Es ist nicht die erste Reise, die Alexander und Vinz unternehmen, weil ihre Beziehung in eine Krise geraten ist. Der Roadtrip durch Südafrika soll ihnen Klarheit über sie verschaffen, und Vinz, der Schriftsteller, erhofft sich eine Idee für seinen neuen Roman. Vorbei an Straßenmärkten, Chicken Inns und Anhaltern bewegen sie sich durch ein Land, in dem Wohlstand und Armut aufeinanderprallen, Homosexualität als Tabu gilt und in dem sich die beiden Deutschen mit der Gedankenlosigkeit der weißen Touristen konfrontiert sehen. Als sie einen jungen Mann anfahren, zieht sie das immer tiefer in Widersprüche: Einerseits fühlen sie sich dem Fremden verpflichtet und bezahlen ihn, als er sich als Guide anbietet. Andererseits verschärft ihr neuer Begleiter die Spannungen, und vor allem Vinz beschleicht die Sorge um ihre eigene Sicherheit. Als er auf eine Spur für seinen Roman stößt, die nach Simbabwe zu den Victoria-Fällen führt, verlassen alle drei ihre ursprünglich geplanten Wege.
GuntherGeltinger schildert in Benzin so sprachmächtig wie eindringlich, was es heißt, wenn die eigene Welt aus den Fugen gerät. Er buchstabiert die Zerrissenheit seiner Figuren in sechsundzwanzig Kapiteln aus, von A bis Z, und beschwört atmosphärisch dichte Bilder, die sich nach und nach zu einem großen Ganzen fügen - einer Geschichte über Vorurteile und Souveränität, über Vertrauen und Verrat.
GuntherGeltinger schildert in Benzin so sprachmächtig wie eindringlich, was es heißt, wenn die eigene Welt aus den Fugen gerät. Er buchstabiert die Zerrissenheit seiner Figuren in sechsundzwanzig Kapiteln aus, von A bis Z, und beschwört atmosphärisch dichte Bilder, die sich nach und nach zu einem großen Ganzen fügen - einer Geschichte über Vorurteile und Souveränität, über Vertrauen und Verrat.
buecher-magazin.deWas bliebe übrig von Alexander und ihm, wenn er seine Romane von ihnen abzöge? Diese Frage stellt sich Vinz auf dem Roadtrip durch Südafrika, der seine langjährige Beziehung wiederbeleben soll, ebenso wie das ins Stocken geratene autofiktionale ?Schreiben an seinem neuen Roman. Auf der Suche nach Treibstoff für die Liebe und die Literatur geraten die beiden jedoch schnell auf Abwege, als sie den jungen Unami anfahren. Durch ihren neuen Guide aus Simbabwe ändern sich nicht nur ihre Reisepläne, sondern auch die Distanz zu den bisher nur an der Windschutzscheibe vorbeifliegenden afrikanischen Lebenswelten. Grausame Lynchmorde mit Benzin gefüllten Autoreifen, innerafrikanische Flüchtlingsschicksale, die politischen Revolten in Simbabwe sowie gesetzlich verankerte Homophobie und Aids - diese Realitäten jenseits der ursprünglich gebuchten Honeymoon-Luxus-Lodges werfen das schwule Pärchen aus seinen gewohnten Bahnen. Geltinger durchwebt die sprunghaft zeitlich verschränkten Afrika-Episoden assoziativ mit Vinz' Kindheits- und Beziehungserinnerungen bis hin zum großen Finale an den Victoriafällen. Wie Wasser fließen die Übergänge, sprudeln die Reflexionen und ziehen einen immer tiefer hinein in diesen existenziellen Strudel voll magischer Realität und komplexer Wirklichkeit.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2019Liebe, eine knappe Ressource
Zwei Männer auf der Reise durch Südafrika, ihre abgekühlte Beziehung, die Gefahr der Homophobie und
die Scham für alte koloniale Vorurteile: die riskante Mischung von Gunther Geltingers Roman „Benzin“
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Dieser Roman vibriert von der ersten Seite an. Eine Mischung aus Verlustangst und Begehren, aus Verzweiflung und Abenteuerlust, aus Selbstekel und erotischen Fantasien treibt ihn an. Gunther Geltingers Helden sind unterwegs auf einer schnurgeraden Straße in Südafrika: Alexander und Vinzenz, beide Mitte vierzig. Alexander ist Naturwissenschaftler und verdient das Geld; Vinz ist Schriftsteller, hat zwei Romane veröffentlicht, in denen sich, wie in „Benzin“ selbst, Lebensrealität und persönliches Umfeld auf eine Art mit Fiktion vermischen, die Vinz im gemeinsamen Freundeskreis nicht nur Zustimmung eingebracht hat. Denn Vinz, das wird sich herausstellen, ist ein ebenso radikaler Schriftsteller wie Gunther Geltinger selbst; einer, der den Schmerz nicht scheut und dessen literarische Darstellung erst recht nicht.
Vinz und Alexander sind seit Jahren ein Paar, und es ist einer der Grundkonflikte, inwieweit eine schwule Beziehung anders mit den Anfechtungen von Routine, Alltag und emotionaler Vernachlässigung umgehen muss oder kann als eine heterosexuelle. Schon seit Langem haben die beiden eine Abmachung: Sex außerhalb der Beziehung ist in Ordnung, über Nacht wegbleiben oder sich verlieben ist verboten.
Die Beziehung hat offensichtlich einen Knacks, der sich in Afrika binnen weniger Tage zu einem Abgrund auftut. Sie reisen zu zweit in einem Mietwagen, und vielleicht suchen sie auf den endlosen Pisten in Südafrika nicht nur Abstand, sondern auch Gefahr. Sechzig Prozent der Südafrikaner, so wissen sie, halten Homosexualität für inakzeptabel. Die Stimmung im Auto ist angespannt. Die Warnungen, die man ihnen vor der Reise mitgegeben hat, tun ihre Wirkung: Nicht anhalten, falls ein Verletzter auf der Straße liegt, niemandem vertrauen. Die alten kolonialen Konflikte und das schlechte Gewissen der weißen Urlauber in einem vom Apartheidsystem befreiten Land reisen mit. Und nicht nur die: Da ist auch noch Manuel, den Vinz über eine Dating-App kennengelernt und in den er sich zu Hause in Köln verliebt hat. Auf seine erlösenden Nachrichten auf dem Mobiltelefon wartet Vinz ebenso sehnsüchtig wie darauf, dass der Kältepanzer zwischen ihm und Alexander zerspringen möge.
„Benzin“ ist ein rasantes Buch von großer technischer Raffinesse. Die Übergänge zwischen Romanrealität und Vinz’ Imagination sind fließend; es kann passieren, dass eine geschilderte Szene übergangslos allein in der Vorstellungskraft des Schriftstellers Vinz weitergeführt und anschließend zum Ausgangspunkt zurückgespult wird, von wo aus sie einen anderen, unerwarteten Verlauf nimmt.
Die elegante Überblendung und die doppelte Perspektive sind weder Spielerei noch Selbstzweck, sondern in Vinz’ ästhetisches Programm integriert, nach dem seine Romane das Leben im Wortsinn beschreiben, überschreiben und umgekehrt. Es ist ein Sehnsuchtsprogramm, das eine geradezu verzweifelte Hoffnung in die Literatur setzt, nämlich die Hoffnung, die Welt zum Besseren hin verändern zu können, indem sie im Text neu erschaffen wird. Die Wechselbeziehung von Kunst und Realität, die Geltinger auch schon in seinem Debüt „Mensch Engel“ erzählerisch ausgeführt hat, hat nichts Angestrengtes. „Benzin“ ist ein mitreißendes Buch und sein Sog zieht mitten hinein in das Grenzgebiet zwischen westlichen Projektionsvorstellungen und afrikanischer Realität.
Es dauert nicht allzu lange, bis genau das geschieht, was nicht hätte geschehen sollen: Auf der endlosen dunklen Straße tut es einen Schlag, ein Reifen platzt, und im Scheinwerferlicht erkennen Vinz und Alexander einen verletzten Mann. Gegen jede Vorsicht steigen sie aus und kümmern sich um ihn; er hat eine Wunde am Kopf (ein Täuschungsmanöver?) und eine Verletzung am Arm (eine Simulation?). Sie nehmen den jungen Mann, der sich als Unami vorstellt, mit, setzen ihn auf die Rückbank, den Schraubenschlüssel stets griffbereit, aber mit schlechtem Gewissen. Der Konflikt zwischen moralisch richtigem Handeln und Selbstschutz, der aber den kolonial gefärbten Blick auf die Ureinwohner als bedrohliche Wilde einschließt, ist eine der Triebfedern des Romans. Unami wird zu ihrem Begleiter, Reiseleiter und zu einer symbolischen Persona, auf der Vinz und Alexander ihre Wünsche und Defizite abladen, mal mit schlechtem Gewissen, mal mit einer Rücksichtslosigkeit, die auch darauf zielt, den jeweils anderen zu verletzen.
Unami erweist sich als Flüchtling aus dem benachbarten Simbabwe. Gegen jede äußere Logik fährt das Trio genau dorthin zurück, in Richtung Victoriafälle. Die Situation wird zusehends unübersichtlich. Während Alexander mit Unami, dessen Zustand sich stetig verschlechtert, medizinische Hilfe sucht, gerät Vinz in eine lebensgefährliche Abenteuergeschichte.
Gunther Geltinger erzeugt in seinem Roman selbst die Atmosphäre, die Vinz „eine hochfrequente Nervosität, das Seelenfieber des Reisens“ nennt. Der Titel „Benzin“ ist mehrdeutig. Die Schergen des diktatorischen Regimes in Simbabwe haben den Schlauch eines Autoreifens mit Benzin gefüllt, ihn Unamis Bruder um den Hals gelegt und angezündet. Jenseits dieser konkreten Bedeutung geht es in diesem Buch aber auch permanent um den Kampf um verknappte Ressourcen der Aufmerksamkeit: um Begehren und Begehrtwerden, um Sex, Empathie, Rücksichtnahme und darum, von seinem Gegenüber so angeschaut zu werden, wie man es verdient hat.
Es gibt in „Benzin“ bestechend gut formulierte Einsichten über die Liebe, deren Abflauen und das, was dann möglicherweise noch übrig bleibt. Gunther Geltinger schreibt ausgesprochen derb über sexuelle Verrichtungen, die nicht selten als reine Trieb- und Saftabfuhr daherkommen, aber ungemein zärtlich und differenziert über das, was einem Geschlechtsakt vorausgeht oder folgt.
Die Welt in „Benzin“ ist heillos, aber sie ist sprachlich brillant gefasst. Was am Ende von Vinz’ und Alexanders Liebesgeschichte übrig bleibt, ist offen. Aber es gibt einen neuen Roman, Vinz’ dritten, und diesen, Geltingers dritten.
Die verzweifelte Hoffnung, die
Welt verändern zu können, indem
sie im Text neu erschaffen wird
Geltinger schreibt derb über
Sex und ungemein zärtlich und
differenziert über Liebe
Der Autor Gunther Geltinger debütierte 2008 mit dem Roman „Mensch Engel“ und bekam 2015 den August-Graf-von-Platen-Literaturpreis
Foto: JürgenBauer/Suhrkamp
Gunther Geltinger:
Benzin. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 378 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwei Männer auf der Reise durch Südafrika, ihre abgekühlte Beziehung, die Gefahr der Homophobie und
die Scham für alte koloniale Vorurteile: die riskante Mischung von Gunther Geltingers Roman „Benzin“
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Dieser Roman vibriert von der ersten Seite an. Eine Mischung aus Verlustangst und Begehren, aus Verzweiflung und Abenteuerlust, aus Selbstekel und erotischen Fantasien treibt ihn an. Gunther Geltingers Helden sind unterwegs auf einer schnurgeraden Straße in Südafrika: Alexander und Vinzenz, beide Mitte vierzig. Alexander ist Naturwissenschaftler und verdient das Geld; Vinz ist Schriftsteller, hat zwei Romane veröffentlicht, in denen sich, wie in „Benzin“ selbst, Lebensrealität und persönliches Umfeld auf eine Art mit Fiktion vermischen, die Vinz im gemeinsamen Freundeskreis nicht nur Zustimmung eingebracht hat. Denn Vinz, das wird sich herausstellen, ist ein ebenso radikaler Schriftsteller wie Gunther Geltinger selbst; einer, der den Schmerz nicht scheut und dessen literarische Darstellung erst recht nicht.
Vinz und Alexander sind seit Jahren ein Paar, und es ist einer der Grundkonflikte, inwieweit eine schwule Beziehung anders mit den Anfechtungen von Routine, Alltag und emotionaler Vernachlässigung umgehen muss oder kann als eine heterosexuelle. Schon seit Langem haben die beiden eine Abmachung: Sex außerhalb der Beziehung ist in Ordnung, über Nacht wegbleiben oder sich verlieben ist verboten.
Die Beziehung hat offensichtlich einen Knacks, der sich in Afrika binnen weniger Tage zu einem Abgrund auftut. Sie reisen zu zweit in einem Mietwagen, und vielleicht suchen sie auf den endlosen Pisten in Südafrika nicht nur Abstand, sondern auch Gefahr. Sechzig Prozent der Südafrikaner, so wissen sie, halten Homosexualität für inakzeptabel. Die Stimmung im Auto ist angespannt. Die Warnungen, die man ihnen vor der Reise mitgegeben hat, tun ihre Wirkung: Nicht anhalten, falls ein Verletzter auf der Straße liegt, niemandem vertrauen. Die alten kolonialen Konflikte und das schlechte Gewissen der weißen Urlauber in einem vom Apartheidsystem befreiten Land reisen mit. Und nicht nur die: Da ist auch noch Manuel, den Vinz über eine Dating-App kennengelernt und in den er sich zu Hause in Köln verliebt hat. Auf seine erlösenden Nachrichten auf dem Mobiltelefon wartet Vinz ebenso sehnsüchtig wie darauf, dass der Kältepanzer zwischen ihm und Alexander zerspringen möge.
„Benzin“ ist ein rasantes Buch von großer technischer Raffinesse. Die Übergänge zwischen Romanrealität und Vinz’ Imagination sind fließend; es kann passieren, dass eine geschilderte Szene übergangslos allein in der Vorstellungskraft des Schriftstellers Vinz weitergeführt und anschließend zum Ausgangspunkt zurückgespult wird, von wo aus sie einen anderen, unerwarteten Verlauf nimmt.
Die elegante Überblendung und die doppelte Perspektive sind weder Spielerei noch Selbstzweck, sondern in Vinz’ ästhetisches Programm integriert, nach dem seine Romane das Leben im Wortsinn beschreiben, überschreiben und umgekehrt. Es ist ein Sehnsuchtsprogramm, das eine geradezu verzweifelte Hoffnung in die Literatur setzt, nämlich die Hoffnung, die Welt zum Besseren hin verändern zu können, indem sie im Text neu erschaffen wird. Die Wechselbeziehung von Kunst und Realität, die Geltinger auch schon in seinem Debüt „Mensch Engel“ erzählerisch ausgeführt hat, hat nichts Angestrengtes. „Benzin“ ist ein mitreißendes Buch und sein Sog zieht mitten hinein in das Grenzgebiet zwischen westlichen Projektionsvorstellungen und afrikanischer Realität.
Es dauert nicht allzu lange, bis genau das geschieht, was nicht hätte geschehen sollen: Auf der endlosen dunklen Straße tut es einen Schlag, ein Reifen platzt, und im Scheinwerferlicht erkennen Vinz und Alexander einen verletzten Mann. Gegen jede Vorsicht steigen sie aus und kümmern sich um ihn; er hat eine Wunde am Kopf (ein Täuschungsmanöver?) und eine Verletzung am Arm (eine Simulation?). Sie nehmen den jungen Mann, der sich als Unami vorstellt, mit, setzen ihn auf die Rückbank, den Schraubenschlüssel stets griffbereit, aber mit schlechtem Gewissen. Der Konflikt zwischen moralisch richtigem Handeln und Selbstschutz, der aber den kolonial gefärbten Blick auf die Ureinwohner als bedrohliche Wilde einschließt, ist eine der Triebfedern des Romans. Unami wird zu ihrem Begleiter, Reiseleiter und zu einer symbolischen Persona, auf der Vinz und Alexander ihre Wünsche und Defizite abladen, mal mit schlechtem Gewissen, mal mit einer Rücksichtslosigkeit, die auch darauf zielt, den jeweils anderen zu verletzen.
Unami erweist sich als Flüchtling aus dem benachbarten Simbabwe. Gegen jede äußere Logik fährt das Trio genau dorthin zurück, in Richtung Victoriafälle. Die Situation wird zusehends unübersichtlich. Während Alexander mit Unami, dessen Zustand sich stetig verschlechtert, medizinische Hilfe sucht, gerät Vinz in eine lebensgefährliche Abenteuergeschichte.
Gunther Geltinger erzeugt in seinem Roman selbst die Atmosphäre, die Vinz „eine hochfrequente Nervosität, das Seelenfieber des Reisens“ nennt. Der Titel „Benzin“ ist mehrdeutig. Die Schergen des diktatorischen Regimes in Simbabwe haben den Schlauch eines Autoreifens mit Benzin gefüllt, ihn Unamis Bruder um den Hals gelegt und angezündet. Jenseits dieser konkreten Bedeutung geht es in diesem Buch aber auch permanent um den Kampf um verknappte Ressourcen der Aufmerksamkeit: um Begehren und Begehrtwerden, um Sex, Empathie, Rücksichtnahme und darum, von seinem Gegenüber so angeschaut zu werden, wie man es verdient hat.
Es gibt in „Benzin“ bestechend gut formulierte Einsichten über die Liebe, deren Abflauen und das, was dann möglicherweise noch übrig bleibt. Gunther Geltinger schreibt ausgesprochen derb über sexuelle Verrichtungen, die nicht selten als reine Trieb- und Saftabfuhr daherkommen, aber ungemein zärtlich und differenziert über das, was einem Geschlechtsakt vorausgeht oder folgt.
Die Welt in „Benzin“ ist heillos, aber sie ist sprachlich brillant gefasst. Was am Ende von Vinz’ und Alexanders Liebesgeschichte übrig bleibt, ist offen. Aber es gibt einen neuen Roman, Vinz’ dritten, und diesen, Geltingers dritten.
Die verzweifelte Hoffnung, die
Welt verändern zu können, indem
sie im Text neu erschaffen wird
Geltinger schreibt derb über
Sex und ungemein zärtlich und
differenziert über Liebe
Der Autor Gunther Geltinger debütierte 2008 mit dem Roman „Mensch Engel“ und bekam 2015 den August-Graf-von-Platen-Literaturpreis
Foto: JürgenBauer/Suhrkamp
Gunther Geltinger:
Benzin. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 378 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit gemischten Gefühlen hat sich Rezensent Cornelius Dieckmann mit Gunther Geltinger auf Afrika-Safari begeben. Die Geschichte um ein schwules Paar, dessen einer Teil Schriftsteller und Hauptfigur des Romans ist, baut durchaus einige Spannung auf, versichert der Kritiker, wenn Geltinger nicht nur Schreib- und Beziehungskrise verhandelt, sondern den beiden nachts den aus Zimbabwe geflohenen Unami vorbeischick. Dieser wird, nachdem er von den beiden angefahren wurde, zur Projektionsfläche für Vorurteile, "Eifersucht, Macht, Erotik und Selbsthass". Auch Geltingers Reflexion über den Blick der Europäer auf Afrika liest Dieckmann nicht ohne Interesse. Dass der Autor aber den Roman mit "Bedeutungsschwere" und "Weltschmerz" überlädt und immer wieder über die Romanwerdung sinniert, macht die Lektüre für den Rezensenten nicht gerade einfach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2019Einen Tod musst du schreiben
Gunther Geltingers beschwerlicher Afrikaroman über das beschwerliche Schreiben eines Afrikaromans: "Benzin".
Das Lieblingswort dieses Buches ist "Roman". Ständig werden wir daran erinnert, dass wir gerade einen Roman lesen; dass Romane nicht unbedingt die Wirklichkeit sind; dass die Hauptfigur, der Schriftsteller Vinz, bisher - wie Gunther Geltinger - zwei Romane veröffentlicht hat. Und dass jetzt der dritte folgen muss. Der Verlag drängelt.
Stoff dafür soll eine Autoreise mit Vinz' Mann Alexander durch den Süden Afrikas liefern. Die Beziehung steckt in der Krise, mit ihr Vinz' literarisches Schaffen. "Was bliebe übrig von Alexander und ihm, wenn er seine Romane von ihnen abzöge?" Vinz fürchtet: nichts. Um das Gegenteil zu beweisen, fährt das Paar von Südafrika aus auf möglichst kleinen Straßen Richtung Norden, nach Zimbabwe. Menschen meiden, Landschaft sehen, Ehe retten.
Der Plan geht nicht auf. Nachts auf einer Landstraße fahren sie einen Mann an, der sich dabei verletzt. Zum schon gereizten Paar gesellt sich das sprichwörtliche dritte Rad. Unami, so heißt der Neue, wird zur Projektionsfigur für die beiden Deutschen, die sich zunächst als Brüder ausgeben, denn trotz der 2006 legalisierten gleichgeschlechtlichen Ehe herrscht in Südafrika noch immer viel Homophobie. Unami scheint sie zu teilen.
Das Trio entwickelt eine fragile Dynamik zwischen touristischem Schuldbewusstsein und dem hässlichen Verdacht des Ausgenutztwerdens durch den Einheimischen - und andersherum durch die Fremden. Verhandelt werden Eifersucht, Macht, Erotik, Selbsthass. Irgendwann fasst Vinz den Entschluss, dass eine der Figuren den Roman nicht überleben wird. Nur wer, das muss er noch herausfinden.
Auch diese dramaturgische Rechnung wird an Schärfe bald von der Realität eingeholt. Wie sich herausstellt, ist Unami gar kein Südafrikaner, sondern aus Robert Mugabes Zimbabwe geflüchtet. Im Exil wird er als Schmarotzer geächtet. Er erzählt von einem Handyvideo, auf dem sein Bruder zu sehen sei: "Es gluckert in den Mantel des Reifens und spritzt über den entblößten Körper. Die Männer kommen noch näher, sie wollen die Wunden sehen, den Moment, wie ihr Opfer unter den Tritten und Schlägen zusammensackt und nur von dem Reifen um seinen Hals noch aufrecht gehalten wird wie ein dürres Bäumchen im Wind, bis einer das Zündholz wirft (. . .). Sie beklatschen ihr Werk und ziehen befriedigt weiter, während ihr in Deutschland, in Amerika oder wo immer jemand auf das Video stößt, nicht glauben wollt, was ihr seht."
Der südafrikanische Fotograf Kevin Carter machte diese während der Apartheid als "Necklacing" bekannte Form der Lynchjustiz in den neunziger Jahren für den Westen sichtbar. Wenig später nahm er sich das Leben, wohl auch wegen der Schuldgefühle des Zusehenden. Aber wirklich vorstellbar? Geltinger hat recht: Außerhalb von Zeitungsblättern, Buchdeckeln und Bildschirmen ist das aus der virtuellen Ferne kaum. Wir sehen hin, manchmal, machtlos. Das Kapitel, in dem Unami den Mord beschreibt, ist verwirrend, weil zunächst nicht ganz klar ist, was hier wann geschieht - und dann, vielleicht erst beim Zurückblättern, vollends verstörend. Weil man versteht: Ach so, "Benzin".
Welchen Blick kann ein Europäer werfen? In seinem Satire-Essay "How to Write About Africa" (2005) instruierte der jüngst verstorbene kenianische Autor Binyavanga Wainaina, selbst schwul und lange in Südafrika zu Hause, angehende Afrika-Romanciers wie folgt. Neben der Bildsprache aus flachen, nackten Frauenbrüsten, noblen Elefanten und der großen roten Scheibe des Sonnenuntergangs dürfe keinesfalls die Anerkennung der eigenen aktivistischen Leistung versäumt werden: "Stelle unbedingt klar, dass Afrika ohne deine Intervention und dein wichtiges Buch dem Untergang geweiht wäre."
Geltinger, 1974 in Unterfranken geboren, weiß um diese Klischees. Immer wieder expliziert Vinz die heikle Poetik des weißen Autors in Afrika. "Sein geplanter Roman würde sich ereignen, sobald sie diesen Ort verlassen hätten, er ist die Geschichte dessen, was nie geschieht, weil er nichts davon weiß." Die Technik lautet: eine Wahrheit aussprechen, sie aber erst um ein paar Grad verrücken, um nicht als allzu eifriger Erzähler überführt zu werden. Antivoyeurismus. Denn Vinz weiß auch, "was dieses Land am wenigsten braucht, ist sein Roman".
Diese wachsame Einstellung ist verständlich und notwendig, auf Dauer aber auch sehr ermüdend. Wenn Vinz sich einer Sache entsinnt, dann fast nie ohne den Verweis, dass er sie bereits in einem seiner Romane verarbeitet habe. Wenn er etwas erlebt, dann im Bewusstsein, dass dies "ein weiteres Element im Zeichensystem des späteren Texts" werden könnte.
Hinzu kommt eine große Bedeutungsschwere. Vinz und Alexander steigen nicht ins Flugzeug, stattdessen "verschluckte sie der metallene Schlund". In Südafrika hockt ein Gecko auf einem Kissen, der von Vinz sogleich zum "Wesen aus der Tiefe seiner Weltphobie" erklärt wird. Manchmal klingt das so, als sei der Hallraum zu groß, in den Vinz seinen Weltschmerz hineinklagt. Drei Prozent Handyakku will er gleich "auf ein Menschenleben umgerechnet" wissen, das letzte "Refugium seines Herzens ist die enge Kammer des Trotzes". Fast wünscht man dieser gequälten Schriftstellerfigur, sie möge von ihrem erklärten Unglück, den Roman schreiben zu müssen, erlöst werden. Was nicht unbedingt auch für Geltinger gilt, denn der anstrengenden Psychoprosa steht die doch erstaunliche Beziehung zu Unami gegenüber.
Wainaina rät in seiner satirischen Anleitung: "Schließe dein Buch immer mit einem Nelson-Mandela-Zitat über Regenbögen oder Wiedergeburten." So leicht macht es sich Geltinger nicht, eher im Gegenteil. Es ist durchaus ein sensibles Buch, das Ende ist offen. Aber ohne die ständige ausdrückliche Romanwerdung könnte der Protagonist einfach mal erleben, ohne alles antizipieren, zurechtbiegen und zu Kunst zusammenspinnen zu wollen. So wird der Roadtrip oft zur Poetikvorlesung mit Plot.
CORNELIUS DIECKMANN
Gunther Geltinger: "Benzin". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 377 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gunther Geltingers beschwerlicher Afrikaroman über das beschwerliche Schreiben eines Afrikaromans: "Benzin".
Das Lieblingswort dieses Buches ist "Roman". Ständig werden wir daran erinnert, dass wir gerade einen Roman lesen; dass Romane nicht unbedingt die Wirklichkeit sind; dass die Hauptfigur, der Schriftsteller Vinz, bisher - wie Gunther Geltinger - zwei Romane veröffentlicht hat. Und dass jetzt der dritte folgen muss. Der Verlag drängelt.
Stoff dafür soll eine Autoreise mit Vinz' Mann Alexander durch den Süden Afrikas liefern. Die Beziehung steckt in der Krise, mit ihr Vinz' literarisches Schaffen. "Was bliebe übrig von Alexander und ihm, wenn er seine Romane von ihnen abzöge?" Vinz fürchtet: nichts. Um das Gegenteil zu beweisen, fährt das Paar von Südafrika aus auf möglichst kleinen Straßen Richtung Norden, nach Zimbabwe. Menschen meiden, Landschaft sehen, Ehe retten.
Der Plan geht nicht auf. Nachts auf einer Landstraße fahren sie einen Mann an, der sich dabei verletzt. Zum schon gereizten Paar gesellt sich das sprichwörtliche dritte Rad. Unami, so heißt der Neue, wird zur Projektionsfigur für die beiden Deutschen, die sich zunächst als Brüder ausgeben, denn trotz der 2006 legalisierten gleichgeschlechtlichen Ehe herrscht in Südafrika noch immer viel Homophobie. Unami scheint sie zu teilen.
Das Trio entwickelt eine fragile Dynamik zwischen touristischem Schuldbewusstsein und dem hässlichen Verdacht des Ausgenutztwerdens durch den Einheimischen - und andersherum durch die Fremden. Verhandelt werden Eifersucht, Macht, Erotik, Selbsthass. Irgendwann fasst Vinz den Entschluss, dass eine der Figuren den Roman nicht überleben wird. Nur wer, das muss er noch herausfinden.
Auch diese dramaturgische Rechnung wird an Schärfe bald von der Realität eingeholt. Wie sich herausstellt, ist Unami gar kein Südafrikaner, sondern aus Robert Mugabes Zimbabwe geflüchtet. Im Exil wird er als Schmarotzer geächtet. Er erzählt von einem Handyvideo, auf dem sein Bruder zu sehen sei: "Es gluckert in den Mantel des Reifens und spritzt über den entblößten Körper. Die Männer kommen noch näher, sie wollen die Wunden sehen, den Moment, wie ihr Opfer unter den Tritten und Schlägen zusammensackt und nur von dem Reifen um seinen Hals noch aufrecht gehalten wird wie ein dürres Bäumchen im Wind, bis einer das Zündholz wirft (. . .). Sie beklatschen ihr Werk und ziehen befriedigt weiter, während ihr in Deutschland, in Amerika oder wo immer jemand auf das Video stößt, nicht glauben wollt, was ihr seht."
Der südafrikanische Fotograf Kevin Carter machte diese während der Apartheid als "Necklacing" bekannte Form der Lynchjustiz in den neunziger Jahren für den Westen sichtbar. Wenig später nahm er sich das Leben, wohl auch wegen der Schuldgefühle des Zusehenden. Aber wirklich vorstellbar? Geltinger hat recht: Außerhalb von Zeitungsblättern, Buchdeckeln und Bildschirmen ist das aus der virtuellen Ferne kaum. Wir sehen hin, manchmal, machtlos. Das Kapitel, in dem Unami den Mord beschreibt, ist verwirrend, weil zunächst nicht ganz klar ist, was hier wann geschieht - und dann, vielleicht erst beim Zurückblättern, vollends verstörend. Weil man versteht: Ach so, "Benzin".
Welchen Blick kann ein Europäer werfen? In seinem Satire-Essay "How to Write About Africa" (2005) instruierte der jüngst verstorbene kenianische Autor Binyavanga Wainaina, selbst schwul und lange in Südafrika zu Hause, angehende Afrika-Romanciers wie folgt. Neben der Bildsprache aus flachen, nackten Frauenbrüsten, noblen Elefanten und der großen roten Scheibe des Sonnenuntergangs dürfe keinesfalls die Anerkennung der eigenen aktivistischen Leistung versäumt werden: "Stelle unbedingt klar, dass Afrika ohne deine Intervention und dein wichtiges Buch dem Untergang geweiht wäre."
Geltinger, 1974 in Unterfranken geboren, weiß um diese Klischees. Immer wieder expliziert Vinz die heikle Poetik des weißen Autors in Afrika. "Sein geplanter Roman würde sich ereignen, sobald sie diesen Ort verlassen hätten, er ist die Geschichte dessen, was nie geschieht, weil er nichts davon weiß." Die Technik lautet: eine Wahrheit aussprechen, sie aber erst um ein paar Grad verrücken, um nicht als allzu eifriger Erzähler überführt zu werden. Antivoyeurismus. Denn Vinz weiß auch, "was dieses Land am wenigsten braucht, ist sein Roman".
Diese wachsame Einstellung ist verständlich und notwendig, auf Dauer aber auch sehr ermüdend. Wenn Vinz sich einer Sache entsinnt, dann fast nie ohne den Verweis, dass er sie bereits in einem seiner Romane verarbeitet habe. Wenn er etwas erlebt, dann im Bewusstsein, dass dies "ein weiteres Element im Zeichensystem des späteren Texts" werden könnte.
Hinzu kommt eine große Bedeutungsschwere. Vinz und Alexander steigen nicht ins Flugzeug, stattdessen "verschluckte sie der metallene Schlund". In Südafrika hockt ein Gecko auf einem Kissen, der von Vinz sogleich zum "Wesen aus der Tiefe seiner Weltphobie" erklärt wird. Manchmal klingt das so, als sei der Hallraum zu groß, in den Vinz seinen Weltschmerz hineinklagt. Drei Prozent Handyakku will er gleich "auf ein Menschenleben umgerechnet" wissen, das letzte "Refugium seines Herzens ist die enge Kammer des Trotzes". Fast wünscht man dieser gequälten Schriftstellerfigur, sie möge von ihrem erklärten Unglück, den Roman schreiben zu müssen, erlöst werden. Was nicht unbedingt auch für Geltinger gilt, denn der anstrengenden Psychoprosa steht die doch erstaunliche Beziehung zu Unami gegenüber.
Wainaina rät in seiner satirischen Anleitung: "Schließe dein Buch immer mit einem Nelson-Mandela-Zitat über Regenbögen oder Wiedergeburten." So leicht macht es sich Geltinger nicht, eher im Gegenteil. Es ist durchaus ein sensibles Buch, das Ende ist offen. Aber ohne die ständige ausdrückliche Romanwerdung könnte der Protagonist einfach mal erleben, ohne alles antizipieren, zurechtbiegen und zu Kunst zusammenspinnen zu wollen. So wird der Roadtrip oft zur Poetikvorlesung mit Plot.
CORNELIUS DIECKMANN
Gunther Geltinger: "Benzin". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 377 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Welt in Benzin ist heillos, aber sie ist sprachlich brillant gefasst.« Christoph Schröder Süddeutsche Zeitung 20190417