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Während eines Seminars werden auf Kreta zwei Physikprofessoren von einem Studenten erschossen. Monate später findet man die Leiche des Mörders auf dem mythenumwobenen Berg Dikte. Schockiert von dem gewaltsamen Einbruch in die Forschungsgemeinschaft beginnt ein annonym bleibender Erzähler, die Umstände des Falles zu recherchieren... Was planvoll begann, führt in unausweichliche, rätselhafte Verstrickungen.

Produktbeschreibung
Während eines Seminars werden auf Kreta zwei Physikprofessoren von einem Studenten erschossen. Monate später findet man die Leiche des Mörders auf dem mythenumwobenen Berg Dikte. Schockiert von dem gewaltsamen Einbruch in die Forschungsgemeinschaft beginnt ein annonym bleibender Erzähler, die Umstände des Falles zu recherchieren... Was planvoll begann, führt in unausweichliche, rätselhafte Verstrickungen.
Autorenporträt
Jorgi Jatromanolakis wurde 1940 auf der griechischen Insel Kreta geboren und lehrt Klassische Philologie an der Universität Athen. Für seinen Roman "Schlaf der Rinder" (deutsch 1996) erhielt er den Ersten Griechischen Nationalpreis für Literatur und den Nikos-Kazantzakis-Preis. 1998 erschien von ihm der Roman "Bericht von einem vorbestimmten Mord".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.1999

Amoklauf in Academia
Jorgi Jatromanolakis' "Bericht über einen vorbestimmten Mord"

Der nachhaltigste Eindruck von einer Fahrt nach Delphi ist für mich stets der Satz eines Einheimischen geblieben, dort unten an jenem Kreuzweg habe Ödipus seinen Vater erschlagen. Denkt und empfindet man anders in einem Lande, in dem die fernsten Mythen noch Gegenwart besitzen? Und vor allem: Leben dort womöglich die Väter, auch die geistigen, gefährlicher als anderswo? Die Frage drängt sich auf angesichts eines Doppelmordes im Hörsaal B 003 des Instituts für Technologie an der Universität von Kreta, wo ein Student der Physik zwei Professoren mit einem Repetiergewehr niederschießt und drei weitere Personen - einen Professor, einen Gastdozenten und eine Studentin - schwer verwundet. So jedenfalls erzählt es Jorgi Jatromanolakis, Athener Professor für klassische Philologie. Zugetragen haben soll sich der gleichen tatsächlich vor einiger Zeit auf Kreta, das allerdings bleibt belanglos für einen Roman, in dem nur das geschieht und wirklich ist, was der Autor zu gestalten vermag.

Damit aber gibt es in diesem Buch Probleme. Deklariert ist es als "Bericht" eines mitfühlenden und vieles, wenngleich keineswegs alles wissenden Kollegen weniger der Opfer als vielmehr des Täters, als Bericht an einen "Herrn Dekan" vermutlich derjenigen Institution, an der sich der blutige Vorfall ereignet hat. Berichte sind Zweckprosa, mit der etwas bewirkt werden soll, bessere Förderung des akademischen Nachwuchses zum Beispiel oder unter Umständen auch die Einrichtung von Metalldetektoren am Eingang von Hörsälen. Diesem Bericht hier jedoch ist eine solche praktische Absicht nicht anzumerken, was durchaus der Kunst des Romans zugute kommen kann. Erzählt wird hauptsächlich die Geschichte der Flucht des zweiunddreißigjährigen Täters.

Die Beschreibung dieser Flucht ist das epische Rückgrat des ganzen Buches, und sie ist teilweise geographisch so genau, daß sie geradezu zur Nachbereitung eines Sommerurlaubs auf Kreta dienen könnte. Wie der Mörder im Trubel des blutigen Geschehens entkommt, in seinem kleinen Leihwagen hinauf ins Gebirge fährt, in Nacht, Regen, Kälte und Sturm hinein, schließlich zu Fuß weitersteigt bis zu jener Stelle, wo man seine Leiche erst Monate später finden wird - das schafft Intensität und Spannung, ohne die nun eben ein Roman über einen Mord kein Roman wäre, sondern allenfalls ein Polizeibericht.

Darüber hinaus hat sich Jatromanolakis seine Sache so schwer als möglich gemacht. Denn während sich im Kriminalroman vor den Augen der Leser allmählich die Fäden entwirren, die Täter und Opfer miteinander verknüpfen, da entsteht hier ein kaum entwirrbarer Knäuel aus Motiven, Bildern, Beobachtungen, Meinungen und sehr mysteriösen Verweisen.

Über die Opfer gibt es nur Obduktionsberichte in allen anatomischem Details, beim Täter hingegen werden eigentlich nur seine akademischen Mißerfolge bestätigt. Keine Liebesgeschichte etwa, sei es zum eigenen oder zum anderen Geschlecht, scheint ihn behelligt zu haben. Seine Leidenschaft gilt anderem: "Getrieben von hitziger Liebe zur Erkenntnis und zur Macht" sei er gewesen, meldet der Berichterstatter dem Herrn Dekan, und gescheitert sei er leider nur an der akademischen Hierarchie, jener "Gemeinschaft", die doch allein der Wahrheit dienen solle und deren ausführliche Darstellung im Zentrum des Buches steht. Eine Gemeinschaft sei es, die "geheimen Regeln" besitze. Professoren ersten und zweiten Ranges gibt es darin, auf den unteren Schichten aber die große Zahl der "bescheidenen und beharrlichen Assistenten" - Mitarbeiter, Eingeweihte, Günstlinge, allesamt bemüht um den "Aufstieg der Person bis hin zu gottähnlicher Schönheit und Glückseligkeit", womöglich sogar mit der "Hoffnung auf Unsterblichkeit", wie das bei den Professoren bereits zur täglichen Wirklichkeit geworden ist. Nur der arme G. P., von den anderen spöttisch der "Atomspalter" genannt, wird des Zugangs für unwürdig befunden, weshalb er sich denn statt des "Großen Diploms", das ihm versagt bleibt, ein Repetiergewehr beschafft. Kein Zweifel also, daß wir es hier mit einem Campus-Roman à la grecque zu tun haben: Ein Sohn erschlägt den Vater.

Ein Mord also, den jeder Student begehen könnte? Natürlich ist Ironie im Spiel bei dieser Schilderung einer akademischen Machtpyramide durch den Professor Jatromanolakis. Erst gegen Ende des "Berichts" an den Herrn Dekan läßt der Berichterstatter die Katze wirklich aus dem Sack mit einem leidenschaftlichen Fluch auf die "akademische Hure": "Denn der Unreine beschläft dich, und der Gerissene demütigt dich." Solcher Zorn ist nicht unbekannt auch nördlich von Iraklion oder Athen, nur daß in jenen anderen Zonen die Spitzen der Hierarchie glücklicherweise etwas sicherer leben. Daß man gesellschaftliche Institutionen nicht mit Maschinenpistolen verändert, hat sich dort seit dem Ausgang der sechziger Jahre allmählich herumgesprochen.

Die Frage, ob dieses Buch dennoch für Universitäten und ihre Machtstrukturen gefährliche Botschaften enthalte, beantwortet Jatromanolakis auf seine Weise, und zwar schon mit dem nächsten Satz des großen Fluchs: "Und du, verkrüppelter Staat, dunkler und zwiegesichtiger Minister, was plapperst du noch, was höhnst du? Ein Mühlstein gehört dir um den Hals gehängt. In deinem Morast sollst du versinken, Griechenland, und du, Schriftgelehrter und Gesetzgeber, du sollst schlafen und aufwachen in deiner eigenen Scheiße, denn du preisest die Gesetzlosigkeit, und die Ignoranz ist dir Orden wert." Es ist eine alte Wahrheit, und sie ist immer wieder neu: Je mehr man will, desto weniger bekommt man. Mit anderen Worten: Der zeitkritische Berichterstatter dieses Buches schießt aus der Hüfte, wobei er sich einmal um sich selbst dreht und all das etwas abbekommt, was gerade im Wege steht. Das aber zieht eine Geschichte ins Beliebige, die wie eine antike Tragödie im modernen Gewand angelegt ist und dazu noch mit einem homerischen Appell an die Muse beginnt und schließt.

Sicherlich dürfte es am Peloponnes, in Attika oder Kreta Politiker von verfluchenswerter Art geben, und einen Griechen wird es - und soll es - dabei wenig kümmern, daß vielleicht sein Land damit nicht allein dasteht in der Welt. Das Besondere am griechischen Wertmaßstab mag die Klage über vergangene Größe im Mutterland der Demokratie sein und womöglich auch der größere Wohlstand anderswo. Den sein eigenes Land Verfluchenden packt es jedoch patriotisch, wenn er an dieses Anderswo denkt, an dieses "schnöde Europa", in dem sich die Griechen eher als Stiefkind betrachten müssen, als "ärmste Nation des Kontinents". "Heil, Rom, Paris, mächtiges Brüssel, seid gegrüßt im Licht eurer Labors."

Und schließlich ist da noch Geheimnisvolleres im Spiel, das wohl seine Wurzeln tief in der Sphäre jener Mythen hat, von denen das nördlichere Europa über Jahrtausende kulturell gezehrt hat. Denn da ist die Rede von der Macht der Gestirne, von "mystischen Führern", die den Berichterstatter wie den Täter geleiten, vom Flug der Opfer ins Unendliche, "indem sie die uralten Gesetze der irdischen Gravitation über den Haufen warfen", und zwar im selben Augenblick, da der Mörder sich mit seinem Mietauto "in seine eigenen Regionen" aufmacht. Es ist übrigens eine der eindrucksvollsten und zugleich komischsten Szenen des Buches. Das Fluchtziel, das der arme Student freilich nie erreichen wird, ist der Ort seiner Geburt. Auch Ödipus hatte sich ja bekanntlich nach dem Mord am Vater auf den Weg zur Mutter begeben. Nur war das alles ein bißchen interessanter als diese moderne Geschichte vom Amoklauf in Academia. GERHARD SCHULZ

Jorgi Jatromanolakis: "Bericht von einem vorbestimmten Mord". Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Norbert Hauser. DuMont Buchverlag, Köln 1998. 268 S., geb., 39,90 DM.

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"Auf hohem sprachlichen Niveau verbindet Jorgi Jatromanolakis, der gelegentlich mit Umberto Eco verglichen wird, sozialkritisches Enga-gement mit den Mythen und Archaismen seiner eigenen Herkunft." Cornelia Staudacher im 'Tagesspiegel'