegen die Täter von Bergen Belsen darlegt, ist derart grauenvoll, dass eine Aufstellung von Beweggründen sich verbietet. Cramer beschränkt sich auf die Darlegung der Schwierigkeiten und Konflikte, mit denen die alliierten Richter konfrontiert waren, auf organisatorische Probleme, wie die Auswahl der Angeklagten, und auf deren schamlose, uneinsichtige Reaktionen, wie die Rezensentin uns mitteilt. Überzeugend findet Hannah Ahlheim, wie sensibel, differenziert und kenntnisreich der Autor sein umfangreiches Material präsentiert, wenn er den Leser auch mitunter herausfordert.

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