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Ein historisches Dokument von besonderer Bedeutung ist das große Photo-Portrait von Berlin, das der schwedische Photograph Bernard Larsson (geb. 1939) im Zeitraum von 1961 bis 1964 erstellte, in den ersten vier Jahren nach dem Bau der Mauer, die die Stadt in zwei Teile teilte. Sein schwedischer Pass erlaubte es ihm, sowohl im Osten als auch im Westen der Stadt zu photographieren und die Lebensumstände der Bürger ganz Berlins zu dokumentieren. "Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!" waren die berühmten Worte des Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Ernst Reuter, als die Sowjetunion…mehr

Produktbeschreibung
Ein historisches Dokument von besonderer Bedeutung ist das große Photo-Portrait von Berlin, das der schwedische Photograph Bernard Larsson (geb. 1939) im Zeitraum von 1961 bis 1964 erstellte, in den ersten vier Jahren nach dem Bau der Mauer, die die Stadt in zwei Teile teilte. Sein schwedischer Pass erlaubte es ihm, sowohl im Osten als auch im Westen der Stadt zu photographieren und die Lebensumstände der Bürger ganz Berlins zu dokumentieren. "Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!" waren die berühmten Worte des Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Ernst Reuter, als die Sowjetunion 1948 mit einer Versorgungsblockade den ersten Versuch machte, Westberlin zur Aufgabe zu zwingen. Die Völker der Welt schauten dann 1989 wieder gebannt auf die Stadt, als die Mauer nach 28 Jahren schließlich fiel. Es bleibt Bernard Larssons Verdienst, die Konfrontation der Blöcke im Moment ihrer schärfsten Zuspitzung für die Menschen in Ost und West für immer festgehalten zu haben. Larsson erlangte später weiteren Ruhm, als er die Westberliner Studentenrevolte der Jahre 1967/68 photographierte. Das berühmte Bild des erschossenen Benno Ohnesorg stammt ebenfalls von ihm. Mit diesem Berlin-Portrait, das die Stadt in einer besonderen Situation zeigt, schließen wir unsere Berlin-Trilogie zunächst ab.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2019

Im Osten fallen die Schatten tiefer

Der Fotograf Bernard Larsson kam 1961 nach Berlin. Acht Jahre lang dokumentierte er den Alltag der geteilten Stadt.

Die alte Frau mit Brille und Kittelschürze und der alte Mann im Arbeitsanzug mit einem Blecheimer in der Hand laufen über den Mittelstreifen der Straße Unter den Linden, als gingen sie durch ein Sperrgebiet. Es ist das Jahr 1961, ein Herbsttag in der Hauptstadt der DDR. Im Hintergrund sieht man rechts das Kronprinzenpalais, links das Zeughaus, der Raum zwischen ihnen ist leer. Heute stehen dort das Reiterstandbild Friedrichs des Großen, das rekonstruierte Berliner Schloss und die Neue Kommandantur: Preußen reloaded. Aber dies ist eine Nachkriegsstadt, ein Ort voller Trümmer, Bauholz, Ziegelsteinhalden, Blecheimer. Am Ende des Boulevards, am Brandenburger Tor, endet eine Welt, und eine andere beginnt.

Bernard Larsson hat beide fotografiert. Larsson, Kind einer Deutschen und eines Schweden, besaß zwei Pässe, und so fiel es ihm leicht, sich als Schwede in Ost-Berlin und als Deutscher im Westteil der Stadt zu bewegen. In der Krausnickstraße, nahe beim Monbijoupark, mietete er ein Zimmer, im Westen eine Wohnung, so dass er buchstäblich in beiden Systemen lebte, tage- oder auch wochenweise. Es war seine Art, die Mauer zu überwinden. Im August 1961 hatte er als Assistent von William Klein in Paris gearbeitet, aber als die Nachricht vom Bau des "antifaschistischen Schutzwalls" kam, packte er seine Koffer und flog nach Berlin. Er war zweiundzwanzig Jahre alt.

Bis zum Ende der sechziger Jahre dokumentiert Larsson in zahlreichen Fotoserien die Umbrüche der geteilten Stadt. Sein berühmtestes Bild ist die Aufnahme des erschossenen Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967, am Beginn der Studentenunruhen. Irgendwann aber kehrt die Normalität zurück, Larsson wird Magazin- und Agenturfotograf, und es dauert fast vierzig Jahre, bis man ihn wiederentdeckt.

2016 bekam Larsson eine große Retrospektive im Berliner Museum für Fotografie, ein Jahr später folgte ein repräsentativer Bildband. Für das neue Fotobuch hat Larsson seine Auswahl jetzt auf die ersten drei Jahre nach dem Mauerbau beschränkt. Die Verengung des zeitlichen Horizonts bedeutet eine Erweiterung des räumlichen Blick, denn auf Larssons frühen Aufnahmen kann man besser als auf den späteren erkennen, wie unterschiedlich sich der Ost- und der Westteil der Stadt entwickelt haben. Die Schatten fallen tiefer in Ost-Berlin, die Spuren des Krieges sind überall gegenwärtig, am Hackeschen Markt wie auf der Museumsinsel, wo Jugendliche vor der zerbombten Freitreppe der Alten Nationalgalerie posieren. Erst jetzt, Anfang der sechziger Jahre, wird das alte Stadtviertel um die Friedrichswerdersche Kirche mitsamt Schinkels Bauakademie abgetragen, um Platz für das Außenministerium der DDR zu schaffen. Ein Pferdekarren steht zwischen den Trümmerhaufen, und man glaubt sich in die Stunde Null zurückversetzt, aber nebenan marschieren schon die Spielmannszüge und Werktätigenkader zum sozialistischen 1. Mai.

Über West-Berlin hat Larssons Kamera weniger zu sagen. Er porträtiert Peter Weiss, Günter Grass, Uwe Johnson und Fritz Lang, und er setzt Peter Handke neben eine Brünette im Minirock auf ein Plüschsofa, aber sein Blick wird erst wirklich wach und scharf, wenn er wieder im Osten ist, wo er die Brecht-Schauspielerin Helene Weigel so in einem Hinterhof aufnimmt, dass beides sichtbar wird, ihr Elend und ihr Ruhm. Einen Volkspolizisten, der an einem Kiosk in der Karl-Marx-Allee vorbeigeht, hält er in dem Moment fest, in dem er auf die Postkarten im Schaufenster blickt, wachsam und kalt. Ein Junge zieht einen Leiterwagen über den Gendarmenmarkt, und aus seinem Blick spricht sein ganzes Unverständnis über das, was die Erwachsenen mit dieser Stadt angerichtet haben.

Überhaupt die Kinder: An ihnen ist der ideologische Abgrund, der die verfeindeten Weltmächte trennt, nicht abzulesen, sie spielen Fußball und Hockey, bekritzeln die Wände und drängen sich vor den Klassenzimmern, ganz gleich, ob in Kreuzberg, Mitte oder Treptow. Auf einem Foto läuft eine Gruppe von West-Berliner Konfirmanden unter einem finsteren Kriegerdenkmal vorbei. Keines der Kinder schaut nach oben. Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls wirft Larssons Buch einen langen Blick in die Vergangenheit, aber auch dort fand der Fotograf, was keinem aufmerksamen Beobachter seiner Zeit entgeht: den Vorschein der Zukunft.

ANDREAS KILB

Bernard Larsson: "Berlin/Berlin". Die ganze Stadt zur Zeit des Mauerbaus 1961-1964. Mit Texten von Marline Ott, Bernard Larsson, Wolf Biermann und Cees Nooteboom. Schirmer/Mosel Verlag, München 2019. 268 S., Abb., geb., 49,80 [Euro].

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