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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.1995

Beowulf der Drachentöter
Die altenglische Sage neu erzählt

Aus dem 8. Jahrhundert stammend, ist der "Beowulf" die größte erhalten gebliebene altenglische Sage, ja das älteste germanische Epos überhaupt. Dreimal in seinem Leben muß der Titelheld gegen Monster kämpfen: auf der Erde gegen Grendel, unter Wasser gegen die Meerhexe und unter der Erde gegen den Feuerdrachen. Der Einfluß des düsteren Liedes auf die nachfolgende Literatur war groß. Er läßt sich bis zu Tolkiens "Herrn der Ringe" verfolgen, dessen schleimiges Ungeheuer Gollum unübersehbar Grendel nachempfunden ist. "Ein Drache ist kein eitler Wahn", schrieb Tolkien. "Auch heute noch gibt es - trotz der Kritiker - Menschen, die, der tragischen Legende und Geschichte nicht unkundig, von Helden gehört und sie sogar gesehen haben und die dennoch von der Faszination des Wurms gepackt worden sind."

Zu ihnen dürften auch jene englischen Jugendbuchautoren gerechnet werden, die den spannenden Stoff immer wieder neu und anders nacherzählt haben. Denn in der englischen Mythologie ist Beowulf nicht minder populär wie Siegfried in der deutschen. Trotzdem erschien erst 1989 mit Kevin Crossley-Hollands Nacherzählung wenigstens eine davon auf deutsch. Sie zeichnete sich durch große Nähe zu dem originalen Rhythmus des Liedes aus, war aber durch die manieriert blutrünstigen Illustrationen Charles Keepings für das traditionelle Sagenalter indiskutabel. Erst jetzt kam die schon mehr als dreißig Jahre alte angenehmere Fassung Rosemary Sutcliffs auf den deutschen Markt. Sie nimmt den uns vertrauten Sagenstil auf, läßt aber auch das Unheimliche des Stoffes wirken. Vom erzählerisch geschickten Vorspann bis zum ergreifenden Begräbnis des Helden hat die Autorin auch manches von germanischer Lebens- und Denkweise eingeflochten. Ihr "Beowulf" ist die derzeit schönste Nacherzählung im Deutschen. Und Victor Ambrus' feingestrichelte Federzeichnungen halten schon allein durch ihren Stil die Schrecknisse einiger Szenen in gut erträglicher Balance, so daß diese Ausgabe schon für Zehnjährige zu empfehlen ist.

KLAUS SEEHAFER Rosemary Sutcliff: "Beowulf der Drachentöter". A. d. Engl. v. Astrid von dem Borne. Mit Ill. von Victor Ambrus. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1994. 103 S., geb., 26,- DM. Ab 10 J.

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