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Der Roman führt uns in ein Ensemble von Figuren, deren Geschichten und Erfahrungsmuster wir mit der wirklichkeitssüchtigen Sensibilität Matthias Roths nacherleben: Da ist die Zimmerwirtin, deren pralle Geschichten die Zubereitung gleichfalls eindrucksvoller Gerichte begleiten, und das Pärchen im Nebenzimmer, das sich einprägt durch das Hörbild seiner Geräusche; da ist Marianne und die Choreographie ihrer Abgänge nach gemeinsam verbrachter Nacht - doch nicht um Beziehungen, sondern um die unabsehbare Masse der trivialen, mit detailversessener, gieriger Intensität beobachteten Momente des…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman führt uns in ein Ensemble von Figuren, deren Geschichten und Erfahrungsmuster wir mit der wirklichkeitssüchtigen Sensibilität Matthias Roths nacherleben: Da ist die Zimmerwirtin, deren pralle Geschichten die Zubereitung gleichfalls eindrucksvoller Gerichte begleiten, und das Pärchen im Nebenzimmer, das sich einprägt durch das Hörbild seiner Geräusche; da ist Marianne und die Choreographie ihrer Abgänge nach gemeinsam verbrachter Nacht - doch nicht um Beziehungen, sondern um die unabsehbare Masse der trivialen, mit detailversessener, gieriger Intensität beobachteten Momente des Alltags geht es Roth. Er treibt zu auf eine Wahrnehmungsweise, die die Fülle der Einzelheiten durchbricht und die Topographie des Realen weit hinaus verlegt: "Er mußte sich von jetzt an selbst durchschlagen an eine unbekannte Küste ... Alles war nur eine Sache zwischen ihm und den Gegenständen." Auf einer Reise dann tritt der Augenblick ein, in dem Matthias Roths Blick auf die Welt sich verändert:
der Anrufung der Realität schlägt ein tausendfaches Echo entgegen, der verborgene Schimmer der Dinge leuchtet auf.

Eine unangestrengte, nicht nachlassende Energie des Vorstellens und Benennens ist hier am Werk, die den Zusammenhang unserer Lebenswirklichkeit mit bezwingender Intensität durchdringt und steigert.
Autorenporträt
Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebte als freie Schriftstellerin in Hamburg. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Jean-Paul-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Büchner-Preis verliehen. Brigitte Kronauer verstarb im Juli 2019.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2007

Die hohe Schule der Ambivalenz
Brigitte Kronauer: „Berittener Bogenschütze”
Brigitte Kronauer ist eine Liebhaberin des Zweideutigen. Sie verfährt mit der Wirklichkeit wie eine erkenntnishungrige Forscherin und zerlegt sie in eine Fülle von Beobachtungen, Wahrnehmungen, Ereignissen und Gefühlen, die immer mehr als zwei Seiten haben. Alles ist von Ambivalenz durchdrungen, und genau darin liegt der Reichtum der Welt verborgen. Die 1940 geborene Schriftstellerin veröffentlichte fast zwanzig Jahre lang in Untergrundzeitschriften und kleinen Verlagen der Alternativszene wie Nachtcafé, Bert Schlender und Dreibein und bildete abseits des literarischen Betriebes ganz eigene Erzählformen heraus, auf denen ihr schillerndes Universum gründet. Als die ehemalige Deutschlehrerin mit „Frau Mühlenbeck im Gehäus” 1980 dann an die Öffentlichkeit trat, war sie in ihrer Schreibweise nicht mehr zu beirren. Nicht der deutsche Nachkriegsrealismus, sondern die französische Literatur mit ihrem nouveau roman und den radikalen Versuchen, traditionelle Darstellungsmuster zu überwinden, haben sie ästhetisch geprägt.
Nach „Rita Münster” (1983) schafft Brigitte Kronauer 1986 mit ihrem dritten Roman „Berittener Bogenschütze” den großen Durchbruch. Ein Liebesgeknäuel der besonderen Art steht im Mittelpunkt, dargeboten aus der Perspektive eines Beschreibungsmanikers. Wieder begibt sich die Autorin auf die Suche nach inneren Wirklichkeiten, die in einem Reibungsverhältnis zur äußeren Realität stehen. Das hat durchaus ironische Seiten. Zum Beispiel wenn der Held Matthias Roth, ein allmählich ins schmierige Junggesellentum gleitender Privatdozent, der noch möbliert wohnt, sich in Betrachtungen über seine verschwommen wirkende Wirtin verströmt und sich ihren Klatschgeschichten und deftigen Mittagessen mit einer Mischung aus Ekel und Sadismus unterwirft. Oder wenn er sich seiner Freundin Marianne verzückt hingibt, um sie im nächsten Moment in Einzelteile aufzuspalten und sie gedanklich aus seiner spartanischen Dachkammer zu entfernen. Schließlich braucht Matthias Roth seine Ruhe, denn er ist mit ernsten Dingen befasst: mit Joseph Conrad, einem Säulenheiligen von Brigitte Kronauer, mit dem er die Schwäche für das Ritual der Leidenschaften teilt.
Immer wieder ist in diesem Roman von der Liebe die Rede. Auf Schritt und Tritt fühlt sich der Wort-Exeget von ihr eingesponnen, doch dann dreht sie ihm doch wieder eine lange Nase. Mitten in der ligurischen Bergwelt kommt Matthias Roth plötzlich zu sich selbst und erkennt im Spiel von Licht und Schatten, dass er ein Bogenschütze ist und nur nach den Pfeilen zu greifen braucht, um ein „Handlanger der Dinge” zu werden. Alles ist Stillstand und Bewegung zugleich. „Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart ereigneten sich zur selben Zeit, er erträumte etwas und erinnerte sich daran und nahm es doch in diesem Moment wahr, und alle drei Zeitmöglichkeiten lösten sich nicht ineinander auf, sondern sprangen zitternd als Lichtfunken hin und her.” Von einer Handlung im herkömmlichen Sinne kann nicht die Rede sein – dafür erspürt man die Wirklichkeit in ihrer ganzen Spannbreite und gerät in einen Bilderstrudel der betörendsten Sorte. Brigitte Kronauers Roman ist ein Gewölbe aus Sprache und Welt, ein Spiel mit ihrem immerwährenden phantastischen Potential. MAIKE ALBATH
Brigitte Kronauer Foto: Bauer/SV-Bilderdienst
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