Produktdetails
- Verlag: Ullstein Berlin
- Seitenzahl: 207
- Abmessung: 21mm x 202mm x 235mm
- Gewicht: 884g
- ISBN-13: 9783898340403
- ISBN-10: 3898340406
- Artikelnr.: 09892227
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2001Im Planquadrat: Michael Rutschkys Berlin
Die Stadt als Roman - das ist eine alte Lektüreanweisung für das Leben von Städtebewohnern. Seit Victor Hugo mit einem großen Exkurs in "Notre-Dame de Paris" die jahrtausendealte Allianz und Konkurrenz zwischen Baukunst und Wortkunst erklärte, sind Metropolen gelesen worden. Jeder Ziegel sei eine Silbe, heißt es bei ihm, jede Säule ein Satz, jedes Gebäude ein Kapitel: So füge Stadtarchitektur sich zu steinernen Texten, die ihre Botschaft der lesenden Nachwelt erhalten. Erst in der Gutenberg-Ära seien solche Zeugnisse abgelöst worden, weil in der Neuzeit das, was wirklich die Zeit überdauern soll, gedruckt übermittelt wird. Die Kathedralen der Moderne sind Bücher. Hugos Roman ist selbst dafür ein gutes Beispiel, denn er leiht seinen Titel von dem alten sakralen Bau, der einst Mittelpunkt der Metropole war.
Berlin als Roman - das ist eine schwierige Lektüre. Diese Stadt kennt kein zentrales Bauwerk als weithin sichtbares Sinnzeichen, hat keinen zentralen Kirchturm, von dem aus das Straßengewirr sich in der Überschau ordnen und lesen ließe. Auch "Berlin Alexanderplatz" schafft keine Abhilfe, denn der titelgebende Ort ist nur eine Bahnhaltestelle und überdies ständig im Umbau. Abriß, Neubau, Zerstörung, Rekonstruktion: Wer diese Metropole lesen will, muß ihre Schrift immer wieder neu lernen.
Jetzt bietet Michael Rutschky uns seine Lektüre. Als fotografierender Schatten, wie unsere Abbildung ihn in der Pappelallee in Prenzlauer Berg zeigt, geht er durch die Straßen des alten und neuen Berlin, bannt Bekanntes wie die gläserne Reichstagskuppel und Unbekanntes wie diesen schwarzen Hund auf präzise schwarzweiße Bilder, zeigt Unscheinbares wie die Berliner Graffiti und Scheinbares wie das Gitterskelett der Stadtschloßattrappe und ordnet alles in die Planquadrate des Stadtplans ein. Dazu stellt er kurze Prosastücke, die weniger die Fotos erklären als ihre Unterschichten freilegen: "An vielen Stellen verklärt und verdichtet sich die Stadt so gründlich, daß sie sofort weit mehr darstellt als sich selbst. Dort entsteht die Stadt als Roman." Rutschkys Lektüreanregung folgt man sehr gern - nicht nur als Berliner Städtebewohner. (Michael Rutschky: "Berlin". Die Stadt als Roman. Ullstein Verlag, München 2001. 209 S., 100 Fotografien, geb., 46,94 DM.)
todö
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Stadt als Roman - das ist eine alte Lektüreanweisung für das Leben von Städtebewohnern. Seit Victor Hugo mit einem großen Exkurs in "Notre-Dame de Paris" die jahrtausendealte Allianz und Konkurrenz zwischen Baukunst und Wortkunst erklärte, sind Metropolen gelesen worden. Jeder Ziegel sei eine Silbe, heißt es bei ihm, jede Säule ein Satz, jedes Gebäude ein Kapitel: So füge Stadtarchitektur sich zu steinernen Texten, die ihre Botschaft der lesenden Nachwelt erhalten. Erst in der Gutenberg-Ära seien solche Zeugnisse abgelöst worden, weil in der Neuzeit das, was wirklich die Zeit überdauern soll, gedruckt übermittelt wird. Die Kathedralen der Moderne sind Bücher. Hugos Roman ist selbst dafür ein gutes Beispiel, denn er leiht seinen Titel von dem alten sakralen Bau, der einst Mittelpunkt der Metropole war.
Berlin als Roman - das ist eine schwierige Lektüre. Diese Stadt kennt kein zentrales Bauwerk als weithin sichtbares Sinnzeichen, hat keinen zentralen Kirchturm, von dem aus das Straßengewirr sich in der Überschau ordnen und lesen ließe. Auch "Berlin Alexanderplatz" schafft keine Abhilfe, denn der titelgebende Ort ist nur eine Bahnhaltestelle und überdies ständig im Umbau. Abriß, Neubau, Zerstörung, Rekonstruktion: Wer diese Metropole lesen will, muß ihre Schrift immer wieder neu lernen.
Jetzt bietet Michael Rutschky uns seine Lektüre. Als fotografierender Schatten, wie unsere Abbildung ihn in der Pappelallee in Prenzlauer Berg zeigt, geht er durch die Straßen des alten und neuen Berlin, bannt Bekanntes wie die gläserne Reichstagskuppel und Unbekanntes wie diesen schwarzen Hund auf präzise schwarzweiße Bilder, zeigt Unscheinbares wie die Berliner Graffiti und Scheinbares wie das Gitterskelett der Stadtschloßattrappe und ordnet alles in die Planquadrate des Stadtplans ein. Dazu stellt er kurze Prosastücke, die weniger die Fotos erklären als ihre Unterschichten freilegen: "An vielen Stellen verklärt und verdichtet sich die Stadt so gründlich, daß sie sofort weit mehr darstellt als sich selbst. Dort entsteht die Stadt als Roman." Rutschkys Lektüreanregung folgt man sehr gern - nicht nur als Berliner Städtebewohner. (Michael Rutschky: "Berlin". Die Stadt als Roman. Ullstein Verlag, München 2001. 209 S., 100 Fotografien, geb., 46,94 DM.)
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Brigitte Werneburg lobt den Bildband des taz-Autors Michael Rutschky als "ausgesprochen schön gemachtes Buch". In seinem "Stadt- und Fotoroman" kombiniere Rutschky Bild und Text auf einzigartige Weise. Die "Stadtmomente" scheinen absichtslos gewählt und sind doch treffend, findet die Rezensentin. In seinem "Bilderbogen", der zum Teil auch sehr privaten Charakter habe, zeige der Autor die Zeit nach der Wende eher als Zeit der Reparatur, denn als Zeit der Wiedergeburt. Auch scheut Rutschky nicht davor zurück, so die Rezensentin, die touristischen Orte oder Großereignisse der Metropole zu zeigen: Love Parade, Filmfestspiele und Berlin Marathon. Dabei bewahre er immer den kühlen, aber faszinierenden "Blick des urbanen Menschen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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