Christiane Rösinger, Liedermacherin und kritische Anhängerin des Eurovision Song Contest, fährt im Mai 2012 von Berlin nach Baku. Ohne Orientierungssinn und geographische Kenntnisse, aber mit einer seelenstarken Mitmusikerin und einem auf dem Gebrauchtwagenmarkt eilig erworbenen Fahrzeug. Sie begegnet bulgarischen Männern, die ihr Leben lang auf Ziegen starren, harrt aus im "einsamsten Frühstückssaal der Welt" und überschreitet in der Türkei die Cappuccinogrenze. Sie lernt, professionelle Auslandsdeutsche von Deutschen im Ausland zu unterscheiden, wird in Tiflis zum Bestandteil der Deutschen Woche und tritt endlich, nach 4800 staubigen Kilometern, auch in Aserbaidschan auf - weit weg vom offiziellen Sponsorenspektakel.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wozu das alles, fragt sich Tim Neshitov angesichts von Christiane Rösingers Autoreise zum Eurovision Song Contest nach Baku. Wozu die Reise und wozu das Buch darüber, wenn selbst entlegene Orte, wie Kasbegi, und fremde Menschen, wie bulgarische Hirten, immer bloß eine Beschreibung von Frau Rösingers Wahrnehmung auslösen, nie eine Beschreibung der oder Gedanken über die Gegenden oder Leute selber? Für den Rezensenten bietet der Band keine Antwort, nur wenig aufregende 4800 Kilometer Straße, und außer Wiki-Wissen nichts gewesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2014Blind im Gebrauchtbus
Wie Christiane Rösinger zum Song Contest nach Baku reiste
Auf Seite 70 ihres Buchs „Berlin-Baku – Meine Reise zum Eurovision Song Contest“ stellt Christiane Rösinger eine berechtigte Frage: „Ach, warum können wir denn nicht einfach zwei Wochen lang in diesem Zimmer bleiben! Warum müssen wir denn immer weiter, wie Getriebene des ESC? Es ist alles so sinnlos!“ Die Berliner Musikerin und Autorin Rösinger befindet sich da in einem kleinen Hotel in einer türkischen Kleinstadt. Es ist Sommer 2012, Rösinger ist unterwegs nach Aserbaidschan mit einem frisch erworbenen Gebrauchtbus und einer Reisebegleiterin, die Frau Fierke heißt und ansonsten keinerlei berichtenswerte Eigenschaften vorzuweisen scheint. Auch was die beiden auf ihrer Reise bisher erlebt haben, ist wenig aufregend, auch wenn der Ausdruck „sinnlos“ vielleicht etwas drastisch ist.
In Istanbul haben sie mit Maria und Ebru geplaudert, einem deutsch-türkischen Paar, lesbisch und glücklich. In Bulgarien („Bulgarien also, was wissen wir von Bulgarien?“) sind sie an Hirten vorbeigefahren, mit denen sie nicht plaudern konnten, die aber auf eine phantasieerregende Weise neben der Schnellstraße saßen: „Träumen sie vielleicht doch vom Leben in der Stadt, von Lichterglanz und Amüsement in Sofia? Glauben sie an die romantische Zweierbeziehung? Empfinden sie das Leben manchmal als sinnlos?“ Auf Tschechiens Autobahnen haben die Berlinerinnen bemerkt, dass tschechischer Raps genauso „unnatürlich gelb“ blüht wie der Raps in Bayern. Sie sind durch Brno gebrettert („Was wissen wir von Brno? Manche sagen Brünn dazu, eine Kirche steht auf einer Anhöhe, oder ist es eine Burg?“)
Rösinger betont, sie habe sich auf keine Vergnügungs- und keine Bildungsreise begeben, „es müssen Kilometer gefressen, abgearbeitet werden“. 4800 Kilometer, acht Länder, Ziel: ein Land, von dem die Autorin nicht wusste, wo es liegt, bevor das aserbaidschanische Sangespaar Ell und Nikki mit „Oh-oh, come to me, come to me tonight, I’m gonna need you anyway!“ den Eurovision Song Contest 2011 gewann und so den ESC 2012 nach Baku holte. Die Wahl des Autos anstelle des Flugzeugs für eine Reise, auf der lediglich Kilometer gefressen werden müssen, ist rätselhaft. Noch rätselhafter aber ist die Entscheidung, ein Buch darüber zu verfassen. Es findet nämlich auch nach Seite 70 nichts statt, was üblicherweise das Genre Reiseliteratur rechtfertigt. Keine Abenteuer, keine Erkenntnisse über Länder und Leute, keine literarisch anspruchsvollen Schilderungen. Da mutet Alexandre Dumas’ „Reise im Kaukasus“ von 1858/1859 aktueller an.
Nimmt Rösinger ihre Wikipedia-Brille ab („Was wissen wir über . . .?“), gelingen ihr stellenweise Passagen, die ihre Wahrnehmung sehr präzise beschreiben. „Ein wenig mystisch wird einem hier doch zumute, mit dem Kasbek im Hintergrund und dem alten Kirchlein auf dem grünen Hügel“, schreibt sie über das georgische Örtchen Kasbegi. Es geht in diesem Buch aber leider ausschließlich um Christiane Rösingers Wahrnehmung der Dinge, nicht um die Dinge (Leute, Landschaften) selbst.
Wohl deswegen erfährt man etliche biografische Details über die Autorin. So erzählt sie, wie sie einst an eine Ausbildung zur Schäferin dachte und sich sogar die „Informationsblätter zur Berufskunde Schäfer/Schäferin“ vom Arbeitsamt besorgte. Oder davon, wie sie als Kind an der stark
befahrenen B 36 Erdbeeren verkaufte. Dem Zielland Aserbaidschan sind in diesem Reisebericht die letzten sechzig Seiten gewidmet. Über Baku zeigt sich Christiane Rösinger einigermaßen enttäuscht. „Sagen wir mal so: Wem es in Dubai, Stuttgart oder Singapur gefällt, der wird auch hier alles super finden. Aber wir fragen uns: Sind wir 4800 Kilometer gefahren, um unter Kronleuchtern durch Marmorunterführungen zu ausgestorbenen Prachtstraßen mit leeren Dolce&Gabana-, Dior-, Armani-, und Gucci-Boutiquen zu gehen?“
Wir fragen uns das auch.
TIM NESHITOV
Christiane Rösinger: Berlin-Baku. Meine Reise zum Eurovision Song Contest. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 222 Seiten, 16,99 Euro.
Schön zu wissen, dass die
Autorin als Kind Erdbeeren
an der B 36 verkaufte
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Wie Christiane Rösinger zum Song Contest nach Baku reiste
Auf Seite 70 ihres Buchs „Berlin-Baku – Meine Reise zum Eurovision Song Contest“ stellt Christiane Rösinger eine berechtigte Frage: „Ach, warum können wir denn nicht einfach zwei Wochen lang in diesem Zimmer bleiben! Warum müssen wir denn immer weiter, wie Getriebene des ESC? Es ist alles so sinnlos!“ Die Berliner Musikerin und Autorin Rösinger befindet sich da in einem kleinen Hotel in einer türkischen Kleinstadt. Es ist Sommer 2012, Rösinger ist unterwegs nach Aserbaidschan mit einem frisch erworbenen Gebrauchtbus und einer Reisebegleiterin, die Frau Fierke heißt und ansonsten keinerlei berichtenswerte Eigenschaften vorzuweisen scheint. Auch was die beiden auf ihrer Reise bisher erlebt haben, ist wenig aufregend, auch wenn der Ausdruck „sinnlos“ vielleicht etwas drastisch ist.
In Istanbul haben sie mit Maria und Ebru geplaudert, einem deutsch-türkischen Paar, lesbisch und glücklich. In Bulgarien („Bulgarien also, was wissen wir von Bulgarien?“) sind sie an Hirten vorbeigefahren, mit denen sie nicht plaudern konnten, die aber auf eine phantasieerregende Weise neben der Schnellstraße saßen: „Träumen sie vielleicht doch vom Leben in der Stadt, von Lichterglanz und Amüsement in Sofia? Glauben sie an die romantische Zweierbeziehung? Empfinden sie das Leben manchmal als sinnlos?“ Auf Tschechiens Autobahnen haben die Berlinerinnen bemerkt, dass tschechischer Raps genauso „unnatürlich gelb“ blüht wie der Raps in Bayern. Sie sind durch Brno gebrettert („Was wissen wir von Brno? Manche sagen Brünn dazu, eine Kirche steht auf einer Anhöhe, oder ist es eine Burg?“)
Rösinger betont, sie habe sich auf keine Vergnügungs- und keine Bildungsreise begeben, „es müssen Kilometer gefressen, abgearbeitet werden“. 4800 Kilometer, acht Länder, Ziel: ein Land, von dem die Autorin nicht wusste, wo es liegt, bevor das aserbaidschanische Sangespaar Ell und Nikki mit „Oh-oh, come to me, come to me tonight, I’m gonna need you anyway!“ den Eurovision Song Contest 2011 gewann und so den ESC 2012 nach Baku holte. Die Wahl des Autos anstelle des Flugzeugs für eine Reise, auf der lediglich Kilometer gefressen werden müssen, ist rätselhaft. Noch rätselhafter aber ist die Entscheidung, ein Buch darüber zu verfassen. Es findet nämlich auch nach Seite 70 nichts statt, was üblicherweise das Genre Reiseliteratur rechtfertigt. Keine Abenteuer, keine Erkenntnisse über Länder und Leute, keine literarisch anspruchsvollen Schilderungen. Da mutet Alexandre Dumas’ „Reise im Kaukasus“ von 1858/1859 aktueller an.
Nimmt Rösinger ihre Wikipedia-Brille ab („Was wissen wir über . . .?“), gelingen ihr stellenweise Passagen, die ihre Wahrnehmung sehr präzise beschreiben. „Ein wenig mystisch wird einem hier doch zumute, mit dem Kasbek im Hintergrund und dem alten Kirchlein auf dem grünen Hügel“, schreibt sie über das georgische Örtchen Kasbegi. Es geht in diesem Buch aber leider ausschließlich um Christiane Rösingers Wahrnehmung der Dinge, nicht um die Dinge (Leute, Landschaften) selbst.
Wohl deswegen erfährt man etliche biografische Details über die Autorin. So erzählt sie, wie sie einst an eine Ausbildung zur Schäferin dachte und sich sogar die „Informationsblätter zur Berufskunde Schäfer/Schäferin“ vom Arbeitsamt besorgte. Oder davon, wie sie als Kind an der stark
befahrenen B 36 Erdbeeren verkaufte. Dem Zielland Aserbaidschan sind in diesem Reisebericht die letzten sechzig Seiten gewidmet. Über Baku zeigt sich Christiane Rösinger einigermaßen enttäuscht. „Sagen wir mal so: Wem es in Dubai, Stuttgart oder Singapur gefällt, der wird auch hier alles super finden. Aber wir fragen uns: Sind wir 4800 Kilometer gefahren, um unter Kronleuchtern durch Marmorunterführungen zu ausgestorbenen Prachtstraßen mit leeren Dolce&Gabana-, Dior-, Armani-, und Gucci-Boutiquen zu gehen?“
Wir fragen uns das auch.
TIM NESHITOV
Christiane Rösinger: Berlin-Baku. Meine Reise zum Eurovision Song Contest. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 222 Seiten, 16,99 Euro.
Schön zu wissen, dass die
Autorin als Kind Erdbeeren
an der B 36 verkaufte
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'Berlin-Baku' ist ein kurzweiliges Buch über eine lange Reise. Juliane Streich taz.die tageszeitung 20130327