John Berger zieht die Summe seiner Philosophie einer radikalen Zärtlichkeit. Mit »Bentos Skizzenbuch« ist ein Buch aus Skizzen, Erzählungen, Beobachtungen entstanden, das selbst ein Kunstwerk ist.
Der Philosoph Spinoza, auch Bento genannt, widmete die meiste Zeit seines Lebens dem Schreiben. In seinen Schriften erkundete er unser Verhältnis zur Welt. Doch er soll immer auch ein Skizzenbuch bei sich getragen haben. John Berger hoffte jahrelang vergeblich, dass eins dieser verschollenen Hefte auftauchen würde. Bis er eines Tages sein eigenes, »Bentos Skizzenbuch«, anlegte. Im Zwiegespräch mit den Überlegungen Spinozas ist John Berger der Unendlichkeit der Welt auf der Spur. Mit dem Stift, mit dem Pinsel, auf dem Motorrad untersucht er, wie Zeichnen und Schreiben, Alltag und Kunst, Malerei und Philosophie zusammenhängen.
»Ich wollte über unseren Blick auf die Welt schreiben; es geht darum, die Menschen zu überzeugen, dass sie genau hinschauen und sehen, was uns umgibt, das Schöne wie das Schreckliche«, schrieb John Berger über »Bentos Skizzenbuch«
Der Philosoph Spinoza, auch Bento genannt, widmete die meiste Zeit seines Lebens dem Schreiben. In seinen Schriften erkundete er unser Verhältnis zur Welt. Doch er soll immer auch ein Skizzenbuch bei sich getragen haben. John Berger hoffte jahrelang vergeblich, dass eins dieser verschollenen Hefte auftauchen würde. Bis er eines Tages sein eigenes, »Bentos Skizzenbuch«, anlegte. Im Zwiegespräch mit den Überlegungen Spinozas ist John Berger der Unendlichkeit der Welt auf der Spur. Mit dem Stift, mit dem Pinsel, auf dem Motorrad untersucht er, wie Zeichnen und Schreiben, Alltag und Kunst, Malerei und Philosophie zusammenhängen.
»Ich wollte über unseren Blick auf die Welt schreiben; es geht darum, die Menschen zu überzeugen, dass sie genau hinschauen und sehen, was uns umgibt, das Schöne wie das Schreckliche«, schrieb John Berger über »Bentos Skizzenbuch«
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ingo Arend erinnert sich gerne an die BBC-Serie "Ways of Seeing" aus den 70ern mit John Berger. Wenn der betagte Kritiker und Zeichner jetzt ein Buch mit privaten Erinnerungen, Alltagsbeobachtungen und Analysen vorlegt, ist Arend gespannt auf Bergers welthaltigen Blick und seine luziden Vergleiche. Die Ästhetik des Supermarkts erklärt ihm der Autor ebenso wie Tyrannengesichter und Spinozas "Ethik". Nebenher vollführt der Band für den Rezensenten fast eine Wende hin zum Sensualistischen, wenn Berger sein Credo vom Zeichnen als "eine Art Navigationsübung" und "Berührung mit etwas Ursprünglichem" notiert. Als ästhetische Selbstvergewisserung eines zeichnenden Essayisten findet Arend den Band absolut überzeugend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Solitäre unter sich: Der britische Maler, Autor und Kunstkritiker John Berger nähert sich in "Bentos Skizzenbuch" schreibend und zeichnend Spinoza.
Von Baruch de Spinoza, Portugiesisch Bento de Spinoza, ist bekannt, dass er gern zeichnete und sein Skizzenbuch stets bei sich trug. Nach seinem Tod wurde es jedoch nie gefunden, "und wenn, dann ging es später verloren", schreibt John Berger. "Dann gab mir vor zwei Jahren ein polnischer Drucker, der in Bayern lebt, ein unberührtes, in Wildleder gebundenes Notizbuch. Und ich hörte mich sagen: Das ist Bentos Skizzenbuch!"
John Berger ist einer der wenigen wirklichen Solitäre in der europäischen Literatur, jenseits aller Schulen, Strömungen und Bewegungen: jemand, der sich partout nicht einordnen lässt. Es ist also nur konsequent, dass er dieses Buch seinerseits einem philosophischen Solitär widmet. Zwar stand Spinoza keineswegs außerhalb der philosophischen Strömungen seiner Zeit, und wir wissen, dass er fleißig mit anderen Gelehrten korrespondierte. Mit seiner "Ethik", auf die Berger sich vornehmlich bezieht, hat er aber zugleich Nietzsche und Freud um zwei Jahrhunderte vorweggenommen. Und seine zurückgezogene Existenz als Linsenschleifer im Amsterdam des Goldenen Zeitalters muss den geborenen Londoner Berger, der seit Jahrzehnten in einem Dorf in der Haute Savoie lebt, selbstverständlich gefallen. Die beiden Herren gehören zur Gattung der (umgänglichen) Einzelgänger und Selbstdenker.
Selbstdenker interessieren sich naturgemäß für alles, und sie schreiben auch über alles. Das hat Berger sein Leben lang getan. Er hat über Bergarbeiter, das Kino, Renoir, August Sander, Zoobesuche, einen Landarzt und "Eine Fuhre Scheiße" geschrieben. Ein Skizzenbuch ist nun explizit dazu da, Einfälle zu sammeln, wie sie kommen. Deshalb lesen wir hier, durch Zeichnungen gestützt, über Zwetschgenbäume, die Begleichung der Kosten für eine Beerdigung, eine Schlossführung in Frankreich durch eine Zwergin und über Lucas Fahrrad. Luca lebt in einem Vorort im Südosten von Paris, hat dreißig Jahre lang als Wartungsinspekteur bei der Air France gearbeitet und kann alles reparieren. Wir verfolgen aber auch die ausführliche Auslegung eines Satzes von Tschechow und die Überlegungen darüber, was es wohl bedeuten mag, dass in einer Pariser Vorortbibliothek beide Exemplare von Dostojewskijs "Brüder Karamasow" ausgeliehen sind: "Wenn einer der beiden Leser und ich einander begegneten - sonntags auf dem Vorstadtmarkt, beim Ausgang der Metro, an einem Zebrastreifen, beim Brotkaufen -, würden wir uns vielleicht Blicke zuwerfen, die wir rätselhaft fänden? Würden wir uns, ohne es zu bemerken, erkennen?"
Da Berger oft von der Freundlichkeit der Welt schreibt, ist auch sein stilistischer Duktus dem Leser zugewandt, dabei nie nachlässig, sondern immer diszipliniert. Hans Jürgen Balmes hat das ausgezeichnet ins Deutsche gebracht. Man hätte sich allerdings gewünscht, er hätte bei den Zitaten aus Spinozas "Ethik" nicht die Übersetzung von Berthold Auerbach gewählt, die zuweilen doch arg am lateinischen Original klebt und für manchen heutigen Leser an einigen Stellen kaum verständlich sein mag. Und in einer zweiten Auflage, die diesem Buch auf jeden Fall zu wünschen ist, sollte man die drei Setzfehler auf den Seiten 12, 41 und 126 tilgen. Das macht wenig Mühe.
Von Seite 117 an wird das Buch ein ständiger Dialog mit Spinoza. Genauer: "Bento" ist jetzt der direkte Adressat von Bergers Erzählungen. Zu denen gehört auch die, "wie es dazu kam, dass ich einen japanischen Sho-Pinsel weggegeben habe", eine Geschichte, die im Hallenbad eines Pariser Vororts beginnt. Vororte, Randgebiete, Verstecktes, einfache Menschen gehören zu Bergers bevorzugten Sujets. Das ist nicht neu, so wenig wie sein entschiedener, fast möchte man sagen "natürlicher" Antikapitalismus, der dennoch nie etwas Naives hat, das man schnell ironisch abtun könnte. Im Gegenteil schärft er seinen Blick. Auf den Seiten 152 und 153 findet sich unter einer Porträtzeichnung ein zweiseitiger Text über "die Gesichter der neuen Tyrannen. Ich zögere, sie Plutokraten zu nennen, denn dieser Ausdruck klingt zu historisch, und die Männer sind Teil eines Phänomens, zu dem es keine Vorläufer gibt. Einigen wir uns auf Profiteure." Und dann folgt ein punktgenaue Analyse dieser neuen Gattung, etwa: "Sie sind unterschiedlich alt, aber ihr Stil entspricht dem von Männern Ende vierzig", oder: "Ihr Haarschopf ist akkurat hergerichtet, wie für den Test im Luftkanal", und am Ende: "Ihr stets wiederholter Glaubenssatz: Es gibt keine Alternative." Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.
Bergers Zeichnungen sind ebenfalls durch die Verbindung von Freundlichkeit und Genauigkeit charakterisiert. Sie folgen in ihrem Duktus dem dreifach identisch auftretenden Satz aus den Anfangsseiten: "Wir zeichnen nicht nur, um etwas Beobachtetes für andere sichtbar zu machen, sondern auch, um etwas Unsichtbares an seinen ungewissen Bestimmungsort zu begleiten." Das tut dieses Buch. Der ungewisse Bestimmungsort könnten und sollten wir Leser sein.
JOCHEN SCHIMMANG
John Berger: "Bentos Skizzenbuch".
Aus dem Englischen von Hans-Jürgen Balmes. Carl Hanser Verlag, München 2013. 176 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
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""Bentos Skizzenbuch" ist überreich an Bildern und Ideen von atemberaubender Fülle und Reife, dass man nicht umhin kann, das so bescheiden daherkommende Bändchen als Lebensernte des 86-jährigen John Berger selbst zu betrachten." Michaela Schmitz, Deutschlandfunk Büchermarkt, 16.07.13
"Erhellend und bezaubernd" Neue Zürcher Zeitung, 04.08.13
"John Bergers literarische Bilder machen neugierig auf die ganze Welt." Carsten Hueck, Neue Zürcher Zeitung
"Ein Buch über das Sehen, das Erzählen und das Schöne und Schreckliche dieser Welt. Ein Buch für Freunde des genauen Blicks." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 23.03.13
"Erhellend und bezaubernd" Neue Zürcher Zeitung, 04.08.13
"John Bergers literarische Bilder machen neugierig auf die ganze Welt." Carsten Hueck, Neue Zürcher Zeitung
"Ein Buch über das Sehen, das Erzählen und das Schöne und Schreckliche dieser Welt. Ein Buch für Freunde des genauen Blicks." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 23.03.13