No place symbolized the cold war more than Berlin, and no event illustrates how East-West conflict developed more than the Berlin blockade. The blockade (June 24, 1948-May 12, 1949) was one of the first international crises of the cold war. During the occupation of post-World War II Germany, the Soviet Union blocked the Western Allies' railway and road access to the sectors of Berlin under Allied control. Their aim was to force the western powers to allow the Soviets to supply Berlin with food and fuel, thus enabling the Soviets to control the entire city. In response, the Allies organized the Berlin airlift to carry supplies to the people in West Berlin. Scholars in recent years have tended to ignore the blockade in the belief that "we now know" all that can be said about it. The success of the airlift in breaking the blockade has led many-after the fact-to see the airlift as the execution of a well-conceived plan of a few diplomats, rather than as a brilliant improvisation by many people, influenced by time and chance. In Time and Chance: A History of the Berlin Blockade, Daniel F. Harrington examines "the Berlin question" from its origin in wartime plans for the occupation of Germany through the Paris Council of Foreign Ministers meeting in 1949. Harrington draws on previously untapped archival sources to challenge standard accounts of the postwar division of Germany, the origins of the blockade, the original purpose of the airlift, and the leadership and decision-making of President Harry S Truman. While thoroughly examining American, British, French, and Soviet diplomacy at the top levels, Harrington also pays careful attention to events on the ground in postwar Berlin and to details of the that led to its success. He demonstrates how the airlift owed its success less to decisions at the top than to the ingenuity and hard work of people at the bottom-pilots, mechanics, and Berliners. Time and Chance reshapes the conventional understanding of a critical event of cold war history and promises to be the definitive book on the Berlin blockade. Daniel F. Harrington is deputy command historian at United States Strategic Command and has published many essays in journals such as Diplomacy & Statecraft, International History Review, and Diplomatic History.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Als ein neuer großer Krieg ausblieb
Die Berlin-Krise von 1948/49 machte die Zerrüttung der Anti-Hitler-Koalition sichtbar. Der Westteil der Stadt musste wegen der sowjetischen Blockade aus der Luft versorgt werden. Die westlichen Besatzungsmächte wurden bald zu Schutzmächten und sogar zu Freunden.
Von Daniel Koerfer
Die erste Berlin-Krise 1948/49 war die Schlüssel-, Scharnier- und Beschleunigungskrise der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie ließ die fundamentale Zerrüttung der Siegerkoalition von 1945 sichtbar werden, öffnete den Blick in den Abgrund eines dritten Weltkriegs und begründete die bipolare Konstellation des Kalten Krieges mit seinen zwei antagonistischen Hegemonialmächten Vereinigte Staaten und Sowjetunion, die hier erstmals ihre Eskalations-, aber auch Deeskalationstechniken "erprobten". Sie beschleunigte das Entstehen zweier deutscher Staaten, eingebunden in zwei neue, feindliche Block- und Bündnissysteme, vertiefte die deutsche Teilung, war auch psychologisch überaus folgenreich. Aus Besatzungsmächten wurden Schutzmächte, Verbündete, Freunde - für die Deutschen im Westen und jene im Herzen des Kalten Krieges, in Berlin, aber auch für die fernen Amerikaner.
Hinterher, als der neue große Krieg ausgeblieben war, wollten es alle Verantwortlichen gewusst und maßgeblichen Anteil am glücklichen Ausgang gehabt haben. Allein, die materialreiche, überwiegend aus britischen und amerikanischen Archivquellen schöpfende Untersuchung der Handlungsabläufe in den westlichen Entscheidungszentren durch den amerikanischen Militärhistoriker Daniel F. Harrington zeichnet ein völlig anderes Bild. Von nennenswertem Krisenmanagement, von klaren Konzepten in den westlichen Stäben kaum eine Spur - ein im Rückblick erschreckender Befund, denn die Möglichkeit eines Scheiterns und damit für einen ganz anderen Verlauf der Nachkriegsgeschichte war groß, viel größer jedenfalls, als gemeinhin angenommen.
Zugegeben, der Status von Berlin nach 1945 war bizarr - und die Ratlosigkeit der militärischen und politischen Planer in Washington, London, Paris im Umgang mit dieser Vier-Sektoren-Stadt und ihren kaum geregelten Zugangsbedingungen inmitten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verständlich. Seit 1946 mehrten sich intern vor allem französische und britische Stimmen, die zum Abzug rieten. Die Franzosen begannen im kritischen Frühjahr 1948 entschlossen mit dem Personalabbau. Aber auch der amerikanische Botschafter in Moskau, Bedell Smith, meinte in jenem Sommer, Berlin sei nicht zu halten, man solle sich zurückziehen, bevor der Prestigeverlust zu groß werde. Ähnlich sehen es in London der spätere Hohe Kommissar Ivone Kirkpatrick oder der britische Stabschef Hollis, der anregte, die Berliner Bevölkerung in die Westzonen auszufliegen und den Sowjets eine "leere Hülse" zu überlassen.
Die Vereinigten Stabschefs (JCS) in Washington waren ebenfalls der Auffassung, Berlin sei aufzugeben, weil die Vereinigten Staaten keinesfalls einen neuen Krieg führen könnten - es müsse nur ein gesichtswahrender Grund gefunden werden. Anhänger dieser Auffassung gab es im Planungsstab der Armee noch am Ende der Krise im Frühjahr 1949, als man dort riet, die jüngste Außenministerkonferenz der vier Hauptsiegermächte brachial platzen zu lassen für einen "Abzug mit den geringsten psychologischen Erschütterungen". Washingtons Armeeminister Royall befürwortete ebenfalls weiter den Abzug, da sich mit der voranschreitenden Weststaatgründung eine neue deutsche Hauptstadt abzeichne, Berlin keinerlei Bedeutung mehr für die Westdeutschen habe.
Stalin, durch eine Reihe gut plazierter Spione über die westliche Labilität gut unterrichtet, traf also eine machtpolitisch höchst rationale Entscheidung, als er nach den im Frühjahr 1948 gefassten Londoner Beschlüssen, die auf eine westdeutsche Teilstaatgründung und ein westliches Verteidigungssystem hinausliefen, Anweisung gab, den sowjetischen Druck auf Berlin zu verstärken und die Mitarbeit in den gemeinsamen alliierten Verwaltungseinrichtungen, Kontrollrat und Kommandantur, einzustellen. Über den Hebel Berlin wollte er eine westdeutsche Staatsgründung unter kapitalistischen Vorzeichen, die dem misstrauischen Diktator - so Harrington - als Vorstufe einer neuen Invasion erscheinen mochte, torpedieren und sich als Mitgestalter gesamtdeutscher Entscheidungen in Erinnerung bringen.
Die erste Warnung, die kleine Blockade im Frühjahr, blieb ohne Wirkung. Als die Westmächte in ihren Sektoren Ende Juni in Konkurrenz zur bereits kursierenden Ostmark ihre neue Währung einführten, die zwar zunächst mit einem "B"Stempel versehen, aber doch an die D-Mark der Westzonen gekoppelt war, ließ Stalin die Land- und Wasserwege nach Berlin "wegen technischer Schwierigkeiten vorübergehend" sperren. Liefervereinbarungen für Nahrungsmittel wurden gekündigt, Strom- und Abwasserleitungen gekappt. Die Zeit der großen Blockade hatte begonnen.
Jetzt schlug die Stunde des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay, in Washington bestens vernetzt, der seltene Fall eines politischen Generals, noch dazu kein Schlachtenlenker, sondern Logistiker, eng befreundet mit einer weiteren Schlüsselfigur dieser Krisenmonate, mit Curtis LeMay, dem Kommandeur der US Air Force in Europa - solche "Vernetzungen" spielen bei Harrington zu Recht eine große Rolle. Clays Stimme und Einschätzung hatten Gewicht, auch wenn er - "smart, impulsiv, egozentrisch, intolerant" - in der Heimat keineswegs nur Verbündete besaß. Für Clay war klar: "Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland. Wenn wir beabsichtigen, Europa gegen die Kommunisten zu halten, dürfen wir uns nicht von der Stelle rühren."
Alles schaut auf den Präsidenten - auch Harrington. Harry S. Truman hat sich lange für Deutschland kaum interessiert und steckt in einem ziemlich aussichtslosen Wahlkampf. Er versucht, den in jeder Krise wichtigsten Rohstoff zu gewinnen: Zeit. Und die Antwort auf die Zentralfrage "Krieg oder Abzug aus Berlin?" möglichst lange aufzuschieben. Die Flugzeuge, die Clay zunächst nur zur Versorgung der alliierten Garnisonen anfordert - eine Versorgung der Gesamtbevölkerung Berlins aus der Luft hält er selbst zunächst noch für völlig ausgeschlossen -, versprechen Zeitgewinn und werden bewilligt. Und Truman nennt als Ziel: "Wir bleiben in Berlin." Zugleich werden aber dem impulsiven Clay, der mit einem bewaffneten Konvoi die Blockade durchbrechen will, Zügel angelegt. Kein Konvoi, keine Jagdflieger als Begleitschutz der Transportflugzeuge, kein Abschuss sowjetischer Sperrballone in den Luftkorridoren. 90 B-29-Bomber werden nach England und Deutschland verlegt - aber die zwei für den atomaren Einsatz ausgerüsteten Einheiten bleiben in den Vereinigten Staaten. Auch wenn der Präsident die Situation für so gefährlich hält wie 1939, will er diese schreckliche Waffe, deren Einsatz er einmal befahl, nicht erneut einsetzen. Stalin weiß das durch seine Spione, pokert deshalb, so Harrington, weiter hoch. Trumans "Politik der Festigkeit und Eindämmung ohne Krieg" wird sich aber kurzfristig als richtig erweisen, weil sie ihm im November 1948 einen völlig unerwarteten Wahlsieg einträgt. Und langfristig, weil die Operation Luftbrücke ein unerwarteter Erfolg wird.
Der überraschend milde Winter spielt eine wichtige Rolle, die Herbststürme, die den dichten Bodennebel vertreiben. Vor allem aber der eigentliche Vater der Luftbrücke, Generalmajor William H. Tunner. Er ist es, der vom neuen Luftbrücken-Hauptquartier in Wiesbaden aus ab Ende Juli 1948 eine von Harrington minutiös beschriebene, straff organisierte, amerikanisch-britische Logistikoperation auf die Beine stellt, die am Ende über 277 000 Flüge umfasst und die Lieferleistung von rund 1400 Tonnen pro Tag bis zum April 1949 auf kaum fassliche 13 000 Tonnen zu steigern vermag - für die Berliner ist damals das nahezu ununterbrochene tiefe Dröhnen der Flugzeugmotoren mehr als willkommen, zugleich Beruhigung und Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zum Westen.
Lange glaubt man aber nicht einmal in Washington an den Erfolg der Luftbrücke. Die westalliierten Botschafter werden zu Stalin geschickt, der sie jovial - "Wir sind doch Verbündete" - begrüßt, Verständigungsbereitschaft andeutet, dann wieder einen Rückzieher macht. Der UN-Sicherheitsrat wird eingeschaltet und schlägt vor, die Ostmark solle alleinige Währung in Berlin werden, kontrolliert von den vier Mächten. Die Westmächte akzeptieren, schlagen Clays massive Warnungen in den Wind! Aber Stalin lehnt ab, zum Glück. Und überreizt sein Blatt, zumal die Blockade keineswegs so dicht ist, wie die Legende besagt.
Ende März 1949 ist es dann mit der westlichen Konzessionsbereitschaft vorbei. In den Westsektoren wird die Ostmark als Zahlungsmittel verboten. Kurz darauf wird die Aufhebung der Sperren zwischen den UN-Delegierten Jessup und Malik auf geheimer Ebene ausgehandelt. Stalin lenkt ein. Alles, was er hatte verhindern wollen, wird Realität - von der Gründung der Bundesrepublik bis zur Nato. Freundschaft mit Amerika und Antikommunismus werden zu tragenden Säulen bundesdeutscher Staatsräson. Berlin aber ist fortan geteilt mit zwei Verwaltungen, zwei Währungen, zwei Herrschaftssystemen - geteilt wie die Welt für die nächsten vier Jahrzehnte.
Daniel F. Harrington: Berlin on the Brink. The Blockade, the Airlift and the Early Cold War.
University Press, Kentucky 2012. 412 S., 40,- $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Berlin-Krise von 1948/49 machte die Zerrüttung der Anti-Hitler-Koalition sichtbar. Der Westteil der Stadt musste wegen der sowjetischen Blockade aus der Luft versorgt werden. Die westlichen Besatzungsmächte wurden bald zu Schutzmächten und sogar zu Freunden.
Von Daniel Koerfer
Die erste Berlin-Krise 1948/49 war die Schlüssel-, Scharnier- und Beschleunigungskrise der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie ließ die fundamentale Zerrüttung der Siegerkoalition von 1945 sichtbar werden, öffnete den Blick in den Abgrund eines dritten Weltkriegs und begründete die bipolare Konstellation des Kalten Krieges mit seinen zwei antagonistischen Hegemonialmächten Vereinigte Staaten und Sowjetunion, die hier erstmals ihre Eskalations-, aber auch Deeskalationstechniken "erprobten". Sie beschleunigte das Entstehen zweier deutscher Staaten, eingebunden in zwei neue, feindliche Block- und Bündnissysteme, vertiefte die deutsche Teilung, war auch psychologisch überaus folgenreich. Aus Besatzungsmächten wurden Schutzmächte, Verbündete, Freunde - für die Deutschen im Westen und jene im Herzen des Kalten Krieges, in Berlin, aber auch für die fernen Amerikaner.
Hinterher, als der neue große Krieg ausgeblieben war, wollten es alle Verantwortlichen gewusst und maßgeblichen Anteil am glücklichen Ausgang gehabt haben. Allein, die materialreiche, überwiegend aus britischen und amerikanischen Archivquellen schöpfende Untersuchung der Handlungsabläufe in den westlichen Entscheidungszentren durch den amerikanischen Militärhistoriker Daniel F. Harrington zeichnet ein völlig anderes Bild. Von nennenswertem Krisenmanagement, von klaren Konzepten in den westlichen Stäben kaum eine Spur - ein im Rückblick erschreckender Befund, denn die Möglichkeit eines Scheiterns und damit für einen ganz anderen Verlauf der Nachkriegsgeschichte war groß, viel größer jedenfalls, als gemeinhin angenommen.
Zugegeben, der Status von Berlin nach 1945 war bizarr - und die Ratlosigkeit der militärischen und politischen Planer in Washington, London, Paris im Umgang mit dieser Vier-Sektoren-Stadt und ihren kaum geregelten Zugangsbedingungen inmitten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verständlich. Seit 1946 mehrten sich intern vor allem französische und britische Stimmen, die zum Abzug rieten. Die Franzosen begannen im kritischen Frühjahr 1948 entschlossen mit dem Personalabbau. Aber auch der amerikanische Botschafter in Moskau, Bedell Smith, meinte in jenem Sommer, Berlin sei nicht zu halten, man solle sich zurückziehen, bevor der Prestigeverlust zu groß werde. Ähnlich sehen es in London der spätere Hohe Kommissar Ivone Kirkpatrick oder der britische Stabschef Hollis, der anregte, die Berliner Bevölkerung in die Westzonen auszufliegen und den Sowjets eine "leere Hülse" zu überlassen.
Die Vereinigten Stabschefs (JCS) in Washington waren ebenfalls der Auffassung, Berlin sei aufzugeben, weil die Vereinigten Staaten keinesfalls einen neuen Krieg führen könnten - es müsse nur ein gesichtswahrender Grund gefunden werden. Anhänger dieser Auffassung gab es im Planungsstab der Armee noch am Ende der Krise im Frühjahr 1949, als man dort riet, die jüngste Außenministerkonferenz der vier Hauptsiegermächte brachial platzen zu lassen für einen "Abzug mit den geringsten psychologischen Erschütterungen". Washingtons Armeeminister Royall befürwortete ebenfalls weiter den Abzug, da sich mit der voranschreitenden Weststaatgründung eine neue deutsche Hauptstadt abzeichne, Berlin keinerlei Bedeutung mehr für die Westdeutschen habe.
Stalin, durch eine Reihe gut plazierter Spione über die westliche Labilität gut unterrichtet, traf also eine machtpolitisch höchst rationale Entscheidung, als er nach den im Frühjahr 1948 gefassten Londoner Beschlüssen, die auf eine westdeutsche Teilstaatgründung und ein westliches Verteidigungssystem hinausliefen, Anweisung gab, den sowjetischen Druck auf Berlin zu verstärken und die Mitarbeit in den gemeinsamen alliierten Verwaltungseinrichtungen, Kontrollrat und Kommandantur, einzustellen. Über den Hebel Berlin wollte er eine westdeutsche Staatsgründung unter kapitalistischen Vorzeichen, die dem misstrauischen Diktator - so Harrington - als Vorstufe einer neuen Invasion erscheinen mochte, torpedieren und sich als Mitgestalter gesamtdeutscher Entscheidungen in Erinnerung bringen.
Die erste Warnung, die kleine Blockade im Frühjahr, blieb ohne Wirkung. Als die Westmächte in ihren Sektoren Ende Juni in Konkurrenz zur bereits kursierenden Ostmark ihre neue Währung einführten, die zwar zunächst mit einem "B"Stempel versehen, aber doch an die D-Mark der Westzonen gekoppelt war, ließ Stalin die Land- und Wasserwege nach Berlin "wegen technischer Schwierigkeiten vorübergehend" sperren. Liefervereinbarungen für Nahrungsmittel wurden gekündigt, Strom- und Abwasserleitungen gekappt. Die Zeit der großen Blockade hatte begonnen.
Jetzt schlug die Stunde des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay, in Washington bestens vernetzt, der seltene Fall eines politischen Generals, noch dazu kein Schlachtenlenker, sondern Logistiker, eng befreundet mit einer weiteren Schlüsselfigur dieser Krisenmonate, mit Curtis LeMay, dem Kommandeur der US Air Force in Europa - solche "Vernetzungen" spielen bei Harrington zu Recht eine große Rolle. Clays Stimme und Einschätzung hatten Gewicht, auch wenn er - "smart, impulsiv, egozentrisch, intolerant" - in der Heimat keineswegs nur Verbündete besaß. Für Clay war klar: "Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland. Wenn wir beabsichtigen, Europa gegen die Kommunisten zu halten, dürfen wir uns nicht von der Stelle rühren."
Alles schaut auf den Präsidenten - auch Harrington. Harry S. Truman hat sich lange für Deutschland kaum interessiert und steckt in einem ziemlich aussichtslosen Wahlkampf. Er versucht, den in jeder Krise wichtigsten Rohstoff zu gewinnen: Zeit. Und die Antwort auf die Zentralfrage "Krieg oder Abzug aus Berlin?" möglichst lange aufzuschieben. Die Flugzeuge, die Clay zunächst nur zur Versorgung der alliierten Garnisonen anfordert - eine Versorgung der Gesamtbevölkerung Berlins aus der Luft hält er selbst zunächst noch für völlig ausgeschlossen -, versprechen Zeitgewinn und werden bewilligt. Und Truman nennt als Ziel: "Wir bleiben in Berlin." Zugleich werden aber dem impulsiven Clay, der mit einem bewaffneten Konvoi die Blockade durchbrechen will, Zügel angelegt. Kein Konvoi, keine Jagdflieger als Begleitschutz der Transportflugzeuge, kein Abschuss sowjetischer Sperrballone in den Luftkorridoren. 90 B-29-Bomber werden nach England und Deutschland verlegt - aber die zwei für den atomaren Einsatz ausgerüsteten Einheiten bleiben in den Vereinigten Staaten. Auch wenn der Präsident die Situation für so gefährlich hält wie 1939, will er diese schreckliche Waffe, deren Einsatz er einmal befahl, nicht erneut einsetzen. Stalin weiß das durch seine Spione, pokert deshalb, so Harrington, weiter hoch. Trumans "Politik der Festigkeit und Eindämmung ohne Krieg" wird sich aber kurzfristig als richtig erweisen, weil sie ihm im November 1948 einen völlig unerwarteten Wahlsieg einträgt. Und langfristig, weil die Operation Luftbrücke ein unerwarteter Erfolg wird.
Der überraschend milde Winter spielt eine wichtige Rolle, die Herbststürme, die den dichten Bodennebel vertreiben. Vor allem aber der eigentliche Vater der Luftbrücke, Generalmajor William H. Tunner. Er ist es, der vom neuen Luftbrücken-Hauptquartier in Wiesbaden aus ab Ende Juli 1948 eine von Harrington minutiös beschriebene, straff organisierte, amerikanisch-britische Logistikoperation auf die Beine stellt, die am Ende über 277 000 Flüge umfasst und die Lieferleistung von rund 1400 Tonnen pro Tag bis zum April 1949 auf kaum fassliche 13 000 Tonnen zu steigern vermag - für die Berliner ist damals das nahezu ununterbrochene tiefe Dröhnen der Flugzeugmotoren mehr als willkommen, zugleich Beruhigung und Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zum Westen.
Lange glaubt man aber nicht einmal in Washington an den Erfolg der Luftbrücke. Die westalliierten Botschafter werden zu Stalin geschickt, der sie jovial - "Wir sind doch Verbündete" - begrüßt, Verständigungsbereitschaft andeutet, dann wieder einen Rückzieher macht. Der UN-Sicherheitsrat wird eingeschaltet und schlägt vor, die Ostmark solle alleinige Währung in Berlin werden, kontrolliert von den vier Mächten. Die Westmächte akzeptieren, schlagen Clays massive Warnungen in den Wind! Aber Stalin lehnt ab, zum Glück. Und überreizt sein Blatt, zumal die Blockade keineswegs so dicht ist, wie die Legende besagt.
Ende März 1949 ist es dann mit der westlichen Konzessionsbereitschaft vorbei. In den Westsektoren wird die Ostmark als Zahlungsmittel verboten. Kurz darauf wird die Aufhebung der Sperren zwischen den UN-Delegierten Jessup und Malik auf geheimer Ebene ausgehandelt. Stalin lenkt ein. Alles, was er hatte verhindern wollen, wird Realität - von der Gründung der Bundesrepublik bis zur Nato. Freundschaft mit Amerika und Antikommunismus werden zu tragenden Säulen bundesdeutscher Staatsräson. Berlin aber ist fortan geteilt mit zwei Verwaltungen, zwei Währungen, zwei Herrschaftssystemen - geteilt wie die Welt für die nächsten vier Jahrzehnte.
Daniel F. Harrington: Berlin on the Brink. The Blockade, the Airlift and the Early Cold War.
University Press, Kentucky 2012. 412 S., 40,- $.
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