Seit den 1740er Jahren präsentierten hörende Gelehrte der französischen gelehrten und gebildeten Öffentlichkeit vermeintlich zum Sprechen, Lesen, Schreiben und Gebärden erzogene Gehörlose. Diese Inszenierungen regten einen neuartigen pädagogisch-anthropologischen Diskurs über die sourds de naissance an, an dem sich auch taube Autoren beteiligten.Jonathan Kohlrausch untersucht das so entstandene Wissen anhand eines Ensembles von hörenden und tauben Lehrern, Schülern und Gelehrten, dessen Interaktionen er bis in die 1780er Jahre nachvollzieht.Im Spannungsfeld von Wissensgeschichte, Dis/ability History und Deaf Studies fragt er nach der Interdependenz von Subjekten und Objekten des Wissens. Dabei erschließt er den Zusammenhang von Sprache, persönlicher Glaubwürdigkeit und Autorität und kann so aufzeigen, wie das Sprechen über Gehörlose zum Sprechen für Gehörlose (Dirksen Bauman) wurde.
»Kohlrauschs wissensgeschichtliche Rekonstruktion von Gehörlosigkeit [ist] produktiv. Der Autor deckt auf, wie Gehörlose durch eine (partielle) Anerkennung als 'Subjekt von Sprache und Wissen' zwar erstmals am gelehrten Diskurs zu partizipieren vermochten, die Degradierung der 'langage de signes' jedoch in einer Naturalisierung von Gehörlosigkeit mündete, die im 19. Jahrhundert wiederum den harten administrativen Umgang mit Gehörlosen wie auch ihre institutionelle Diskriminierung rechtfertigen sollte.« Mirjam Janett, H-Net/Clio online, 3 (2016) Besprochen in: Jahrbuch für Literatur und Medizin, 8 (2016), Anja Werner