Berlin im August 1936: Zehntausende Gäste aus aller Welt strömen in die Stadt. Die Olympischen Spiele locken die Besucher zu den Sportstätten, in die Straßen, Bars und Cafés. Für einen kurzen Moment wirkt Berlin in diesem Sommer weltoffen und unbeschwert, als schalte die Diktatur in einen Pausenmodus. Oliver Hilmes folgt Berlinern und Touristen, Sportlern und Künstlern, Diplomaten und Nazi-Größen, Nachtschwärmern und Showstars durch die fiebrig-flirrende Zeit der Sommerspiele und erzählt ihre Geschichten. Es sind Geschichten von Opfern und Tätern, von Mitläufern und Zuschauern. Es ist die Geschichte eines einzigartigen Sommers.
"Ein rasantes Porträt. Historische Quellen so lebendig zu machen ist ein Gewinn für den Leser." ZDF "aspekte"
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2016Blut und Champagner
„Berlin 1936“: Oliver Hilmes erzählt von den Olympischen Sommerspielen – und das Nebeneinander
von Sportfest, Diktatur, Propaganda und Nachtleben gerät ihm zur allzu süffigen Revue
VON JENS BISKY
Im März war die Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland einmarschiert, am 1. August 1936 eröffnete Adolf Hitler die Olympischen Sommerspiele in Berlin. Es ging um Rekorde. Zum ersten Mal wurde ein Fackellauf von Olympia zum Austragungsort inszeniert, Hitlerjugend und SA empfingen die Fackel im Lustgarten. Knapp 4000 Sportler aus 49 Nationen nahmen an den Spielen teil, so viele wie nie zuvor, die Boykottbewegung gegen das nationalsozialistische Deutschland war gescheitert. Bis zum 16. August konnte man in Berlin Erfolge der Körperertüchtigung, Prachtstraßen voller Hakenkreuze und gute Organisation bewundern.
Von heute aus gesehen, wirken die Olympischen Spiele wie ein Propagandacoup, mit dem es gelang, die Welt über tatsächliche Absichten zu täuschen und abzulenken von den Zurüstungen zu Vernichtungskrieg und Völkermord. Wer jedoch im August 1936 nicht genau hinschauen wollte, mochte Hitler mit einem der vielen, zeittypischen Despoten verwechseln und glauben, sobald die nationale Ehre wieder hergestellt sei, würde man ihn in ein System der europäischen Friedenssicherung einbinden können.
Neben Fanfarenklängen und Massenjubel gehörte „Goody Goody“ zum Sound dieses Sommers. Der Swing-König Teddy Stauffer gastierte im Delphi-Palast und begeisterte mit Saxophon-Lässigkeiten. Wer sich abends nicht mit sich selber langweilen wollte, hatte die Wahl zwischen Ciro-Bar oder Quartier Latin – Pola Negri und Hubert von Meyerinck verkehrten dort – oder der Sherbini-Bar, wo der Luftwaffenoberst Ernst Udet und die Tochter des amerikanischen Botschafters Martha Dodd gesehen wurden.
Sportfest, Diktatur, Propaganda und Nachtleben – dieses Nebeneinander schildert Oliver Hilmes in seinem neuen Buch „Berlin 1936“. Es handelt sich weder um ein Sportbuch, das Athleten, Rekorde und Pleiten verzeichnet, noch um eine Studie über den Nationalsozialismus vor Kriegsbeginn. Hilmes, der mit Büchern über Alma Mahler-Werfel und Cosima Wagner bekannt und einer der erfolgreichsten deutschen Sachbuchautoren geworden ist, versammelt Momentaufnahmen, Polizeimeldungen, Wetterberichte, Anweisungen der Reichspressekonferenz, Einzelschicksale, Kuriosa und Bedeutendes zu einer Reportage über jene „sechzehn Tage im August“.
Dafür nutzt er Erinnerungen, Tagebücher, er hat Zeitungen und Zeitschriften ausgewertet und kann eine Fülle interessanter Archiv-Funde ausbreiten. Man erfährt einiges über die Feste, die Göring und Goebbels in Konkurrenz zueinander veranstalteten, über Kriminalfälle, Mode und Rezepte, über die Dreharbeiten Leni Riefenstahls für den irre teuren Olympia-Film, über Drinks und Alkoholprobleme, Lautsprecher am Kurfürstendamm und eine erste Fernsehübertragung. Alles kommt gleichberechtigt vor, heraus sticht der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, der Deutschland liebte, mit Ernst Rowohlt trank und Mildred Harnacks Versuchen, ihm die Augen für das Verbrecherregime zu öffnen, nur zögernd folgte. Geschickt weitet Hilmes die Perspektive, lässt Thomas Mann in Küsnacht Radio hören, berichtet von der Legion Condor, die Franco im spanischen Bürgerkrieg unterstützte, oder vom Bau des Konzentrationslagers Sachsenhausen in eben diesem Sommer. Selbstverständlich werden die Siege von Jesse Owens gebührend gewürdigt, wird vom Tauziehen um die Teilnahme jüdischer Sportler berichtet, vom Verstecken des Stürmers und vieles, vieles mehr.
Aber man wird dieses Buches nicht froh, es liest sich, als hätte jemand mit dem heutigen Wissen ein Klatschmagazin des Jahres 1936 verfasst. Politik sucht der Leser vergeblich, auch die Größen des Dritten Reiches treten in erster Linie als Prominente auf. Gewiss, es wird erwähnt, dass Hitler damals befahl, Armee und Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig zu machen. Doch die Eheprobleme des Joseph Goebbels erscheinen wichtiger als seine Propagandatechniken. Für das Fehlen intellektueller Neugier, ja irgendeiner interessanten Frage, kann die Fülle der lokalhistorischen Details nicht entschädigen. Diese werden mehrfach ungenau, bloß obenhin charakterisiert. Mit dem Ausbau des KZ Sachsenhausen auf Befehl Heinrich Himmlers begann die systematische Errichtung des SS-Staates, es unterschied sich von den Lagern der SA. Hilmes verwischt in seiner Darstellung die Unterschiede, beschwört bloß Schrecken und Grausamkeit.
Zu den Gästen des Quartier Latin zählte auch der Polizeipräsident Wolf-Heinrich von Helldorff: „Der Graf gilt als brutaler Machtmensch, an seinen Händen soll Blut kleben.“ Doch davon ahne man nichts, wenn man ihn Champagner trinken sehe. Diese Plattitüde ersetzt die Information, dass von Helldorff ein antisemitischer Scharfmacher und Rabauke war, den Goebbels eben deshalb 1935 zum Polizeipräsidenten von Berlin machte. Über die Innenpolitik erfährt man wenig, kaum etwas über die Versorgungsengpässe, Devisenknappheit, all die inneren Krisenmomente, auf die das Regime mit Propaganda, Terror und forcierter Aufrüstung reagierte.
Ein paar Sätze über die Wirksamkeit der Olympia-Inszenierung im Ausland und im Inneren wären gut gewesen, es sei denn, man will sich mit dem plakativen Gegensatz von Blut und Champagner begnügen. Neben vielen bloß kuriosen Details war dann offenbar kein Platz mehr für den Ringer und Kommunisten Werner Seelenbinder, der im Falle eines Sieges einen öffentlichen Appell gegen Hitler geplant hatte. Breit ausgewalzt wird stattdessen der Kuss, den die amerikanische Touristin Carla de Vries Adolf Hitler gegen dessen Willen auf die Wange gab: Zeitgeschichte als Klatsch und Tratsch.
Erzählt wird überwiegend im Präsens der unmittelbaren Teilnahme und mit vielen Adjektiven; manche Formulierungen stolpern auf Stelzen. Die Rote Fahne, heißt es, lasse „keinen Zweifel mehr daran, wessen Lendenkraft Magda (Goebbels) entsprungen ist“; Frauenherzen schmelzen, ein schöner Mann lächelt sich in „die Herzen der Damenwelt“. Manchmal lächelt die Leserwelt über das falsche Wort: Hitler habe mit dem Eröffnungssatz der Spiele seine österreichische Herkunft „entlarvt“; Victor Klemperer „rächt“ sich mit „LTI“ an seinen Verfolgern. Nach gut 250 Seiten ist man froh, dass die XI. Olympischen Spiele nur bis zum 16. August dauerten.
Oliver Hilmes: Berlin 1936. Sechzehn Tage im August. Siedler Verlag, München 2016. 304 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Frauenherzen schmelzen,
ein schöner Mann lächelt sich
in „die Herzen der Damenwelt“
Grüße im Olympiastadion: Jesse Owens (Mitte), Lutz Long (rechts) und Naoto Tajima bei der Siegerehrung im Weitsprung. Owens hatte einen Weltrekord erzielt.
Foto: Süddeutsche Zeitung Phot o
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Berlin 1936“: Oliver Hilmes erzählt von den Olympischen Sommerspielen – und das Nebeneinander
von Sportfest, Diktatur, Propaganda und Nachtleben gerät ihm zur allzu süffigen Revue
VON JENS BISKY
Im März war die Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland einmarschiert, am 1. August 1936 eröffnete Adolf Hitler die Olympischen Sommerspiele in Berlin. Es ging um Rekorde. Zum ersten Mal wurde ein Fackellauf von Olympia zum Austragungsort inszeniert, Hitlerjugend und SA empfingen die Fackel im Lustgarten. Knapp 4000 Sportler aus 49 Nationen nahmen an den Spielen teil, so viele wie nie zuvor, die Boykottbewegung gegen das nationalsozialistische Deutschland war gescheitert. Bis zum 16. August konnte man in Berlin Erfolge der Körperertüchtigung, Prachtstraßen voller Hakenkreuze und gute Organisation bewundern.
Von heute aus gesehen, wirken die Olympischen Spiele wie ein Propagandacoup, mit dem es gelang, die Welt über tatsächliche Absichten zu täuschen und abzulenken von den Zurüstungen zu Vernichtungskrieg und Völkermord. Wer jedoch im August 1936 nicht genau hinschauen wollte, mochte Hitler mit einem der vielen, zeittypischen Despoten verwechseln und glauben, sobald die nationale Ehre wieder hergestellt sei, würde man ihn in ein System der europäischen Friedenssicherung einbinden können.
Neben Fanfarenklängen und Massenjubel gehörte „Goody Goody“ zum Sound dieses Sommers. Der Swing-König Teddy Stauffer gastierte im Delphi-Palast und begeisterte mit Saxophon-Lässigkeiten. Wer sich abends nicht mit sich selber langweilen wollte, hatte die Wahl zwischen Ciro-Bar oder Quartier Latin – Pola Negri und Hubert von Meyerinck verkehrten dort – oder der Sherbini-Bar, wo der Luftwaffenoberst Ernst Udet und die Tochter des amerikanischen Botschafters Martha Dodd gesehen wurden.
Sportfest, Diktatur, Propaganda und Nachtleben – dieses Nebeneinander schildert Oliver Hilmes in seinem neuen Buch „Berlin 1936“. Es handelt sich weder um ein Sportbuch, das Athleten, Rekorde und Pleiten verzeichnet, noch um eine Studie über den Nationalsozialismus vor Kriegsbeginn. Hilmes, der mit Büchern über Alma Mahler-Werfel und Cosima Wagner bekannt und einer der erfolgreichsten deutschen Sachbuchautoren geworden ist, versammelt Momentaufnahmen, Polizeimeldungen, Wetterberichte, Anweisungen der Reichspressekonferenz, Einzelschicksale, Kuriosa und Bedeutendes zu einer Reportage über jene „sechzehn Tage im August“.
Dafür nutzt er Erinnerungen, Tagebücher, er hat Zeitungen und Zeitschriften ausgewertet und kann eine Fülle interessanter Archiv-Funde ausbreiten. Man erfährt einiges über die Feste, die Göring und Goebbels in Konkurrenz zueinander veranstalteten, über Kriminalfälle, Mode und Rezepte, über die Dreharbeiten Leni Riefenstahls für den irre teuren Olympia-Film, über Drinks und Alkoholprobleme, Lautsprecher am Kurfürstendamm und eine erste Fernsehübertragung. Alles kommt gleichberechtigt vor, heraus sticht der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, der Deutschland liebte, mit Ernst Rowohlt trank und Mildred Harnacks Versuchen, ihm die Augen für das Verbrecherregime zu öffnen, nur zögernd folgte. Geschickt weitet Hilmes die Perspektive, lässt Thomas Mann in Küsnacht Radio hören, berichtet von der Legion Condor, die Franco im spanischen Bürgerkrieg unterstützte, oder vom Bau des Konzentrationslagers Sachsenhausen in eben diesem Sommer. Selbstverständlich werden die Siege von Jesse Owens gebührend gewürdigt, wird vom Tauziehen um die Teilnahme jüdischer Sportler berichtet, vom Verstecken des Stürmers und vieles, vieles mehr.
Aber man wird dieses Buches nicht froh, es liest sich, als hätte jemand mit dem heutigen Wissen ein Klatschmagazin des Jahres 1936 verfasst. Politik sucht der Leser vergeblich, auch die Größen des Dritten Reiches treten in erster Linie als Prominente auf. Gewiss, es wird erwähnt, dass Hitler damals befahl, Armee und Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig zu machen. Doch die Eheprobleme des Joseph Goebbels erscheinen wichtiger als seine Propagandatechniken. Für das Fehlen intellektueller Neugier, ja irgendeiner interessanten Frage, kann die Fülle der lokalhistorischen Details nicht entschädigen. Diese werden mehrfach ungenau, bloß obenhin charakterisiert. Mit dem Ausbau des KZ Sachsenhausen auf Befehl Heinrich Himmlers begann die systematische Errichtung des SS-Staates, es unterschied sich von den Lagern der SA. Hilmes verwischt in seiner Darstellung die Unterschiede, beschwört bloß Schrecken und Grausamkeit.
Zu den Gästen des Quartier Latin zählte auch der Polizeipräsident Wolf-Heinrich von Helldorff: „Der Graf gilt als brutaler Machtmensch, an seinen Händen soll Blut kleben.“ Doch davon ahne man nichts, wenn man ihn Champagner trinken sehe. Diese Plattitüde ersetzt die Information, dass von Helldorff ein antisemitischer Scharfmacher und Rabauke war, den Goebbels eben deshalb 1935 zum Polizeipräsidenten von Berlin machte. Über die Innenpolitik erfährt man wenig, kaum etwas über die Versorgungsengpässe, Devisenknappheit, all die inneren Krisenmomente, auf die das Regime mit Propaganda, Terror und forcierter Aufrüstung reagierte.
Ein paar Sätze über die Wirksamkeit der Olympia-Inszenierung im Ausland und im Inneren wären gut gewesen, es sei denn, man will sich mit dem plakativen Gegensatz von Blut und Champagner begnügen. Neben vielen bloß kuriosen Details war dann offenbar kein Platz mehr für den Ringer und Kommunisten Werner Seelenbinder, der im Falle eines Sieges einen öffentlichen Appell gegen Hitler geplant hatte. Breit ausgewalzt wird stattdessen der Kuss, den die amerikanische Touristin Carla de Vries Adolf Hitler gegen dessen Willen auf die Wange gab: Zeitgeschichte als Klatsch und Tratsch.
Erzählt wird überwiegend im Präsens der unmittelbaren Teilnahme und mit vielen Adjektiven; manche Formulierungen stolpern auf Stelzen. Die Rote Fahne, heißt es, lasse „keinen Zweifel mehr daran, wessen Lendenkraft Magda (Goebbels) entsprungen ist“; Frauenherzen schmelzen, ein schöner Mann lächelt sich in „die Herzen der Damenwelt“. Manchmal lächelt die Leserwelt über das falsche Wort: Hitler habe mit dem Eröffnungssatz der Spiele seine österreichische Herkunft „entlarvt“; Victor Klemperer „rächt“ sich mit „LTI“ an seinen Verfolgern. Nach gut 250 Seiten ist man froh, dass die XI. Olympischen Spiele nur bis zum 16. August dauerten.
Oliver Hilmes: Berlin 1936. Sechzehn Tage im August. Siedler Verlag, München 2016. 304 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Frauenherzen schmelzen,
ein schöner Mann lächelt sich
in „die Herzen der Damenwelt“
Grüße im Olympiastadion: Jesse Owens (Mitte), Lutz Long (rechts) und Naoto Tajima bei der Siegerehrung im Weitsprung. Owens hatte einen Weltrekord erzielt.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
So, wie die Olympischen Spiele 1936 in Berlin mit dem Schlagwort "Die Diktatur macht Pause" versehen wurden, so gönnt sich offenbar auch der verdiente Biograf Oliver Hilmes eine kleine Pause, schreibt Tilman Krause. Denn das neue Buch des Politologen komme "anekdotisch locker und erzählerisch entspannt" daher, die vordergründig ausgelassene Stimmung des Sommers '36 habe augenscheinlich auch Hilmes angesteckt, so der Rezensent. Elegant präsentiere er seine Fundstücke aus den Archiven, und ebenso elegant müsse man sich auch das Berlin der Spiele vorstellen: Dass Juden damals noch öffentlich Jazz und Swing spielen durften, überrascht Krause. Letztlich sei das wie vieles andere aber nur "ein allerletztes Wetterleuchten" gewesen, bevor die Schrecken der NS-Diktatur mit ganzer Wucht über Deutschland hereinbrachen, informiert der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2016Klatsch und Tratsch zu Hitlers Spielen
Fakten und fiktive Handlungsstränge: Eine Erzählung will die Atmosphäre von Berlin 1936 wiederaufleben lassen / Von Hans Joachim Teichler
Der Mythos um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verblasst nicht, sondern scheint mit immer größerem zeitlichem Abstand zu wachsen. Das deutschsprachige schweizerische Fernsehen zeigte am 29. Juni eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentation unter dem Titel "Der Traum von Olympia - die Nazi-Spiele von 1936". Die ARD hatte das Dokudrama "Der Traum von Olympia - Die Nazi-Spiele von 1936" am 18. Juli im Abendprogramm, und das ZDF sendet seine Dokumentation "Olympia 1936 - der verratene Traum" am 31. Juli. Fast genau achtzig Jahre nach der Eröffnung der Spiele wird in den Vereinigten Staaten der Public Broadcasting Service am 2. August den Streifen "The Nazi Games - Berlin 1936" zeigen. Selbst Randerscheinungen gewinnen an Bedeutung. Im französischen Fernsehen wird die angebliche Freundschaft zwischen Jesse Owens und Luz Long thematisiert.
Berlin 1936 hat in der Geschichte der Olympischen Spiele einen besonderen Stellenwert: Unterstützt durch die Finanz- und Machtmittel einer auf Selbstdarstellung bedachten Diktatur, wurde das olympische Fest zu einem Sportfest der Rekorde und zum ersten perfekt inszenierten Medienereignis des Sports. Gleichzeitig provozierte der offenkundige Gegensatz von olympischer Friedensidee, olympischer Rassen- und Konfessionstoleranz einerseits und Ideologie der Herrenrasse und Antisemitismus andererseits die erste weltweite Protestbewegung gegen einen olympischen Gastgeber. Mit der betont sportlichen Organisation und einem kulturellen Umfeld, das an die rauschenden 1920er Jahre erinnerte, dienten die Spiele der Selbstverharmlosung einer aggressiven Diktatur.
Die besondere Atmosphäre dieser "16 Tage im August" versucht Oliver Hilmes in einer Erzählung lebendig werden zu lassen, die auf einer Mischung von Fakten und fiktiven Handlungssträngen beruht. Mit der Wiedergabe von Teilen des Wetter- und des Polizeiberichts, von Zeitungsartikeln, den wichtigsten Sportereignissen sowie Klatsch und Tratsch aus dem Berliner Nachtleben versucht er ein Kaleidoskop des Alltags jener Wochen zu schaffen. Hilmes stützt sich dabei auf Bücher von und über Thomas Wolfe, den wir somit als Leitfigur in Berlin begleiten. Zusätzlich hat Hilmes zahlreiche Memoiren, Tagebücher, zeitgenössische Presseanweisungen herangezogen. Viele seiner Archivrecherchen hätte er sich sparen können, wenn er die sportgeschichtliche Forschung zu den 36er Spielen und ihrem internationalen Umfeld zur Kenntnis genommen hätte. So sind etwa die Presseanweisungen zu den Spielen bereits 1976 publiziert und analysiert worden. Hilmes stützt sich zu Recht oft auf die vorzügliche Dokumentation "1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus", die Reinhard Rürup 1996 herausgegeben hat.
Durch den biographischen Zugang versucht Hilmes die Gleichzeitigkeit von Repression (Aufbau des KZ Sachsenhausen, Zigeunerlager Marzahn) und feierlicher Präsentation fassbar und eindringlich zu machen. Aus der Perspektive eines Sinti-Mädchens und eines KZ-Häftlings erzählt, wird der Kontrast zur olympischen Feierstimmung gut herausgearbeitet. Viel Platz wird dem Nachtleben in der "Scala", in der "Ciro-Bar", im "Quartier Latin" und in der "Sherbini-Bar" sowie den zahlreichen Empfängen der NS-Größen gewidmet. Hilmes lässt kaum eine der bekannten Anekdoten aus und zitiert auch Kritik wie "die entsetzliche kakifarbene Kleidung von Frau Ribbentrop".
Das Resümee des IOC-Präsidenten de Baillet-Latour allerdings - "Schluß mit diesen Festen, ewigen Empfängen und Kundgebungen. (...) Wir müssen zur klassischen sportlich hellenistischen Atmosphäre zurückkommen." - entgeht Hilmes, da er wichtige sporthistorische Vorarbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat. Einen Empfang in der Dienstvilla des Reichssportführers von Tschammer und Osten, wie er ihn beschreibt, kann es nicht gegeben haben, da das Gebäude erst 1938 fertiggestellt wurde. Wie problematisch Memoiren als Quelle sein können, zeigt Leni Riefenstahl, die Glenn Morris zum Sieg im Zehnkampf gratulieren wollte: "Da nahm er mich in den Arm, riss mir die Bluse herunter und küsste mich auf die Brust, mitten im Stadion, vor hunderttausend Zuschauern." Wenn sich das so ereignet hätte, wäre zumindest in der internationalen Presse davon berichtet worden, und in der Pressekonferenz der Reichsregierung wäre, wie bei der Kussattacke einer Amerikanerin auf Hitler im Schwimmstadion, eine Anweisung für die Berichterstattung erfolgt.
Trotz aller Kritik im Einzelnen (General Sherill war in privater Audienz bei Hitler, nicht in offizieller IOC-Mission) gelingt es Hilmes gut herauszuarbeiten, dass sich das Gastgeberland als "friedliebender und verlässlicher Partner der Völkerfamilie" präsentierte. Dass der Leser dann aber noch über die Ess- und Trinkgewohnheiten des Verlegers Ernst Rowohlt, die Zahl der Selbstmorde oder das "Alpecin-Mannequin des Monats August" informiert wird, ist dem Versuch geschuldet, ein historisches Großereignis in den banalen Alltag einzubetten. Mit einem Ausblick "Was wurde aus ...?" und den Kurzbiographien von unter anderen Leni Riefenstahl, Baillet-Latour, Eleanor Holm, Leon Henri Dajou (Betreiber des Quartier Latin), Hubert von Meyerinck, Mascha Kaléko, Tilly Fleischer (natürlich mit der Behauptung eines gemeinsamen Kindes mit Hitler), Teddy Staufer und Helene Meyer schließt der Band. So erfährt man, dass Carla de Vries, die Frau, die im Schwimmbad versuchte, Hitler zu küssen, im November 1936 eine lebensmüde Frau zur Aufgabe eines Selbstmordversuch überredete. Wer das Niveau der Klatsch-und-Tratsch-Presse schätzt, ist mit dem vorliegenden Band bestens bedient.
Besprochenes Buch: Oliver Hilmes: Berlin 1936 - Sechzehn Tage im August, Siedler, 2016, 304 Seiten, 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fakten und fiktive Handlungsstränge: Eine Erzählung will die Atmosphäre von Berlin 1936 wiederaufleben lassen / Von Hans Joachim Teichler
Der Mythos um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verblasst nicht, sondern scheint mit immer größerem zeitlichem Abstand zu wachsen. Das deutschsprachige schweizerische Fernsehen zeigte am 29. Juni eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentation unter dem Titel "Der Traum von Olympia - die Nazi-Spiele von 1936". Die ARD hatte das Dokudrama "Der Traum von Olympia - Die Nazi-Spiele von 1936" am 18. Juli im Abendprogramm, und das ZDF sendet seine Dokumentation "Olympia 1936 - der verratene Traum" am 31. Juli. Fast genau achtzig Jahre nach der Eröffnung der Spiele wird in den Vereinigten Staaten der Public Broadcasting Service am 2. August den Streifen "The Nazi Games - Berlin 1936" zeigen. Selbst Randerscheinungen gewinnen an Bedeutung. Im französischen Fernsehen wird die angebliche Freundschaft zwischen Jesse Owens und Luz Long thematisiert.
Berlin 1936 hat in der Geschichte der Olympischen Spiele einen besonderen Stellenwert: Unterstützt durch die Finanz- und Machtmittel einer auf Selbstdarstellung bedachten Diktatur, wurde das olympische Fest zu einem Sportfest der Rekorde und zum ersten perfekt inszenierten Medienereignis des Sports. Gleichzeitig provozierte der offenkundige Gegensatz von olympischer Friedensidee, olympischer Rassen- und Konfessionstoleranz einerseits und Ideologie der Herrenrasse und Antisemitismus andererseits die erste weltweite Protestbewegung gegen einen olympischen Gastgeber. Mit der betont sportlichen Organisation und einem kulturellen Umfeld, das an die rauschenden 1920er Jahre erinnerte, dienten die Spiele der Selbstverharmlosung einer aggressiven Diktatur.
Die besondere Atmosphäre dieser "16 Tage im August" versucht Oliver Hilmes in einer Erzählung lebendig werden zu lassen, die auf einer Mischung von Fakten und fiktiven Handlungssträngen beruht. Mit der Wiedergabe von Teilen des Wetter- und des Polizeiberichts, von Zeitungsartikeln, den wichtigsten Sportereignissen sowie Klatsch und Tratsch aus dem Berliner Nachtleben versucht er ein Kaleidoskop des Alltags jener Wochen zu schaffen. Hilmes stützt sich dabei auf Bücher von und über Thomas Wolfe, den wir somit als Leitfigur in Berlin begleiten. Zusätzlich hat Hilmes zahlreiche Memoiren, Tagebücher, zeitgenössische Presseanweisungen herangezogen. Viele seiner Archivrecherchen hätte er sich sparen können, wenn er die sportgeschichtliche Forschung zu den 36er Spielen und ihrem internationalen Umfeld zur Kenntnis genommen hätte. So sind etwa die Presseanweisungen zu den Spielen bereits 1976 publiziert und analysiert worden. Hilmes stützt sich zu Recht oft auf die vorzügliche Dokumentation "1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus", die Reinhard Rürup 1996 herausgegeben hat.
Durch den biographischen Zugang versucht Hilmes die Gleichzeitigkeit von Repression (Aufbau des KZ Sachsenhausen, Zigeunerlager Marzahn) und feierlicher Präsentation fassbar und eindringlich zu machen. Aus der Perspektive eines Sinti-Mädchens und eines KZ-Häftlings erzählt, wird der Kontrast zur olympischen Feierstimmung gut herausgearbeitet. Viel Platz wird dem Nachtleben in der "Scala", in der "Ciro-Bar", im "Quartier Latin" und in der "Sherbini-Bar" sowie den zahlreichen Empfängen der NS-Größen gewidmet. Hilmes lässt kaum eine der bekannten Anekdoten aus und zitiert auch Kritik wie "die entsetzliche kakifarbene Kleidung von Frau Ribbentrop".
Das Resümee des IOC-Präsidenten de Baillet-Latour allerdings - "Schluß mit diesen Festen, ewigen Empfängen und Kundgebungen. (...) Wir müssen zur klassischen sportlich hellenistischen Atmosphäre zurückkommen." - entgeht Hilmes, da er wichtige sporthistorische Vorarbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat. Einen Empfang in der Dienstvilla des Reichssportführers von Tschammer und Osten, wie er ihn beschreibt, kann es nicht gegeben haben, da das Gebäude erst 1938 fertiggestellt wurde. Wie problematisch Memoiren als Quelle sein können, zeigt Leni Riefenstahl, die Glenn Morris zum Sieg im Zehnkampf gratulieren wollte: "Da nahm er mich in den Arm, riss mir die Bluse herunter und küsste mich auf die Brust, mitten im Stadion, vor hunderttausend Zuschauern." Wenn sich das so ereignet hätte, wäre zumindest in der internationalen Presse davon berichtet worden, und in der Pressekonferenz der Reichsregierung wäre, wie bei der Kussattacke einer Amerikanerin auf Hitler im Schwimmstadion, eine Anweisung für die Berichterstattung erfolgt.
Trotz aller Kritik im Einzelnen (General Sherill war in privater Audienz bei Hitler, nicht in offizieller IOC-Mission) gelingt es Hilmes gut herauszuarbeiten, dass sich das Gastgeberland als "friedliebender und verlässlicher Partner der Völkerfamilie" präsentierte. Dass der Leser dann aber noch über die Ess- und Trinkgewohnheiten des Verlegers Ernst Rowohlt, die Zahl der Selbstmorde oder das "Alpecin-Mannequin des Monats August" informiert wird, ist dem Versuch geschuldet, ein historisches Großereignis in den banalen Alltag einzubetten. Mit einem Ausblick "Was wurde aus ...?" und den Kurzbiographien von unter anderen Leni Riefenstahl, Baillet-Latour, Eleanor Holm, Leon Henri Dajou (Betreiber des Quartier Latin), Hubert von Meyerinck, Mascha Kaléko, Tilly Fleischer (natürlich mit der Behauptung eines gemeinsamen Kindes mit Hitler), Teddy Staufer und Helene Meyer schließt der Band. So erfährt man, dass Carla de Vries, die Frau, die im Schwimmbad versuchte, Hitler zu küssen, im November 1936 eine lebensmüde Frau zur Aufgabe eines Selbstmordversuch überredete. Wer das Niveau der Klatsch-und-Tratsch-Presse schätzt, ist mit dem vorliegenden Band bestens bedient.
Besprochenes Buch: Oliver Hilmes: Berlin 1936 - Sechzehn Tage im August, Siedler, 2016, 304 Seiten, 19,90 Euro.
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