Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2020Zum Sohnsein
verdammt
Ann Quins fast vergessenes
ödipales Trauerspiel „Berg“
Es gibt nur wenige Bücher, die das ödipale Kuddelmuddel auf so radikale, lustige, verstörende Weise ausbuchstabieren wie „Berg“ von Ann Quin. Dieser Roman hat gut ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel; man merkt es ihm nicht an. Das liegt an seiner frischen Sprache, die auf subtile Weise, manchmal auch kräftig mit dem Vorschlaghammer, eine dunkle Vater-Sohn-Beziehung abklopft.
Ann Quins „Berg“ erschien erstmals 1964. Es war das Debüt einer jungen britischen Autorin, die anschließend noch drei weitere Romane veröffentlichen sollte und 1973 mit nur 37 Jahren ihrem Leben ein Ende setzte. Quin wird zwar immer mal wieder von abgelegeneren Autorinnen und Autoren als Einfluss genannt, ist aber heute selbst in England nur noch als Fußnote der Literaturgeschichte präsent. Was ein gewaltiger Fehler ist: „Ein Mann namens Berg, der sich Greb nannte, kam in eine Küstenstadt, um seinen Vater zu ermorden …“ So beginnt die glänzende Neuübersetzung von Conny Lösch, mit einem großartigen, an Graham Greene gemahnenden Auftaktsatz. Die Assoziation Greene liegt nahe, „Berg“ spielt an einem winterlich rauen Ort, dessen Name zwar nicht genannt wird, hinter dem man aber Brighton vermuten darf – hier wurde Ann Quin geboren, hier ist sie gestorben, und hier hat auch Graham Greene seinen berühmten Roman „Brighton Rock“ angesiedelt.
Die Noir-Atmosphäre liegt so dicht über Quins Buch, sprachlich aber bewegt es sich in eine andere Richtung. Schon der erste Satz streckt seine Fühler nicht nur Richtung Graham Greene aus, sondern auch zu Samuel Beckett; die folgenden, geheimnisvoll mäandernden Bewusstseinsströme lassen an Marguerite Duras denken und das surreale Setting widerspricht fast allen literarischen Moden der Zeit.
Das anagrammatische Spiel mit dem Namen Berg/Greb zeigt uns, dass der Erzähler nicht aus seiner Haut und aus des Vaters Schatten schlüpfen kann. Aus der Mordstory wird eine absurd-komische, boulevardesk-tragische Geschichte über das Unglück, seiner Herkunft ausgeliefert zu sein. Will sagen: „Berg“ ist der schöne Fall eines der Avantgarde verpflichteten Romans, der kein bisschen Patina angesetzt hat. Alistair Berg, Perücken- und Haarwasser-Vertreter von Beruf und ein passionierter Onanist vor dem Herrn, mietet sich in einer schäbigen Pension in besagtem Städtchen am Meer ein. Sein heruntergekommenes Zimmer liegt direkt neben dem seines Erzeugers, der die Familie schändlich verlassen und den Berg/Greb nun endlich ausfindig gemacht hat, um die ums Lebensglück betrogene Mutter zu rächen, die immer mal wieder wie Über-Ich und ewig Geliebte in brieflicher Form oder als Gedankenblase im Erzählerkopf herumspukt. Nathaniel, der Vater, haust also, ohne es zu ahnen, Tür an Tür mit seinem Sohn. Mit seiner Geliebten Judith treibt er es so hemmungslos, dass dem Sohn nebenan die Ohren dröhnen. Der wartet nur noch auf eine Gelegenheit, den Vater zum Schweigen zu bringen.
Das Tun folgt einer traumhaften Logik. Die „Ereignisse in ihrem ständigen Hin und Her zwischen Zufall und Ordnung“ entfalten sich langsam; wie in einer Komödie rumpelt die Handlung zwischen den Pensionszimmern, Seelenräumen und ein paar Kneipen dahin, und der Erzähler verirrt sich bei seinen wild durchdrehenden Überlegungen immer wieder zu Muttern und in die Vergangenheit, wälzt selbstquälerisch Sinn- und Schuldfragen, grübelt über die Folgenlosigkeit der eigenen Existenz und wäre gerne einmal „wie Faust“ nur für einen kurzen Augenblick im Besitz „des absoluten Glaubens“. Mephisto aber lässt sich nirgendwo blicken, und so muss sich der Held alleine durchs Schlamassel winden.
Berg alias Greb begehrt, für den Hobby-Freudianer kaum verwunderlich, Judith, die Liebhaberin des Vaters. Ihr Name erinnert nicht umsonst an Mutter Edith. Der Konkurrent in Liebesdingen muss also weg. Einer der erzählerischen Höhepunkte ist der Mord am alten Herrn, den Berg allerdings im Suff an dessen menschengroßer Bauchrednerpuppe begeht, mit der Nathaniel mitunter durch die Lande tingelt: An grotesker Komik ist kaum zu überbieten, wie sich der Erzähler müht, die vermeintliche Leiche in einen Teppich gewickelt seiner Mutter als Trophäe darzubringen.
Ganz am Ende allerdings muss auch Papa Nathy dran glauben, was dem Sohn jedoch keinen dauerhaften Frieden beschert. Überraschend nämlich taucht in der Pension ein Vater-Lookalike auf – und das ödipale Trauerspiel kann von Neuem beginnen. Sich von seinen Gespenstern zu befreien, ist eine ewig währende Aufgabe. „Alistair Charles Humphrey Greb, alias Berg, Sie sind verurteilt zu lebenslanger Haft, bis Sie sich des Todes als würdig erweisen“, flüstert es einmal in diesem zum Sohnsein verdammten Möchtegern-Mörder.
ULRICH RÜDENAUER
Ann Quin: Berg. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Marix-Verlag. Wiesbaden 2020. 172 Seiten. 16 Euro.
Der Protagonist ist Vertreter
für Haarwasser und
ein passionierter Onanist
Auch der Tod des Vaters bringt
kein Frieden, der Kampf
gegen die Dämonen währt ewig
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verdammt
Ann Quins fast vergessenes
ödipales Trauerspiel „Berg“
Es gibt nur wenige Bücher, die das ödipale Kuddelmuddel auf so radikale, lustige, verstörende Weise ausbuchstabieren wie „Berg“ von Ann Quin. Dieser Roman hat gut ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel; man merkt es ihm nicht an. Das liegt an seiner frischen Sprache, die auf subtile Weise, manchmal auch kräftig mit dem Vorschlaghammer, eine dunkle Vater-Sohn-Beziehung abklopft.
Ann Quins „Berg“ erschien erstmals 1964. Es war das Debüt einer jungen britischen Autorin, die anschließend noch drei weitere Romane veröffentlichen sollte und 1973 mit nur 37 Jahren ihrem Leben ein Ende setzte. Quin wird zwar immer mal wieder von abgelegeneren Autorinnen und Autoren als Einfluss genannt, ist aber heute selbst in England nur noch als Fußnote der Literaturgeschichte präsent. Was ein gewaltiger Fehler ist: „Ein Mann namens Berg, der sich Greb nannte, kam in eine Küstenstadt, um seinen Vater zu ermorden …“ So beginnt die glänzende Neuübersetzung von Conny Lösch, mit einem großartigen, an Graham Greene gemahnenden Auftaktsatz. Die Assoziation Greene liegt nahe, „Berg“ spielt an einem winterlich rauen Ort, dessen Name zwar nicht genannt wird, hinter dem man aber Brighton vermuten darf – hier wurde Ann Quin geboren, hier ist sie gestorben, und hier hat auch Graham Greene seinen berühmten Roman „Brighton Rock“ angesiedelt.
Die Noir-Atmosphäre liegt so dicht über Quins Buch, sprachlich aber bewegt es sich in eine andere Richtung. Schon der erste Satz streckt seine Fühler nicht nur Richtung Graham Greene aus, sondern auch zu Samuel Beckett; die folgenden, geheimnisvoll mäandernden Bewusstseinsströme lassen an Marguerite Duras denken und das surreale Setting widerspricht fast allen literarischen Moden der Zeit.
Das anagrammatische Spiel mit dem Namen Berg/Greb zeigt uns, dass der Erzähler nicht aus seiner Haut und aus des Vaters Schatten schlüpfen kann. Aus der Mordstory wird eine absurd-komische, boulevardesk-tragische Geschichte über das Unglück, seiner Herkunft ausgeliefert zu sein. Will sagen: „Berg“ ist der schöne Fall eines der Avantgarde verpflichteten Romans, der kein bisschen Patina angesetzt hat. Alistair Berg, Perücken- und Haarwasser-Vertreter von Beruf und ein passionierter Onanist vor dem Herrn, mietet sich in einer schäbigen Pension in besagtem Städtchen am Meer ein. Sein heruntergekommenes Zimmer liegt direkt neben dem seines Erzeugers, der die Familie schändlich verlassen und den Berg/Greb nun endlich ausfindig gemacht hat, um die ums Lebensglück betrogene Mutter zu rächen, die immer mal wieder wie Über-Ich und ewig Geliebte in brieflicher Form oder als Gedankenblase im Erzählerkopf herumspukt. Nathaniel, der Vater, haust also, ohne es zu ahnen, Tür an Tür mit seinem Sohn. Mit seiner Geliebten Judith treibt er es so hemmungslos, dass dem Sohn nebenan die Ohren dröhnen. Der wartet nur noch auf eine Gelegenheit, den Vater zum Schweigen zu bringen.
Das Tun folgt einer traumhaften Logik. Die „Ereignisse in ihrem ständigen Hin und Her zwischen Zufall und Ordnung“ entfalten sich langsam; wie in einer Komödie rumpelt die Handlung zwischen den Pensionszimmern, Seelenräumen und ein paar Kneipen dahin, und der Erzähler verirrt sich bei seinen wild durchdrehenden Überlegungen immer wieder zu Muttern und in die Vergangenheit, wälzt selbstquälerisch Sinn- und Schuldfragen, grübelt über die Folgenlosigkeit der eigenen Existenz und wäre gerne einmal „wie Faust“ nur für einen kurzen Augenblick im Besitz „des absoluten Glaubens“. Mephisto aber lässt sich nirgendwo blicken, und so muss sich der Held alleine durchs Schlamassel winden.
Berg alias Greb begehrt, für den Hobby-Freudianer kaum verwunderlich, Judith, die Liebhaberin des Vaters. Ihr Name erinnert nicht umsonst an Mutter Edith. Der Konkurrent in Liebesdingen muss also weg. Einer der erzählerischen Höhepunkte ist der Mord am alten Herrn, den Berg allerdings im Suff an dessen menschengroßer Bauchrednerpuppe begeht, mit der Nathaniel mitunter durch die Lande tingelt: An grotesker Komik ist kaum zu überbieten, wie sich der Erzähler müht, die vermeintliche Leiche in einen Teppich gewickelt seiner Mutter als Trophäe darzubringen.
Ganz am Ende allerdings muss auch Papa Nathy dran glauben, was dem Sohn jedoch keinen dauerhaften Frieden beschert. Überraschend nämlich taucht in der Pension ein Vater-Lookalike auf – und das ödipale Trauerspiel kann von Neuem beginnen. Sich von seinen Gespenstern zu befreien, ist eine ewig währende Aufgabe. „Alistair Charles Humphrey Greb, alias Berg, Sie sind verurteilt zu lebenslanger Haft, bis Sie sich des Todes als würdig erweisen“, flüstert es einmal in diesem zum Sohnsein verdammten Möchtegern-Mörder.
ULRICH RÜDENAUER
Ann Quin: Berg. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Marix-Verlag. Wiesbaden 2020. 172 Seiten. 16 Euro.
Der Protagonist ist Vertreter
für Haarwasser und
ein passionierter Onanist
Auch der Tod des Vaters bringt
kein Frieden, der Kampf
gegen die Dämonen währt ewig
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