Peter Seewald "gilt als einer der besten Kenner von Papst Benedikt XVI.", stellte die Wochenzeitung Die Zeit fest. Nun legt Peter Seewald die lang erwartete große Biographie des emeritierten und kürzlich verstorbenen Papstes Joseph Ratzinger vor.
Er zeichnet den Werdegang des späteren Papstes Benedikt XVI. von dessen Geburt in Marktl am Inn bis zu seinem Rücktritt vom Amt des Papstes nach. Mehr als ein halbes Jahrhundert stand "der deutsche Papst" im Licht der Öffentlichkeit:
- als Theologie-Professor in Münster, Bonn, Tübingen und Regensburg,
- als Konzilstheologe und Redenschreiber für Kardinal Frings auf dem II. Vatikanischen Konzil,
- als Erzbischof von München,
- als Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom
- und schließlich als Papst Benedikt XVI.
Er hat den Aufbruch der Katholischen Kirche in Rom vor Ort mitgestaltet; er hat als Professor in Tübingen die Studentenunruhen um 1968 herum erlebt; er war mehr als 20 Jahre lang einer der engsten Vertrauten von Papst Johannes Paul II. und in dieser Stellung Zeuge der politischen Umwälzungen in Osteuropa; und er hat 2013 mit seinem Rücktritt ein Zeichen gesetzt, das das Amt des Papstes ein für alle Mal verändert hat.
Kurzum: Joseph Ratzinger ist eine Person der Zeitgeschichte. Dass er als Deutscher zum Papst gewählt wurde, war ein Jahrhundertereignis.
Kein Journalist oder Autor kennt Joseph Ratzinger besser als Peter Seewald. Er hat für dieses Buch viele Stunden lang mit Joseph Ratzinger gesprochen und konnte aus einem reichen Fundus von Aufzeichnungen schöpfen aus der gemeinsamen Arbeit mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. an insgesamt vier Gesprächsbüchern, die allesamt internationale Bestseller waren.
Peter Seewald konnte für diese Biographie auch mit engen Weggefährten wie Georg Gänswein und dem Bruder Georg Ratzinger sprechen.
Auf diese Weise entstand das lebendige Bild eines streitbaren Theologen und Dieners der römisch-katholischen Kirche, das JosephRatzinger in einem neuen Licht zeigt und Maßstäbe setzt.
Er zeichnet den Werdegang des späteren Papstes Benedikt XVI. von dessen Geburt in Marktl am Inn bis zu seinem Rücktritt vom Amt des Papstes nach. Mehr als ein halbes Jahrhundert stand "der deutsche Papst" im Licht der Öffentlichkeit:
- als Theologie-Professor in Münster, Bonn, Tübingen und Regensburg,
- als Konzilstheologe und Redenschreiber für Kardinal Frings auf dem II. Vatikanischen Konzil,
- als Erzbischof von München,
- als Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom
- und schließlich als Papst Benedikt XVI.
Er hat den Aufbruch der Katholischen Kirche in Rom vor Ort mitgestaltet; er hat als Professor in Tübingen die Studentenunruhen um 1968 herum erlebt; er war mehr als 20 Jahre lang einer der engsten Vertrauten von Papst Johannes Paul II. und in dieser Stellung Zeuge der politischen Umwälzungen in Osteuropa; und er hat 2013 mit seinem Rücktritt ein Zeichen gesetzt, das das Amt des Papstes ein für alle Mal verändert hat.
Kurzum: Joseph Ratzinger ist eine Person der Zeitgeschichte. Dass er als Deutscher zum Papst gewählt wurde, war ein Jahrhundertereignis.
Kein Journalist oder Autor kennt Joseph Ratzinger besser als Peter Seewald. Er hat für dieses Buch viele Stunden lang mit Joseph Ratzinger gesprochen und konnte aus einem reichen Fundus von Aufzeichnungen schöpfen aus der gemeinsamen Arbeit mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. an insgesamt vier Gesprächsbüchern, die allesamt internationale Bestseller waren.
Peter Seewald konnte für diese Biographie auch mit engen Weggefährten wie Georg Gänswein und dem Bruder Georg Ratzinger sprechen.
Auf diese Weise entstand das lebendige Bild eines streitbaren Theologen und Dieners der römisch-katholischen Kirche, das JosephRatzinger in einem neuen Licht zeigt und Maßstäbe setzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2020Das letzte Wort behält der Titelheld
Das Leben des Joseph Ratzinger - überaus wohlwollend erzählt von Peter Seewald
Das Leben des Joseph Ratzinger bietet reichlich Stoff für eine packende Biographie: Der Sohn eines bayerischen Gendarmen wurde 2005 als erster Deutscher seit dem Mittelalter Papst - oder, je nach Definition, seit der frühen Neuzeit. Und er trat als erster Papst seit Jahrhunderten aus freien Stücken zurück; als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er zuvor 24 Jahre lang eines der wichtigsten Ämter im Vatikan inne, und als Berater des Kölner Kardinals Josef Frings war er einer der prägenden Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den sechziger Jahren. Hinzu kommt ein kurzes Intermezzo als Erzbischof von München und Freising. Wenn die neue, rund 1100 Seiten umfassende Ratzinger-Biographie des Journalisten Peter Seewald der Erwartung einer packenden Erzählung nicht gerecht wird, dann liegt das vor allem daran, dass Seewald so vorgeht, wie in den vier Interview-Büchern mit seinem Protagonisten: Das letzte Wort überlässt er stets Benedikt XVI. Was in einem Interview in der Natur der journalistischen Sache liegt, lässt seine Biographie zur Apologie werden. Auf unabhängige Quellen und Gewährsleute, welche die Sicht Benedikts XVI. hinterfragen könnten, verzichtet der Autor.
Exemplarisch zeigt sich dieses Defizit an Seewalds Umgang mit einer Frage, an der kein Ratzinger-Biograph vorbeikommt: Wie kam es dazu, dass aus dem jungen progressiven Theologie-Professor Joseph Ratzinger, der die Abschaffung des Zölibats forderte und für einen Aufbruch in der katholischen Kirche stand, jener Präfekt der Glaubenskongregation wurde, der vor allem wegen seines Vorgehens gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie den Beinamen "Panzerkardinal" erhielt? Und später jener Papst, der sich von früheren Positionen distanzierte und sie vergessen machen wollte? Seewald verweist zu Recht darauf, dass auch der junge Ratzinger nie ein Bilderstürmer gewesen sei. Und man könnte hinzufügen, dass der spätere Kardinal Ratzinger nicht so viel konservativer war als der damals handelsübliche vatikanische Monsignore. Dennoch lässt sich eine Veränderung kaum leugnen. Seewald setzt alles daran, die verbreitete "Legende" zu widerlegen, dass es die Achtundsechziger-Bewegung gewesen sei, die Ratzinger, der damals in Tübingen lehrte, so nachhaltig traumatisiert habe, dass er zum theologischen Hardliner geworden sei, weil er die Kirche in ihren Grundfesten bedroht sah. Diese Lesart stützt sich vor allem auf Ratzingers früheren Tübinger Kollegen und späteren Widersacher Hans Küng.
Seewald hat dazu akribisch Äußerungen von Zeitzeugen gesammelt, die Ratzingers Dialogbereitschaft gegenüber den studentischen Revoluzzern belegen sollen und Küngs allzu selbstgefälliger Darstellung widersprechen, Ratzinger habe sich damals im Gegensatz zu ihm, Küng, erschrocken ins Studierzimmer zurückgezogen und sei dann ins beschauliche Regensburg geflüchtet. So verdienstvoll diese alternative Rekonstruktion der Tübinger Zeit Ratzingers sein mag, die entscheidende Frage bleibt bei Seewald bezeichnenderweise offen, ja, er stellt sie nicht einmal: Wie erklärt sich dann, dass Benedikt XVI. auch nach Jahrzehnten geradezu obsessiv das Feindbild der Achtundsechziger-Bewegung heraufbeschwört? Zuletzt erregte er im vorigen Jahr mit einem Aufsatz Aufsehen, in dem er der Achtundsechziger-Bewegung eine Mitschuld am massenhaften sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gab. Seewald zitiert stattdessen aus seinem letzten Interview-Buch mit dem emeritierten Papst. "War die Studentenrebellion ein Trauma für Sie?, hatte er wissen wollen. Die Antwort Benedikts XVI.: "Überhaupt nicht." Damit ist das Thema für Seewald in seiner Ratzinger-Biographie erledigt.
Diese Vorgehensweise schmälert auch den Erkenntnisgewinn der Kapitel über das Pontifikat Ratzingers von 2005 bis 2013 und seinen Rücktritt erheblich. Seewald diagnostiziert nach einem anfänglichen "Benedetto-Fieber", das seinen Höhepunkt im August 2005 mit dem Weltjugendtag in Köln erreichte und spätestens mit der Regensburger Rede im September 2006 verflogen war, die unter Muslimen weltweit Proteste hervorrief wegen eines Zitats über das Verhältnis des Islams zur Gewalt, einen "Bruch" im Jahr 2009.
Hervorgerufen worden sei er durch die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X., unter denen sich der Holocaust-Leugner Richard Williamson befand. Dies sei die "Sollbruchstelle" gewesen, "durch die das Pontifikat des Deutschen kippte - mit Erschöpfungserscheinungen, die in ihrer letzten Konsequenz zur historischen Entscheidung der Demission führten", resümiert Seewald. Die Datierung dieser Zäsur überzeugt, die Schilderung der Affäre selbst nicht: Auch hier übernimmt Seewald von vornherein vorbehaltlos die Sichtweise Benedikts XVI., dass es sich hierbei um eine Propagandaschlacht gegen seine Person gehandelt habe, und nur das Krisenmanagement im Vatikan mangelhaft gewesen sei. Seewald bemüht hier sogar den gewagten Vergleich mit der Dreyfus-Affäre in Frankreich. Seewalds Biographie ist handwerklich gut geschrieben und durchaus informativ. Aber ihr fehlt der große erzählerische Atem. Das Kapitel über Ratzingers Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation etwa beginnt mit einem historischen Exkurs über die Geschichte der heiligen Inquisition, die wie Seewald bemerkt, "maßvoller als so manche Inquisitoren in der modernen Medienwelt" gewesen sei. Den einzigen Fehler, den Benedikt XVI. in Seewalds Sicht während seines Pontifikats begangen hat, ist, dass er in "Nibelungentreue" zu Freunden und zu ihm ergebenen Mitarbeitern gestanden hat, von denen er sich besser getrennt hätte, allen voran Tarcisio Bertone, der als Kardinalstaatssekretär bis zum Rücktritt sein ranghöchster Mitarbeiter war.
In seiner Biographie lässt Seewald, wie viele engagierte Verteidiger Benedikts XVI., etwas außer Acht: Nur weil Benedikt in Medien verzerrt oder falsch dargestellt wurde, muss das noch lange nicht bedeuten, dass seine eigene Sicht der Dinge immer richtig ist. Dass die Berichterstattung über Benedikt XVI. seiner Person oft nicht gerecht wurde, lässt sich kaum bestreiten. Dass die Schuld daran ausschließlich die Medien und ein schlechtes Krisenmanagement des Vatikans tragen sollen, bleibt hingegen auch nach 1100 Seiten eine unbelegte Behauptung Seewalds - und Benedikts XVI.
THOMAS JANSEN
Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben.
Droemer Knaur Verlag, München 2020. 1184 S., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Leben des Joseph Ratzinger - überaus wohlwollend erzählt von Peter Seewald
Das Leben des Joseph Ratzinger bietet reichlich Stoff für eine packende Biographie: Der Sohn eines bayerischen Gendarmen wurde 2005 als erster Deutscher seit dem Mittelalter Papst - oder, je nach Definition, seit der frühen Neuzeit. Und er trat als erster Papst seit Jahrhunderten aus freien Stücken zurück; als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er zuvor 24 Jahre lang eines der wichtigsten Ämter im Vatikan inne, und als Berater des Kölner Kardinals Josef Frings war er einer der prägenden Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den sechziger Jahren. Hinzu kommt ein kurzes Intermezzo als Erzbischof von München und Freising. Wenn die neue, rund 1100 Seiten umfassende Ratzinger-Biographie des Journalisten Peter Seewald der Erwartung einer packenden Erzählung nicht gerecht wird, dann liegt das vor allem daran, dass Seewald so vorgeht, wie in den vier Interview-Büchern mit seinem Protagonisten: Das letzte Wort überlässt er stets Benedikt XVI. Was in einem Interview in der Natur der journalistischen Sache liegt, lässt seine Biographie zur Apologie werden. Auf unabhängige Quellen und Gewährsleute, welche die Sicht Benedikts XVI. hinterfragen könnten, verzichtet der Autor.
Exemplarisch zeigt sich dieses Defizit an Seewalds Umgang mit einer Frage, an der kein Ratzinger-Biograph vorbeikommt: Wie kam es dazu, dass aus dem jungen progressiven Theologie-Professor Joseph Ratzinger, der die Abschaffung des Zölibats forderte und für einen Aufbruch in der katholischen Kirche stand, jener Präfekt der Glaubenskongregation wurde, der vor allem wegen seines Vorgehens gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie den Beinamen "Panzerkardinal" erhielt? Und später jener Papst, der sich von früheren Positionen distanzierte und sie vergessen machen wollte? Seewald verweist zu Recht darauf, dass auch der junge Ratzinger nie ein Bilderstürmer gewesen sei. Und man könnte hinzufügen, dass der spätere Kardinal Ratzinger nicht so viel konservativer war als der damals handelsübliche vatikanische Monsignore. Dennoch lässt sich eine Veränderung kaum leugnen. Seewald setzt alles daran, die verbreitete "Legende" zu widerlegen, dass es die Achtundsechziger-Bewegung gewesen sei, die Ratzinger, der damals in Tübingen lehrte, so nachhaltig traumatisiert habe, dass er zum theologischen Hardliner geworden sei, weil er die Kirche in ihren Grundfesten bedroht sah. Diese Lesart stützt sich vor allem auf Ratzingers früheren Tübinger Kollegen und späteren Widersacher Hans Küng.
Seewald hat dazu akribisch Äußerungen von Zeitzeugen gesammelt, die Ratzingers Dialogbereitschaft gegenüber den studentischen Revoluzzern belegen sollen und Küngs allzu selbstgefälliger Darstellung widersprechen, Ratzinger habe sich damals im Gegensatz zu ihm, Küng, erschrocken ins Studierzimmer zurückgezogen und sei dann ins beschauliche Regensburg geflüchtet. So verdienstvoll diese alternative Rekonstruktion der Tübinger Zeit Ratzingers sein mag, die entscheidende Frage bleibt bei Seewald bezeichnenderweise offen, ja, er stellt sie nicht einmal: Wie erklärt sich dann, dass Benedikt XVI. auch nach Jahrzehnten geradezu obsessiv das Feindbild der Achtundsechziger-Bewegung heraufbeschwört? Zuletzt erregte er im vorigen Jahr mit einem Aufsatz Aufsehen, in dem er der Achtundsechziger-Bewegung eine Mitschuld am massenhaften sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gab. Seewald zitiert stattdessen aus seinem letzten Interview-Buch mit dem emeritierten Papst. "War die Studentenrebellion ein Trauma für Sie?, hatte er wissen wollen. Die Antwort Benedikts XVI.: "Überhaupt nicht." Damit ist das Thema für Seewald in seiner Ratzinger-Biographie erledigt.
Diese Vorgehensweise schmälert auch den Erkenntnisgewinn der Kapitel über das Pontifikat Ratzingers von 2005 bis 2013 und seinen Rücktritt erheblich. Seewald diagnostiziert nach einem anfänglichen "Benedetto-Fieber", das seinen Höhepunkt im August 2005 mit dem Weltjugendtag in Köln erreichte und spätestens mit der Regensburger Rede im September 2006 verflogen war, die unter Muslimen weltweit Proteste hervorrief wegen eines Zitats über das Verhältnis des Islams zur Gewalt, einen "Bruch" im Jahr 2009.
Hervorgerufen worden sei er durch die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X., unter denen sich der Holocaust-Leugner Richard Williamson befand. Dies sei die "Sollbruchstelle" gewesen, "durch die das Pontifikat des Deutschen kippte - mit Erschöpfungserscheinungen, die in ihrer letzten Konsequenz zur historischen Entscheidung der Demission führten", resümiert Seewald. Die Datierung dieser Zäsur überzeugt, die Schilderung der Affäre selbst nicht: Auch hier übernimmt Seewald von vornherein vorbehaltlos die Sichtweise Benedikts XVI., dass es sich hierbei um eine Propagandaschlacht gegen seine Person gehandelt habe, und nur das Krisenmanagement im Vatikan mangelhaft gewesen sei. Seewald bemüht hier sogar den gewagten Vergleich mit der Dreyfus-Affäre in Frankreich. Seewalds Biographie ist handwerklich gut geschrieben und durchaus informativ. Aber ihr fehlt der große erzählerische Atem. Das Kapitel über Ratzingers Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation etwa beginnt mit einem historischen Exkurs über die Geschichte der heiligen Inquisition, die wie Seewald bemerkt, "maßvoller als so manche Inquisitoren in der modernen Medienwelt" gewesen sei. Den einzigen Fehler, den Benedikt XVI. in Seewalds Sicht während seines Pontifikats begangen hat, ist, dass er in "Nibelungentreue" zu Freunden und zu ihm ergebenen Mitarbeitern gestanden hat, von denen er sich besser getrennt hätte, allen voran Tarcisio Bertone, der als Kardinalstaatssekretär bis zum Rücktritt sein ranghöchster Mitarbeiter war.
In seiner Biographie lässt Seewald, wie viele engagierte Verteidiger Benedikts XVI., etwas außer Acht: Nur weil Benedikt in Medien verzerrt oder falsch dargestellt wurde, muss das noch lange nicht bedeuten, dass seine eigene Sicht der Dinge immer richtig ist. Dass die Berichterstattung über Benedikt XVI. seiner Person oft nicht gerecht wurde, lässt sich kaum bestreiten. Dass die Schuld daran ausschließlich die Medien und ein schlechtes Krisenmanagement des Vatikans tragen sollen, bleibt hingegen auch nach 1100 Seiten eine unbelegte Behauptung Seewalds - und Benedikts XVI.
THOMAS JANSEN
Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben.
Droemer Knaur Verlag, München 2020. 1184 S., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Peter Seewald ist mit seiner Ratzinger-Biographie ein großer Wurf gelungen, an dem weder die Theologie noch die Zeitgeschichte vorbeigehen können." Die Tagespost 20200508
Das Gefäß Gottes
Ehrfurcht und Demut: Peter Seewalds tausendseitige Biografie von
Benedikt XVI. kommt weitgehend ohne Kritik aus
VON RUDOLF NEUMAIER
Peter Seewald, 65, hat ein mehr als tausend Seiten dickes Buch über Papst Benedikt XVI. geschrieben. Bei Gelehrten heißen solche Publikationen, wenn die wissenschaftliche Genialität mit dem Umfang korrespondiert, Opus magnum. Bei journalistischen Autoren, wie Seewald immer einer geblieben ist, wäre das etwas übertrieben. Wohl mit Fug und Recht kann man es aber als Hauptwerk in Seewalds durchaus umfangreichem Ratzinger-Œuvre bezeichnen. Es steckt nicht nur voller Detailwissen über den Werdegang des Oberklerikers und Übertheologen, vielmehr quillt aus jeder Zeile auch Herzblut in einem Maß hervor, dass man als Katholik fast Sünden fürchten müsste, wenn man Kritik übte an dieser Heiligenverehrung.
Keine Frage, eines Tages werden sich Theologen aus der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse auch mit der Causa Ratzinger, Joseph Aloisius alias Benedikt XVI. zu beschäftigen haben. Denn dass Heilige Väter zur Ehre der Altäre erhoben werden, ist in letzter Zeit üblich geworden – bei Johannes Paul II. hieß es schon wenige Augenblicke nach dem Ableben „santo subito“. Also werden sich die vatikanischen Heiligsprechungsforscher pflichtgemäß auch über Peter Seewalds Ratzinger-Biografie beugen und sie werden darin unter anderem lesen, dass Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 morgens in seinem Gemach „mit seinen kleinen Schritten mal hierhin, mal dahin“ trippelte und dass sein Vorvorvorvorvorgänger Pius XII. sich bei offenem Fenster elektrisch rasiert hatte, wobei jeden Morgen ein Singvogel herbeiflog, dem Pius den Kosenamen Gretel gab.
Elektro-Rasierapparat? Pius XII.? Gretel? Auch wenn sich Peter Seewald über die Morgentoilette Benedikts und die Vorlieben bei der Rasur bedeckter hält, muss man staunend anerkennen: Er ist Vatikan-Insider. Oft gibt er den Anschein, als wäre er physisch zugegen gewesen, wenn er Geschehnisse anschaulich macht. Da geht dem Reporter gern mal die Fantasie durch. Letztlich muss man darauf vertrauen, dass er über tragfähige Kenntnisse verfügt, wenn er seinen szenischen Kapiteleinstieg mit den kleinen Trippelschritten in diese Einschätzung münden lässt wie in eine Pointe: „Es ist der schwerste Tag in seiner achtjährigen Amtszeit. Vielleicht sogar der schwerste im Leben.“
Am 11. Februar 2013, einem Rosenmontag, verkündete Benedikt XVI. seine Demission. Welche Gründe ihn wirklich zu dieser seinerzeit sensationellen Entscheidung motivierten, was ihm die Kraft raubte, der anstrengenden Arbeit weiterhin nachzugehen, bleibt auch in diesem Wälzer des Haus- und Hofjournalisten Seewald im Dunkeln. Seewald gibt dem Skandal um den Kammerdiener Gabriele viel Gewicht, der geheime Dokumente aus dem päpstlichen Büro in die Öffentlichkeit schmuggelte. Aber dieses Episödchen kann unmöglich einen Fels ins Wanken gebracht haben, auf den die Kirche gebaut war.
Am Ende waren womöglich die Medien schuld. Seewald schreibt zu Beginn des 71. von 74 Kapiteln: „Es war nicht zu übersehen, dass sich das durch die Medien geprägte Image des Papstes zum entscheidenden Problem des Pontifikats entwickelt hatte.“ Die Frage, was zuerst da war, die Arroganz der Kirche oder die Ignoranz der Medien, das Huhn oder das Ei, diese Frage ist bislang weder dogmatisch noch fundamentaltheologisch hinreichend beantwortet. Seewald blendet sie in seinem phasenweise erbaulichen Heldenepos aus.
Joseph Ratzinger ist eine Erscheinung, vor der Ehrfurcht haben kann, wer zur Demut gegenüber Koryphäen fähig ist. Von Startheologen wie Hans Urs von Balthasar bis hin zu Kommilitonen wie Josef Finkenzeller bietet Seewald jeden auf, der die Genialität und die Integrität Ratzingers bezeugen kann. Trotz oder gerade wegen seines Heiligvatertums, das er mit Gewändern und Zeichen, mit barocken Äußerlichkeiten zelebrieren ließ, hätte dieser Gottesdenker eine kritischere Biografie verdient. Ob der Emeritus aus dem Kloster Mater Ecclesiae etwas anfangen kann mit Seewalds panegyrischem Werk? Andererseits weiß man, und die Lektüre bestätigt es, dass Joseph Ratzinger stets loyal zu allen war, die seine Ansichten vertraten und ihm schmeichelten. Wenn in Seewalds Hagiografie überhaupt so etwas wie eine zarte Bemängelung von Fehlern vernehmbar ist, dann sind es diese auf Zitate gestützten Befunde.
Den Ratzinger-Schüler und Judaistik-Professor Peter Kuhn lässt er sagen, Benedikts Schwäche liege „einfach in der Auswahl seiner Mitarbeiter. Das war schon immer so“. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Bildungskongregation attestiert dem Papst eine „gewisse Eigenbrötelei, die er schon als Schüler an sich entdeckte. Eine gewisse Unbeholfenheit ist geblieben“.
Joseph Ratzinger und sein Bruder Georg stammen aus einer Priestergeneration, die im Wesentlichen vom Glauben geprägt ist, der geweihte Geistliche sei ein Gefäß Gottes. Wer dieses Selbstverständnis nicht in aller Gebühr zu respektieren weiß, gilt ihnen als ungeistig. Oder, noch schlimmer, als ein dem widerlichen Zeitgeist verfallenes Subjekt. Dass auch Gefäße Gottes menschliche Schwächen aufweisen und sogar monströse Taten begehen können, passt nicht in ihr frommes Weltbild. Symptomatisch ist Georgs Verhalten, als er in seiner Eigenschaft als Regensburger Domkapellmeister von brutalen Übergriffen eines Priesters in der Domspatzen-Vorschule erfährt. Er unternimmt nichts, er lässt es geschehen. Seewald erwähnt das der Vollständigkeit halber.
Ähnlich wie bei Georg ist es bei seinem Bruder Joseph, als er als Erzbischof in München waltet. Aus der Diözese Essen wird in seinem Episkopat ein pädophiler Priester übernommen. In Oberbayern sollte dieser Mann erneut Kinder sexuell missbrauchen. Laut Seewald wusste Ratzinger nichts vom weiteren Einsatz des Priesters in der Seelsorge – und folglich auch nichts von weiteren Übergriffen. Nach neueren Recherchen des Journalisten-Netzwerks Correctiv.org hätte ihm dies jedoch keineswegs entgehen dürfen – wenn ihn diese Angelegenheit interessiert hätte. Näheres dazu dürfte man wahrscheinlich in anderen Ratzinger-Biografien erfahren.
Für Peter Seewald sind solche Recherchen Teil einer Kampagne. Bei ihm liest es sich, als sei Ratzinger Opfer eines Komplotts seines Lebensantipoden Hans Küng, dem Tübinger Theologen, dem die Kirche die Lehrbefugnis entzog, mit den Medien – allen voran mit dem Spiegel, aber auch mit den TV-Sendern und mit der Süddeutschen Zeitung.
Seewald, der ehemalige Redakteur von Spiegel, Stern und SZ-Magazin und nun längst bekehrte Autor, zitiert Überschriften von Artikeln, mit denen die Meute seinen Protagonisten über die Jahrzehnte die Medienhölle auf Erden bereitete. Immer wurde er übelst missdeutet, und immer wurde nur das aus seinen Ansprachen exzerpiert, was sich für Bloßstellungen eignete. Meint Seewald. Wird die Nachwelt seine Sichtweise teilen, so ist Benedikt XVI. später einmal als katholischer Märtyrer zu verehren.
Es ist schon seltsam: Auf der einen Seite wird Ratzinger allenthalben für die Schönheit und Klarheit seiner Sprache vergöttert und für die Poesie seiner Worte. Auf der anderen Seite haben viele seiner Äußerungen Menschen brüskiert oder zumindest irritiert, sie boten Angriffs- und Interpretationsmöglichkeiten. Wie geht das zusammen? Womöglich hat sich der verkörperte Anti-Zeitgeist doch nicht klar und unmissverständlich genug artikuliert.
Peter Seewald hat recherchiert, wie er es als Magazinjournalist gelernt hat, und das Material gesammelt. Es würde nicht verwundern, wenn sein Ratzinger-Archiv schon ein ganzes Einfamilienhaus füllte. In seinem Buch gibt er alles von dem preis, was er von Ratzinger hält: Er verehrt ihn uneingeschränkt. Doch es kommt der Verdacht auf, dass Seewald über manches vatikanische Netzwerk besser Bescheid weiß, als er zugibt – und diskret schwieg. Aus Rücksicht? Aus Ergebenheit?
Die Biografie des Joseph Ratzinger, der Papst Benedikt XVI. wurde, ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Es sind noch zu viele Fragen offen. Und zum Glück lebt Benedikt noch, und der liebe Gott möge diesem bescheidenen Gottesdiener noch viele glückliche Tage auf Erden bescheren.
Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben. Droeme Verlag, München 2020. 1150 Seiten, 38 Euro.
Oft hat man den Eindruck, der
Autor wäre in der Papstwohnung
physisch zugegen gewesen
Ein ehemaliger Mitarbeiter
attestiert dem Papst
eine „gewisse Eigenbrötelei“
Ratzinger wird für seine Klarheit
vergöttert, aber
trotzdem häufig missverstanden
Wenn sich die Theologen eines Tages mit der Heiligsprechung von Benedikt XVI. beschäftigen, werden sie in Peter Seewalds Buch reichlich Anschauungsmaterial finden.
Foto: Patrick Seeger / dpa
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Ehrfurcht und Demut: Peter Seewalds tausendseitige Biografie von
Benedikt XVI. kommt weitgehend ohne Kritik aus
VON RUDOLF NEUMAIER
Peter Seewald, 65, hat ein mehr als tausend Seiten dickes Buch über Papst Benedikt XVI. geschrieben. Bei Gelehrten heißen solche Publikationen, wenn die wissenschaftliche Genialität mit dem Umfang korrespondiert, Opus magnum. Bei journalistischen Autoren, wie Seewald immer einer geblieben ist, wäre das etwas übertrieben. Wohl mit Fug und Recht kann man es aber als Hauptwerk in Seewalds durchaus umfangreichem Ratzinger-Œuvre bezeichnen. Es steckt nicht nur voller Detailwissen über den Werdegang des Oberklerikers und Übertheologen, vielmehr quillt aus jeder Zeile auch Herzblut in einem Maß hervor, dass man als Katholik fast Sünden fürchten müsste, wenn man Kritik übte an dieser Heiligenverehrung.
Keine Frage, eines Tages werden sich Theologen aus der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse auch mit der Causa Ratzinger, Joseph Aloisius alias Benedikt XVI. zu beschäftigen haben. Denn dass Heilige Väter zur Ehre der Altäre erhoben werden, ist in letzter Zeit üblich geworden – bei Johannes Paul II. hieß es schon wenige Augenblicke nach dem Ableben „santo subito“. Also werden sich die vatikanischen Heiligsprechungsforscher pflichtgemäß auch über Peter Seewalds Ratzinger-Biografie beugen und sie werden darin unter anderem lesen, dass Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 morgens in seinem Gemach „mit seinen kleinen Schritten mal hierhin, mal dahin“ trippelte und dass sein Vorvorvorvorvorgänger Pius XII. sich bei offenem Fenster elektrisch rasiert hatte, wobei jeden Morgen ein Singvogel herbeiflog, dem Pius den Kosenamen Gretel gab.
Elektro-Rasierapparat? Pius XII.? Gretel? Auch wenn sich Peter Seewald über die Morgentoilette Benedikts und die Vorlieben bei der Rasur bedeckter hält, muss man staunend anerkennen: Er ist Vatikan-Insider. Oft gibt er den Anschein, als wäre er physisch zugegen gewesen, wenn er Geschehnisse anschaulich macht. Da geht dem Reporter gern mal die Fantasie durch. Letztlich muss man darauf vertrauen, dass er über tragfähige Kenntnisse verfügt, wenn er seinen szenischen Kapiteleinstieg mit den kleinen Trippelschritten in diese Einschätzung münden lässt wie in eine Pointe: „Es ist der schwerste Tag in seiner achtjährigen Amtszeit. Vielleicht sogar der schwerste im Leben.“
Am 11. Februar 2013, einem Rosenmontag, verkündete Benedikt XVI. seine Demission. Welche Gründe ihn wirklich zu dieser seinerzeit sensationellen Entscheidung motivierten, was ihm die Kraft raubte, der anstrengenden Arbeit weiterhin nachzugehen, bleibt auch in diesem Wälzer des Haus- und Hofjournalisten Seewald im Dunkeln. Seewald gibt dem Skandal um den Kammerdiener Gabriele viel Gewicht, der geheime Dokumente aus dem päpstlichen Büro in die Öffentlichkeit schmuggelte. Aber dieses Episödchen kann unmöglich einen Fels ins Wanken gebracht haben, auf den die Kirche gebaut war.
Am Ende waren womöglich die Medien schuld. Seewald schreibt zu Beginn des 71. von 74 Kapiteln: „Es war nicht zu übersehen, dass sich das durch die Medien geprägte Image des Papstes zum entscheidenden Problem des Pontifikats entwickelt hatte.“ Die Frage, was zuerst da war, die Arroganz der Kirche oder die Ignoranz der Medien, das Huhn oder das Ei, diese Frage ist bislang weder dogmatisch noch fundamentaltheologisch hinreichend beantwortet. Seewald blendet sie in seinem phasenweise erbaulichen Heldenepos aus.
Joseph Ratzinger ist eine Erscheinung, vor der Ehrfurcht haben kann, wer zur Demut gegenüber Koryphäen fähig ist. Von Startheologen wie Hans Urs von Balthasar bis hin zu Kommilitonen wie Josef Finkenzeller bietet Seewald jeden auf, der die Genialität und die Integrität Ratzingers bezeugen kann. Trotz oder gerade wegen seines Heiligvatertums, das er mit Gewändern und Zeichen, mit barocken Äußerlichkeiten zelebrieren ließ, hätte dieser Gottesdenker eine kritischere Biografie verdient. Ob der Emeritus aus dem Kloster Mater Ecclesiae etwas anfangen kann mit Seewalds panegyrischem Werk? Andererseits weiß man, und die Lektüre bestätigt es, dass Joseph Ratzinger stets loyal zu allen war, die seine Ansichten vertraten und ihm schmeichelten. Wenn in Seewalds Hagiografie überhaupt so etwas wie eine zarte Bemängelung von Fehlern vernehmbar ist, dann sind es diese auf Zitate gestützten Befunde.
Den Ratzinger-Schüler und Judaistik-Professor Peter Kuhn lässt er sagen, Benedikts Schwäche liege „einfach in der Auswahl seiner Mitarbeiter. Das war schon immer so“. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Bildungskongregation attestiert dem Papst eine „gewisse Eigenbrötelei, die er schon als Schüler an sich entdeckte. Eine gewisse Unbeholfenheit ist geblieben“.
Joseph Ratzinger und sein Bruder Georg stammen aus einer Priestergeneration, die im Wesentlichen vom Glauben geprägt ist, der geweihte Geistliche sei ein Gefäß Gottes. Wer dieses Selbstverständnis nicht in aller Gebühr zu respektieren weiß, gilt ihnen als ungeistig. Oder, noch schlimmer, als ein dem widerlichen Zeitgeist verfallenes Subjekt. Dass auch Gefäße Gottes menschliche Schwächen aufweisen und sogar monströse Taten begehen können, passt nicht in ihr frommes Weltbild. Symptomatisch ist Georgs Verhalten, als er in seiner Eigenschaft als Regensburger Domkapellmeister von brutalen Übergriffen eines Priesters in der Domspatzen-Vorschule erfährt. Er unternimmt nichts, er lässt es geschehen. Seewald erwähnt das der Vollständigkeit halber.
Ähnlich wie bei Georg ist es bei seinem Bruder Joseph, als er als Erzbischof in München waltet. Aus der Diözese Essen wird in seinem Episkopat ein pädophiler Priester übernommen. In Oberbayern sollte dieser Mann erneut Kinder sexuell missbrauchen. Laut Seewald wusste Ratzinger nichts vom weiteren Einsatz des Priesters in der Seelsorge – und folglich auch nichts von weiteren Übergriffen. Nach neueren Recherchen des Journalisten-Netzwerks Correctiv.org hätte ihm dies jedoch keineswegs entgehen dürfen – wenn ihn diese Angelegenheit interessiert hätte. Näheres dazu dürfte man wahrscheinlich in anderen Ratzinger-Biografien erfahren.
Für Peter Seewald sind solche Recherchen Teil einer Kampagne. Bei ihm liest es sich, als sei Ratzinger Opfer eines Komplotts seines Lebensantipoden Hans Küng, dem Tübinger Theologen, dem die Kirche die Lehrbefugnis entzog, mit den Medien – allen voran mit dem Spiegel, aber auch mit den TV-Sendern und mit der Süddeutschen Zeitung.
Seewald, der ehemalige Redakteur von Spiegel, Stern und SZ-Magazin und nun längst bekehrte Autor, zitiert Überschriften von Artikeln, mit denen die Meute seinen Protagonisten über die Jahrzehnte die Medienhölle auf Erden bereitete. Immer wurde er übelst missdeutet, und immer wurde nur das aus seinen Ansprachen exzerpiert, was sich für Bloßstellungen eignete. Meint Seewald. Wird die Nachwelt seine Sichtweise teilen, so ist Benedikt XVI. später einmal als katholischer Märtyrer zu verehren.
Es ist schon seltsam: Auf der einen Seite wird Ratzinger allenthalben für die Schönheit und Klarheit seiner Sprache vergöttert und für die Poesie seiner Worte. Auf der anderen Seite haben viele seiner Äußerungen Menschen brüskiert oder zumindest irritiert, sie boten Angriffs- und Interpretationsmöglichkeiten. Wie geht das zusammen? Womöglich hat sich der verkörperte Anti-Zeitgeist doch nicht klar und unmissverständlich genug artikuliert.
Peter Seewald hat recherchiert, wie er es als Magazinjournalist gelernt hat, und das Material gesammelt. Es würde nicht verwundern, wenn sein Ratzinger-Archiv schon ein ganzes Einfamilienhaus füllte. In seinem Buch gibt er alles von dem preis, was er von Ratzinger hält: Er verehrt ihn uneingeschränkt. Doch es kommt der Verdacht auf, dass Seewald über manches vatikanische Netzwerk besser Bescheid weiß, als er zugibt – und diskret schwieg. Aus Rücksicht? Aus Ergebenheit?
Die Biografie des Joseph Ratzinger, der Papst Benedikt XVI. wurde, ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Es sind noch zu viele Fragen offen. Und zum Glück lebt Benedikt noch, und der liebe Gott möge diesem bescheidenen Gottesdiener noch viele glückliche Tage auf Erden bescheren.
Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben. Droeme Verlag, München 2020. 1150 Seiten, 38 Euro.
Oft hat man den Eindruck, der
Autor wäre in der Papstwohnung
physisch zugegen gewesen
Ein ehemaliger Mitarbeiter
attestiert dem Papst
eine „gewisse Eigenbrötelei“
Ratzinger wird für seine Klarheit
vergöttert, aber
trotzdem häufig missverstanden
Wenn sich die Theologen eines Tages mit der Heiligsprechung von Benedikt XVI. beschäftigen, werden sie in Peter Seewalds Buch reichlich Anschauungsmaterial finden.
Foto: Patrick Seeger / dpa
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