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Was macht eine Stadt aus, was verkörpert ihr Wesen? Berlin - die Schönheit des Alltäglichen ist ein Stadtführer der anderen Art: Er führt nicht zu den bekannten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, sondern lenkt den Blick auf die Alltagsästhetik der Stadtlandschaft, auf die Details der von Zeit und Geschichte geprägten Bauten und Materialien - die Gestaltungsphasen der U-Bahn-Interieurs, die strenge Klarheit der Berliner Straßen und das Mietshaus als kleinste Einheit des Urbanen, dessen scheinbar uniformer Typus sich aus der Nähe als erstaunlich vielseitig erweist. Die Beiträge des Buches widmen…mehr

Produktbeschreibung
Was macht eine Stadt aus, was verkörpert ihr Wesen?
Berlin - die Schönheit des Alltäglichen ist ein Stadtführer der anderen Art: Er führt nicht zu den bekannten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, sondern lenkt den Blick auf die Alltagsästhetik der Stadtlandschaft, auf die Details der von Zeit und Geschichte geprägten Bauten und Materialien - die Gestaltungsphasen der U-Bahn-Interieurs, die strenge Klarheit der Berliner Straßen und das Mietshaus als kleinste Einheit des Urbanen, dessen scheinbar uniformer Typus sich aus der Nähe als erstaunlich vielseitig erweist. Die Beiträge des Buches widmen sich diesen Alltagsarchitekturen, die letztlich die Identität und das Gesicht der Stadt prägen und die es zu bewahren gilt. Zahlreiche Fotografien entführen in die Bilderwelt Berlins und ermuntern dazu, das Phänomen des städtischen Raums und seiner Zeitschichten auf eigene Faust zu erkunden.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2017

Berliner Mietshaus-Glück

Warum die Hauptstadt vom Reiz des immer Gleichen lebt.

Von Judith Lembke

Brandenburger Tor, Siegessäule oder Fernsehturm? In Wirklichkeit keins davon. Das echte Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt gibt es nicht einmal, sondern tausendfach, in immer nur geringfügiger Abwandlung: Das gründerzeitliche Mietshaus prägt das Bild Berlins wie kein anderer Gebäudetyp. Straßenzug um Straßenzug gibt es der Stadt ein immer gleiches Antlitz, fünf Geschosse und 22 Meter Traufhöhe, entstanden zwischen 1870 und 1910, als die Stadt noch schneller wuchs als heute. Die Antwort auf den ständigen Zustrom der Menschen, die in Berlin manchmal ihr Glück, auf jeden Fall aber ein neues Zuhause suchten, hieß schon damals: bauen, bauen, bauen. "So ist auch unsere Straße plötzlich, auf einmal, wie über Nacht entstanden", schrieb Alexander Baron von Roberts 1890 und berichtet über "ganze Kolonnen von Häusern, die links und rechts den Pflasterstreif besetzen". Die Investoren von Schlesien bis ins Ruhrgebiet rieben sich die Hände und stellten Tausende Renditeobjekte in den märkischen Sand. Noch unbehelligt vom strengen Blick der Bauaufsicht, nutzten sie die Fläche bis auf den letzten Quadratzentimeter, indem sie Seiten- und Querflügel an Vorderhäuser fügten und dahinter Höfe und Hinterhäuser aneinanderreihten. Ein Prinzip, das in der Ackerstrasse im Wedding auf die Spitze getrieben wurde. "Meyers Hof" zählte nicht weniger als fünf Hinterhöfe, und während es sich in der Beletage im Vorderhaus formidabel lebte, blühte in den Kellerwohnungen der Hinterhäuser das Elend.

"Das Berliner Mietshaus ist der Plattenbau des 19. Jahrhunderts", schreibt Frank Peter Jäger in dem Buch "Berlin. Die Schönheit des Alltäglichen". Es ist ein Typenbau, der jedoch in handwerklicher Bauweise errichtet wurde und deswegen anders als die Serienbauten der Moderne auch unzählige Varianten zuließ. Genau diese Eintönigkeit der Bebauung fasziniert den Stadtplaner Jäger in Berlin. "Wenn eine Innenstadt mit dem immer gleichen Häusertyp bebaut ist, nimmt man an, dass es total trist wirkt", sagt Jäger. Doch das Gegenteil sei der Fall: "Es ist eine lebendige Stadtlandschaft entstanden." Was vor 150 Jahren anfangs ähnlich steril gewirkt haben mag wie heute ein beliebiges Neubaugebiet in beliebigem Vorort, gilt nun als Inbegriff des Urbanen. Denn Krieg, Verfall und der Zahn der Zeit haben Lücken in das steinerne Einerlei gerissen, Neues ist entstanden und manchmal auch gar nichts. Vor allem aber trifft in den Mietshäusern auch heute noch vielerorts Jung auf Alt, Hip auf Provinziell, Groß- auf Kleinbürger. Das ist lebendig, manchmal bis an die Grenze der Zumutbarkeit: "Wenn jemand im engen Hinterhof nachts die Musik aufdreht, muss man sich in Toleranz üben", weiß Jäger aus eigener Erfahrung.

Zwar folgten die Häuser überall in der Stadt dem gleichen Bauprinzip. In Ausstattung und Größe liegen jedoch Welten zwischen den großbürgerlichen Häusern in Wilmersdorf und den Arbeiterkasernen im Wedding. Was den Unterschied ausmachte? Nur das Budget des Auftraggebers. "Die handwerkliche Bauweise machte es leicht, innerhalb des Schemas auf Sonderwünsche einzugehen", sagt Jäger. Doch egal ob Wilmersdorf oder Wedding, wenn Jäger zum ersten Mal eine Berliner Altbauwohnung betritt, findet er sich sofort zurecht: Im Vorderhaus liegt die Küche zum Hof, das Wohnzimmer geht zur Straße und das "Berliner Zimmer" verbindet in der Ecke mit dem Seitenflügel. Wer eine kennt, kennt sie irgendwie alle. Den Unterschied machen dann vor allem die Gastgeber.

"Berlin. Die Schönheit des Alltäglichen" von Frank Peter Jäger (Hg.), Jovis Verlag, Berlin 2017.

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