Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2011Ben Alis Regime als politisches Rätsel
Die tunesische Revolution hat eine Vorgeschichte: Aus dem Regime des Autokraten Habib Bourguiba wurde nach Ben Alis Putsch 1987 eine noch härtere Form der Herrschaft.
Die Herrschaft des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali währte dreiundzwanzig Jahre. Sie endete mit seiner Flucht ebenso überraschend, wie sie 1987 mit Ben Alis Militärputsch gegen seinen Amtsvorgänger Habib Bourguiba begonnen hatte. Der damalige Machtwechsel, anfangs von freiheitlichen Reden begleitet, brachte dem Land allerdings nicht das Ende der von Bourguiba installierten autoritären, präsidial ausgerichteten Regierungsform. Vielmehr wurde dieses Herrschaftssystem von dem neuen Machthaber mit immer raffinierteren Methoden ausgebaut (Steffen Erdle: "Ben Ali's ,New Tunisia', 1987 - 2009. A Case Study of Authoritarian Modernization in the Arab World", Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2010).
Bourguiba genoss als Staatsgründer und Nationalheld, der die Tunesier in die Unabhängigkeit geführt hatte, hohes Ansehen. Doch er verdankte nicht nur seiner Autorität und seinen Auftritten als charismatischer Redner seine Macht, die es ihm ermöglichte, das Land drei Jahrzehnte lang, von 1957 bis 1987, zu regieren. Diese gründete sich vor allem auch auf die allmähliche Umwandlung der von Bourgiba gegründeten "Néo-Destour-Partei" (PND) in eine Staatspartei. Erreicht wurde dies durch ein Wahlrecht, das den Parteien, die in einem Wahlbezirk mehr als die Hälfte der Stimmen erhielten, automatisch die absolute Mehrheit sicherte. Nicht zufällig war es allen voran die PND, die von diesem Wahlverfahren profitierte und bald ohne nennenswerte politische Konkurrenten dastand.
Mit Bourguiba in seiner Doppelfunktion als Parteivorsitzender und Staatspräsident zementierte die PND, 1964 in "Sozialistische Destour-Partei" (PSD) umbenannt, 1975 ihren Machtanspruch: Damals wurde die Verfassung so geändert, dass Bourguiba nun bis an sein Lebensende für das Amt des Präsidenten kandidieren konnte - Wahlmanipulation und der praktische Ausschluss rivalisierender Kandidaten sicherten ihm ohnehin bei jedem Urnengang die absolute Mehrheit. Dass der erste Präsident Tunesiens trotz des Einparteiensystems lange Zeit populär blieb, lag auch an der Sozialgesetzgebung seines Regimes. Ein neues Familienrecht dämpfte den Einfluss herrschender Clans und schuf nicht nur die Grundlage für die Entstehung moderner Familienstrukturen, sondern bildete durch seine säkulare Ausrichtung auch den Ausgangspunkt für die Gleichberechtigung der Frauen.
Der Säkularismus war trotz des sozialistischen Etiketts der Staatspartei mehr mit nationalistischen als mit linken Elementen verbunden. Als die linksorientierten Gewerkschaften die Defizite im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik anprangerten, gerieten sie ins Visier des Regimes. Gegen sie und den erbittertsten Gegner des Staatssäkularismus, die islamistische Bewegung Tunesiens, ging Bourguiba ab Ende der siebziger Jahre zunehmend mit Gewalt vor.
Bei der Repression spielte Ben Ali als Sicherheitsbeamter eine zentrale Rolle. Ironischerweise waren es die durch steigende Preise bedingten öffentlichen Proteste des Jahres 1984 - ähnlich wie jüngst vor seinem Sturz -, die seinen Aufstieg begünstigten. Vom General und Oberbefehlshaber der tunesischen Sicherheitskräfte avancierte er binnen weniger Jahre erst zum Innenminister, dann zum Ministerpräsidenten. 1987 übernahm er die Macht, nachdem die ihm loyalen Sicherheitskräfte Bourguiba und seine engsten Mitarbeiter aus dem Präsidentenpalast in Karthago verjagt hatten. Ben Ali kannte die Schwächen des Vorgängerregimes, und schon bald wurde klar, dass er aus den Fehlern des ersten Staatspräsidenten gelernt hatte. So machte er die von Bourguiba geschaffenen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine unbegrenzte Präsidentschaft rückgängig.
Sein anfängliches Versprechen eines politischen Pluralismus löste er zwar nicht wirklich ein, vermochte jedoch den Eindruck zu erzeugen, dass es einen solchen zumindest im Ansatz gab. So wurden zwar neue wie verbotene Parteien wieder zugelassen, die Wahlregelung aber, die Quote von fünfzig Prozent als Garant der absoluten Mehrheit, wurde weiter beibehalten. 1988 benannte Ben Ali die einstige Destour-Partei, deren bis dahin marginalisierte Dissidenten er zu seinen Verbündeten machte, in "Demokratisch-konstitutionellen Zusammenschluss" (RCD) um, wobei er die Partei zugleich zu einem bloßen Instrument seiner Herrschaft degradierte: Ihrem Generalsekretär fielen von nun an nur noch organisatorische Aufgaben zu, die Mitglieder ihres Politbüros ernannte der Präsident. Hatte sich sein Vorgänger einst als nationaler Befreier in Szene gesetzt, stilisierte sich der neue Herrscher zum Retter des säkularen Staates, der sich neuerdings mit islamischen Symbolen schmückte, während seine Geheimpolizei die einheimische islamistische Nahda-Bewegung brutal verfolgte.
Vor allem in dieser Regierungsphase Anfang der neunziger Jahre wurde der inländische Sicherheitsdienst "mukhabarat" ausgebaut, der schon bald mit Razzien, Verhaftungen und Folter vorging. Da er sich seiner politischen Macht nun sicher fühlte, gewährte Ben Ali 1994 der - nurmehr säkularen - Opposition im Parlament die für ihn ungefährliche Mandatsquote von 14 Prozent. Diese Maßnahme zeitigte Wirkung, markierte sie langfristig doch die Oppositionsparteien als Teil des "Systems Ben Ali" und machte sie dadurch letztlich unglaubwürdig.
Tatsächlich verkümmerten sie mit der Zeit zu, wie Erdle es formuliert, zahnlosen politischen Klubs. Den letzten Rest an Widerstand in seiner Partei brach Ben Ali Ende der neunziger Jahre durch eine forcierte Verjüngung der Regierungselite, aus der die verbliebenen politischen Größen der Ära Bourguiba verbannt wurden. Anders als sie rekrutierte sich die neue Elite aus Absolventen staatlicher Ausbildungsstätten, deren Arbeit - ähnlich wie die gelenkte Presse - vom Regime überwacht wurde. Mit Hilfe dieser neuen, im Wesentlichen ökonomisch orientierten Bildungsschicht, unter der sich für arabische Verhältnisse auch ungewöhnlich viele Frauen fanden, wurde die tunesische Wirtschaft für den Weltmarkt geöffnet, man vertiefte den Handel mit der Europäischen Union. Mehr als eine Teilöffnung und -privatisierung des heimischen Marktes bewirkte dieser Kurs allerdings nicht. Denn Ben Ali sorgte dafür, dass der Staat seine ökonomische Vormacht behielt, womit die Bildung regimeunabhängiger Wirtschaftseliten verhindert wurde. Auch konnte so die neue Unternehmerschaft besser kontrolliert werden, während sich ein enger Kreis von Ben Alis Schützlingen - seine Angehörigen sowie Mitarbeiter des zu einer Herrschaftszentrale ausgebauten Präsidentenpalasts - durch die Ausbeutung staatlicher Ressourcen bereicherte. Erdle führt die Stabilität des Regimes auf dessen Fähigkeit zurück, politische Unterdrückung mit der Verheißung wirtschaftlichen Aufstiegs zu kompensieren. Davon profitierten zuletzt nur noch die wenigsten - die anderen trieb die Not auf die Straße.
JOSEPH CROITORU
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die tunesische Revolution hat eine Vorgeschichte: Aus dem Regime des Autokraten Habib Bourguiba wurde nach Ben Alis Putsch 1987 eine noch härtere Form der Herrschaft.
Die Herrschaft des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali währte dreiundzwanzig Jahre. Sie endete mit seiner Flucht ebenso überraschend, wie sie 1987 mit Ben Alis Militärputsch gegen seinen Amtsvorgänger Habib Bourguiba begonnen hatte. Der damalige Machtwechsel, anfangs von freiheitlichen Reden begleitet, brachte dem Land allerdings nicht das Ende der von Bourguiba installierten autoritären, präsidial ausgerichteten Regierungsform. Vielmehr wurde dieses Herrschaftssystem von dem neuen Machthaber mit immer raffinierteren Methoden ausgebaut (Steffen Erdle: "Ben Ali's ,New Tunisia', 1987 - 2009. A Case Study of Authoritarian Modernization in the Arab World", Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2010).
Bourguiba genoss als Staatsgründer und Nationalheld, der die Tunesier in die Unabhängigkeit geführt hatte, hohes Ansehen. Doch er verdankte nicht nur seiner Autorität und seinen Auftritten als charismatischer Redner seine Macht, die es ihm ermöglichte, das Land drei Jahrzehnte lang, von 1957 bis 1987, zu regieren. Diese gründete sich vor allem auch auf die allmähliche Umwandlung der von Bourgiba gegründeten "Néo-Destour-Partei" (PND) in eine Staatspartei. Erreicht wurde dies durch ein Wahlrecht, das den Parteien, die in einem Wahlbezirk mehr als die Hälfte der Stimmen erhielten, automatisch die absolute Mehrheit sicherte. Nicht zufällig war es allen voran die PND, die von diesem Wahlverfahren profitierte und bald ohne nennenswerte politische Konkurrenten dastand.
Mit Bourguiba in seiner Doppelfunktion als Parteivorsitzender und Staatspräsident zementierte die PND, 1964 in "Sozialistische Destour-Partei" (PSD) umbenannt, 1975 ihren Machtanspruch: Damals wurde die Verfassung so geändert, dass Bourguiba nun bis an sein Lebensende für das Amt des Präsidenten kandidieren konnte - Wahlmanipulation und der praktische Ausschluss rivalisierender Kandidaten sicherten ihm ohnehin bei jedem Urnengang die absolute Mehrheit. Dass der erste Präsident Tunesiens trotz des Einparteiensystems lange Zeit populär blieb, lag auch an der Sozialgesetzgebung seines Regimes. Ein neues Familienrecht dämpfte den Einfluss herrschender Clans und schuf nicht nur die Grundlage für die Entstehung moderner Familienstrukturen, sondern bildete durch seine säkulare Ausrichtung auch den Ausgangspunkt für die Gleichberechtigung der Frauen.
Der Säkularismus war trotz des sozialistischen Etiketts der Staatspartei mehr mit nationalistischen als mit linken Elementen verbunden. Als die linksorientierten Gewerkschaften die Defizite im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik anprangerten, gerieten sie ins Visier des Regimes. Gegen sie und den erbittertsten Gegner des Staatssäkularismus, die islamistische Bewegung Tunesiens, ging Bourguiba ab Ende der siebziger Jahre zunehmend mit Gewalt vor.
Bei der Repression spielte Ben Ali als Sicherheitsbeamter eine zentrale Rolle. Ironischerweise waren es die durch steigende Preise bedingten öffentlichen Proteste des Jahres 1984 - ähnlich wie jüngst vor seinem Sturz -, die seinen Aufstieg begünstigten. Vom General und Oberbefehlshaber der tunesischen Sicherheitskräfte avancierte er binnen weniger Jahre erst zum Innenminister, dann zum Ministerpräsidenten. 1987 übernahm er die Macht, nachdem die ihm loyalen Sicherheitskräfte Bourguiba und seine engsten Mitarbeiter aus dem Präsidentenpalast in Karthago verjagt hatten. Ben Ali kannte die Schwächen des Vorgängerregimes, und schon bald wurde klar, dass er aus den Fehlern des ersten Staatspräsidenten gelernt hatte. So machte er die von Bourguiba geschaffenen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine unbegrenzte Präsidentschaft rückgängig.
Sein anfängliches Versprechen eines politischen Pluralismus löste er zwar nicht wirklich ein, vermochte jedoch den Eindruck zu erzeugen, dass es einen solchen zumindest im Ansatz gab. So wurden zwar neue wie verbotene Parteien wieder zugelassen, die Wahlregelung aber, die Quote von fünfzig Prozent als Garant der absoluten Mehrheit, wurde weiter beibehalten. 1988 benannte Ben Ali die einstige Destour-Partei, deren bis dahin marginalisierte Dissidenten er zu seinen Verbündeten machte, in "Demokratisch-konstitutionellen Zusammenschluss" (RCD) um, wobei er die Partei zugleich zu einem bloßen Instrument seiner Herrschaft degradierte: Ihrem Generalsekretär fielen von nun an nur noch organisatorische Aufgaben zu, die Mitglieder ihres Politbüros ernannte der Präsident. Hatte sich sein Vorgänger einst als nationaler Befreier in Szene gesetzt, stilisierte sich der neue Herrscher zum Retter des säkularen Staates, der sich neuerdings mit islamischen Symbolen schmückte, während seine Geheimpolizei die einheimische islamistische Nahda-Bewegung brutal verfolgte.
Vor allem in dieser Regierungsphase Anfang der neunziger Jahre wurde der inländische Sicherheitsdienst "mukhabarat" ausgebaut, der schon bald mit Razzien, Verhaftungen und Folter vorging. Da er sich seiner politischen Macht nun sicher fühlte, gewährte Ben Ali 1994 der - nurmehr säkularen - Opposition im Parlament die für ihn ungefährliche Mandatsquote von 14 Prozent. Diese Maßnahme zeitigte Wirkung, markierte sie langfristig doch die Oppositionsparteien als Teil des "Systems Ben Ali" und machte sie dadurch letztlich unglaubwürdig.
Tatsächlich verkümmerten sie mit der Zeit zu, wie Erdle es formuliert, zahnlosen politischen Klubs. Den letzten Rest an Widerstand in seiner Partei brach Ben Ali Ende der neunziger Jahre durch eine forcierte Verjüngung der Regierungselite, aus der die verbliebenen politischen Größen der Ära Bourguiba verbannt wurden. Anders als sie rekrutierte sich die neue Elite aus Absolventen staatlicher Ausbildungsstätten, deren Arbeit - ähnlich wie die gelenkte Presse - vom Regime überwacht wurde. Mit Hilfe dieser neuen, im Wesentlichen ökonomisch orientierten Bildungsschicht, unter der sich für arabische Verhältnisse auch ungewöhnlich viele Frauen fanden, wurde die tunesische Wirtschaft für den Weltmarkt geöffnet, man vertiefte den Handel mit der Europäischen Union. Mehr als eine Teilöffnung und -privatisierung des heimischen Marktes bewirkte dieser Kurs allerdings nicht. Denn Ben Ali sorgte dafür, dass der Staat seine ökonomische Vormacht behielt, womit die Bildung regimeunabhängiger Wirtschaftseliten verhindert wurde. Auch konnte so die neue Unternehmerschaft besser kontrolliert werden, während sich ein enger Kreis von Ben Alis Schützlingen - seine Angehörigen sowie Mitarbeiter des zu einer Herrschaftszentrale ausgebauten Präsidentenpalasts - durch die Ausbeutung staatlicher Ressourcen bereicherte. Erdle führt die Stabilität des Regimes auf dessen Fähigkeit zurück, politische Unterdrückung mit der Verheißung wirtschaftlichen Aufstiegs zu kompensieren. Davon profitierten zuletzt nur noch die wenigsten - die anderen trieb die Not auf die Straße.
JOSEPH CROITORU
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main