Mit diesem Buch wird die erste Gesamtdarstellung der Revolution von 1848 in Berlin vorgelegt, das neben Paris und Wien Hauptschauplatz der europäischen Revolution von 1848 war. Der Autor untersucht u. a. die vielfältigen politischen Strömungen jener Zeit, die Geschichte der zahlreichen Klubs, der Berufsverbände und gewerkschaftsähnlichen Organisationen, neuer Institutionen wie der Bürgerwehr sowie das Verhalten der staatlichen und städtischen Obrigkeiten; außerdem die politischen Einstellungen, Mentalitäten und Handlungsmuster von Arbeitern, Handwerkern, Bürgern u. a. vor dem Hintergrund ihres jeweiligen "sozialkulturellen" Kontextes. Dabei wird die Berliner Revolution in den Gesamtzusammenhang der deutschen und europäischen Revolution eingebettet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998Das war die Berliner Kluft, Kluft, Kluft
Andere Hauptstädte machten Revolution - nicht so die preußische Kapitale: Rüdiger Hachtmann erklärt, warum / Von Paul Nolte
Pech für die Wissenschaft: Das hundertfünfzigjährige Jubiläum der Revolution von 1848/49 fällt nicht mit einer Innovationsphase der Forschung über dieses Ereignis zusammen. Das Interesse vieler Historiker richtet sich vielleicht auch deshalb eher auf die Erinnerung und Deutung von "1848" als auf das damalige Geschehen selber. So nimmt man mit Befriedigung das dicke Buch von Rüdiger Hachtmann in die Hand, das sich an dem wichtigen Beispiel der preußischen Hauptstadt Berlin der Aufgabe einer minutiösen Rekonstruktion und Analyse der Revolution stellt.
Die Revolution in "Deutschland" hatte so viele Facetten wie dieses staatlich noch nicht definierte Gebilde selber. Hachtmann weiß das, und er macht deutlich, daß die Großstadt Berlin am Beginn der Industrialisierung mit ihrer schon scharf ausgeprägten Kluft zwischen Bürgertum und "Pöbel" in vielen Hinsichten sogar einen Sonderfall bildete. Die soziale Polarisierung in der Berliner Revolution ist das Grundmotiv des Buches, an dessen Ende der Autor, einer langen historiographischen Tradition folgend, die Ursachen des Scheiterns der Revolution erörtert.
Das Buch soll ein "breites Leserpublikum" erreichen. In erster Linie handelt es sich aber um eine wissenschaftliche Monographie, die auf einer beeindruckenden Quellenbasis beruht; vor allem die oft vernachlässigten Tageszeitungen sind gründlich ausgewertet worden. Die Sprache des Verfassers ist erfreulich flüssig und jargonfrei, und zahlreiche Karikaturen und Stiche, deren Wiedergabequalität freilich öfters zu wünschen übrigläßt, illustrieren die Darstellung, die mit ihren eintausend Seiten allerdings zu lang geraten ist.
Wie wird die Revolution hier präsentiert? Ein solches Buch hat eine lange Vorgeschichte, die in diesem Fall in die Mitte der achtziger Jahre zurückweist, als sich unter Historikern eine Art neuer common sense über dieses Ereigniskonsolidierte, der in Wolfram Siemanns sehr lesenswertem Aufriß "Die deutsche Revolution von 1848/49" seinen prägnantesten Ausdruck fand: Das war der endgültige Abschied von alten Etiketten wie dem "Kampf des liberalen Bürgertums um Einheit und Freiheit". Statt dessen wurde die Revolution als ein Komplex erkennbar, in dem unterschiedliche "Trägerschichten" auf verschiedenen "Handlungsebenen" und mit je eigenen "Aktionsformen" - vom spontanen Unterschichtenkrawall bis zur bildungsbürgerlichen Parlamentsrede - agierten. Damit zerbrach auch die alte Konzentration auf Frankfurt, Berlin und Wien, demgegenüber alles übrige revolutionäre Geschehen, überspitzt gesagt, bloße Landesgeschichte war.
Die regionale Vielfalt, das räumliche Netzwerk der Revolution, trat in den Vordergrund. Der "revolutionäre Charakter der Revolution" im dynamischen Zusammenspiel von Vereinsbildung und Protest, von Parlament und Barrikade, von Dorfpolitik und Nationsbildung, trat hervor. Zugleich warfen die Historiker einen Teil des Ballasts der "Sonderweginterpretationen" ab, nach der die "gescheiterte Revolution" zum Fanal für die weitere deutsche Geschichte geworden war.
Hachtmanns Berliner Revolution ruht in vielem auf diesem Konsens der achtziger Jahre. Er konzentriert sich auf die Stadt als politisches Handlungsfeld mit ihren revolutionären Institutionen: vor allem den Vereinen und der Bürgerwehr; die preußische Nationalversammlung und das preußische Ministerium bleiben im Hintergrund. Etwas enttäuschend ist, daß der Stadtraum als prägende Kraft der lokalen Revolution sehr blaß bleibt. Am meisten Aufmerksamkeit gilt der sozialen Schichtung und den mentalen Prägungen der bürgerlichen Kultur und der "Kultur der Armut" in den Berliner Unterschichten. Selten ist die Forderung nach einem möglichst präzisen Sozialprofil der Revolutionäre so gewissenhaft eingelöst worden.
Das Buch führt die sozialgeschichtliche Revolutionsforschung nicht nur auf einen Höhepunkt, sondern zugleich an bestimmte Grenzen. Der Durchmarsch durch marginale Gruppen wie die Berliner Lehrer, Schüler und Privatdozenten wirft die Frage auf, ob die Beschreibung dieser Gruppen in den Kern der Revolutionsdynamik führt. Die Sozialstruktur determinierte nicht die Ereignisse - natürlich weiß Hachtmann das, aber je genauer er jene beschreibt, desto größer wird die Kluft zu diesen. Das ist ein Grund dafür, warum das letzte Drittel des Buches, das sich einer reflektierten Ereignisgeschichte seit dem Zeughaussturm vom 14. Juni 1848 widmet, zu seinen überzeugendsten und spannendsten Partien gehört.
"Berlin 1848": Der Titel deutet auch den zeitlichen Bogen der Darstellung an. Hachtmann führt sie bis zum Einmarsch des Militärs unter General Wrangel in die preußische Hauptstadt am 10. November 1848 und zur zwei Tage später folgenden Verhängung des Belagerungszustandes. Damit war fraglos eine entscheidende Zäsur erreicht, aber bedeutete sie in jeder Hinsicht das Ende der Berliner Revolution? Die Ereignisse bis zur Mitte des folgenden Jahres werden von Hachtmann als bloßer Epilog gesehen, doch en passant erfährt der Leser dann von einer neuen Blüte des Vereinswesens im Winter - übrigens ganz parallel zur Entwicklung in anderen, noch nicht militärisch "befriedeten" deutschen Regionen -, von Streiks und neuen Unruhen im März und April 1849. Hätte man dies mit einbezogen, ergäbe sich ein verändertes Bild der Berliner Revolution. Es ist merkwürdig: Gerade erst schien sich, mit sehr guten Gründen, ein Verständnis der Revolution durchgesetzt zu haben, das ihre späteren Phasen bis hin zur "Reichsverfassungskampagne" des Frühjahrs und Frühsommers 1849 mit einbezog, und man sprach von der "deutschen Revolution von 1848/49". Jetzt wird die Revolution häufig wieder stillschweigend auf ihr erstes Jahr, auf "1848" reduziert. Die Jubiläumsstrategen, die im Moment oft den Ton angeben, sind auf möglichst eng gefaßte Daten erpicht und würden das Revolutionsjubiläum wohl am liebsten auf einen bestimmten Tag legen.
Ein ähnlicher Einwand betrifft den Beginn der Revolution, wie ihn Hachtmann für Berlin beschreibt - und damit sein Verständnis von "Revolution" überhaupt. Mit den Kämpfen zwischen der Berliner Bevölkerung - überwiegend soziale Unterschichten - und dem Militär auf den Barrikaden des 18. März fängt für ihn die Revolution an. Die seit Ende Februar eskalierende Folge von Massenprotesten und Volksversammlungen, von Petitionen und gewaltsamen Zusammenstößen - in ihrer Konstellation geradezu klassische Indikatoren einer Revolution - werden als höchstens "vorrevolutionär" abgetan. Dann wären auch die Bostoner "Tea Party" oder der Sturm auf die Bastille kaum mehr als vorrevolutionäre Geplänkel.
Am Morgen des 19. März ist die Revolution dann, folgt man Hachtmann, schon wieder zu Ende: Sie wird, mit einem Wort, viel zu schnell mit den Barrikadenkämpfen des einen Tages in eins gesetzt. Dieses ganz punktuelle, auf den Gebrauch von Schußwaffen reduzierte Revolutionsverständnis durchzieht das ganze erste Drittel des Buches und bringt es in eine Schieflage. Glücklicherweise findet Hachtmann danach jedoch zu einem weiteren und angemesseneren Verständnis seines Gegenstandes.
Unbestreitbar spielte die bewaffnete Gewalt, spielte das Militär in der Berliner Revolution eine größere Rolle als anderswo, und Hachtmann trägt viel dazu bei, dies für alle Phasen genau auszuloten - meist mit deprimierendem Resultat, was die Chancen der Gegner betrifft, auch wenn er zeigen kann, daß es selbst in der so sprichwörtlich königstreuen Armee im Herbst 1848 mehr demokratische Sympathien gab, als man bisher angenommen hatte. Aber am Ende scheint es so, und darin ist dem Verfasser sicher recht zu geben, daß die Revolution in Berlin wegen zweier Bedingungen tatsächlich noch geringere Erfolgsaussichten hatte als anderswo: wegen der weit vorangetriebenen sozialen Polarisierung einerseits, die große Teile des Bürgertums immer wieder an die Seite der Ordnungskräfte trieb, und wegen der Stärke des Militärs und der übrigen Machtpositionen des Ancien Régime andererseits. Man lernt auch, daß das oft hilflos bis zur Tolpatschigkeit wirkende Verhalten Friedrich Wilhelms IV. und des Hofes aus ihrer Perspektive Sinn ergab und die "richtige" Mischung aus Nachgiebigkeit, leeren Versprechungen und blanker Härte bot.
Hachtmann wehrt sich am Schluß des Buches gegen eine Interpretation, die den Erfolgen der Revolution, unter anderem der konstitutionellen Verfassung Preußens, in letzter Zeit höheres Gewicht beimißt und so das Diktum des Scheiterns relativiert. Und er verweist erneut auf die politischen Prägungen des preußisch-deutschen Bürgertums im Gefolge des Scheiterns, zieht die Linie von Bismarck über die Schwäche der Weimarer Republik bis zu Hitler. Das ist immer noch eine wichtige und legitime Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Revolution von 1848/49 heute. Aber es ist nicht die einzige, und man kann sich auch fragen, wieviel sie zumal jüngeren Generationen noch sagt. Bei dem Offenburger "Revolutionsfest" im September vergangenen Jahres konnte man eine Aktualisierung der Revolution beobachten, die viel unkomplizierter und ohne erhobenen Zeigefinger die deutsche Gegenwart zu den Erfahrungen der Revolutionäre auf Transparenten und Plakaten in Beziehung setzte.
Rüdiger Hachtmann: "Berlin 1848". Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution. J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 1997. 1008 S., Abb., geb., 98,- DM.
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Andere Hauptstädte machten Revolution - nicht so die preußische Kapitale: Rüdiger Hachtmann erklärt, warum / Von Paul Nolte
Pech für die Wissenschaft: Das hundertfünfzigjährige Jubiläum der Revolution von 1848/49 fällt nicht mit einer Innovationsphase der Forschung über dieses Ereignis zusammen. Das Interesse vieler Historiker richtet sich vielleicht auch deshalb eher auf die Erinnerung und Deutung von "1848" als auf das damalige Geschehen selber. So nimmt man mit Befriedigung das dicke Buch von Rüdiger Hachtmann in die Hand, das sich an dem wichtigen Beispiel der preußischen Hauptstadt Berlin der Aufgabe einer minutiösen Rekonstruktion und Analyse der Revolution stellt.
Die Revolution in "Deutschland" hatte so viele Facetten wie dieses staatlich noch nicht definierte Gebilde selber. Hachtmann weiß das, und er macht deutlich, daß die Großstadt Berlin am Beginn der Industrialisierung mit ihrer schon scharf ausgeprägten Kluft zwischen Bürgertum und "Pöbel" in vielen Hinsichten sogar einen Sonderfall bildete. Die soziale Polarisierung in der Berliner Revolution ist das Grundmotiv des Buches, an dessen Ende der Autor, einer langen historiographischen Tradition folgend, die Ursachen des Scheiterns der Revolution erörtert.
Das Buch soll ein "breites Leserpublikum" erreichen. In erster Linie handelt es sich aber um eine wissenschaftliche Monographie, die auf einer beeindruckenden Quellenbasis beruht; vor allem die oft vernachlässigten Tageszeitungen sind gründlich ausgewertet worden. Die Sprache des Verfassers ist erfreulich flüssig und jargonfrei, und zahlreiche Karikaturen und Stiche, deren Wiedergabequalität freilich öfters zu wünschen übrigläßt, illustrieren die Darstellung, die mit ihren eintausend Seiten allerdings zu lang geraten ist.
Wie wird die Revolution hier präsentiert? Ein solches Buch hat eine lange Vorgeschichte, die in diesem Fall in die Mitte der achtziger Jahre zurückweist, als sich unter Historikern eine Art neuer common sense über dieses Ereigniskonsolidierte, der in Wolfram Siemanns sehr lesenswertem Aufriß "Die deutsche Revolution von 1848/49" seinen prägnantesten Ausdruck fand: Das war der endgültige Abschied von alten Etiketten wie dem "Kampf des liberalen Bürgertums um Einheit und Freiheit". Statt dessen wurde die Revolution als ein Komplex erkennbar, in dem unterschiedliche "Trägerschichten" auf verschiedenen "Handlungsebenen" und mit je eigenen "Aktionsformen" - vom spontanen Unterschichtenkrawall bis zur bildungsbürgerlichen Parlamentsrede - agierten. Damit zerbrach auch die alte Konzentration auf Frankfurt, Berlin und Wien, demgegenüber alles übrige revolutionäre Geschehen, überspitzt gesagt, bloße Landesgeschichte war.
Die regionale Vielfalt, das räumliche Netzwerk der Revolution, trat in den Vordergrund. Der "revolutionäre Charakter der Revolution" im dynamischen Zusammenspiel von Vereinsbildung und Protest, von Parlament und Barrikade, von Dorfpolitik und Nationsbildung, trat hervor. Zugleich warfen die Historiker einen Teil des Ballasts der "Sonderweginterpretationen" ab, nach der die "gescheiterte Revolution" zum Fanal für die weitere deutsche Geschichte geworden war.
Hachtmanns Berliner Revolution ruht in vielem auf diesem Konsens der achtziger Jahre. Er konzentriert sich auf die Stadt als politisches Handlungsfeld mit ihren revolutionären Institutionen: vor allem den Vereinen und der Bürgerwehr; die preußische Nationalversammlung und das preußische Ministerium bleiben im Hintergrund. Etwas enttäuschend ist, daß der Stadtraum als prägende Kraft der lokalen Revolution sehr blaß bleibt. Am meisten Aufmerksamkeit gilt der sozialen Schichtung und den mentalen Prägungen der bürgerlichen Kultur und der "Kultur der Armut" in den Berliner Unterschichten. Selten ist die Forderung nach einem möglichst präzisen Sozialprofil der Revolutionäre so gewissenhaft eingelöst worden.
Das Buch führt die sozialgeschichtliche Revolutionsforschung nicht nur auf einen Höhepunkt, sondern zugleich an bestimmte Grenzen. Der Durchmarsch durch marginale Gruppen wie die Berliner Lehrer, Schüler und Privatdozenten wirft die Frage auf, ob die Beschreibung dieser Gruppen in den Kern der Revolutionsdynamik führt. Die Sozialstruktur determinierte nicht die Ereignisse - natürlich weiß Hachtmann das, aber je genauer er jene beschreibt, desto größer wird die Kluft zu diesen. Das ist ein Grund dafür, warum das letzte Drittel des Buches, das sich einer reflektierten Ereignisgeschichte seit dem Zeughaussturm vom 14. Juni 1848 widmet, zu seinen überzeugendsten und spannendsten Partien gehört.
"Berlin 1848": Der Titel deutet auch den zeitlichen Bogen der Darstellung an. Hachtmann führt sie bis zum Einmarsch des Militärs unter General Wrangel in die preußische Hauptstadt am 10. November 1848 und zur zwei Tage später folgenden Verhängung des Belagerungszustandes. Damit war fraglos eine entscheidende Zäsur erreicht, aber bedeutete sie in jeder Hinsicht das Ende der Berliner Revolution? Die Ereignisse bis zur Mitte des folgenden Jahres werden von Hachtmann als bloßer Epilog gesehen, doch en passant erfährt der Leser dann von einer neuen Blüte des Vereinswesens im Winter - übrigens ganz parallel zur Entwicklung in anderen, noch nicht militärisch "befriedeten" deutschen Regionen -, von Streiks und neuen Unruhen im März und April 1849. Hätte man dies mit einbezogen, ergäbe sich ein verändertes Bild der Berliner Revolution. Es ist merkwürdig: Gerade erst schien sich, mit sehr guten Gründen, ein Verständnis der Revolution durchgesetzt zu haben, das ihre späteren Phasen bis hin zur "Reichsverfassungskampagne" des Frühjahrs und Frühsommers 1849 mit einbezog, und man sprach von der "deutschen Revolution von 1848/49". Jetzt wird die Revolution häufig wieder stillschweigend auf ihr erstes Jahr, auf "1848" reduziert. Die Jubiläumsstrategen, die im Moment oft den Ton angeben, sind auf möglichst eng gefaßte Daten erpicht und würden das Revolutionsjubiläum wohl am liebsten auf einen bestimmten Tag legen.
Ein ähnlicher Einwand betrifft den Beginn der Revolution, wie ihn Hachtmann für Berlin beschreibt - und damit sein Verständnis von "Revolution" überhaupt. Mit den Kämpfen zwischen der Berliner Bevölkerung - überwiegend soziale Unterschichten - und dem Militär auf den Barrikaden des 18. März fängt für ihn die Revolution an. Die seit Ende Februar eskalierende Folge von Massenprotesten und Volksversammlungen, von Petitionen und gewaltsamen Zusammenstößen - in ihrer Konstellation geradezu klassische Indikatoren einer Revolution - werden als höchstens "vorrevolutionär" abgetan. Dann wären auch die Bostoner "Tea Party" oder der Sturm auf die Bastille kaum mehr als vorrevolutionäre Geplänkel.
Am Morgen des 19. März ist die Revolution dann, folgt man Hachtmann, schon wieder zu Ende: Sie wird, mit einem Wort, viel zu schnell mit den Barrikadenkämpfen des einen Tages in eins gesetzt. Dieses ganz punktuelle, auf den Gebrauch von Schußwaffen reduzierte Revolutionsverständnis durchzieht das ganze erste Drittel des Buches und bringt es in eine Schieflage. Glücklicherweise findet Hachtmann danach jedoch zu einem weiteren und angemesseneren Verständnis seines Gegenstandes.
Unbestreitbar spielte die bewaffnete Gewalt, spielte das Militär in der Berliner Revolution eine größere Rolle als anderswo, und Hachtmann trägt viel dazu bei, dies für alle Phasen genau auszuloten - meist mit deprimierendem Resultat, was die Chancen der Gegner betrifft, auch wenn er zeigen kann, daß es selbst in der so sprichwörtlich königstreuen Armee im Herbst 1848 mehr demokratische Sympathien gab, als man bisher angenommen hatte. Aber am Ende scheint es so, und darin ist dem Verfasser sicher recht zu geben, daß die Revolution in Berlin wegen zweier Bedingungen tatsächlich noch geringere Erfolgsaussichten hatte als anderswo: wegen der weit vorangetriebenen sozialen Polarisierung einerseits, die große Teile des Bürgertums immer wieder an die Seite der Ordnungskräfte trieb, und wegen der Stärke des Militärs und der übrigen Machtpositionen des Ancien Régime andererseits. Man lernt auch, daß das oft hilflos bis zur Tolpatschigkeit wirkende Verhalten Friedrich Wilhelms IV. und des Hofes aus ihrer Perspektive Sinn ergab und die "richtige" Mischung aus Nachgiebigkeit, leeren Versprechungen und blanker Härte bot.
Hachtmann wehrt sich am Schluß des Buches gegen eine Interpretation, die den Erfolgen der Revolution, unter anderem der konstitutionellen Verfassung Preußens, in letzter Zeit höheres Gewicht beimißt und so das Diktum des Scheiterns relativiert. Und er verweist erneut auf die politischen Prägungen des preußisch-deutschen Bürgertums im Gefolge des Scheiterns, zieht die Linie von Bismarck über die Schwäche der Weimarer Republik bis zu Hitler. Das ist immer noch eine wichtige und legitime Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Revolution von 1848/49 heute. Aber es ist nicht die einzige, und man kann sich auch fragen, wieviel sie zumal jüngeren Generationen noch sagt. Bei dem Offenburger "Revolutionsfest" im September vergangenen Jahres konnte man eine Aktualisierung der Revolution beobachten, die viel unkomplizierter und ohne erhobenen Zeigefinger die deutsche Gegenwart zu den Erfahrungen der Revolutionäre auf Transparenten und Plakaten in Beziehung setzte.
Rüdiger Hachtmann: "Berlin 1848". Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution. J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 1997. 1008 S., Abb., geb., 98,- DM.
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