30,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
  • Gebundenes Buch

Mit Ernst Dronke schauen wir auf Berlin - und zugleich auf eine ganze Epoche der Krise, auf das Europa im Vormärz kurz vor der Revolution von 1848/49. Als Journalist und »Junghegelianer« in den 1840er-Jahren hat sich der Koblenzer Gelehrtensohn mitten hineingeworfen in die Widersprüche und Spannungen einer Metropole zwischen preußischem Militarismus und Berliner Schnauze, zwischen einem allgegenwärtigen Beamten- und Polizeiapparat und dem Elend ganzer Bevölkerungsschichten.

Produktbeschreibung
Mit Ernst Dronke schauen wir auf Berlin - und zugleich auf eine ganze Epoche der Krise, auf das Europa im Vormärz kurz vor der Revolution von 1848/49. Als Journalist und »Junghegelianer« in den 1840er-Jahren hat sich der Koblenzer Gelehrtensohn mitten hineingeworfen in die Widersprüche und Spannungen einer Metropole zwischen preußischem Militarismus und Berliner Schnauze, zwischen einem allgegenwärtigen Beamten- und Polizeiapparat und dem Elend ganzer Bevölkerungsschichten.
Autorenporträt
Ernst Dronke (*1822 in Koblenz; ¿1891 in Liverpool) entstammte einer Koblenzer Intellektuellenfamilie. Den vorgezeichneten Weg einer Gelehrtenlaufbahn verließ er, als er im Zuge einer Fahndung nach ¿geheimen politischen Tendenzen¿ 1842 zuerst von der Bonner Universität relegiert wurde und an seiner neuen Alma Mater in Marburger unter den Einfluss seiner Professoren und der ¿Rheinischen Zeitung¿ von Karl Marx geriet und dort zum ¿Junghegelianer¿ wurde. In Berlin, wo er sich promovieren wollte, entstanden während eines anderthalbjährigen Aufenthalts die Notizen, die er wenig später ¿ bereits der Stadt verwiesen und durch den Entzug des Bürgerrechts von Kurhessen und Preußen zum Staatenlosen geworden, zu seinem Berlin-Buch verarbeiten sollte. Nach der Flucht aus der Festungshaft wurde Dronke zu einer der zentralen Figuren der ¿Neuen Rheinischen Zeitung¿ um Karl Marx und Friedrich Engels.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Schauspieler, Regisseur und Autor Hanns Zischler ahnt das "zwittrige" Berlin, das Labor kommender Konflikte mit Ernst Dronkes Reportage von 1846. Wie den Eintritt in ein Drama erlebt der kommunistische Autor laut Zischler die Stadt und beschreibt ihr Unterbewusstsein, polizeiliche Willkür, das Spitzelwesen, ihre Topografie und das Treiben der Handwerker und Grisetten auf eine Weise, die den Rezensenten an Balzac denken lässt. Berlin zeigt sich hier unverkennbar: "Die Stadt jauchzt bacchantisch und stürzt zuletzt taumelnd und ermattet in sich zusammen", zitiert der Rezensent aus dem Buch. Für Zischler eröffnet sich nicht zuletzt durch die im Buch abgedruckten Grafiken und Karikaturen ein drastisch anschaulicher Blick auf Berlin an der "Schwelle zur Industrialisierung".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2020

Explosive Ballung
„Es ist – es ist – es ist – eine große Stadt“: In seinem Buch über
Berlin erahnte Ernst Dronke schon 1846 die Zukunft der Metropole
VON HANNS ZISCHLER
Dieses Abenteuer, eine große Stadt kennenzulernen, die Unbekannte zum ersten Mal zu betreten, nachdem man vieles von ihr gehört hat. Wie Gerüchte vor der Wirklichkeit zurückweichen und die Physiognomie der Stadt neue Erwartungen weckt!
Diesen Eintritt in die Kulissen einer Stadt – wie in ein großes Theaterstück – schildert Ernst Dronke in seinem Buch „Berlin“ aus dem Jahr 1846. Es ist ein Berlin-Buch, wie es bis dahin noch keines gegeben hat. Bei seinem Erscheinen wurde es sogleich verboten. Dieser Journalist erfindet ein eigenes Genre, das mühelos zwischen Reminiszenzen, Statistiken, Anekdoten, Polemiken und Prognosen changiert. Eine Reportage im weitesten und besten Sinn ist es, die, ganz wie die auf dem höchsten Stand der Druckkunst gefeierte Karikatur – die Fotografie steht noch im Schatten – seinem ebenso aufklärungshungrigen wie klatschsüchtigen Publikum vieles bietet und zumutet.
Mit diesem Buch kann der heutige Leser entdecken, wie Berlin sich als erwachende Großstadt entdeckt und erlebt. Es ist ein neuer Aggregatzustand, der das altmodische Kostüm der Residenz bald abstreifen wird, vor allem, wenn es um die Eroberung der öffentlichen Räume und Zeiten geht. Dronke ist ein aufgeklärter, scharf urteilender, aber nicht abgeklärter Schreiber. Zu groß ist die Verblüffung, die das städtische Leben an allen Ecken für ihn bereithält, er lässt sich mitreißen, er ‚legt auf‘: „Die Nacht ist das eigentliche Leben in der großen Stadt. Im Theater, an öffentlichen Orten, in heimlichen Vergnügungen und in verborgenen düsteren Höhlen des Lasters: in wirrem, wilden Treiben tobt jetzt alles durcheinander … Die Stadt jauchzt bacchantisch und stürzt zuletzt taumelnd und ermattet in sich zusammen.“ Auch das ist littérature engagée.
Dronke gelingt es als einem der Ersten, so etwas wie das Unbewusste dieser Stadt zu fassen. Es manifestiert sich durchaus räumlich, wenn das historische Berlin aufgrund der Industrialisierung in sehr kurzer Zeit seine Physiognomie verändert. Die polyzentrische Stadt nimmt hier zum ersten Mal Gestalt an.
Oder er beschreibt das schroffe, aber eben auszuhaltende Nebeneinander von polizeilicher Willkür und Gehorsam auf der einen, Freiheitsbestrebungen der Presse und dem Kampf gegen den „Indifferentismus“ in der Literatur auf der anderen Seite. Er verehrt Bettina von Arnim und rechnet Büchner zu den großen Hoffnungen der Dichtung. Diese explosive Ballung, wie sie sich, nach Paris und London, mit einer gewissen Verspätung auch in Berlin manifestiert, will er an ihren Brennpunkten analysieren.
Unermüdlich durchwandert Dronke die Stadt und versteht es, die bewegliche Topografie mit den sprunghaft anwachsenden sozialen Verwerfungen zu assoziieren. So dechiffriert er die Physiognomie des Straßenlandes: „Seht auf diese graden, regelmäßigen Straßen der Hauptviertel: sie werden euch sagen, dass in ihnen eine Revolution nicht möglich ist, dass zwei Kanonen sie beherrschen können.“ Leo Trotzki wird Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts genau diesen militärischen Aspekt der allseits geschätzten großzügigen Straßenbreite bestätigen.
Berlin steht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Schwelle zur Industrialisierung. Die Residenzstadt wird umgekrempelt, sie hat enorme Wachstumsschmerzen – und sie weiß noch gar nicht, wohin sie strebt. Dronke ist mit einem untrüglichen Spürsinn begabt, er kennt die Schwächen der vergangenheitssüchtigen Monarchie ebenso wie die Perspektiven einer schon mit den Händen zu greifenden Verelendung des Proletariats. Zusammengehalten wird dieses Gebilde von einer rigorosen Polizeibürokratie, deren ausschließlicher Horizont die Aufrechterhaltung der am Besitz orientierten Ordnung, also die Strafe ist: in Gestalt der Zensur, der Gängelung, der Entrechtung und der Ausweisung. Die Signale kommender Aufstände liest dieser Reporter at large an kleinsten Ereignissen ab.
Der kommunistische Autor richtet sein waches Auge auf die Polizei und insbesondere auf das offenbar unausrottbare Spitzelwesen, eine Tradition, die bis in die Welt unserer Tage mit den Händen zu greifen ist. Denkwürdig ist die von ihm überlieferte Formel der Zensur, welche einmal erbrochene Briefe mit „Aufgesprungen angekommen!“ an den Adressaten expediert, wenn der Vorgang nicht wieder zu vertuschen ist.
In der Gestalt des seit 1840 regierenden Königs Friedrich Wilhelm IV. sieht Dronke die antagonistischen Verhältnisse des Wandels von der Residenzstadt zur Industriestadt verkörpert. War Berlin – von Schinkel, Lenné und anderen planerisch und baulich idealisierend eng an Potsdam gebunden – bis dahin nach Westen orientiert, so verschiebt sich die Stadt jetzt mit der Randwanderung der Industrie und der Proletarisierung nach Norden und Osten. Sie verrenkt sich.
Von dem kunstsinnigen, liberal erzogenen König hatte die Öffentlichkeit – ein für Dronke immer wieder verheißungsvoll gesetzter politischer Begriff – eine Konstitution, eine Verfassung erwartet. Dass er darin versagt hat, wirft auch auf seine ästhetischen Leistungen ein fahles Licht, lassen sie doch schon in ihrer Entstehungszeit und ab 1870 die ungehemmt zum Imperialen drängenden Tendenzen eine demokratische Alternative deutlich vermissen.
Mit großartiger, mitunter drastischer Anschaulichkeit schildert Dronke nicht nur das Leben und Treiben der Handwerker und Arbeiter, die unsäglichen Übergriffe der Polizei mit ihrem Spitzelwesen, er hat auch ein kaum gezügeltes Interesse für die Grisetten, für Glücksspiele und Prostitution. So zitiert er in seinem Kapitel „Moral und Sitten“ aus der kritischen Schrift „Die Prostitution in Berlin“ unter Punkt 5: „Straßendirnen, welche auf den Straßen umherlaufen, vorübergehende Männer anlocken und mit den denselben nach ihren Wohnungen oder in die erwähnten Absteigequartiere gehen. Diese ist die ausgebreitetste, zahlreichste Klasse, sie treiben ihr Gewerbe teils am Tage, teils, und dies am häufigsten, in der Dämmerung und gehören zu der ärmsten Klasse, welche fast immer aus Not dazu getrieben wird und nicht selten auch mit Verbrechern in Verbindung steht.“
Wenn Dronke auf die Grisetten zu sprechen kommt, wähnt man sich im Paris Balzacs, und die Lithografien Grandvilles, Trimolets, Daubignys und Gavarnis paradieren vor unserem Auge – derart hingerissen überlässt sich der Journalist den pariserisch inspirierten Bacchanalien Berlins. Con brio wurden in diese Neuausgabe sehr sprechende Grafiken aus den Tagen vor und nach der 48er-Revolution integriert. Die Karikaturen würzen die vielen Gänge, die Dronke serviert.
Ron Mieczkowski hat nicht nur den Text redigiert, sondern auch die Grafiken mit sicherem Blick ausgewählt und damit en passant an die enorme künstlerische Qualität der politischen Karikatur der Epoche erinnert.
Im Blick von heute auf die rasante Entwicklung Berlins, die in den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts Fahrt aufnimmt, erscheint Berlin als das riesige Labor, in dem die kommenden Konflikte, aber auch künftige, mit dem Schritt für Schritt eroberten öffentlichen Raum verbundene Freiheiten förmlich erprobt werden. Berlin will modern werden – und Dronke ist einer der frühen Chronisten. Der (preußische) Untertan entdeckt in sich sein Alter Ego – sei es als Partisan der Solidarität mit dem Proletariat, der sich staatlicher Gängelung widersetzt, sei es als Künstler und Schriftsteller – sie werden Adolph von Menzel, Theodor Fontane und Julius Rodenberg heißen. Und zu den Eigenschaften der Metropole gehört auch eine neuartige Form der Nicht-Identität, also die Möglichkeit, sich anonym durch die Stadt zu bewegen.
Das zwittrige Wesen des Berliners, seine habituelle Quecksilbrigkeit und der immer drohende Rückfall in den Gehorsam wird von Dronke sehr genau diagnostiziert. In den zwei Jahren, die Ernst Dronke von 1843–45 in Berlin lebte, hat er keinen Stein auf dem andern gelassen. „Der Riß, welcher durch alle unsere gesellschaftlichen Verhältnisse geht, und nicht mehr wie früher die Kasten und Stände bloß untereinander, sondern in sich selbst und mit ihrem innersten Leben trennt, ist unleugbar“, schreibt er in seinem Vorwort. Gewidmet ist das Buch einem Freund Georg Büchners, dem Revolutionär Georg Herwegh, also dem Mann, der nach einer Audienz bei König Wilhelm IV. unverzüglich aus Preußen ausgewiesen und dessen Rheinische Zeitung sofort verboten wurden.
Dass Dronke die Waffe der Kritik virtuos zu handhaben wusste, führte dazu, dass auch er als deutscher „Ausländer“ nach zweijährigem Aufenthalt aus der mit Hassliebe bedachten Stadt widerrechtlich ausgewiesen wurde. Der spielerisch erzählende Umgang mit der Stadt, ihrem Körper und ihrem Unbewussten bringt eine literarische Form hervor, die uns heute mehr denn je anspricht. Wer seine eigene ambivalente Liebe zu Berlin in eine historische Perspektive rücken und weiter unterfüttern möchte, findet hier Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle.
Ernst Dronke: Berlin. Mit einer Einführung von Hans Christoph Buch. Illustrierte Ausgabe. Die Andere Bibliothek, Berlin 2019. 416 Seiten, 58 Euro.
Die Residenzstadt wird
umgekrempelt, sie hat
Wachstumsschmerzen
Dass Dronke die Waffe der Kritik
virtuos handhabte, führte
zu seiner Ausweisung aus Berlin
Schon lange gab es das Elend. Vor der Märzrevolution 1848 drängte es in die Sichtbarkeit: Theodor Hosemanns Federlithografie „Die liederliche Wirtschaft“ (1845) setzt eine Berliner Schuhmacherfamilie in Szene.
Foto: akg images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
»Es ist das erste und vielleicht beste Buch über die große Stadt an der Spree.« Yannic Walther Neues Deutschland 20221230