In einer nahen Zukunft wird die westliche Welt ihre globale Vormachtstellung an China verloren haben. Deutsche Arbeiter verlassen die marode Heimat, um in Asien ihr Glück zu finden. Doch die Germanen sind in China nicht nur geduldet - sie sind Kult. Der Werbefilmer Ai, ein junger Chinese, begeistert sich für germanische Folklore, die sich von der »Schwalbenstadt«, einem futuristischen Vorstadtslum ausbreitet. Ai liebt die Märchen der Gebrüder Grimm, er liebt die deutsche Küche und die deutsche Musik. Doch vor allem liebt er Olympia, eine junge Schauspielerin, die in ihm zwar einen Freund, aber nicht ihren Geliebten sieht. Als Ai den Auftrag für einen Werbefilm erhält, in dem Olympia die Hauptrolle spielen soll, sieht er seine Chance.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2010Heidi!
Jörg-Uwe Albig hat einen Roman aus Zukunftsmusik geschrieben: "Berlin Palace" spielt im China von 2032. Die Deutschen sind Gastarbeiter geworden
Dieser Roman macht Geräusche. Komische, herrliche, lyrische Geräusche, vor allem, wenn gegessen wird. "Er schwenkte seine Stäbchen wie einen Taktstock über fünf Meter langen, schneebleichen Barmherzigkeitsnudeln in arktischer Soße", heißt es einmal, ein anderes Mal bestellt jemand "Wachtelgeschlinge in Essig, sieben Anständigkeiten und gebackene Gnubohnen mit Schleiersoße". Frauen haben Münder, "schmal und scharf wie eine Stichwunde", Männer "Shar-Pei-Augen", die Autos heißen nicht Ford Sierra oder Golf Bon Jovi, sondern "Konkubine" oder "Langer Marsch", und liest jemand einen Porno, ist das eine "Turnzeitschrift aus Vietnam", denn wir schreiben, nein: Jörg-Uwe Albig schreibt das Jahr 2032 in China, in seinem neuen, dritten Roman "Berlin Palace".
Das Buch spielt 24 Jahre nach den Olympischen Spielen von Peking, die, genau erfährt man es nicht, China zur alles überholenden Supermacht hinaufgeschossen haben; ein Staat, der nun alle anderen Staaten und vor allem die Völker des Westens unterworfen und sich einverleibt hat. In diesem neuen, digitalen, kohlendioxidfreien China dreht ein Regisseur namens Li Ai, genannt "Eisenstein", einen Werbefilm für das Parfüm "Wald", denn: "Nichts ist mehr Wald als die Deutschen."
Dann verfällt Li Ai einer jungen Frau namens Olympia und taucht etwas zu tief ein in die Subkultur der Germanen, die in "Ost-Drachen-Vier" leben, einer Vorstadt endloser Neubauten, umgeben von Kinderfabriken, "australischen Boat People" und "Fußballasylanten aus Italien". Schließlich taumelt Li Ai mit Olympia in seinen eigenen Traum von Hänsel und Gretel, geht im Wald verloren, wird gerettet, und das ist schon alles, was an dieser Geschichte nacherzählbar ist, ohne ihren Eigenartigkeitszauber zu verscheuchen.
Der Rest ist Zukunftsmusik: "Berlin Palace" liest sich, als würde Dietmar Dath ein Buch von Christian Kracht nacherzählen, Fantasy und Maskerade, aber auch diese Formel trifft es nicht richtig. Es ist, als würde man in eine Seifenblase eindringen, die einen umfängt, alles zugleich klarer und schillernder und reiner erscheinen lässt, die aber hauchdünn ist und immer wieder zu platzen droht. Zum Beispiel, indem man den Rollenwechsel - die Deutschen in die Sweatshops, die Chinesen in die Limousinen - für eine politische Parabel hielte. Dafür sind die Passagen oft einfach zu kalkuliert albern (einmal, in einer Kneipe, hören Li Ai und Olympia deutsche Lieder, vom stammelnden Schlagersänger angepriesen als "In Kornfeld Bett ist schlafen schöner wie zu Haus" oder "Pauke geht bis morgen früh" oder "Heidi ist gute kleine Schwester, aber liebt Berg mehr wie Junge"). Dafür versteht man den Trick auch zu schnell.
Statt also den Schwebezustand der Erzählung aufzuheben, treibt man lieber in der Vision dahin. Sie dauert vielleicht etwas zu lang. Und die zerrissene Liebesgeschichte zwischen dem Intellektuellen und der Rätselfrau ist eigentlich auch schon etwas zu oft erzählt worden. Am Ende aber stört das nicht. Weil Jörg-Uwe Albig, geboren 1960, der als Reporter begann, seinem Stil mehr als seinem Plot vertraut. Er erzeugt einen Wirklichkeitssog, ohne den man dieses Märchen nicht glauben würde. Nicht fürchten würde. Wenn man das überhaupt soll.
TOBIAS RÜTHER
Jörg-Uwe Albig: "Berlin Palace". Roman. Tropen-Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jörg-Uwe Albig hat einen Roman aus Zukunftsmusik geschrieben: "Berlin Palace" spielt im China von 2032. Die Deutschen sind Gastarbeiter geworden
Dieser Roman macht Geräusche. Komische, herrliche, lyrische Geräusche, vor allem, wenn gegessen wird. "Er schwenkte seine Stäbchen wie einen Taktstock über fünf Meter langen, schneebleichen Barmherzigkeitsnudeln in arktischer Soße", heißt es einmal, ein anderes Mal bestellt jemand "Wachtelgeschlinge in Essig, sieben Anständigkeiten und gebackene Gnubohnen mit Schleiersoße". Frauen haben Münder, "schmal und scharf wie eine Stichwunde", Männer "Shar-Pei-Augen", die Autos heißen nicht Ford Sierra oder Golf Bon Jovi, sondern "Konkubine" oder "Langer Marsch", und liest jemand einen Porno, ist das eine "Turnzeitschrift aus Vietnam", denn wir schreiben, nein: Jörg-Uwe Albig schreibt das Jahr 2032 in China, in seinem neuen, dritten Roman "Berlin Palace".
Das Buch spielt 24 Jahre nach den Olympischen Spielen von Peking, die, genau erfährt man es nicht, China zur alles überholenden Supermacht hinaufgeschossen haben; ein Staat, der nun alle anderen Staaten und vor allem die Völker des Westens unterworfen und sich einverleibt hat. In diesem neuen, digitalen, kohlendioxidfreien China dreht ein Regisseur namens Li Ai, genannt "Eisenstein", einen Werbefilm für das Parfüm "Wald", denn: "Nichts ist mehr Wald als die Deutschen."
Dann verfällt Li Ai einer jungen Frau namens Olympia und taucht etwas zu tief ein in die Subkultur der Germanen, die in "Ost-Drachen-Vier" leben, einer Vorstadt endloser Neubauten, umgeben von Kinderfabriken, "australischen Boat People" und "Fußballasylanten aus Italien". Schließlich taumelt Li Ai mit Olympia in seinen eigenen Traum von Hänsel und Gretel, geht im Wald verloren, wird gerettet, und das ist schon alles, was an dieser Geschichte nacherzählbar ist, ohne ihren Eigenartigkeitszauber zu verscheuchen.
Der Rest ist Zukunftsmusik: "Berlin Palace" liest sich, als würde Dietmar Dath ein Buch von Christian Kracht nacherzählen, Fantasy und Maskerade, aber auch diese Formel trifft es nicht richtig. Es ist, als würde man in eine Seifenblase eindringen, die einen umfängt, alles zugleich klarer und schillernder und reiner erscheinen lässt, die aber hauchdünn ist und immer wieder zu platzen droht. Zum Beispiel, indem man den Rollenwechsel - die Deutschen in die Sweatshops, die Chinesen in die Limousinen - für eine politische Parabel hielte. Dafür sind die Passagen oft einfach zu kalkuliert albern (einmal, in einer Kneipe, hören Li Ai und Olympia deutsche Lieder, vom stammelnden Schlagersänger angepriesen als "In Kornfeld Bett ist schlafen schöner wie zu Haus" oder "Pauke geht bis morgen früh" oder "Heidi ist gute kleine Schwester, aber liebt Berg mehr wie Junge"). Dafür versteht man den Trick auch zu schnell.
Statt also den Schwebezustand der Erzählung aufzuheben, treibt man lieber in der Vision dahin. Sie dauert vielleicht etwas zu lang. Und die zerrissene Liebesgeschichte zwischen dem Intellektuellen und der Rätselfrau ist eigentlich auch schon etwas zu oft erzählt worden. Am Ende aber stört das nicht. Weil Jörg-Uwe Albig, geboren 1960, der als Reporter begann, seinem Stil mehr als seinem Plot vertraut. Er erzeugt einen Wirklichkeitssog, ohne den man dieses Märchen nicht glauben würde. Nicht fürchten würde. Wenn man das überhaupt soll.
TOBIAS RÜTHER
Jörg-Uwe Albig: "Berlin Palace". Roman. Tropen-Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jörg Magenau ist hellauf begeistert von diesem Buch. Wie Jörg-Uwe Albig unsere Chinafantasien aufs Korn nimmt und, indem er das Fremde im Eigenen spiegelt und umgekehrt, einen intelligenten, satirischen Abgesang auf den Sozialismus sowie auf die europäische Dominanz, ein Panorama Chinas im Jahr 2032 und einen "verzweifelt melancholischen" Liebesroman in einem schreibt, hat Magenau imponiert. Vor allem von Albigs Fantasie würde Magenau sich gerne ein Stückchen abschneiden, wie es aussieht. Die Geschichte um einen chinesischen Werbefilmer auf Inspirationssuche in der deutschen Kultur bleibt für Magenau bloßer Vorwand für Albigs funkelnde Einfälle und Formulierungskünste.
© Perlentaucher Medien GmbH
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