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Mit "Berlin" gelingt dem amerikanischen Comic-Autor Jason Lutes ein kunstvoller historischer Roman in Bildern, dessen exakt recherchierte Stadtansichten und Milieustudien ein beeindruckendes Zeitpanorama entfalten. Nun erscheint endlich der Abschlussband der Trilogie, deren Handlung im September 1928 einsetzt und im Januar 1933 endet.
"Weist alle Qualitäten eines anspruchsvollen historischen Romans auf." FRANKFURTER RUNDSCHAU
"Unverstellt, manchmal grausam, zeigt Lutes die soziale Realität der Zwischenkriegszeit." DER TAGESSPIEGEL
"Musterbeispiel der Gattung... Jason Lutes ist ein Virtuose des Comic-Handwerks." FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
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Produktbeschreibung
Mit "Berlin" gelingt dem amerikanischen Comic-Autor Jason Lutes ein kunstvoller historischer Roman in Bildern, dessen exakt recherchierte Stadtansichten und Milieustudien ein beeindruckendes Zeitpanorama entfalten. Nun erscheint endlich der Abschlussband der Trilogie, deren Handlung im September 1928 einsetzt und im Januar 1933 endet.

"Weist alle Qualitäten eines anspruchsvollen historischen Romans auf." FRANKFURTER RUNDSCHAU

"Unverstellt, manchmal grausam, zeigt Lutes die soziale Realität der Zwischenkriegszeit." DER TAGESSPIEGEL

"Musterbeispiel der Gattung... Jason Lutes ist ein Virtuose des Comic-Handwerks." FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
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Autorenporträt
Jason Lutes
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Im Zugabteil ein schlafender SA-Mann
23 Jahre hat der amerikanische Zeichner Jason Lutes an seiner „Berlin“-Trilogie gearbeitet, einem Panorama der untergehenden Weimarer Republik.
Nun liegt die Gesamtausgabe vor: eine Graphic Novel, die das Zeug zum Klassiker hat und sich leicht in der „Babylon Berlin“-Masse behauptet
VON THOMAS VON STEINAECKER
Dreiundzwanzig. Man muss sich diese Zahl auf der Zunge zergehen lassen: Dreiundzwanzig Jahre. So lange hat der US-amerikanische Zeichner Jason Lutes an seiner neuen Graphic Novel gearbeitet. Ergebnis: knapp 600 Seiten über das Berlin Ende der 1920er Jahre. Wenn das Wort Opus magnum auf ein Werk zutrifft, dann auf dieses. Ökonomisch betrachtet, der reinste Selbstmord, auch wenn die ersten beiden Teile der Trilogie, „Steinerne Stadt“ und „Bleierne Stadt“, bereits in den Jahren 2000 und 2008 auf Deutsch erschienen – aber wer kann schon allein davon leben? Und wer ist so verrückt und beginnt im fernen Seattle Mitte der 1990er Jahre einen Comic-Roman über ein damals noch nicht sonderlich beackertes Kapitel der Geschichte Berlins, ohne zuvor in der Stadt gewesen zu sein oder genaue Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll?
So kommt es, dass Lutes „Berlin“ ausgerechnet auf dem Höhepunkt des „Babylon Berlin“-Hypes erscheint, zu einem Zeitpunkt, in dem die Bücher, Filme, Hörspiele und Comics im Fahrwasser von Volker Kutschers Gereon Rath-Zyklus inflationär geworden sind. Das hätte man einerseits nicht besser planen können; andererseits kann einem etwas bange werden angesichts des Ziegelsteins von einem Buch, in den Lutes fast ein Vierteljahrhundert Arbeit gesteckt hat. Denn eigentlich ist das ja der Albtraum eines jeden Autors: dass einem ein anderer mit demselben Thema zuvorkommt. Und leider verhält es sich ja auch so, dass die Zutaten für Das-wilde-Berlin-von-damals-Opus mittlerweile schon so oft erprobt wurden, dass man sie nicht wirklich schon wieder sehen will: die heruntergekommenen Hinterhöfe mit dem Arbeiterelend, die schneidigen Kommunisten im Trotzki-Look, die schweigsamen Nazis mit den kantigen Gesichtszügen und natürlich das ach so zügellose Berliner Nachtleben als Antizipation von Berghain und Co., die hervorblitzenden Strumpfbänder, die zurechtgerückten Nickelbrillen. Dazwischen Cameo-Auftritte von Goebbels und Thälmann. Da weht er, der Hauch der Geschichte, der allerdings, zu oft und effektheischend eingesetzt, schnell zum schlechten Atem wird.
Auch wenn Lutes es in seiner Graphic Novel nicht immer gelingt, das bloße historische Anzitieren zu vermeiden, behauptet er sich problemlos in der „Babylon Berlin“-Masse. Das liegt in erster Linie an seinen geradezu klassischen Qualitäten. Lutes pflegt einen auffallend unaufgeregten Ton. Zweifellos hätte jeder Writer’s Room angesichts des Erzählflusses dringend geraten, hier und da einen Effekt mehr einzubauen und das Tempo anzuziehen. Aber Eindruck zu schinden, ist Lutes auf sympathische Weise fremd. Schon die Eingangssequenz wirkt in ihrer subtilen Verbindung von Mehrfachcodierung und Unterhaltung wie der Beginn eines nie gedrehten Hitchcock-Films: September 1928. Ein Zugabteil. Die junge Marthe Müller flieht vor ihrem spießigen Elternhaus aus Köln nach Berlin, um Kunst zu studieren; ihr gegenüber setzt sich ein freundlicher, deutlich älterer Herr, Kurt Severing, Journalist der Weltbühne. Dritter im Abteil ist ein schlafender SA-Mann. Wie es sich für einen Comic gehört, treffen also Wort und Bild aufeinander, während jeder Leser weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das drohende Unheil der Geschichte die Augen aufschlägt. Lutes dient zwar im weiteren Verlauf die Affäre des alternden Mannes mit dem Mädchen als roter Faden, aber schnell weitet sich das Buch zu einem großen Panorama der ihrem Untergang entgegen sehenden Weimarer Republik. Von der Mutter, die wegen ihrer Sympathie für die Kommunisten von ihrem Mann verlassen wird und mit ihrer Tochter auf der Straße leben muss; über die jüdische Familie, die über den Spagat verzweifelt, in dem zunehmend antisemitischen Klima nicht aufzufallen und trotzdem den eigenen Traditionen treu zu bleiben; bis hin zur Swing-Band aus Amerika, die in eine Krimi-Handlung verwickelt wird. Dazwischen gibt es, als Referenz an Döblins „Alexanderplatz“, One-Pager mit inneren Monologen, zum Beispiel eines über die Unfreiheit der Masse sinnierenden Verkehrspolizisten, oder einen Scott McCloud-artigen Exkurs über die Bedeutung des Horizonts in der Kunst.
Waren im ersten Teil, „Steinerne Stadt“, noch Marthe und Kurt gleichberechtigte Hauptfiguren, steht bald nur mehr die Geschichte der jungen Frau im Mittelpunkt; besonders nachdem sie sich von dem zunehmend von den politischen Entwicklungen deprimierten Kurt trennt und zu ihrer Kommilitonin, der lesbischen Anna, zieht. Mit ihr erkundet sie nicht nur die Berliner Nachtclubs, sondern auch die Grenzen des Erlaubten. Was all diese Biografien jedoch verbindet, sind die historischen Ereignisse, deren Schatten im Verlauf des Buches immer länger und dunkler auf sie fallen: allen voran der sogenannte Blutmai, der Tod Stresemanns und die Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Lutes arbeitet sehr klar die historische Logik aus wirtschaftlichem Elend, Kriegstraumatisierung, verletztem Stolz und politischer Manipulation heraus, die Stück für Stück zum Point of no return, zur Ernennung Hitlers als Reichskanzler, führt. Dieser analytische Blick findet sein Pendant in den klar konturierten Schwarzweiß-Zeichnungen. In ihnen gibt sich Lutes als Anhänger des Stils der Ligne claire zu erkennen, den er von Band zu Band verfeinert. Damit einher geht auch, dass Lutes auf fast schon spektakuläre Weise offensichtliche Höhepunkte visuell zerlegt statt zelebriert. Wo in Arne Jyschs Comic-Adaption von „Der nasse Fisch“ die Mai-Unruhen zum Effekt-Feuerwerk wurden, nimmt Lutes aus der Szene das Tempo, indem er ständig zwischen Totaler und Detail-Ansicht wechselt. Auch Splash-Panels mit Stadtansichten, bei einem Comic übers historische Berlin das Sahnehäubchen, setzt Lutes nur sparsam ein. Alles steht bei ihm im Dienst des epischen Erzählens, das er dann, nach fast 600 Seiten, auf brillante Weise in einer ausnahmsweise sehr dynamischen Parallelmonate zielsicher zum Höhepunkt und einem ebenso überraschenden wie befriedigenden Ende bringt.
All das macht „Berlin“ zu einem Ausnahmewerk, ein Buch, das das Zeug zum Klassiker hat und zugleich eine Antwort auf die aktuelle Debatte über Takis Würgers „Stella“-Roman gibt: Denn wie kann es gelingen, Genreversatzstücke und Geschichtsdarstellung auf unterhaltsame und intelligente Art zu verbinden, ohne sich dabei der politischen Ereignisse als bloße Kulisse zu bedienen und historische Figuren aus Effekthascherei zu nützlichen Idioten zu degradieren? Genau so.
Jason Lutes (Text und Zeichnungen): Berlin (Gesamtausgabe). Aus dem Englischen von Heinrich Anders. Carlsen-Verlag, Hamburg 2019. 608 Seiten, 46 Euro.
Schon die Eingangssequenz
wirkt wie der Beginn eines nie
gedrehten Hitchcock-Films
Fast schon spektakulär ist, wie
Lutes visuelle Höhepunkte
zerlegt, statt sie zu zelebrieren
Der analytische Blick des Erzählers findet seine
Entsprechung in klar konturierten Schwarz-Weiß-
Zeichnungen, die Jason Lutes als Anhänger der
Ligne claire zu erkennen geben. Hier ein Ausschnitt aus dem dritten
„Berlin“-Band.
Foto: Carlsen
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