Wer seine Autobiografie schreibt, enthüllt und verbirgt zugleich. Kaum jemand wusste das so gut wie Gottfried Benn. Er entwarf seinen »Lebensweg« gleich zweimal, zunächst 1934 und dann 1949, nach seinem ›Comeback‹, unter dem Titel ›Doppelleben‹. Das 1950 veröffentlichte Werk provoziert mehr Fragen, als es beantwortet: Stellt Benn seine anfängliche Begeisterung für den nationalsozialistischen Anti-Intellektualismus angemessen dar? Gibt er Klaus Mann, der ihn 1933 vor den neuen Machthabern warnte, rückblickend tatsächlich Recht? Und was bedeutet das »bewusste Aufspalten der Persönlichkeit«, von dem Benn gerne spricht, in der Praxis? »Wir denken etwas anderes, als wir sind«, heißt es in Doppelleben. Ausgehend von den Entwürfen zu Benns Autobiografie und zum Teil unveröffentlichten Briefen zeichnet Jan Bürger die Strategien der Selbstinszenierung eines Dichters nach, der bei allen Verfehlungen ohne Frage zu den größten des 20. Jahrhunderts zählt.