Der gebürtige Berliner Björn Kuhligk möchte nirgends wohnen, außer in Berlin. Aber dieser ewig lange Winter, die unzähligen Autos, der dysfunktionale Nahverkehr, der Müll, dieser Geruch. Und: Waren Sie schon mal auf dem Amt? ... Berlin ist es wert, maximal beschimpft zu werden. Wunderbar beschreibt Kuhligk seine Zuneigung zur Hässlichkeit, sein Hadern mit dieser Kaputtheit, die Hassliebe zu den unzähligen Touristen und die Abneigung gegen immer neue Malls. Sollen die Provinzler doch ihr ahnungsloses Berlin-Bashing betreiben, aber was hier wirklich los ist, könnte niemand besser formulieren als Björn Kuhligk, in dessen Venen 100 Prozent Berliner Suppe pumpt.
In Szene gesetzt wird der Text vom Berliner Illustrator Jakob Hinrichs, der seinen Humor und seine Genialität schon in etlichen Publikationen unter Beweis gestellt hat.
In Szene gesetzt wird der Text vom Berliner Illustrator Jakob Hinrichs, der seinen Humor und seine Genialität schon in etlichen Publikationen unter Beweis gestellt hat.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das Anti-Berlin-Buch aller Anti-Berlin-Bücher hat Björn Kuhligk geschrieben, freut sich Rezensent Ralf Bönt. Gelungen ist das seiner Ansicht nach vor allem, weil Kuhligk selbst in der Stadt lebt, über die er schreibt. Kuhligk schimpft also aus Herzenslust, erfahren wir, über eine Stadt, die bessere Architektur nicht einmal mehr als Wunsch kennt, in der es trotz vieler Künstler keine Kunst, trotz viel Haltung keine Politik, dafür aber jede Menge Hundekot gibt. Wer nicht in Berlin wohnt, wird sich von der Lektüre bestätigt fühlen, so der Rezensent, und doch ist das auch ein Buch über Menschen, die in ihrer eigenen Misere das Glück gefunden haben, erkennt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2024Wo Verlierer
glücklich sind
Der Schriftsteller Björn Kuhligk
schimpft sehr unterhaltsam
über die beste schlimmste Stadt: Berlin.
Hat er recht?
VON RALF BÖNT
Berlin, das ist bekanntlich die Stadt, in der sich alte Menschen nicht auf den Bürgersteig trauen, wegen der anarchischen indischen E-Bike-Fahrer, die in riesigen Würfelrucksäcken halbjungen Leuten ihr Essen in die Zoomkonferenz liefern. Wozu selbst rausgehen, schließlich ist das hier weder New York, noch gibt es frische Luft. Berlin ist die Stadt, die ihre Radfahrer nicht vor Lkws schützen kann, auch nicht auf den neuen bunten Spuren, die unter Polizisten achselzuckend Todesstreifen genannt werden.
Es ist die Stadt, in der Kinder auf Spielplätzen von Alkoholikern zusammengebrüllt werden, bis sie zitternd zusammenklappen, die Stadt, in der die Amtsanwaltschaft dagegen nichts machen kann, weil immer irgendein psychologisches Attest vorliegt. Es ist die Stadt, in der Petra Pau für Die Linke vor dem Supermarkt Wahlkampf macht und darauf angesprochen nach einer Viertelstunde Diskussion sagt, die Alkis gehörten doch wohl zum Stadtbild dazu. Es ist die Stadt, in der das schiere Gemüt herrscht, wo Argument oder wenigstens der Wille zur Ordnung sein müsste. Das ist die Neigung, sich in jeder Situation erst einmal niederzulassen, egal welcher, und die totale Abwesenheit jedes Verbesserungstriebes ausgiebig auszukosten. Ist so, war immer so.
Schon Theodor Fontanes Rezension der Jugenderinnerungen eines alten Berliners, die der heute leider vergessene große preußische Schriftsteller Felix Eberty geschrieben hatte, ging es um das seltsame deutsche und möglicherweise besonders berlinerische Ding der Gemütlichkeit. Ihre wichtigste Eigenschaft ist, dass man sie ebenso wenig aushalten kann wie ihr Gegenteil, mit dem sie ja identisch ist: die Ungemütlichkeit. In seiner in zwei Teilen im November 1878 in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung erschienenen Rezension geht Fontane besonders auf die ungemütlichen Rückseiten der Gemütlichkeit ein.
Eberty war Jurist und hatte davon berichtet, wie schlampig mit eigentlich heiklen sogenannten reponierten Gerichtsakten umgegangen wird. Diese zeigten hochgestellte Persönlichkeiten in peinlichen, straffälligen Zusammenhängen, deren Verfolgung durch Kabinettsorder einfach niedergeschlagen, nämlich reponiert wurde. Ein Irrsinniger, der sich daran erinnert, fühlt, wenn er hört, dass der Regierende Bürgermeister jüngst in einem mit verdienten Berlinerinnen und Berlinern übervollen Saal ausgerechnet und allein auf Herrn Landowski, den Mann einiger Milliarden virtueller Immobilien, zueilte, um ihn stürmisch zu umarmen.
Hier will nie jemand irgendwas ändern. Deshalb wohl hat Björn Kuhligk das Berlin-Buch „Berlin-Beschimpfung“ geschrieben, das über alle bisherigen Berlin-Bücher hinausgeht, weil es nicht nur inhaltlich richtig ist, gleichzeitig zugespitzt und detailliert, sondern sich gar nicht erst zumutet, was Fontane dem Kollegen Eberty noch attestierte: Unparteilichkeit. Kuhligk ist zwar einer der hellsten und fröhlichsten Köpfe seiner Autorengeneration, aber eben auch selbst Berliner. Er schreibt sonst gestochen scharfe und doch lässige politische Lyrik. In tausend Jahren würde er sich nicht von der Literaturpreisindustrie oder den bundesrepublikanischen Fördertöpfen korrumpieren lassen.
Seine Liebe zu den Straßen, in denen sich zu viele Künstler mit ihrer letzten Spraydose auf den übrig gebliebenen Matratzen ihrer Mitbürger verewigen, kann er aber eben weder verbergen noch anders als in hingerotzter Missbilligung formulieren. Wenn man seine Berlin-Beschimpfung liest, ist es schon ein Vorteil, wenn man noch den Auftrag hat, eine Rezension zu schreiben, weil man sonst Gefahr liefe, sich totzulachen. Denn alles ist zu wahr und gleichzeitig ja so dermaßen scheißegal.
Kuhligk beschreibt, wie Berlin ohne Landschaft auskommen muss, ohne Umgebung, ohne Architektur, ohne den Wunsch nach Architektur, ohne Kunst, bei all den Künstlern, ohne politische Haltung trotz Millionen Meinungen, und, fast hätte man es vergessen, natürlich ohne jede Freundlichkeit. Wozu soll die auch gut sein?
Diese Berlin-Beschimpfung ist für alle gut: Die Münchner werden sich nach München sehnen, das die Vorteile eines weltberühmten Dorfes mit denen einer Festwiese plus Berge vereinigt. Die Hamburger werden in der einzigen und sogleich wahrhaft hinreißenden Landschaftsbeschreibung schwelgen, denn an der Elbe kann der Mensch wenigstens unter einem Himmel noch Gefühle haben. Die Kölner haben einen Dom und einen echten Fluss. Und in Frankfurt bezahlt man die Miete einfach und wendet sich dem Leben zu.
Niemand, und das ist Kuhligks Absicht, will nach dem Buch Berlin auch nur besuchen. Es ist nicht nur ein Ort für Verlierer, sie sind dort auch noch glücklich. Statt von ihren Verkehrsbetrieben transportiert zu werden, lassen sie sich lieber zurufen, sie würden geliebt. Und als einer ihrer Bewohner kürzlich in einem Park tatsächlich den Hundekot mit einem eigens dafür mitgeführten Tütchen auflas, rief ihm ein orange gekleideter Herr mit grobem Besen sogleich besitzergreifend zu, er könne diese doch hier in seinen Beutel werfen, um dann beinahe beleidigt und noch lauter außerdem mitzuteilen: Neeee, zuknoten musste die nicht! Na also, geht doch! Die S-Bahn nach Wandlitzsee, einst durch den Mauerbau unterbrochen, soll auch frühestens 2030 wieder fahren. Berlin, das ist die Stadt, die immer schläft.
Auf Unparteilichkeit
wird zum Glück
gleich ganz verzichtet
Keiner will nach
diesem Buch Berlin
auch nur besuchen
Hier will nie jemand irgendwas ändern. Deshalb wohl hat Björn Kuhligk das Berlin-Buch „Berlin-Beschimpfung“ geschrieben.
Foto: Emmanuele Contini / Imago
Björn Kuhligk:
Berlin-Beschimpfung. Illustriert von Jakob Hinrichs.
Favoriten Presse,
Berlin 2024. 64 Seiten, 16 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
glücklich sind
Der Schriftsteller Björn Kuhligk
schimpft sehr unterhaltsam
über die beste schlimmste Stadt: Berlin.
Hat er recht?
VON RALF BÖNT
Berlin, das ist bekanntlich die Stadt, in der sich alte Menschen nicht auf den Bürgersteig trauen, wegen der anarchischen indischen E-Bike-Fahrer, die in riesigen Würfelrucksäcken halbjungen Leuten ihr Essen in die Zoomkonferenz liefern. Wozu selbst rausgehen, schließlich ist das hier weder New York, noch gibt es frische Luft. Berlin ist die Stadt, die ihre Radfahrer nicht vor Lkws schützen kann, auch nicht auf den neuen bunten Spuren, die unter Polizisten achselzuckend Todesstreifen genannt werden.
Es ist die Stadt, in der Kinder auf Spielplätzen von Alkoholikern zusammengebrüllt werden, bis sie zitternd zusammenklappen, die Stadt, in der die Amtsanwaltschaft dagegen nichts machen kann, weil immer irgendein psychologisches Attest vorliegt. Es ist die Stadt, in der Petra Pau für Die Linke vor dem Supermarkt Wahlkampf macht und darauf angesprochen nach einer Viertelstunde Diskussion sagt, die Alkis gehörten doch wohl zum Stadtbild dazu. Es ist die Stadt, in der das schiere Gemüt herrscht, wo Argument oder wenigstens der Wille zur Ordnung sein müsste. Das ist die Neigung, sich in jeder Situation erst einmal niederzulassen, egal welcher, und die totale Abwesenheit jedes Verbesserungstriebes ausgiebig auszukosten. Ist so, war immer so.
Schon Theodor Fontanes Rezension der Jugenderinnerungen eines alten Berliners, die der heute leider vergessene große preußische Schriftsteller Felix Eberty geschrieben hatte, ging es um das seltsame deutsche und möglicherweise besonders berlinerische Ding der Gemütlichkeit. Ihre wichtigste Eigenschaft ist, dass man sie ebenso wenig aushalten kann wie ihr Gegenteil, mit dem sie ja identisch ist: die Ungemütlichkeit. In seiner in zwei Teilen im November 1878 in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung erschienenen Rezension geht Fontane besonders auf die ungemütlichen Rückseiten der Gemütlichkeit ein.
Eberty war Jurist und hatte davon berichtet, wie schlampig mit eigentlich heiklen sogenannten reponierten Gerichtsakten umgegangen wird. Diese zeigten hochgestellte Persönlichkeiten in peinlichen, straffälligen Zusammenhängen, deren Verfolgung durch Kabinettsorder einfach niedergeschlagen, nämlich reponiert wurde. Ein Irrsinniger, der sich daran erinnert, fühlt, wenn er hört, dass der Regierende Bürgermeister jüngst in einem mit verdienten Berlinerinnen und Berlinern übervollen Saal ausgerechnet und allein auf Herrn Landowski, den Mann einiger Milliarden virtueller Immobilien, zueilte, um ihn stürmisch zu umarmen.
Hier will nie jemand irgendwas ändern. Deshalb wohl hat Björn Kuhligk das Berlin-Buch „Berlin-Beschimpfung“ geschrieben, das über alle bisherigen Berlin-Bücher hinausgeht, weil es nicht nur inhaltlich richtig ist, gleichzeitig zugespitzt und detailliert, sondern sich gar nicht erst zumutet, was Fontane dem Kollegen Eberty noch attestierte: Unparteilichkeit. Kuhligk ist zwar einer der hellsten und fröhlichsten Köpfe seiner Autorengeneration, aber eben auch selbst Berliner. Er schreibt sonst gestochen scharfe und doch lässige politische Lyrik. In tausend Jahren würde er sich nicht von der Literaturpreisindustrie oder den bundesrepublikanischen Fördertöpfen korrumpieren lassen.
Seine Liebe zu den Straßen, in denen sich zu viele Künstler mit ihrer letzten Spraydose auf den übrig gebliebenen Matratzen ihrer Mitbürger verewigen, kann er aber eben weder verbergen noch anders als in hingerotzter Missbilligung formulieren. Wenn man seine Berlin-Beschimpfung liest, ist es schon ein Vorteil, wenn man noch den Auftrag hat, eine Rezension zu schreiben, weil man sonst Gefahr liefe, sich totzulachen. Denn alles ist zu wahr und gleichzeitig ja so dermaßen scheißegal.
Kuhligk beschreibt, wie Berlin ohne Landschaft auskommen muss, ohne Umgebung, ohne Architektur, ohne den Wunsch nach Architektur, ohne Kunst, bei all den Künstlern, ohne politische Haltung trotz Millionen Meinungen, und, fast hätte man es vergessen, natürlich ohne jede Freundlichkeit. Wozu soll die auch gut sein?
Diese Berlin-Beschimpfung ist für alle gut: Die Münchner werden sich nach München sehnen, das die Vorteile eines weltberühmten Dorfes mit denen einer Festwiese plus Berge vereinigt. Die Hamburger werden in der einzigen und sogleich wahrhaft hinreißenden Landschaftsbeschreibung schwelgen, denn an der Elbe kann der Mensch wenigstens unter einem Himmel noch Gefühle haben. Die Kölner haben einen Dom und einen echten Fluss. Und in Frankfurt bezahlt man die Miete einfach und wendet sich dem Leben zu.
Niemand, und das ist Kuhligks Absicht, will nach dem Buch Berlin auch nur besuchen. Es ist nicht nur ein Ort für Verlierer, sie sind dort auch noch glücklich. Statt von ihren Verkehrsbetrieben transportiert zu werden, lassen sie sich lieber zurufen, sie würden geliebt. Und als einer ihrer Bewohner kürzlich in einem Park tatsächlich den Hundekot mit einem eigens dafür mitgeführten Tütchen auflas, rief ihm ein orange gekleideter Herr mit grobem Besen sogleich besitzergreifend zu, er könne diese doch hier in seinen Beutel werfen, um dann beinahe beleidigt und noch lauter außerdem mitzuteilen: Neeee, zuknoten musste die nicht! Na also, geht doch! Die S-Bahn nach Wandlitzsee, einst durch den Mauerbau unterbrochen, soll auch frühestens 2030 wieder fahren. Berlin, das ist die Stadt, die immer schläft.
Auf Unparteilichkeit
wird zum Glück
gleich ganz verzichtet
Keiner will nach
diesem Buch Berlin
auch nur besuchen
Hier will nie jemand irgendwas ändern. Deshalb wohl hat Björn Kuhligk das Berlin-Buch „Berlin-Beschimpfung“ geschrieben.
Foto: Emmanuele Contini / Imago
Björn Kuhligk:
Berlin-Beschimpfung. Illustriert von Jakob Hinrichs.
Favoriten Presse,
Berlin 2024. 64 Seiten, 16 Euro.
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