Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 7,00 €
  • Gebundenes Buch

Am 16. April 1945 beginnt die Rote Armee den Kampf um Berlin. Anhand von zum Teil neuen Materialien aus den Archiven der Alliierten und deutscher Zeitzeugenberichte erzählt Beevor von den letzten Tagen vor der Kapitulation. New material from Allied archives and German eyewitnesses is used in this description of Berlin after the arrival of the Red Army on 16th April 1945.

Produktbeschreibung
Am 16. April 1945 beginnt die Rote Armee den Kampf um Berlin. Anhand von zum Teil neuen Materialien aus den Archiven der Alliierten und deutscher Zeitzeugenberichte erzählt Beevor von den letzten Tagen vor der Kapitulation.
New material from Allied archives and German eyewitnesses is used in this description of Berlin after the arrival of the Red Army on 16th April 1945.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2003

"Der Chef brennt!"
Antony Beevors spannende Schilderung über den Untergang des Deutschen Reiches

Antony Beevor: Berlin 1945. Das Ende. C. Bertelsmann Verlag, München 2002. 543 Seiten, 26,- [Euro].

Der Titel täuscht. Das Werk behandelt nicht allein den russischen Endkampf um und in Berlin, sondern das Ende des "Großdeutschen Reiches" - und nicht nur an der Ostfront, obwohl ihr naturgemäß breiter Raum gegeben wird, sondern auch im Westen. Obendrein kommen Entscheidungen in den militärischen Hauptquartieren und den Regierungszentralen der beteiligten Großmächte zur Sprache. Daher erlebt der Leser nicht nur Hitlers Werdegang in den letzten Monaten seines Lebens, sondern auch Weichenstellungen bei Eisenhower, im Kreml Stalins oder auf der Jalta-Konferenz vom Februar 1945 im Süden der Krim.

Es ist also ein breites Panorama, das Beevor vor uns ausmalt. Besonders verdienstvoll ist es, daß er nicht nur Kampfhandlungen und Entschlüsse des militärischen Spitzenpersonals erwähnt, sondern auch dem Schicksal einfacher Leute breiten Raum gibt. Es rührt an, wie oft er der Toten gedenkt, nicht nur unter den Soldaten - etwa auf den Seelower Höhen oder später, besonders schrecklich, die Massaker im Kessel von Halbe -, sondern auch unter der Zivilbevölkerung, den Frauen, Kindern, Greisen. Beevor spricht von 1,4 Millionen Toten in jenen Monaten. Sie starben in den Trecks, die häufig von russischen Panzern zusammengeschossen wurden, oder etwa bei der Flucht über das frische Haff, als sie - von Tieffliegern bombardiert - im Wasser versanken. Breit gibt er dem Leiden gepeinigter deutscher Frauen Raum. Vermutlich wurden zwei Millionen von ihnen vergewaltigt - eine der größten Massendemütigungen der bekannten Geschichte. Dieses Schicksal ereilte übrigens auch polnische Frauen, ja selbst viele der nach Deutschland verschleppten ukrainischen oder weißrussischen Zwangsarbeiterinnen.

Der Autor war britischer Offizier, wurde früh zum Romancier und ist ein erfolgreicher Sachbuchautor. Sein Bestseller "Stalingrad" wurde in neunzehn Sprachen übersetzt. Vor diesem Hintergrund muß man auch sein neues Buch sehen, das nicht den Anspruch erhebt, als wissenschaftliches Standardwerk betrachtet zu werden. Ebensowenig hat Beevor den Ehrgeiz, Ereignisabläufe dramatisch zuzuspitzen. Er bietet eine weit ausholende Reportage, die gelegentlich langatmig wird, ja fahrig wirkt, sich ab und an verzettelt. Doch kleine Ungenauigkeiten können den positiven Gesamteindruck nicht schmälern. Man folgt dem Untergang des Reiches mit anhaltender Spannung. Während die Soldaten vor unseren Augen kämpfen, Deutsche wie Russen in Massen sterben und die Bevölkerung leidet, bleibt das Geschehen auf den höheren Ebenen von solchen Schrecken frei. In den Armeestäben, auch auf deutscher Seite, wird bis ganz zuletzt ruhig weitergearbeitet, an den Regierungssitzen ohnehin. So greift Stalin tagtäglich mehrfach vom Kreml aus in die Detailplanung vor Ort ein, stachelt beispielsweise Schukow und Konjew gegeneinander auf, hetzt sie, ermuntert jeden von ihnen, Berlin als erster zu erreichen und zu erobern.

Verglichen mit Stalin, der das Geschehen über viele hundert Kilometer verfolgt, ist Hitler dem Geschehen bis auf eine Autostunde nahe. Aber auch er fühlt sich sicher. Hinter den meterdicken Betonwänden seines Bunkers im Garten der Reichskanzlei hängt er immer noch Siegesphantasien mit Hilfe imaginärer Armeen an, bis ihn der lauter und lauter hörbare Geschützlärm an das nahende Ende erinnert. Immerhin kann er seinen 56. Geburtstag am 20. April noch halbwegs ordentlich im Kreise enger Vertrauter begehen. "Kurz vor Mittag wurden Göring, Ribbentrop, Dönitz, Himmler, Kaltenbrunner, Speer, Keitel, Jodl und Krebs zur Reichskanzlei gebracht. Dort schritten sie durch die riesigen, mit spiegelglattem Marmor ausgekleideten Säle, deren Türen fast bis zur Decke reichten. Dieses filmgerechte Denkmal zur Schau gestellter Macht wirkte in seinem halb zerstörten Zustand beinahe grotesk, aber immer noch furchteinflößend. Für viele der Gratulanten, die an jenem Tag ihre Glückwünsche darbrachten, wirkte Hitler um mindestens zwanzig Jahre gealtert. Sie drängten den ,Führer', sich nach Bayern abzusetzen, solange dies noch möglich war. Aber Hitler erklärte im Brustton der Überzeugung, die Russen erwarte vor Berlin ihre blutigste Niederlage." Zwei Tage später jedoch brach er bei der militärischen Mittagsbesprechung nach einem Tobsuchtsanfall zusammen: "Er fiel völlig erschöpft in einen Sessel und schluchzte auf. Zum ersten Mal sagte er unumwunden, der Krieg sei nun verloren." Acht Tage danach setzte er seinem Leben ein Ende. "Der Chef brennt!" Ob er das sehen wolle, rief einer der SS-Wachmänner seinem Oberscharführer zu.

Ein besonderer Vorzug des Buches sind solche Skizzen, die Situationen und Personen anschaulich begreifbar machen. Wir sehen etwa Goebbels, Himmler oder Göring, natürlich auch Hitler, auf beklemmende Weise vor uns. Realitätsfern und rücksichtslos selbstbezogen, wie sie alle waren, blieb ihnen völlig gleichgültig, was aus den Lebensgrundlagen des Landes und aus der deutschen Bevölkerung wurde. Wichtig war nur noch, die eigene Haut zu retten oder sich, wie Hitler und Goebbels, einen theatralischen Abgang zu verschaffen.

Es macht nachdenklich, daß hier ein Ausländer ein Vorhaben gewagt hat, dem deutsche Autoren, zumal die Gelehrten vom Fach, bisher erstaunlicherweise ausgewichen sind: Lesern, zumal jungen, die größte Katastrophe nahezubringen, die die Deutschen in den vielen Jahrhunderten ihrer langen Geschichte, vielleicht vom Dreißigjährigen Krieg abgesehen, erlebt haben.

Viele auffallende Einzelheiten werden Lesern neu sein. Wer weiß schon, welche heroische Rolle gerade Franzosen, Angehörige der SS-Division "Charlemagne", ganz am Ende spielten? Überraschen wird auch viele Leser, wie sich die Eroberung Ostdeutschlands in russischen Augen spiegelte. Denn Beevor hat nicht nur dortige Archive durchstöbert und schriftliche Quellen genutzt, sondern mit ganz unterschiedlichen sowjetischen Kriegsteilnehmern ausführliche Gespräche geführt. Sie sind seinem Buch sehr zugute gekommen.

Beevor behauptet, ein wichtiges Motiv für den verbissenen Wunsch Stalins, Berlin vor den Westmächten zu erobern, sei seine Hoffnung auf Uranfunde in der Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gewesen, mit denen er das eigene Atombombenprojekt voranzubringen gedachte. Von Stalin stammt auch der kuriose Gedanke, den seit 1933 ausgebrannten Reichstag als das Symbol des "Dritten Reiches" zu betrachten und daher durch eine demonstrative Flaggenhissung symbolisch in Besitz zu nehmen. An sich hätte es doch viel näher gelegen, das rote Banner über Hitlers Neuer Reichskanzlei wehen zu lassen.

Beklommen liest man, daß, als alles zu Ende war, der Aufbau einer Zivilverwaltung in den russisch besetzten Gebieten Deutschlands dem NKWD, also der Geheimpolizei, anvertraut wurde. Sie sollte in erster Linie "feindliche Elemente" beseitigen. Schon vom ersten Augenblick an wollte Moskau durch die Ausschaltung aller derer, die als potentielle Gegner des Bolschewismus in Frage kamen, der Sowjetisierung den Weg bereiten.

ARNULF BARING

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr