Der Band fasst in leicht überarbeiteter Form elf Vorträge zusammen, die im Sommersemester 2005 an der Freien Universität Berlin gehalten worden sind. Die Vorträge lassen sich in drei Gruppen bündeln: Vorträge von Politikern, ökonomisch-verwaltungswissenschaftliche Vorträge, juristische Vorträge. Die Berliner Senatoren Sarrazin - abgedruckt ist einer seiner "Folienvorträge" - und Wolf stellen die finanzielle und wirtschaftliche Situation Berlins und ihre Perspektiven aus der Sicht des Landes, der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Halsch aus der Sicht des Bundes dar. Der Bundestagsabgeordnete W. Wieland beschäftigt sich mit der föderalen Neugliederung im Raum Berlin/Brandenburg, der Unternehmer Dussmann mit der privaten Finanzierung der überfälligen Sanierung der Staatsoper Unter den Linden. Im engeren Sinne juristische Fragen behandeln J. Wieland (extreme Haushaltsnotlage Berlins) und Andreas Musil (bezirkliche Selbstverwaltung). Dem Topos "Metropole" gelten die Beiträge von Röber (Vergleich der Verwaltungen europäischer Metropolen) und Schuppert (Metropolitan Governance). Michael Heine und Manfred Seitz befassen sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht mit den Finanzen von Berlin. Die Beiträge erheben keinen systematischen Anspruch, sondern heben hervor, was den Herausgebern in der dritten Phase der Berliner Finanzpolitik nach der Wiedervereinigung (erst übertriebene Erwartungen, dann Fortsetzung des alten Kurses, jetzt Konsolidierung) als wichtig erschienen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2006Ein Offenbarungseid in Berlin
Blick auf die Hintergründe einer desaströsen Finanzlage
Die Hauptstadt hat ihren haushaltspolitischen Offenbarungseid geleistet. Berlin sieht sich nicht in der Lage, die etwa 60 Milliarden Euro Schulden, die das Land aufgehäuft hat, allein zu bedienen. Es hat daher gegen den Bund geklagt, da dieser weitere Hilfen ablehnte. An diesem Mittwoch ist die mündliche Verhandlung in Sachen "Haushaltsnotlage des Landes Berlin" vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Drei Fragen interessieren hier besonders: Wie konnte es überhaupt zu der desaströsen Finanzlage Berlins kommen? Was hat Berlin getan, um sich selbst daraus zu befreien? Und warum lehnt der Bund die geforderte Unterstützung ab?
Antworten bietet der schmale und ausgesprochen informative, aber gleichwohl auch recht teure Band, der elf Vorträge einer Ringvorlesung der Freien Universität Berlin zusammenfaßt. Den Weg in die Krise beschreibt Harald Wolf, derzeit Bürgermeister und Wirtschaftssenator der lange geteilten Stadt. Er erinnert daran, daß Anfang der neunziger Jahre die Vorstellung einer blühenden Dienstleistungsmetropole vorherrschte, wonach Berlins Einwohnerzahl schon bald auf 5 Millionen steigen sollte. Das Mitglied der "Linkspartei - PDS" legt schonungslos die Subventionsmentalität in Berlin bloß. Er hebt hervor, daß der Landesetat vor der Wiedervereinigung zu mehr als 50 Prozent von Zuflüssen aus dem Bundeshaushalt gespeist worden war und nach dem Jahr 1990 die Zuschüsse rapide sanken. Lakonisch stellt er fest: "Es gab kein Gegensteuern auf das schlagartige Abbrechen der Finanzströme aus dem Bund und das Auslaufen der Subventionierung." Und: "Die Krise der Bankgesellschaft im Jahr 2001 brachte das Faß zum Überlaufen."
Das Ergebnis dieser Politik ist eine Verschuldung von 18 100 Euro je Kopf, während es in Bayern nur 3300 Euro sind, wie Thilo Sarrazin eingangs seines Beitrags vom vergangenen Sommer nüchtern feststellt. Der SPD-Politiker beschreibt detailliert, wofür Berlin mehr ausgibt als andere Länder: für Soziales, für Schulden, für Lehrer, aber auch für Hochschulen, Wohnungsbau und vor allem für Kinderbetreuung. Gerade die als besonders nützlich angesehenen Ausgaben seien die besonders gestaltbaren, beschreibt Sarrazin das politische Dilemma. Der Finanzsenator weist darauf hin, daß dank eigener Anstrengungen Berlin mittlerweile mit seinen laufenden Einnahmen seine laufenden Ausgaben decken kann - wenn auch nur unter Ausklammerung der Zinslast. Und er begründet die Klage mit dem Hinweis, daß das Land seine Schulden nur zu dem Preis bedienen könne, daß es Ausgaben so radikal kürze, daß es zwingende Verpflichtungen nicht erfüllen könne. Seine Folgerung: Berlin steckt in einer extremen Haushaltsnotlage.
Volker Halsch vertritt die Gegenposition. Der frühere Staatssekretär im Bundesfinanzministerium argumentiert, die Stadt sei an ihrer Lage selber schuld, weil sie nicht rechtzeitig und nachdrücklich genug gespart habe. Auch argumentiere das Land zu formalistisch. Man dürfe nicht nur auf die Zins-Steuer-Quote und die Kreditfinanzierungsquote schauen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht 1992 diese Haushaltsziffern herangezogen, aber seither hätten sich die finanziellen Rahmenbedingungen überall in Deutschland verändert. Aus Bundessicht hat demnach Berlin seine Konsolidierungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft; das Land kann das Abgleiten in eine Haushaltsnotlage noch verhindern.
Allein diese drei Beiträge geben damit einen guten Überblick über die Ausgangslage vor der Verhandlung in Karlsruhe. Wie Sarrazin hervorhebt, war die Klage unabhängig vom Ausgang wichtig: Erstens gebe es die Möglichkeit zu gewinnen. Zweitens habe schon der Hinweis auf die laufende Klage geholfen, die Stadt auf den Konsolidierungskurs einzuschwören. Drittens wäre die Klage nach einer vollständigen Niederlage ein notwendiges Durchgangsstadium, um dann die unvermeidlich bitteren Entscheidungen zu rechtfertigen.
MANFRED SCHÄFERS.
Ulrich Baßeler/Markus Heintzen/Lutz Kruschwitz: Berlin - Finanzierung und Organisation einer Metropole. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006, 212 Seiten, 69,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blick auf die Hintergründe einer desaströsen Finanzlage
Die Hauptstadt hat ihren haushaltspolitischen Offenbarungseid geleistet. Berlin sieht sich nicht in der Lage, die etwa 60 Milliarden Euro Schulden, die das Land aufgehäuft hat, allein zu bedienen. Es hat daher gegen den Bund geklagt, da dieser weitere Hilfen ablehnte. An diesem Mittwoch ist die mündliche Verhandlung in Sachen "Haushaltsnotlage des Landes Berlin" vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Drei Fragen interessieren hier besonders: Wie konnte es überhaupt zu der desaströsen Finanzlage Berlins kommen? Was hat Berlin getan, um sich selbst daraus zu befreien? Und warum lehnt der Bund die geforderte Unterstützung ab?
Antworten bietet der schmale und ausgesprochen informative, aber gleichwohl auch recht teure Band, der elf Vorträge einer Ringvorlesung der Freien Universität Berlin zusammenfaßt. Den Weg in die Krise beschreibt Harald Wolf, derzeit Bürgermeister und Wirtschaftssenator der lange geteilten Stadt. Er erinnert daran, daß Anfang der neunziger Jahre die Vorstellung einer blühenden Dienstleistungsmetropole vorherrschte, wonach Berlins Einwohnerzahl schon bald auf 5 Millionen steigen sollte. Das Mitglied der "Linkspartei - PDS" legt schonungslos die Subventionsmentalität in Berlin bloß. Er hebt hervor, daß der Landesetat vor der Wiedervereinigung zu mehr als 50 Prozent von Zuflüssen aus dem Bundeshaushalt gespeist worden war und nach dem Jahr 1990 die Zuschüsse rapide sanken. Lakonisch stellt er fest: "Es gab kein Gegensteuern auf das schlagartige Abbrechen der Finanzströme aus dem Bund und das Auslaufen der Subventionierung." Und: "Die Krise der Bankgesellschaft im Jahr 2001 brachte das Faß zum Überlaufen."
Das Ergebnis dieser Politik ist eine Verschuldung von 18 100 Euro je Kopf, während es in Bayern nur 3300 Euro sind, wie Thilo Sarrazin eingangs seines Beitrags vom vergangenen Sommer nüchtern feststellt. Der SPD-Politiker beschreibt detailliert, wofür Berlin mehr ausgibt als andere Länder: für Soziales, für Schulden, für Lehrer, aber auch für Hochschulen, Wohnungsbau und vor allem für Kinderbetreuung. Gerade die als besonders nützlich angesehenen Ausgaben seien die besonders gestaltbaren, beschreibt Sarrazin das politische Dilemma. Der Finanzsenator weist darauf hin, daß dank eigener Anstrengungen Berlin mittlerweile mit seinen laufenden Einnahmen seine laufenden Ausgaben decken kann - wenn auch nur unter Ausklammerung der Zinslast. Und er begründet die Klage mit dem Hinweis, daß das Land seine Schulden nur zu dem Preis bedienen könne, daß es Ausgaben so radikal kürze, daß es zwingende Verpflichtungen nicht erfüllen könne. Seine Folgerung: Berlin steckt in einer extremen Haushaltsnotlage.
Volker Halsch vertritt die Gegenposition. Der frühere Staatssekretär im Bundesfinanzministerium argumentiert, die Stadt sei an ihrer Lage selber schuld, weil sie nicht rechtzeitig und nachdrücklich genug gespart habe. Auch argumentiere das Land zu formalistisch. Man dürfe nicht nur auf die Zins-Steuer-Quote und die Kreditfinanzierungsquote schauen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht 1992 diese Haushaltsziffern herangezogen, aber seither hätten sich die finanziellen Rahmenbedingungen überall in Deutschland verändert. Aus Bundessicht hat demnach Berlin seine Konsolidierungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft; das Land kann das Abgleiten in eine Haushaltsnotlage noch verhindern.
Allein diese drei Beiträge geben damit einen guten Überblick über die Ausgangslage vor der Verhandlung in Karlsruhe. Wie Sarrazin hervorhebt, war die Klage unabhängig vom Ausgang wichtig: Erstens gebe es die Möglichkeit zu gewinnen. Zweitens habe schon der Hinweis auf die laufende Klage geholfen, die Stadt auf den Konsolidierungskurs einzuschwören. Drittens wäre die Klage nach einer vollständigen Niederlage ein notwendiges Durchgangsstadium, um dann die unvermeidlich bitteren Entscheidungen zu rechtfertigen.
MANFRED SCHÄFERS.
Ulrich Baßeler/Markus Heintzen/Lutz Kruschwitz: Berlin - Finanzierung und Organisation einer Metropole. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006, 212 Seiten, 69,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Überaus informativ findet Rezensent Manfred Schäfers diesen Band mit elf Beiträgen über die Hintergründe der desaströsen Finanzlage Berlins - gerade im Blick auf die anstehende Verhandlung in Sachen "Haushaltsnotlage des Landes Berlin" vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Ihn interessieren vor allem drei Fragen: Wie konnte es überhaupt zu der desaströsen Finanzlage Berlins kommen? Was hat Berlin getan, um sich selbst daraus zu befreien? Und warum lehnt der Bund die geforderte Unterstützung ab? Vorliegender Band gibt nach Meinung Schäfers überzeugende Antworten. Lobend äußert er sich über Harald Wolfs Beitrag, der den Weg in die Krise der lange geteilten Stadt beschreibt. Außerdem hebt er Thilo Sarrazins Beitrag über die Ausgaben Berlins in den Bereichen Soziales, Schulden, Lehrer, aber auch Hochschulen, Wohnungsbau und vor allem Kinderbetreuung hervor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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