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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete der "Neue Westen", d.h. die Gegend um den Kurfürstendamm, die Kantstraße und das Bayerische Viertel ein Neubaugebiet mit Wohnungen, die über 10 bis 15 Zimmer verfügten, mit größtem Komfort und den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet waren. Hier sollte sich ein Gegenzentrum zum alten Berlin herausbilden: Wohnte die Aristokratie nach wie vor Unter den Linden, so siedelte sich das wohlhabende Bürgertum nun im Berliner Westen an. "Berlin W.", bis zur 1920 erfolgten Eingemeindung Charlottenburgs, Wilmersdorfs und Schönebergs noch außerhalb der…mehr

Produktbeschreibung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete der "Neue Westen", d.h. die Gegend um den Kurfürstendamm, die Kantstraße und das Bayerische Viertel ein Neubaugebiet mit Wohnungen, die über 10 bis 15 Zimmer verfügten, mit größtem Komfort und den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet waren. Hier sollte sich ein Gegenzentrum zum alten Berlin herausbilden: Wohnte die Aristokratie nach wie vor Unter den Linden, so siedelte sich das wohlhabende Bürgertum nun im Berliner Westen an. "Berlin W.", bis zur 1920 erfolgten Eingemeindung Charlottenburgs, Wilmersdorfs und Schönebergs noch außerhalb der eigentlichen Grenzen der Reichshauptstadt gelegen, das war Inbegriff einer versnobten neureichen Hautevolee, Synonym für ein unbeschwertes Dasein mit Dienstmädchen und Kinderfräulein, Fünf-Uhr-Tee-Gesellschaften und Bildungsreisen, das allenfalls getrübt wurde durch strapaziöse, im Hinblick auf das Erhaschen des Dernier Cri jedoch unverzichtbare Besuche avantgardistischer Vernissagen ode r Theateraufführungen.
Mit scharfer Beobachtungsgabe und pointiertem Witz hat Edmund Edel ein vor Bosheit funkelndes satirisches Porträt jener feinen Gesellschaft geschaffen und mit eigenen Illustrationen versehen. Mit der kommentierten Neuausgabe dieses 1906 erschienenen Buches wird ein sittengeschichtliches Dokument und kurzweiliges Lesevergnügen wieder der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Autorenporträt
Edmund Edel (1863-1934), aufgewachsen in Berlin-Charlottenburg, war ein vielseitiger Künstler. Nach einem Studium der Malerei in München und Paris wirkte er in Berlin als einer der führenden Plakatkünstler seiner Zeit. Darüber hinaus war er Illustrator humoristischer Zeitschriften (Ulk, Lustige Blätter, Das Narrenschiff) und Autor von Essays, Satiren, Romanen und Filmdrehbüchern. Bekannt wurde er auch als Regisseur von ungefähr 18 Filmen, die er zwischen 1914 und 1921 u.a. mit Darstellern wie Ernst Lubitsch, Emil Jannings, Asta Nielsen und Hans Albers drehte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2002

Berlin (W)
Zur Neuausgabe von Edmund Edels wunderbarer Stadtbeschreibung von 1906 · Von Florian Illies

Er schreibt so, wie er zeichnet. Genau beobachtend, mit Lust an der karikaturhaften Zuspitzung, reduziert auf das Wesentliche, doch das Wesentliche kann auch das Schillerndste sein, das Kurioseste, das Behagliche. Immer, so kann man sagen, ging es Edmund Edel letztlich doch um die Form. Egal, ob er die Figuren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts für die Zeitschriften "Ulk" oder die "Lustigen Blätter" zeichnete, ob er Plakate schuf von großer Prägnanz und Wirkungskraft, ob er Filme drehte - oder ob er eben schrieb. Edmund Edel hat das Schicksal ereilt, das die Deutschen gerne denen zugedenken, die zu viele Talente haben: Er wurde vergessen. Als sei eine Vielgleisigkeit Beweis für die mindere künstlerische Qualität. Nun endlich wird das Verfahren neu aufgerollt. Johannes Althoff hat für das kleine Berliner Verlagshaus Braun die zu rühmende Energie aufgebracht, Edels Stadtdiagnostik "Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche" neu herauszugeben. Das Buch war erstmals 1906 erschienen - was uns heute auf den ersten Blick als brave Nostalgie erscheinen könnte, das hatte damals den Status von Popliteratur. Wer das Original sucht, hat seit Jahren kaum Erfolg, im Internet, im Zentralverzeichnis der deutschen Antiquariate (unter www.zvab.de) findet sich nur ein einziges Angebot. Darf man daraus schließen, daß dieses Buch heute niemanden mehr interessiert?

Nein. Edels wunderbar leichtfüßige Beschreibung der Gegend des Neuen Westens, also der Straßenzüge um Kurfürstendamm, Kantstraße und Bayrisches Viertel, ist eigentlich das ideale Buch für all jene, die sich heute, hundert Jahre später, so sehr wohl fühlen auf dem Parkett und unter dem Stuck, den zu Edels Zeiten die Handwerker unter Protest als neumodischen Kram in die prächtigen Wohnungen einbauten. Man geht mit ihm durch die Kantstraße, und man hört dazu den Baulärm und die Sorgen um die zu schmalen Bürgersteige in den Ku'damm-Seitenstraßen, man geht also textlich durch ein protziges Neubaugebiet, und doch schiebt sich vor dem inneren Auge immer das Schlagwort vom "Altbau" darüber. Das ergibt dann ein sehr angenehmes Schlingern im Gehirn, weil man immer hundert Jahre hin- und herspringt, wenn Edel die Typen schildert, die die Neubauten im Berliner Westen bewohnen, wenn er ihre Rituale belächelt, dann weiß man gar nicht mehr, wo man denn nun ist, gestern oder heute. Die Platitüden der Gespräche im Caféhaus und die müden Runden der Tiere im Zoo, die Wirrnisse der Liebe des Gymnasiasten und die hausfraulichen Sorgen um die diebische Zugehfrau - das ist alles so frisch beobachtet, als sei es erst am letzten Wochenende geschehen. Nicht nur die Gemäuer der Gegenden um Bayrischen Platz, Savignyplatz und Ludwigkirchplatz scheinen dem Lauf der Zeit lässig zu trotzen, sie scheinen auch gerade heute eine magische Anziehung auf das neubürgerliche Milieu auszuüben, das Edels Buch als Drehbuch für das eigene Leben lesen kann.

Aber das ist längst nicht alles. Man kann sein Buch mit seinem spöttischen, selbstironischen Stil aber auch ganz anders lesen. Als Erziehungsratgeber etwa: "Wenn eine Tochter nicht hübsch ist, studiert sie Medizin oder Philosophie." Oder auch als "Bunte": "Mama ist chic. Mama versteht sich anzuziehen und in Ostende oder Monte Carlo haben richtige Pariser ihr das Kompliment gemacht, daß man ihr beinahe die Berlinerin nicht angesehen hätte."

Edmund Edel beschreibt den Berliner um 1906, wenn er auf Reisen geht, wenn er lästert, wenn er Gesellschaften gibt; und immer tut er dies in einer Intensität und Präzision, wie wir sie heute aus den Texten von Benjamin von Stuckrad-Barre kennen, als faszinierend authentischer Stimmenimitator des Berlins am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. "Ein paar Kapitel von der Oberfläche", so hat Edel sein Buch genannt. Hundert Jahre später haben sie erhebliche Tiefenwirkung.

Edmund Edel: Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche. Neu herausgegeben von Johannes Althoff. Verlagshaus Braun, Berlin. 160 Seiten, 75 Abbildungen, geb., 15 Euro.

Morgen lesen Sie an dieser Stelle: "Plattenteller".

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.11.2022

Wie man einen Herrn mit Verhältnis grüßt
Der jüdisch-deutsche Karikaturist und Autor Edmund Edel schuf mit „Berlin W“ einen Bestseller und ein unsterbliches Album der besseren Gesellschaft
Wie der Holzschnitt gehört das Plakat zu den Opfern der Alltagssprache. Hartnäckig verkuppelt sie das „Holzschnittartige“ und „Plakative“ mit dem grob Ungefähren, der pauschalen Behauptung, dem Mangel an Konkretion. Das ist sehr ungerecht, geradezu grob ungerecht, und so ist jede Gelegenheit willkommen, dem Plakat wie dem Holzschnitt ein Loblied zu singen.
Und schon sind wir bei Edmund Edel. Der Mann hieß wirklich so und war ein deutsch-jüdischer Plakatkünstler, Karikaturist, Übersetzer, Drehbuchautor, Regisseur und Autor, geboren 1863 im pommerschen Stolp, aufgewachsen im damals noch selbständigen Charlottenburg, gestorben im Mai 1934 in Berlin, nicht ohne zuvor anlässlich seines siebzigsten Geburtstages vom Völkischen Beobachter beschimpft worden zu sein.#
Edmund Edel war im Berlin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts kein Unbekannter. Er entwarf Plakate für Theaterbühnen, für Fleischextrakte und Schreibwaren, für Mampe’s Likör, wie seine französischen Vorbilder war er mit der Umrisszeichnung im Bunde, ging mit dem Lasso der geschwungenen Linie auf Kundenfang. Zur Verachtung des Holzschnitts mag seine Verwendbarkeit für „marktschreierische“ Zwecke beigetragen haben. Die antimoderne Verachtung des Plakats nahm an seinem Bündnis mit der Reklame Anstoß. Zum Glück ließ sich Edmund Edel dadurch nicht beirren. Und wohl, weil er zugleich in der Welt der Zeitschriften- und Buchillustration zu Hause war, zum Beispiel im Ulk, den Lustigen Blättern oder dem Narrenschiff, kam ihm irgendwann die Idee, den Plakatstil in die Prosa zu überführen und zu Satirezwecken zu nutzen. So entstand „Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche“, erschien 1906 und wurde zugleich zum Bestseller (wahrscheinlich vor allem in Berlin).
„Berlin W.“ steht für den Berliner Westen und zwar den damals „neuen“ Westen um den Kurfürstendamm mit dem „Bayerischen Viertel“ als südlicher Anlagerung. Der „alte“ Westen war das villenbesetzte Tiergartenviertel, an dessen Rand einst Fontanes Effi Briest gezogen war. Edmund Edel, Zeitgeistspezialist wie jeder Plakatkünstler, gab sich mit der Ortsbezeichnung nicht zufrieden. Er schrieb über „Berlin W.“ so, wie einige Generationen später, in den Nachwendejahren der Berliner Republik über „Prenzlauer Berg“ geschrieben wurde, als das Berlin, in dem „man“ wohnt. Es geht um Oberfläche, also um Mode. Die Kleidung gehört dazu, aber nicht nur sie, sondern der gesamte Lebensstil. Von Fahrstühlen ist die Rede, von der Elektrifizierung der Beleuchtung, von den „Gesellschaften“, die „man“ gibt, von den Ehen des Herrn und der Damen des Hauses, vom Abschied von den Läden zugunsten der Warenhäuser, von den Söhnen und Töchtern, ihren ästhetischen und erotischen Vorlieben, den Lektüren und Salongesprächen. Man lebt in „Tietz-und-Wertheim-Dekor“.
Wer dachte, erst Heinz Erhardt sei auf die Idee gekommen, der „Ilias“-Übersetzung von Johann Heinrich Voss die Wendung „welch Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne“ zu entführen, wird hier eines besseren belehrt. Haltbar geblieben ist Edmund Edels „Berlin W.“ nicht zuletzt durch seine Aufmerksamkeit auf das Register modischer Redewendungen von „chic“ bis „phänomenal“, von den „Berliner Verhältnissen“ bis zu der Frage, ob und wie man auf der Strandpromenade einen Mann mit „Verhältnis“ grüßt.
Diese Umrisszeichnungen der besseren, in der Regel neureichen Kreise von Berlin W. zeigen dem naturalistischen Drama die mondän kühle Schulter und lachen sich ins Fäustchen, wenn jemand sie als empirische Soziologie auffasst. „Der Jour“, „Die Zeit der jungen Liebe“, „Kunst und Künstler“, „Der Zoo“, „Auf Reisen“ heißen die Kapitel. Die Börse, obwohl unabdingbar für den Lebensstil, legt Wert darauf, nicht im Vordergrund zu stehen.
Nach diesem Debüt hat Edmund Edel noch sehr viel anderes geschrieben. Sein „Berlin W.“ taucht mit jedem Modernisierungsschub wieder auf. Nun hat sich Björn Weyand, Autor einer instruktiven Studie zur „Poetik der Ware“, vorgenommen, das schriftstellerische Werk Edels in größerem Umfang wieder zugänglich zu machen, darunter Romane wie „Der Snob“ (1907), „Das Glashaus“ oder „Der Filmgott“ (1920). Diese Neuausgabe hat er mit einem lesenswerten Nachwort und einem nützlichen Glossar versehen und ihr, zum Glück, die Vignetten des Originals belassen. „Berlin W.“ ist ein im besten Sinne plakatives Buch.
LOTHAR MÜLLER
Edmund Edel:
Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche.
Herausgegeben von Björn Weyand. Quintus Verlag, Berlin 2022.
192 Seiten, 20 Euro.
Auch was
man trug,
zeichnete
Edmund
Edel auf.

Foto: Edel/Quintus Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Helmut Böttiger stellt bei der Lektüre eines ursprünglich schon 1906 erschienenen Buches von Edmund Edel erstaunt fest, dass Berliner Szeneviertel keine Erfindung des 21. Jahrhunderts sind. Der Autor berichte von einem Bau- und Entwicklungsboom besonders im Berliner Westen, der durchaus mit heutigen Gentrifizierungsbewegungen vergleichbar sei. Auf Konsum, Marken und das äußere Erscheinungsbild wurde schon 1906 viel Wert gelegt, lernt der Rezensent durch die kleinen Porträts Edels, die angenehm satirisch-spitzzüngig den damaligen Zeitgeist wiedergeben. Auch 2022 noch absolut empfehlenswert, findet Böttiger, und wünscht sich ähnlich geistreiche Bücher und Beschreibungen auch für unsere Zeit.

© Perlentaucher Medien GmbH