»Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt«Überall in Berlin finden sich Orte, die Schauplätze von Revolten waren: der Studentenbewegung im Westen, der Oppositionellen im Osten, der Feministinnen, Hausbesetzer und Punks in beiden Teilen der Stadt. So sehr sich die Reaktionen der jeweiligen Staatsmacht auf die jungen Rebellen beiderseits der Mauer auch unterschieden, überraschend ähnlich waren die Motive und der Mut der Menschen, die gegen überholte Ordnungen und Autoritäten aufbegehrten. Michael Sontheimer und Peter Wensierski erzählen die jüngere Geschichte einer aufsässigen Metropole anhand von Wohnungen, Häusern, Straßen und Plätzen. Gestützt auf umfassende Recherchen und Gespräche mit den Beteiligten, lassen sie eine Topographie der Revolte entstehen, die zum Flanieren, Entdecken und Staunen einlädt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2018Viel mehr
als ein Aufstand
Wie wird die Studentenrevolte von 1968
fünfzig Jahre danach bewertet?
Mit fortschreitender Historisierung
lassen sich gesellschaftliche Veränderungen
klarer fassen. Und:
Achtundsechzig war heterogener
und provinzieller, als viele glauben
VON ISABELL TROMMER
Am 13. September 1968 findet in Frankfurt am Main der 23. Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes statt. Helke Sander hält dort als Vertreterin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau eine Rede, in der sie betont, die Unterdrückung der Frauen lasse sich nicht individuell lösen und die Frage könne auch nicht auf die Zeit nach der Revolution vertagt werden. Damit kritisiert sie die in großen Teilen der Studentenbewegung vorherrschende Überzeugung, erst müsse der Hauptwiderspruch, der Kapitalismus, beseitigt werden, dann erledigten sich auch die Sache mit den Geschlechterrollen und die anderen Nebenwidersprüche. Hans-Jürgen Krahl, einer der intellektuellen Köpfe der Bewegung, dem an der Aktualisierung des Klassenkampfes liegt, will nach der Rede Sanders zur Tagesordnung übergehen. Doch Sigrid Rüger, SDS-Aktivistin von der Freien Universität Berlin, wirft aus dem Saal heraus Tomaten Richtung Podium. Und eine davon trifft Krahl.
Während die in dieser Szene enthaltenen Konflikte in der Geschichtsschreibung zu Achtundsechzig bisher keine dominante Rolle spielen, wurde der Tomatenwurf selbst zu einem prominenten Moment, vergleichbar mit den Protesten gegen den Schah-Besuch, dem Attentat auf Rudi Dutschke oder der Ohrfeige für Kanzler Kiesinger. Dass Achtundsechzig komplexer, heterogener und auch provinzieller war, als es ikonische Bilder glauben machen, will Christina von Hodenberg, die an der Queen Mary University in London Europäische Geschichte lehrt, mit ihrem Buch „Das andere Achtundsechzig“ zeigen. Sie deutet die Protestbewegung nicht in erster Linie als Generationenkonflikt, nicht als Auslöser einer sexuellen Revolution, als Kampf gegen NS-belastete Eltern oder allein als kulturelle Revolte. Die zentrale Errungenschaft von Achtundsechzig sei vielmehr die Politisierung der Geschlechterverhältnisse.
Hodenbergs wichtigste Quellen sind Interviews mit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geborenen Menschen, die in den Sechzigerjahren im Rahmen der „Bonner Längsschnittstudie des Alters“ entstanden, sowie Gespräche, die 1967/68 an der Bonner Universität mit Angehörigen der Jahrgänge 1909 bis 1934 stattfanden. Ergänzt wird dieser Korpus um Interviews, die am Bonner Stadtmuseum 2005/06 mit ehemaligen Studierenden geführt wurden, die sich 1968 politisch engagiert hatten. Die Autorin hat also drei Generationen im Blick. Und Bonn muss als Beispiel für die Provinz herhalten.
Christina von Hodenberg deutet Achtundsechzig als Protest gegen Autorität und althergebrachte Hierarchien, der individuelle Freiheitsspielräume erweitert habe. Dabei sei der Aktivismus der Frauen langfristig am wirkmächtigsten gewesen; so habe er unter anderem die neue westdeutsche Frauenbewegung begründet: „Es gab einen weiblichen Marsch durch die Institutionen Ehe, Familie und Betrieb, hin zu einer weniger geschlechterspezifischen Aufgabenverteilung.“ Dass viele kulturelle Wandlungen im Hinblick auf Sexualität, Erziehung oder Bildung ohnehin bereits eingesetzt hatten, räumt sie durchaus ein. Der Wandel von Geschlechter- und Erziehungsnormen wurde zudem nicht nur von der studentischen, sondern auch von Teilen der mittleren Generation getragen, wie die Historikerin aufzeigen kann.
Der Vorwurf, Hodenberg schreibe Achtundsechzig nun in eine Studentinnenbewegung um oder sie tue so, als hätten damals nicht Männer den Laden dominiert, wie ihn Wolfgang Kraushaar in der Süddeutschen Zeitung („Umso schlimmer für die Tatsachen“ vom 25. April) erhoben hat, ist allerdings haltlos, ja geradezu absurd. Ihr gelingt es vielmehr, Dynamiken ins Blickfeld zu rücken, die bislang zu wenig Aufmerksamkeit erfahren haben.
Interessant ist in der Monografie noch ein weiterer Aspekt: Zwar hätten die Studierenden politische Gegner stets schnell als „Nazis“ oder „Faschisten“ diffamiert, die eigenen Eltern hätten sie jedoch eher selten mit der NS-Vergangenheit konfrontiert. Stattdessen seien oft apologetische Familienmythen übernommen worden. Die meisten hätten, so Hodenberg, höchstens ein abstraktes Verständnis des Nationalsozialismus gehabt, was damals auch nicht anders zu erwarten gewesen sei. Die Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Kontinuitäten stand schließlich bestenfalls am Anfang.
Der Auschwitzprozess hatte bekanntlich von 1963 an eine Veränderung eingeleitet, das ganze Ausmaß der Verbrechen war aber noch weithin unbekannt. Die These, Achtundsechzig habe keinen Fortschritt für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit bedeutet, ist allerdings eine zu starke Zuspitzung der Autorin. Man denke etwa an die vom SDS organisierte Ausstellung „Ungesühnte Nazi-Justiz“ 1959 in Karlsruhe und 1960 in Berlin oder an die von Studierenden angeregten Veranstaltungen zur Rolle der Universitäten im Nationalsozialismus in den Jahren 1964 und 1965. Hier wurden immerhin wichtige Fragen formuliert, auch wenn der inflationäre Faschismusvergleich freilich wenig hilfreich war.
Der Tomatenwurf spielt auch in einer anderen Neuerscheinung zum fünfzigsten Jubiläum von Achtundsechzig eine Rolle. Für das Buch „Berlin. Stadt der Revolte“ haben Michael Sontheimer und Peter Wensierski unter anderem Helke Sander interviewt. Die Journalisten bewegen sich durch Berlin und widmen sich in Reportagen verschiedenen Erinnerungsorten wie etwa dem SDS-Zentrum auf dem Kurfürstendamm oder dem ersten Kinderladen in der Kopfstraße. Daraus entsteht eine Protestgeschichte, die von 1965 bis 1990 reicht und den Osten und den Westen gleichermaßen erfasst: von Studentenprotesten über die RAF, die Gründung der taz und die Hausbesetzerszene bis hin zur Ostberliner Oppositionsbewegung.
Sontheimer und Wensierski, beide Mitte der Fünfziger geboren, studierten in den Siebzigerjahren an der Freien Universität Berlin, sie sind mit manchen der Ereignisse persönlich vertraut und haben Zeitzeugen befragt. Ihr Buch liefert dichte Beschreibungen untergegangener Milieus; kritische Analysen oder überraschende Deutungen enthält es freilich nicht.
Besonders spannend ist der Band gerade dann, wenn es um den Osten der Stadt geht. Zu Beginn der Achtzigerjahre entstand auch in Ostberlin eine Gruppe der „Frauen für den Frieden“. Sie protestierten, letztlich erfolgreich, vor allem gegen ein neues Wehrpflichtgesetz, mit dem von 1982 an auch Frauen zur Volksarmee eingezogen werden sollten. Eindrucksvoll sind zudem die Passagen über den Literarischen Salon von Wilfriede und Ekkehard Maaß, über den Sitz des Untergrundverlags, der die radix-blätter druckte, oder über die Wohnung von Bärbel Bohley in der Fehrbelliner Straße 91, die ein Treffpunkt der Oppositionsbewegung wurde.
„So etwas konnte es nur in einer tendenziell surrealen Stadt geben“, heißt es zu Beginn einer der Reportagen. Und wenn man eine Weile in dem Buch liest, wird klar, wie das gemeint ist. Die Autoren erzählen Geschichten von einer Insel, auf der Dinge geschahen, die heute unfasslich erscheinen. Da ist etwa der 1. Juli 1988: Die DDR hatte beim Mauerbau ein Dreieck ausgespart, immerhin 40 000 Quadratmeter nördlich des Potsdamer Platzes. In den Achtzigerjahren wurde mit Westberlin über den Verkauf des Areals verhandelt, schließlich einigte man sich auf eine Summe von 76 Millionen D-Mark. Doch Ende Mai, gut einen Monat bevor das Grundstück den Besitzer wechseln sollte, besetzten Punks und Autonome das Gebiet. Nach einer Woche wurde um die Besetzer, die mittlerweile ein kleines Hüttendorf errichtet hatten, ein zwei Meter hoher Zaun gezogen. Am 1. Juli um Mitternacht, als das Areal offiziell bereits zu Westberlin gehörte, rückte die Polizei an. Die Besetzer, zu diesem Zeitpunkt 182 Personen, kletterten über Holzleitern in den Ostteil und ließen verdutzte Polizisten hinter sich. Nach einem Frühstück kehrten sie über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen zurück.
Achtundsechzig habe, das ist die Bilanz der Autoren, eine Kulturrevolution in Gang gesetzt, und Feministinnen hätten, hier stimmen sie mit Christina von Hodenberg überein, „mit der Demontage des Patriarchats“ begonnen. Während diese Deutung überzeugt, mutet das Lamento, das die Autoren im Nachwort anstimmen, merkwürdig an. Sie beklagen, mittlerweile kämen nicht länger „junge Anarchisten und Künstler“ nach Berlin, „sondern die karrieristischen Töchter und Söhne der Wohlhabenden aus München und Stuttgart“ oder junge Spanier und Griechen, die nach Arbeit suchten: „Sie wissen nicht viel über Berlin, sie interessieren sich nicht weiter für die Stadt und ihre Geschichte. Für viele von ihnen ist Berlin eine transit city, eine coole Zeile für einen globalisierten Lebenslauf.“ Selbst wenn es genauso wäre: So what? Es gibt nun mal keine Pflicht zur historischen Auseinandersetzung.
Auch in Wolfgang Kraushaars Aufsatzsammlung „Die blinden Flecken der 68er-Bewegung“ fliegen Tomaten. Und zwar schon im Dezember 1964. An diesem Tag demonstrieren mehrere Studentengruppen in Westberlin gegen den Staatsbesuch des kongolesischen Ministerpräsidenten Moïse Tschombé. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt empfängt ihn. Rudi Dutschke ist 24 Jahre alt. Kraushaar sieht in diesen Ereignissen den Beginn einer Radikalisierung des SDS, die sich zu einer Revolte an allen bundesdeutschen Hochschulen ausgeweitet habe. „Die Dritte Welt war eine ‚Projektionsbühne‘ für romantisch aufgeladene Bilder eines internationalen Befreiungskampfes.“ In der internationalen Solidaritätsarbeit meint Kraushaar gar ein Substitut für eine Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im eigenen Land, der deutschen Teilung, zu erkennen.
Wie so häufig blickt Kraushaar skeptischer auf die Sechziger- und Siebzigerjahre als andere Autorinnen und Autoren der Saison. Seine Aufsätze, zwischen 1992 und 2018 entstanden, behandeln die Anfänge, die Hochzeit und die Nachwehen der Bewegung. Es geht etwa um die Kritik der Ordinarienuniversität, die Parlamentarismuskritik und die Kommune-Bewegung. Der 1948 geborene Politikwissenschaftler begann 1968 sein Studium in Frankfurt. Kaum jemand hat so viel zur Erforschung dieser Zeit beigetragen wie er, nicht zuletzt durch den Aufbau eines Archivs oder die dreibändige Chronik „Frankfurter Schule und Studentenbewegung“. Daraus macht Kraushaar auch keinen Hehl. Einmal mehr stehen die Pathologien von Achtundsechzig im Mittelpunkt: der Antisemitismus etwa oder die Radikalisierung einiger Teile der Bewegung. Dutschkes Haltung zu Gewalt und zur nationalen Frage, sein Plädoyer für eine Wiedervereinigung von links, stellten bis heute „blinde Flecken“ dar. Manche der aus der Bewegung hervorgegangenen Gruppierungen seien nach 1968 einem totalitären Größenwahn erlegen, meint Kraushaar. Andere hingegen hätten harmlos mit neuen Lebensformen experimentiert, so entstanden dann Alternativ-, Umwelt- und Frauenbewegung.
Der Politologe deutet Achtundsechzig einerseits als romantische Revolte, andererseits als soziokulturellen Bruch, politisch sei die Bewegung – hier unterscheidet sich sein Urteil von dem Hodenbergs – jedenfalls gescheitert. Der große Vorzug seines Buches ist, dass es die theoretischen Hintergründe und die politischen Denkbewegungen ausleuchtet. Achtundsechzig sei auch eine Intellektuellen- und Medienrevolte gewesen. Man denke etwa an die Proteste gegen die im Mai 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze. Den Widerstand hatten Wissenschaftler und Schriftsteller wie Adorno, Bloch und Böll mitbestimmt.
Wie Hodenberg stuft Kraushaar die Bedeutung der Bewegung für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus als gering ein, seien die Achtundsechziger doch in erster Linie aus instrumentellen Gründen am Nationalsozialismus interessiert gewesen. Die Durchsetzung eines marxistischen Faschismusbegriffs, unter den der Nationalsozialismus dann einfach subsumiert wurde, habe schließlich dafür gesorgt, dass die Erforschung der Vergangenheit – jenseits personeller Kontinuitäten an den Hochschulen oder unter den Politikern – kein großes Thema gewesen sei. Erst recht gelte das für die Judenvernichtung.
Kraushaars Exegese führt bisweilen dazu, dass Achtundsechzig eine schon beinahe übertriebene Bedeutung beigemessen wird; zugleich hat sein Blick etwas Enges, obwohl er auch die internationalen Entwicklungen berücksichtigt. Man kommt nicht umhin, gelegentlich zu bedauern, dass hier ein Chronist und kein Historiker schreibt.
Viele Beteiligte haben schon viel gesagt, und während auf der Linken die Bedeutung von Achtundsechzig trotz aller Bücher und Veranstaltungen verblasst und die Historisierung fortschreitet, versuchen rechte Stimmen, Achtundsechzig als Chiffre wieder in die politische Diskussion einzuführen und das vermeintliche Erbe der Bewegung zu beklagen. Es wird über gesellschaftliche Veränderungen gejammert, die ohnehin schon begonnen hatten und sich in irgendeiner Form fortgesetzt hätten. Hier: Achtundsechzig als entscheidende Zäsur in der Geschichte der Republik, da: Achtundsechzig hat nichts bewirkt.
Zwischen diesen Polen lassen sich Positionen verorten, welche die Bewegung als Ausdruck von Transformationen deuten, die bereits in den frühen Sechzigern in Gang gekommen waren. Die studentische Protestbewegung hat diese Demokratisierungs- und Liberalisierungsbewegung beschleunigt, vertieft und mitbestimmt. So wurde ein Zustand erreicht, hinter den heute niemand ernsthaft zurückwollen kann. Alle drei Bücher sehen in Achtundsechzig eine gewisse Zäsur, wobei Christina von Hodenberg das Ganze in breiter gefasste gesellschaftliche Entwicklungen einbindet. Während Sontheimer und Wensierski eindrucksvolle Reportagen vorlegen, bietet Hodenberg eine originelle Gesellschaftsgeschichte der Sechziger; spezieller, aber zuweilen hölzern geht es in Kraushaars Aufsätzen zu. Alle Bücher blicken auch auf die Zeit davor und danach. Vielleicht wäre es gut, wenn nur noch von den langen Sechzigerjahren die Rede wäre.
Isabell Trommer ist Politikwissenschaftlerin. Zuletzt erschien von ihr: „Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik“.
Christina von Hodenberg hält den
Aktivismus der Frauen langfristig
für am wirkmächtigsten
Michael Sontheimer
und Peter Wensierski erzählen
Geschichten von der „Insel“ Berlin
Bei Wolfgang Kraushaar
dominieren – wieder mal – die
Pathologien von Achtundsechzig
Vielleicht wäre es besser,
künftig nur noch von den
langen Sechzigerjahren zu reden
Christina von Hodenberg: Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte. Verlag C.H. Beck München, 2018. 250 Seiten, 24,95 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Protest und Politik bestimmen das Bild von 1968: Doch es gab mehr als etwa die Osterunruhen in Berlin
nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (großes Bild). Es ging auch (im Uhrzeigersinn) um Mode,
das Supermodel Twiggy und Autos; es gab die deutsche Uraufführung des Musicals „Hair“ in München;
es gab eine wütende Beate Klarsfeld bei einer Kiesinger-Rede; und es gab den Privatmann Rudi Dutschke
beim Einkaufen. Fotos: dpa, Rue des Archives / SZ Photo, Franz Neuwirth / SZ Photo, dpa / SZ Photo, Thomas Hesterberg / SZ Photo
Wolfgang Kraushaar:
Die blinden Flecken
der 68er-Bewegung.
Verlag Klett-Cotta Stuttgart, 2018. 521 Seiten. 25 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Michael Sontheimer,
Peter Wensierski:
Berlin – Stadt der Revolte. Ch. Links Verlag Berlin, 2018. 448 Seiten, 25 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
als ein Aufstand
Wie wird die Studentenrevolte von 1968
fünfzig Jahre danach bewertet?
Mit fortschreitender Historisierung
lassen sich gesellschaftliche Veränderungen
klarer fassen. Und:
Achtundsechzig war heterogener
und provinzieller, als viele glauben
VON ISABELL TROMMER
Am 13. September 1968 findet in Frankfurt am Main der 23. Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes statt. Helke Sander hält dort als Vertreterin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau eine Rede, in der sie betont, die Unterdrückung der Frauen lasse sich nicht individuell lösen und die Frage könne auch nicht auf die Zeit nach der Revolution vertagt werden. Damit kritisiert sie die in großen Teilen der Studentenbewegung vorherrschende Überzeugung, erst müsse der Hauptwiderspruch, der Kapitalismus, beseitigt werden, dann erledigten sich auch die Sache mit den Geschlechterrollen und die anderen Nebenwidersprüche. Hans-Jürgen Krahl, einer der intellektuellen Köpfe der Bewegung, dem an der Aktualisierung des Klassenkampfes liegt, will nach der Rede Sanders zur Tagesordnung übergehen. Doch Sigrid Rüger, SDS-Aktivistin von der Freien Universität Berlin, wirft aus dem Saal heraus Tomaten Richtung Podium. Und eine davon trifft Krahl.
Während die in dieser Szene enthaltenen Konflikte in der Geschichtsschreibung zu Achtundsechzig bisher keine dominante Rolle spielen, wurde der Tomatenwurf selbst zu einem prominenten Moment, vergleichbar mit den Protesten gegen den Schah-Besuch, dem Attentat auf Rudi Dutschke oder der Ohrfeige für Kanzler Kiesinger. Dass Achtundsechzig komplexer, heterogener und auch provinzieller war, als es ikonische Bilder glauben machen, will Christina von Hodenberg, die an der Queen Mary University in London Europäische Geschichte lehrt, mit ihrem Buch „Das andere Achtundsechzig“ zeigen. Sie deutet die Protestbewegung nicht in erster Linie als Generationenkonflikt, nicht als Auslöser einer sexuellen Revolution, als Kampf gegen NS-belastete Eltern oder allein als kulturelle Revolte. Die zentrale Errungenschaft von Achtundsechzig sei vielmehr die Politisierung der Geschlechterverhältnisse.
Hodenbergs wichtigste Quellen sind Interviews mit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geborenen Menschen, die in den Sechzigerjahren im Rahmen der „Bonner Längsschnittstudie des Alters“ entstanden, sowie Gespräche, die 1967/68 an der Bonner Universität mit Angehörigen der Jahrgänge 1909 bis 1934 stattfanden. Ergänzt wird dieser Korpus um Interviews, die am Bonner Stadtmuseum 2005/06 mit ehemaligen Studierenden geführt wurden, die sich 1968 politisch engagiert hatten. Die Autorin hat also drei Generationen im Blick. Und Bonn muss als Beispiel für die Provinz herhalten.
Christina von Hodenberg deutet Achtundsechzig als Protest gegen Autorität und althergebrachte Hierarchien, der individuelle Freiheitsspielräume erweitert habe. Dabei sei der Aktivismus der Frauen langfristig am wirkmächtigsten gewesen; so habe er unter anderem die neue westdeutsche Frauenbewegung begründet: „Es gab einen weiblichen Marsch durch die Institutionen Ehe, Familie und Betrieb, hin zu einer weniger geschlechterspezifischen Aufgabenverteilung.“ Dass viele kulturelle Wandlungen im Hinblick auf Sexualität, Erziehung oder Bildung ohnehin bereits eingesetzt hatten, räumt sie durchaus ein. Der Wandel von Geschlechter- und Erziehungsnormen wurde zudem nicht nur von der studentischen, sondern auch von Teilen der mittleren Generation getragen, wie die Historikerin aufzeigen kann.
Der Vorwurf, Hodenberg schreibe Achtundsechzig nun in eine Studentinnenbewegung um oder sie tue so, als hätten damals nicht Männer den Laden dominiert, wie ihn Wolfgang Kraushaar in der Süddeutschen Zeitung („Umso schlimmer für die Tatsachen“ vom 25. April) erhoben hat, ist allerdings haltlos, ja geradezu absurd. Ihr gelingt es vielmehr, Dynamiken ins Blickfeld zu rücken, die bislang zu wenig Aufmerksamkeit erfahren haben.
Interessant ist in der Monografie noch ein weiterer Aspekt: Zwar hätten die Studierenden politische Gegner stets schnell als „Nazis“ oder „Faschisten“ diffamiert, die eigenen Eltern hätten sie jedoch eher selten mit der NS-Vergangenheit konfrontiert. Stattdessen seien oft apologetische Familienmythen übernommen worden. Die meisten hätten, so Hodenberg, höchstens ein abstraktes Verständnis des Nationalsozialismus gehabt, was damals auch nicht anders zu erwarten gewesen sei. Die Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Kontinuitäten stand schließlich bestenfalls am Anfang.
Der Auschwitzprozess hatte bekanntlich von 1963 an eine Veränderung eingeleitet, das ganze Ausmaß der Verbrechen war aber noch weithin unbekannt. Die These, Achtundsechzig habe keinen Fortschritt für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit bedeutet, ist allerdings eine zu starke Zuspitzung der Autorin. Man denke etwa an die vom SDS organisierte Ausstellung „Ungesühnte Nazi-Justiz“ 1959 in Karlsruhe und 1960 in Berlin oder an die von Studierenden angeregten Veranstaltungen zur Rolle der Universitäten im Nationalsozialismus in den Jahren 1964 und 1965. Hier wurden immerhin wichtige Fragen formuliert, auch wenn der inflationäre Faschismusvergleich freilich wenig hilfreich war.
Der Tomatenwurf spielt auch in einer anderen Neuerscheinung zum fünfzigsten Jubiläum von Achtundsechzig eine Rolle. Für das Buch „Berlin. Stadt der Revolte“ haben Michael Sontheimer und Peter Wensierski unter anderem Helke Sander interviewt. Die Journalisten bewegen sich durch Berlin und widmen sich in Reportagen verschiedenen Erinnerungsorten wie etwa dem SDS-Zentrum auf dem Kurfürstendamm oder dem ersten Kinderladen in der Kopfstraße. Daraus entsteht eine Protestgeschichte, die von 1965 bis 1990 reicht und den Osten und den Westen gleichermaßen erfasst: von Studentenprotesten über die RAF, die Gründung der taz und die Hausbesetzerszene bis hin zur Ostberliner Oppositionsbewegung.
Sontheimer und Wensierski, beide Mitte der Fünfziger geboren, studierten in den Siebzigerjahren an der Freien Universität Berlin, sie sind mit manchen der Ereignisse persönlich vertraut und haben Zeitzeugen befragt. Ihr Buch liefert dichte Beschreibungen untergegangener Milieus; kritische Analysen oder überraschende Deutungen enthält es freilich nicht.
Besonders spannend ist der Band gerade dann, wenn es um den Osten der Stadt geht. Zu Beginn der Achtzigerjahre entstand auch in Ostberlin eine Gruppe der „Frauen für den Frieden“. Sie protestierten, letztlich erfolgreich, vor allem gegen ein neues Wehrpflichtgesetz, mit dem von 1982 an auch Frauen zur Volksarmee eingezogen werden sollten. Eindrucksvoll sind zudem die Passagen über den Literarischen Salon von Wilfriede und Ekkehard Maaß, über den Sitz des Untergrundverlags, der die radix-blätter druckte, oder über die Wohnung von Bärbel Bohley in der Fehrbelliner Straße 91, die ein Treffpunkt der Oppositionsbewegung wurde.
„So etwas konnte es nur in einer tendenziell surrealen Stadt geben“, heißt es zu Beginn einer der Reportagen. Und wenn man eine Weile in dem Buch liest, wird klar, wie das gemeint ist. Die Autoren erzählen Geschichten von einer Insel, auf der Dinge geschahen, die heute unfasslich erscheinen. Da ist etwa der 1. Juli 1988: Die DDR hatte beim Mauerbau ein Dreieck ausgespart, immerhin 40 000 Quadratmeter nördlich des Potsdamer Platzes. In den Achtzigerjahren wurde mit Westberlin über den Verkauf des Areals verhandelt, schließlich einigte man sich auf eine Summe von 76 Millionen D-Mark. Doch Ende Mai, gut einen Monat bevor das Grundstück den Besitzer wechseln sollte, besetzten Punks und Autonome das Gebiet. Nach einer Woche wurde um die Besetzer, die mittlerweile ein kleines Hüttendorf errichtet hatten, ein zwei Meter hoher Zaun gezogen. Am 1. Juli um Mitternacht, als das Areal offiziell bereits zu Westberlin gehörte, rückte die Polizei an. Die Besetzer, zu diesem Zeitpunkt 182 Personen, kletterten über Holzleitern in den Ostteil und ließen verdutzte Polizisten hinter sich. Nach einem Frühstück kehrten sie über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen zurück.
Achtundsechzig habe, das ist die Bilanz der Autoren, eine Kulturrevolution in Gang gesetzt, und Feministinnen hätten, hier stimmen sie mit Christina von Hodenberg überein, „mit der Demontage des Patriarchats“ begonnen. Während diese Deutung überzeugt, mutet das Lamento, das die Autoren im Nachwort anstimmen, merkwürdig an. Sie beklagen, mittlerweile kämen nicht länger „junge Anarchisten und Künstler“ nach Berlin, „sondern die karrieristischen Töchter und Söhne der Wohlhabenden aus München und Stuttgart“ oder junge Spanier und Griechen, die nach Arbeit suchten: „Sie wissen nicht viel über Berlin, sie interessieren sich nicht weiter für die Stadt und ihre Geschichte. Für viele von ihnen ist Berlin eine transit city, eine coole Zeile für einen globalisierten Lebenslauf.“ Selbst wenn es genauso wäre: So what? Es gibt nun mal keine Pflicht zur historischen Auseinandersetzung.
Auch in Wolfgang Kraushaars Aufsatzsammlung „Die blinden Flecken der 68er-Bewegung“ fliegen Tomaten. Und zwar schon im Dezember 1964. An diesem Tag demonstrieren mehrere Studentengruppen in Westberlin gegen den Staatsbesuch des kongolesischen Ministerpräsidenten Moïse Tschombé. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt empfängt ihn. Rudi Dutschke ist 24 Jahre alt. Kraushaar sieht in diesen Ereignissen den Beginn einer Radikalisierung des SDS, die sich zu einer Revolte an allen bundesdeutschen Hochschulen ausgeweitet habe. „Die Dritte Welt war eine ‚Projektionsbühne‘ für romantisch aufgeladene Bilder eines internationalen Befreiungskampfes.“ In der internationalen Solidaritätsarbeit meint Kraushaar gar ein Substitut für eine Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im eigenen Land, der deutschen Teilung, zu erkennen.
Wie so häufig blickt Kraushaar skeptischer auf die Sechziger- und Siebzigerjahre als andere Autorinnen und Autoren der Saison. Seine Aufsätze, zwischen 1992 und 2018 entstanden, behandeln die Anfänge, die Hochzeit und die Nachwehen der Bewegung. Es geht etwa um die Kritik der Ordinarienuniversität, die Parlamentarismuskritik und die Kommune-Bewegung. Der 1948 geborene Politikwissenschaftler begann 1968 sein Studium in Frankfurt. Kaum jemand hat so viel zur Erforschung dieser Zeit beigetragen wie er, nicht zuletzt durch den Aufbau eines Archivs oder die dreibändige Chronik „Frankfurter Schule und Studentenbewegung“. Daraus macht Kraushaar auch keinen Hehl. Einmal mehr stehen die Pathologien von Achtundsechzig im Mittelpunkt: der Antisemitismus etwa oder die Radikalisierung einiger Teile der Bewegung. Dutschkes Haltung zu Gewalt und zur nationalen Frage, sein Plädoyer für eine Wiedervereinigung von links, stellten bis heute „blinde Flecken“ dar. Manche der aus der Bewegung hervorgegangenen Gruppierungen seien nach 1968 einem totalitären Größenwahn erlegen, meint Kraushaar. Andere hingegen hätten harmlos mit neuen Lebensformen experimentiert, so entstanden dann Alternativ-, Umwelt- und Frauenbewegung.
Der Politologe deutet Achtundsechzig einerseits als romantische Revolte, andererseits als soziokulturellen Bruch, politisch sei die Bewegung – hier unterscheidet sich sein Urteil von dem Hodenbergs – jedenfalls gescheitert. Der große Vorzug seines Buches ist, dass es die theoretischen Hintergründe und die politischen Denkbewegungen ausleuchtet. Achtundsechzig sei auch eine Intellektuellen- und Medienrevolte gewesen. Man denke etwa an die Proteste gegen die im Mai 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze. Den Widerstand hatten Wissenschaftler und Schriftsteller wie Adorno, Bloch und Böll mitbestimmt.
Wie Hodenberg stuft Kraushaar die Bedeutung der Bewegung für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus als gering ein, seien die Achtundsechziger doch in erster Linie aus instrumentellen Gründen am Nationalsozialismus interessiert gewesen. Die Durchsetzung eines marxistischen Faschismusbegriffs, unter den der Nationalsozialismus dann einfach subsumiert wurde, habe schließlich dafür gesorgt, dass die Erforschung der Vergangenheit – jenseits personeller Kontinuitäten an den Hochschulen oder unter den Politikern – kein großes Thema gewesen sei. Erst recht gelte das für die Judenvernichtung.
Kraushaars Exegese führt bisweilen dazu, dass Achtundsechzig eine schon beinahe übertriebene Bedeutung beigemessen wird; zugleich hat sein Blick etwas Enges, obwohl er auch die internationalen Entwicklungen berücksichtigt. Man kommt nicht umhin, gelegentlich zu bedauern, dass hier ein Chronist und kein Historiker schreibt.
Viele Beteiligte haben schon viel gesagt, und während auf der Linken die Bedeutung von Achtundsechzig trotz aller Bücher und Veranstaltungen verblasst und die Historisierung fortschreitet, versuchen rechte Stimmen, Achtundsechzig als Chiffre wieder in die politische Diskussion einzuführen und das vermeintliche Erbe der Bewegung zu beklagen. Es wird über gesellschaftliche Veränderungen gejammert, die ohnehin schon begonnen hatten und sich in irgendeiner Form fortgesetzt hätten. Hier: Achtundsechzig als entscheidende Zäsur in der Geschichte der Republik, da: Achtundsechzig hat nichts bewirkt.
Zwischen diesen Polen lassen sich Positionen verorten, welche die Bewegung als Ausdruck von Transformationen deuten, die bereits in den frühen Sechzigern in Gang gekommen waren. Die studentische Protestbewegung hat diese Demokratisierungs- und Liberalisierungsbewegung beschleunigt, vertieft und mitbestimmt. So wurde ein Zustand erreicht, hinter den heute niemand ernsthaft zurückwollen kann. Alle drei Bücher sehen in Achtundsechzig eine gewisse Zäsur, wobei Christina von Hodenberg das Ganze in breiter gefasste gesellschaftliche Entwicklungen einbindet. Während Sontheimer und Wensierski eindrucksvolle Reportagen vorlegen, bietet Hodenberg eine originelle Gesellschaftsgeschichte der Sechziger; spezieller, aber zuweilen hölzern geht es in Kraushaars Aufsätzen zu. Alle Bücher blicken auch auf die Zeit davor und danach. Vielleicht wäre es gut, wenn nur noch von den langen Sechzigerjahren die Rede wäre.
Isabell Trommer ist Politikwissenschaftlerin. Zuletzt erschien von ihr: „Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik“.
Christina von Hodenberg hält den
Aktivismus der Frauen langfristig
für am wirkmächtigsten
Michael Sontheimer
und Peter Wensierski erzählen
Geschichten von der „Insel“ Berlin
Bei Wolfgang Kraushaar
dominieren – wieder mal – die
Pathologien von Achtundsechzig
Vielleicht wäre es besser,
künftig nur noch von den
langen Sechzigerjahren zu reden
Christina von Hodenberg: Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte. Verlag C.H. Beck München, 2018. 250 Seiten, 24,95 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Protest und Politik bestimmen das Bild von 1968: Doch es gab mehr als etwa die Osterunruhen in Berlin
nach dem Attentat auf Rudi Dutschke (großes Bild). Es ging auch (im Uhrzeigersinn) um Mode,
das Supermodel Twiggy und Autos; es gab die deutsche Uraufführung des Musicals „Hair“ in München;
es gab eine wütende Beate Klarsfeld bei einer Kiesinger-Rede; und es gab den Privatmann Rudi Dutschke
beim Einkaufen. Fotos: dpa, Rue des Archives / SZ Photo, Franz Neuwirth / SZ Photo, dpa / SZ Photo, Thomas Hesterberg / SZ Photo
Wolfgang Kraushaar:
Die blinden Flecken
der 68er-Bewegung.
Verlag Klett-Cotta Stuttgart, 2018. 521 Seiten. 25 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Michael Sontheimer,
Peter Wensierski:
Berlin – Stadt der Revolte. Ch. Links Verlag Berlin, 2018. 448 Seiten, 25 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kritische Analysen werde man in diesem Band vergeblich suchen, schickt Rezensentin Isabell Trommer ihrer Besprechung vorweg, doch der Wert des Bandes liegt ihrer Ansicht auch in etwas ganz anderem: Die beiden Journalisten Michael Sontheimer und Peter Wensierski besichtigen die Erinnerungsorte, die 1968 und die Folgen in Berlin hinterlassen habe: das SDS-Zentrum auf dem Kurfürstendamm, den ersten Kinderladen in der Kopfstraße, Bärbel Bohleys Wohnung in der Fehrbelliner Straße, die taz in der (heutigen) Rudi-Dutschke-Straße. Dichte Beschreibung findet die Rezensentin in diesen Reportagen aus zum Teil untergegangenen Milieus, manche Geschichte wie die um die Besetzung des Linné-Dreiecks erscheinen ihr heute unfassbar. Nur warum die Autoren am Ende bedauern, dass heute keine kritischen Geister mehr nach Berlin kommen, sondern nur noch Karrieristen oder die wohlhabenden Söhne und Töchter aus Stuttgart, München und Düseldorf, versteht die Rezensentin nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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