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Berlin - das ist nicht nur die gebaute und bewohnte Stadt, das ist ebenso ein Strom von Texten, die täglich gesprochen, geschrieben, gedruckt, gelesen, zitiert und erinnert werden. Wie verhält sich die Stadt aus Worten zum materiellen Berlin, zu seiner wechselvollen Geschichte als Hauptstadt und zum Alltag ihrer Bewohner?Dieses Wanderbuch folgt den sichtbaren Spuren des literarischen Lebens in Berlin; es weist den Weg zu literarische Schauplätzen, Literaturhäusern, Dichtermuseen, Gedenktafeln, Bibliotheken und Druckwerkstätten. Aktuelle Stadtansichten werden mittels literarischer Texte lesbar,…mehr

Produktbeschreibung
Berlin - das ist nicht nur die gebaute und bewohnte Stadt, das ist ebenso ein Strom von Texten, die täglich gesprochen, geschrieben, gedruckt, gelesen, zitiert und erinnert werden. Wie verhält sich die Stadt aus Worten zum materiellen Berlin, zu seiner wechselvollen Geschichte als Hauptstadt und zum Alltag ihrer Bewohner?Dieses Wanderbuch folgt den sichtbaren Spuren des literarischen Lebens in Berlin; es weist den Weg zu literarische Schauplätzen, Literaturhäusern, Dichtermuseen, Gedenktafeln, Bibliotheken und Druckwerkstätten. Aktuelle Stadtansichten werden mittels literarischer Texte lesbar, dabei eröffnen sich überraschend neue Zugänge zur Literaturgeschichte, von den ältesten Ursprungsmythen Berlins bis hin zur Gegenwartsliteratur.
Mit dem Buch in der Hand läßt sich die Literaturmetropole Berlin auf 10 mühelos nachvollziehbaren Spaziergängen erwandern. Dabei kommen neben klassischen Autoren auch Schriftsteller der Gegenwart wie Christa Wolf, Oskar Pastior und Uwe Kolb zu Wort.
Autorenporträt
Michael Bienert, geboren 1964, lebt seit 20 Jahren in Berlin. Seit 1990 leitet er literarische Stadtspaziergänge für 'StattReisen'. Er schreibt unter anderem für den Tagesspiegel, die Stuttgarter Zeitung, die Wiener Zeitung und das Literaturblatt und hat neben Beiträgen für Reiseführer auch Bücher über die literarische Topographie Berlins veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1999

Famose Sache, allerliebst
Monarchische Veduten in 3-D: Im Kaiser-Panorama lebt Altberlin

Beim Bundeskanzler im Staatsratsgebäude brannte noch Licht, als sich am Mittwochabend im Berlin-Saal des gegenüberliegenden Ribbeck-Hauses etwa hundert Zuschauer auf ein Kommando hin rotgestreifte Pappbrillen auf ihre Nasen setzten. "Auch hier im Kino am liebsten Langnese", stand auf den Brillenbügeln. Doch es gab weder Kino noch Eis. Als das Licht erlosch, saß das Publikum dank der Langnesebrillen plötzlich mitten auf dem Schlossplatz.

Das Staatsratsgebäude war verschwunden, der Blick glitt an der Rückseite des Stadtschlosses entlang und im nächsten Moment in es hinein. Ein prachtvoller Flur öffnete sich, rechts an der Wand hing das gewaltige Historiengemälde von der Kaiserkrönung in Versailles. Daran vorbei ging es direkt ins Arbeitszimmer des Kaisers, und da saß er an seinem Schreibtisch. Wilhelm der I. neigte sich leicht nach hinten, so als habe er den eintretenden Störenfried schon bemerkt.

Da reitet seine Majestät

Das war die furiose Eröffnung einer famosen dreidimensionalen Lichtbildschau. Gezeigt wurden Bilder aus dem einstmals weltberühmten Kaiser-Panorama. Die mit speziellen Stereokameras aufgenommenen und in einem komplizierten Verfahren kolorierten Fotografien erwecken - richtig betrachtet - das alte Berlin und seine Menschen zu neuem Leben. Mit einem Mal steht man direkt hinter Männern in Uniformen mit Schleppsäbeln und dicken Goldknöpfen an den Rockschößen. Zwischen ihren Pickelhauben hindurch in etwa fünfzehn Metern Entfernung ist auf einem Pferde sitzend der Kaiser zu sehen. Der Enkel des Ersten, Wilhelm der II., aufgenommen im Jahr 1896 während einer Militärparade.

Einen achtzehnjährigen Gymnasiasten beeindruckte zur gleichen Zeit das innenstädtische Leben an der Leipziger Ecke Friedrichstraße viel mehr als Militärparaden: "Hübsche Geschäftsmädchen mit beweglicher Figur eilten Arm in Arm vorüber; sie stießen und drängten kichernd, ungeniert jedem Herrn ins Gesicht sehend. Da trottet schweren Schritts der Bankbeamte mit seiner großen Ledermappe - Ausläufer bekannter Firmen - Bummler, der Deutsche nennt sie Flaneurs, in der Hand die lange Cigarette, mit der anderen einen dünnen Stock wirbelnd - Leute, die bei jedem Schaufenster stehen bleiben - Commis, Soldaten - alles das wogt auf dem Trottoir nebeneinander; keiner sieht auf den anderen in dem Gedränge, jeder hat genug mit sich zu thun." So der junge Alfred Döblin am 6. Oktober 1896, und genau so ist es auf den Stadtansichten des Kaiser-Panoramas zu sehen.

Unweit der Stelle, die Döblin beschreibt, befand sich die Kaisergalerie, die von der Behrenstraße zur Friedrichstaße führte. Seit 1880 logierte dort das von August Fuhrmann gegründete Kaiser-Panorama. Für ein Eintrittsgeld von 10 Pfennig konnte man im ersten Stock der Galerie dreidimensionale Bilder betrachten. Sie wurden in Serien von fünfzig Exemplaren vorgeführt, die Betrachter saßen um eine runde Säule gruppiert und blickten durch fernglasartige Okulare in die dritte Dimension. Jeden Freitag wechselte das Programm. Fuhrmann eröffnete bis 1909 mehr als 250 Filialen in Deutschland und dem benachbarten Ausland. Als er 1925 starb, lagerten in der Zentrale des inzwischen in Welt-Panorama umbenannten Unternehmens fast 300 000 Glas-Stereo-Aufnahmen, mit denen die Filialen wöchentlich beschickt wurden.

Erhard Senf hat 1979 die Reste dieses Schatzes bei einem Trödler entdeckt und erworben. Heute befindet sich die einzigartige Sammlung von 12 000 stereoskopischen Bildern in seinem Besitz. Erhard Senft ist einer der beiden Herausgeber des opulenten Bildbandes, der am Mittwochabend im Ribbeck-Haus vorgestellt wurde. Herr Senf bediente höchstpersönlich den Projektionsapparat, während der zweite Herausgeber, Michael Bienert, die gezeigten Bilder mit Sachkenntnis und Wärme erläuterte. Gelegentlich einiger seiner Zwischenbemerkungen ließ Herr Bienert durchblicken, dass er kein Monarchist ist.

Unter den gezeigten Aufnahmen überwogen indes diejenigen aus der Kaiserzeit bei weitem die republikanischen Jahre. Das lag nicht an Herrn Bienerts Auswahl, sondern an Herrn Fuhrmanns Hinterlassenschaft. Der preußisch-patriotische Unternehmensgründer hatte nämlich, wie Herr Bienert mehrfach hervorhob, Wert auf historisch korrekte Bilder gelegt, und historisch korrekt war zur Kaiserzeit noch identisch mit politisch korrekt.

So kommt es, dass sich das vormoderne Berlin in den Bildfolgen weitaus üppiger und prächtiger als die moderne Metropole der zwanziger Jahre präsentiert. Die neusachliche Moderne ragt trotz Kolorierung und stereoskopischer Perspektive demgegenüber recht eintönig ins Bild. Der Blick etwa auf das Europahaus in der Koniggrätzer Straße - heute Deutschlandhaus in der Stresemann Straße - erinnert in der Aufnahme von 1931 mehr an die späten fünfziger Jahre als an die Zwischenkriegszeit.

Ist sie nicht reizend!

Dem vorgestellten Bildband, "Berlin wird Metropole", liegt übrigens eine 3-D-Brille aus Taiwan bei, mit der sich nach einiger Übung der räumliche Eindruck recht passabel herstellen lässt. An die stereoskopischen Lichtbilder, die Herr Senf mit seinem Spezialgerät im Ribbeck-Haus vorgeführt hat, reicht das Sehvergnügen im Buche jedoch nicht heran. Mit der Langnese-Brille auf der Nase saß man mitten drin in der alten Metropole und staunte, was los war, als die Brautkutsche mit Herzogin Cecilie am 3. Juni 1905 durchs Brandenburger Tor fuhr: Monarchie und Alltag. Als die Lichtbildschau vorbei war und die Besucher auf die Breite Straße traten, war das Schloss wieder verschwunden und beim Bundeskanzler im Staatsratsgebäude brannte immer noch Licht.

Die nächste Gelegenheit sich von Herrn Senf mit seiner herrlichen Apparatur verzaubern zu lassen, bietet sich erst nach der Jahrhundertwende. Zwei Tage nach Kaisers Geburtstag, dem hunderteinundvierzigsten Wilhelms II., am 29. Januar 2000, werden im Kreuzberg Museum zur "Langen Nacht der Museen" von 19 bis 2 Uhr non-stop stereoskopische Aufnahmen aus dem Kaiser-Panorama zu sehen sein. Es empfiehlt sich, rechtzeitig vordere Plätze zu belegen, um mittendrin zu sein in Altberlin.

JOCHEN STAADT

"Berlin wird Metropole", herausgegeben von Michael Bienert und Erhard Senf, ist erschienen im be.bra verlag und kostet 78 Mark.

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