Benjamin Britten (1913-1976) ist einer der meistgespielten Komponisten der Moderne. Diese Monographie beschreibt Leben und Werk_ Brittens Anfänge als Wunderkind und seine frühe Laufbahn als Pianist, seinen bedingungslosen Pazifismus, seinen ethisch begründeten Sozialismus, seine virtuose Anverwandlung der Musik Ostasiens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2008Als hätte er ein imaginäres Publikum vor sich
Benjamin Britten war ein Wunderkind, das der englischen Musik internationalen Ruhm verlieh. Norbert Abels hat nun eine umfassende Monographie über den Ausnahmekünstler geschrieben.
Als zweiter Orpheus Britannicus nach Henry Purcell ist Benjamin Britten in die Musikgeschichte eingegangen. Sein reiches Gesamtwerk, zumal viele seiner siebzehn Opern, gehört längst zum Zentralbestand des internationalen Spielbetriebs. Mit dem Sensationserfolg seiner ersten Oper "Peter Grimes" habe Britten, so konstatiert Ulrich Schreiber, "der englischen Musik mit einem Schlag wieder zu jener internationalen Geltung verholfen, die ihr mit Purcells Tod für genau zweieinhalb Jahrhunderte abhandengekommen war". Umso rätselhafter ist deshalb die Tatsache, dass es im deutschsprachigen Raum bisher keine umfassende Monographie über den Komponisten, Pianisten, Dirigenten und Festivalgründer gab - abgesehen von fundierten Essays, mit denen etwa Hans Heinz Stuckenschmidt, Martin Demmler oder Ulrich Schreiber im Britten-Kapitel seines Opernführers für Fortgeschrittene (2005) markante Spuren legten.
Mit einer konzisen Monographie füllt Norbert Abels, Professor an der Folkwang-Hochschule Essen und Chefdramaturg der Oper Frankfurt, eine Lücke. Seine Darstellung von Brittens Leben und Werk ist eine Klarstellung nach Brittens Vorbild, der mit seiner Musik Zusammenhänge "zu klären, zu verfeinern, zu sensibilisieren" versuchte. "Meine Technik besteht darin, alles Überflüssige zu beseitigen, um eine vollkommene Klarheit des Ausdrucks zu erreichen." Entsprechend schnörkellos, doch mit Einfühlung und Nachdruck des Miterlebenden erzählt Abels von Brittens Wunderkindheit, seinem nachhaltigen Kompositionsunterricht bei Frank Bridge, dem früh einsetzenden, nie abreißenden Strom der Kompositionen, der Karriere als bedeutender Pianist und Dirigent, der Gründung der "English Opera Group" und des bis heute florierenden Aldeburgh-Festivals, von seinen ausgedehnten Reisen bis nach Fernost und schließlich dem langen Leiden bis zum relativ frühen Tod 1976.
Aber wichtiger als solche Leit- und Leidlinien des Lebens sind dem Autor die manchmal verborgenen Hintergründe. Dazu gehören die von Abels "Die dunkle Seite" genannte schmerzliche, aufgezwungene Verdrängung seiner "anderen" Veranlagung und die gesellschaftliche Ächtung seiner Kunst- und Lebenspartnerschaft mit dem Tenor Peter Pears im besonders sittenstrengen England. Dazu gehört auch die symbiotische Beziehung zu seiner Mutter, die ihn an die Musik heranführte. Nach ihrem Tod 1937 suchte er lebenslang nach Ersatzgeborgenheit - bei Freunden, in seiner Festivalfamilie und im heimischen ostenglischen Suffolk, das er nie wirklich verließ. Nicht zufällig sind Brittens Opernfiguren oft gesellschaftlich Verstoßene, am Leben Zerbrechende.
Anschaulich schildert Abels Landschaft und soziales Milieu der kargen Grafschaft am naturgewaltigen Meer, dem Britten "das Ostinato in seinen Ohren" verdankt. Schlaglichter fallen auch auf politische Erfahrungen, die Britten zum Pazifisten werden ließen. Greifbarster musikalischer Ausdruck dieser Überzeugung ist das "War Requiem", in dem er seiner weiteren lebenslangen Passion frönt: der Widmung seiner Werke an bestimmte Künstler, die Brittens musikalische Vorstellungen umzusetzen vermochten.
Die zweite Hälfte des schmalen, aber konzentrierten Taschenbuchs ist, nach Gattungen geordnet, den Einzelanalysen fast sämtlicher Werke gewidmet. Hier leuchtet Brittens Universalität auf und seine Fähigkeit, die verschiedensten kompositorischen, geographischen, sozialen und persönlichen Erfahrungen kreativ in sein Werk einzuschmelzen. Dank jahrelanger Berufserfahrung und eines umfangreichen Wissens versteht sich der Autor auf die Kunst des lebendigen Vermittelns in "vollkommene(r) Klarheit des Ausdrucks", als hätte er ein imaginäres Publikum vor sich.
ELLEN KOHLHAAS
Norbert Abels: "Benjamin Britten". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. Rowohlt Monographien. 159 S., Farb- u. S/W-Abb., br., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Benjamin Britten war ein Wunderkind, das der englischen Musik internationalen Ruhm verlieh. Norbert Abels hat nun eine umfassende Monographie über den Ausnahmekünstler geschrieben.
Als zweiter Orpheus Britannicus nach Henry Purcell ist Benjamin Britten in die Musikgeschichte eingegangen. Sein reiches Gesamtwerk, zumal viele seiner siebzehn Opern, gehört längst zum Zentralbestand des internationalen Spielbetriebs. Mit dem Sensationserfolg seiner ersten Oper "Peter Grimes" habe Britten, so konstatiert Ulrich Schreiber, "der englischen Musik mit einem Schlag wieder zu jener internationalen Geltung verholfen, die ihr mit Purcells Tod für genau zweieinhalb Jahrhunderte abhandengekommen war". Umso rätselhafter ist deshalb die Tatsache, dass es im deutschsprachigen Raum bisher keine umfassende Monographie über den Komponisten, Pianisten, Dirigenten und Festivalgründer gab - abgesehen von fundierten Essays, mit denen etwa Hans Heinz Stuckenschmidt, Martin Demmler oder Ulrich Schreiber im Britten-Kapitel seines Opernführers für Fortgeschrittene (2005) markante Spuren legten.
Mit einer konzisen Monographie füllt Norbert Abels, Professor an der Folkwang-Hochschule Essen und Chefdramaturg der Oper Frankfurt, eine Lücke. Seine Darstellung von Brittens Leben und Werk ist eine Klarstellung nach Brittens Vorbild, der mit seiner Musik Zusammenhänge "zu klären, zu verfeinern, zu sensibilisieren" versuchte. "Meine Technik besteht darin, alles Überflüssige zu beseitigen, um eine vollkommene Klarheit des Ausdrucks zu erreichen." Entsprechend schnörkellos, doch mit Einfühlung und Nachdruck des Miterlebenden erzählt Abels von Brittens Wunderkindheit, seinem nachhaltigen Kompositionsunterricht bei Frank Bridge, dem früh einsetzenden, nie abreißenden Strom der Kompositionen, der Karriere als bedeutender Pianist und Dirigent, der Gründung der "English Opera Group" und des bis heute florierenden Aldeburgh-Festivals, von seinen ausgedehnten Reisen bis nach Fernost und schließlich dem langen Leiden bis zum relativ frühen Tod 1976.
Aber wichtiger als solche Leit- und Leidlinien des Lebens sind dem Autor die manchmal verborgenen Hintergründe. Dazu gehören die von Abels "Die dunkle Seite" genannte schmerzliche, aufgezwungene Verdrängung seiner "anderen" Veranlagung und die gesellschaftliche Ächtung seiner Kunst- und Lebenspartnerschaft mit dem Tenor Peter Pears im besonders sittenstrengen England. Dazu gehört auch die symbiotische Beziehung zu seiner Mutter, die ihn an die Musik heranführte. Nach ihrem Tod 1937 suchte er lebenslang nach Ersatzgeborgenheit - bei Freunden, in seiner Festivalfamilie und im heimischen ostenglischen Suffolk, das er nie wirklich verließ. Nicht zufällig sind Brittens Opernfiguren oft gesellschaftlich Verstoßene, am Leben Zerbrechende.
Anschaulich schildert Abels Landschaft und soziales Milieu der kargen Grafschaft am naturgewaltigen Meer, dem Britten "das Ostinato in seinen Ohren" verdankt. Schlaglichter fallen auch auf politische Erfahrungen, die Britten zum Pazifisten werden ließen. Greifbarster musikalischer Ausdruck dieser Überzeugung ist das "War Requiem", in dem er seiner weiteren lebenslangen Passion frönt: der Widmung seiner Werke an bestimmte Künstler, die Brittens musikalische Vorstellungen umzusetzen vermochten.
Die zweite Hälfte des schmalen, aber konzentrierten Taschenbuchs ist, nach Gattungen geordnet, den Einzelanalysen fast sämtlicher Werke gewidmet. Hier leuchtet Brittens Universalität auf und seine Fähigkeit, die verschiedensten kompositorischen, geographischen, sozialen und persönlichen Erfahrungen kreativ in sein Werk einzuschmelzen. Dank jahrelanger Berufserfahrung und eines umfangreichen Wissens versteht sich der Autor auf die Kunst des lebendigen Vermittelns in "vollkommene(r) Klarheit des Ausdrucks", als hätte er ein imaginäres Publikum vor sich.
ELLEN KOHLHAAS
Norbert Abels: "Benjamin Britten". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. Rowohlt Monographien. 159 S., Farb- u. S/W-Abb., br., 8,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als verdienstvoll und überfällig würdigt Ellen Kohlhaas Norbert Abels' Monografie zu Leben und Werk Benjamin Brittens. Sie schreibt dem Autor, der als Professor an der Folkwang-Hochschule Essen und als Chefdramaturg der Frankfurter Oper tätig ist, den gleichen Hang zu Schnörkellosigkeit und "Klarheit" zu, der auch das Werk des englischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten prägt. In seiner kompakten Darstellung gewännen nicht nur die wichtigen Lebensstationen Brittens Gestalt, gleichzeitig könne Abels auch Hintergründe wie die verdrängte Homosexualität des Künstlers oder seine enge Beziehung zu seiner Mutter beleuchten. Kohlhaas lobt die Anschaulichkeit der Monografie, die auch den gesellschaftlichen und politischen Kontext eindringlich vor Augen führt und findet, dass nicht zuletzt durch Abels' reiche Kenntnisse und didaktische Erfahrungen dieses Buch rundum gelungen ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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