GUTACHEN UND AUFSÄTZE 1. Über die Einrichtung einer kritischen Zeitschrift der Literatur [1819/20] 2. Über den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien [1822] 3. Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilosophie [1822] 4. Über eine Anklage wegen öffentlicher Verunglimpfung der katholischen Religion [1826] 5. Über die Bekehrten [von Ernst Raupach]. (Antikritisches) [1826] 6. Über die englische Reformbill [1831] REZENSIONEN AUS DEN JAHRBÜCHERN FÜR WISSENSCHAFTLICHE KRITIK 1. Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Mahabharata. Von Wilhelm vom Humboldt [1827] 2. Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel [1828] 3. Hamanns Schriften [1828] 4. Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntnis. Von Karl Friedrich Göschel [1829] 5. Über die Hegelsche Lehre oder absolutes Wissen und moderner Pantheismus. - Über Philosophie überhaupt und Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere [1829] 6. Der Idealrealismus. Erster Teil. Von A. L. J. Ohlert [1831] 7. Über Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte. Von J. Görres [1831] FRAGMENTE, NOTIZEN, APHORISMEN 1. Fragment zur Philosophie des Geistes [1822ff.] 2. Notiz zu Hamann [1828] 3. Zwei Entwürfe zur Reformbill-Schrift [1831] 4. Notizen und Aphorismen, 1818 - 1831 Anmerkung der Redaktion zu Band 11
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.1997Das Schulhaupt in der Hauptstadt
Sanft gegen Jacobi, streng gegen England: Hegels Berliner Schriften
Das Hauptwerk aus Hegels Berliner Wirkungszeit ist die Rechtsphilosophie von 1821. Sie nennt sich "Naturrecht und Staatswissenschaft" im Nebentitel und knüpft eher an die antike Auffassung von der Polis als "zweiter Natur" an denn an die neuzeitlichen Konstruktionen eines technisch gemachten Staates aufgrund des fiktiven "Gesellschaftsvertrags", der das soziale Zusammenleben allererst stiften soll. Um Hegels Rechtsphilosophie entbrannte alsbald der politische Streit. Handelt es sich um das Dokument der "Akkomodation" des preußischen Staatsphilosophen oder spricht der Denker des Liberalismus, was damals soviel wie Fortschrittlichkeit bedeutete? Der Marxismus hat Hegels Rechtsphilosophie zugleich radikal kritisiert wie auch substantiell beerbt. Über das alles sind wir dank der historischen und editorischen Arbeit der letzten Jahrzehnte wohl informiert.
Die Berliner Jahre Hegels wurden nach einer überlangen Vorbereitungsphase seiner mühsam sich durchsetzenden Begabung eine Dekade des öffentlichen Triumphes. Der früh vollendete Jugendfreund Schelling war nach großen Auftritten inzwischen in den Schatten gerückt, um lange nach Hegels Tod dann 1840 als sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl aufzutreten mit dem Versuch, den Konkurrenten endgültig zu überbieten. Schelling reklamierte für sich die ursprüngliche Inspiration der Hegelschen Dialektik. Der "später Gekommene" habe sie systematisch zur "negativen" Philosophie der Vernunft ausgebaut, welche nun aber von einer "positiven" Philosophie des Seins abzulösen sei. Doch Schellings Erfolg versinkt kometenhaft. Der zunächst begeisterte Hörer Kierkegaard kehrt nach einem Semester enttäuscht in die Heimatstadt Kopenhagen zurück. Andere nennen Schelling einen Cagliostro und Sophisten.
Neben den großen systematischen und politisch umstrittenen Zügen der Hegelschen Wirksamkeit in Berlin steht eine nicht geringe Zahl kleiner Schriften, die zuletzt der verdiente Hoffmeister 1956 umfassend ediert hatte. Nach vierzig Jahren legt nun Walter Jaeschke eine neue Auswahl vor. Die ausführliche Einleitung beweist den souveränen Kenner und informiert bis in entlegene Details über den historischen Kontext der Gelegenheitsschriften Hegels. Teilweise stellen sie sich als umfangreiche Abhandlungen dar und werfen grundsätzliches Licht auf das Selbstverständnis des dialektischen Systematikers in Auseinandersetzung mit Zeitgenossen und Vorläufern.
Während Hegels intensive Kritikertätigkeit zu Beginn seiner Karriere in Jena die Philosophie "in ihrer Zeit" zur Rede stellen und auf den Begriff bringen wollte, sind die kritischen Schriften der Berliner Zeit eher ausgedehnte Spaziergänge am Rand der eigenen, inzwischen ausgebauten Leistung. Die großen Schlachten um das Niveau einer Philosophie, die der nachrevolutionären Epoche und der Erbschaft Kants gewachsen sind, dürfen als geschlagen gelten. Außerdem enthält der Band die akademischen Antrittsreden in Heidelberg und Berlin sowie eine Reihe von Gelegenheitspolemiken, wie sie ein Schuloberhaupt vielleicht nicht ganz vermeiden kann. Das dokumentiert zu sehen ist erwünscht, denn so rundet sich das Bild.
Eingangs steht die Jacobi-Rezension von 1817. Friedrich Heinrich Jacobi hatte dem auf Begründung eines Systems der Vernunft drängenden Privatdozenten Hegel ehedem als Vertreter der "Reflexionsphilosophie" gegolten. Reflexionsphilosophie war der Name für eine zum philosophischen Standpunkt geronnene Stellung des entzweienden Verstandes, der in Kants Transzendentalphilosophie sich als Steigerung der Aufklärung zuerst gemeldet hatte, um in Fichte konsequente Fortsetzung zu finden. Mit solchen Standpunkten, die Ausdruck des Zeitgeistes waren, ohne sich selber in dieser Rolle ausreichend zu reflektieren, mußte fertig werden, wer philosophisch mehr im Sinne hatte, als die herrschende Philosophie der Entzweiung abzusegnen.
Inspiriert durch die theologische Quelle seiner Frühschriften setzt Hegel dagegen die "Spekulation", die erst in Gang komme, wenn die herrschende Reflexionsphilosophie durchschaut sei. Der spekulativen Gedankenbewegung allein traut Hegel die Gestaltung eines Systems zu. Nun, im Jahre 1817, ist Hegel milder gestimmt. Er muß, inzwischen zum Professor ernannt, sich einen Platz gegen die Heroen der Gegenwart nicht mehr erkämpfen. Er kann im Rückblick anhand eines Bandes der Werkedition Jacobis dessen Verdienste um den werdenden Idealismus mit ausgeprägterem Gerechtigkeitssinn anerkennen.
Anhand der "Nachgelassenen Schriften" Karl Wilhelm Ferdinand Solgers, der 1819 gestorben war, entdeckt Hegel einen fernstehenden Verwandten im Geiste. Der Professor in Frankfurt an der Oder gehört an den Rand des Idealismus, war mit Tieck der romantischen Bewegung verbunden und erfährt doch durch Hegel ex post den spekulativen Ritterschlag. "Wir finden bei ihm das spekulative Bedürfnis der Vernunft lebendig, das Interesse und Bewußtsein der höchsten Gegensätze und der Widersprüche, die daraus entspringen, wie den Mut, dieselben nicht mit Klagen und Demut auf die Seite zu stellen, sondern ihnen in ihrer ganzen Bestimmtheit und Härte ins Angesicht zu sehen und allein in ihrer Auflösung die Befriedigung des Geistes zu suchen und zu gewinnen." Das später berühmt gewordene Verdikt über die romantische Ironie überhaupt und insbesondere diejenige Schlegels taucht hier erstmals auf. Ironie sei ein leeres Überspringen der Sache. Fichtes Philosophie habe diese Frivolität der Reflexion befördert. Wir kennen das Urteil aus den Vorlesungen über Ästhetik, die aber erst postum in den dreißiger Jahren erschienen sind. Daß freilich Solgers Ironie trotz seiner spekulativen Ernsthaftigkeit die "Beimischung von etwas Schiefem" anhafte - diese Bemerkung kann Hegel in jener Rezension nicht unterdrücken.
Die politische Anteilnahme an den aktuellen Vorgängen, die Hegel schon in seiner Jugend bewies, lebt wieder auf aus Anlaß der englischen Reformbill. Kurz vor seinem Ende widmet Hegel ihr einen der letzten großen Aufsätze (1831). "England ist so auffallend in den Institutionen wahrhaften Rechts hinter den anderen zivilisierten Staaten Europas aus dem einfachen Grunde zurückgeblieben, weil die Regierungsgewalt in den Händen derjenigen liegt, welche sich in dem Besitz so vieler Privilegien befinden." Wie das? England bildete doch das alte Vorbild des politisch interessierten Kontinents, dem der von Hegel hoch geschätzte Montesquieu schon Tribut gezollt hatte. Dem wird mit gewissem Stolz nun die "stille Arbeit der wissenschaftlichen Bildung" entgegengehalten. Der "rohen Ignoranz der Fuchsjäger und Landjunker, einer bloß in Gesellschaften, durch Zeitungen und Parlamentsdebatten erlangten Bildung, und der meist nur durch Routine erworbenen Geschicklichkeit des Rechtsgelehrten" müsse durch gründliche Einsicht in die Vernunftstrukturen der Institutionen ein Gegengewicht geschaffen werden.
Die verbreitete Bewunderung eines traditionsbewährten Pragmatismus der Engländer erscheint abgelöst durch das Ideal eines durch intensive Begriffsanstrengung rational begründeten Rechtsstaats. Dieser Konflikt hat mit dem bis vorgestern heftig weitergefochtenen Schulstreit um die revolutionäre Umdeutung Hegels gar nichts zu tun. Er ist aber seinerseits nicht etwa abgetan und im Schlund der zahllosen vergessenen Meinungen versunken. Pragmatismus oder Rationalität - dieses Schibboleth durchzieht auch noch die gegenwärtige Debatte um Recht und Politik. Über die theoretisch argumentierende "Rechtsphilosophie" hinaus, die das staatliche Institutionengefüge als Vernunft in die Geschichte exponiert, erfahren wir also Hegels aktuelle Einschätzung der englischen Nachbarn. Man mag das als hochmütig verdammen.
Immerhin steht das Europa der Zukunft unter anderem im Zeichen jenes Konflikts, den der Berliner Philosoph vor mehr als hundertfünfzig Jahren beim Namen nannte. Die Engländer halten sich unter Berufung auf ihre Inselgeschichte abseits von bürokratischen Monstern wie Brüssel oder Maastricht. Andere sehen eine übernationale Vereinigung für das logische Ergebnis der neueren Geschichte an. Auf welcher Seite Vernunft regiert, die verbaliter natürlich beidseitig beansprucht wird, ist wie in allen historischen Konflikten offen. RÜDIGER BUBNER
G. W. F. Hegel: "Berliner Schriften". (1818-1831). Voran gehen: Heidelberger Schriften (1816-1818). Neu herausgegeben von Walter Jaeschke. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1997. 550 S., geb., 98,- DM.
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Sanft gegen Jacobi, streng gegen England: Hegels Berliner Schriften
Das Hauptwerk aus Hegels Berliner Wirkungszeit ist die Rechtsphilosophie von 1821. Sie nennt sich "Naturrecht und Staatswissenschaft" im Nebentitel und knüpft eher an die antike Auffassung von der Polis als "zweiter Natur" an denn an die neuzeitlichen Konstruktionen eines technisch gemachten Staates aufgrund des fiktiven "Gesellschaftsvertrags", der das soziale Zusammenleben allererst stiften soll. Um Hegels Rechtsphilosophie entbrannte alsbald der politische Streit. Handelt es sich um das Dokument der "Akkomodation" des preußischen Staatsphilosophen oder spricht der Denker des Liberalismus, was damals soviel wie Fortschrittlichkeit bedeutete? Der Marxismus hat Hegels Rechtsphilosophie zugleich radikal kritisiert wie auch substantiell beerbt. Über das alles sind wir dank der historischen und editorischen Arbeit der letzten Jahrzehnte wohl informiert.
Die Berliner Jahre Hegels wurden nach einer überlangen Vorbereitungsphase seiner mühsam sich durchsetzenden Begabung eine Dekade des öffentlichen Triumphes. Der früh vollendete Jugendfreund Schelling war nach großen Auftritten inzwischen in den Schatten gerückt, um lange nach Hegels Tod dann 1840 als sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl aufzutreten mit dem Versuch, den Konkurrenten endgültig zu überbieten. Schelling reklamierte für sich die ursprüngliche Inspiration der Hegelschen Dialektik. Der "später Gekommene" habe sie systematisch zur "negativen" Philosophie der Vernunft ausgebaut, welche nun aber von einer "positiven" Philosophie des Seins abzulösen sei. Doch Schellings Erfolg versinkt kometenhaft. Der zunächst begeisterte Hörer Kierkegaard kehrt nach einem Semester enttäuscht in die Heimatstadt Kopenhagen zurück. Andere nennen Schelling einen Cagliostro und Sophisten.
Neben den großen systematischen und politisch umstrittenen Zügen der Hegelschen Wirksamkeit in Berlin steht eine nicht geringe Zahl kleiner Schriften, die zuletzt der verdiente Hoffmeister 1956 umfassend ediert hatte. Nach vierzig Jahren legt nun Walter Jaeschke eine neue Auswahl vor. Die ausführliche Einleitung beweist den souveränen Kenner und informiert bis in entlegene Details über den historischen Kontext der Gelegenheitsschriften Hegels. Teilweise stellen sie sich als umfangreiche Abhandlungen dar und werfen grundsätzliches Licht auf das Selbstverständnis des dialektischen Systematikers in Auseinandersetzung mit Zeitgenossen und Vorläufern.
Während Hegels intensive Kritikertätigkeit zu Beginn seiner Karriere in Jena die Philosophie "in ihrer Zeit" zur Rede stellen und auf den Begriff bringen wollte, sind die kritischen Schriften der Berliner Zeit eher ausgedehnte Spaziergänge am Rand der eigenen, inzwischen ausgebauten Leistung. Die großen Schlachten um das Niveau einer Philosophie, die der nachrevolutionären Epoche und der Erbschaft Kants gewachsen sind, dürfen als geschlagen gelten. Außerdem enthält der Band die akademischen Antrittsreden in Heidelberg und Berlin sowie eine Reihe von Gelegenheitspolemiken, wie sie ein Schuloberhaupt vielleicht nicht ganz vermeiden kann. Das dokumentiert zu sehen ist erwünscht, denn so rundet sich das Bild.
Eingangs steht die Jacobi-Rezension von 1817. Friedrich Heinrich Jacobi hatte dem auf Begründung eines Systems der Vernunft drängenden Privatdozenten Hegel ehedem als Vertreter der "Reflexionsphilosophie" gegolten. Reflexionsphilosophie war der Name für eine zum philosophischen Standpunkt geronnene Stellung des entzweienden Verstandes, der in Kants Transzendentalphilosophie sich als Steigerung der Aufklärung zuerst gemeldet hatte, um in Fichte konsequente Fortsetzung zu finden. Mit solchen Standpunkten, die Ausdruck des Zeitgeistes waren, ohne sich selber in dieser Rolle ausreichend zu reflektieren, mußte fertig werden, wer philosophisch mehr im Sinne hatte, als die herrschende Philosophie der Entzweiung abzusegnen.
Inspiriert durch die theologische Quelle seiner Frühschriften setzt Hegel dagegen die "Spekulation", die erst in Gang komme, wenn die herrschende Reflexionsphilosophie durchschaut sei. Der spekulativen Gedankenbewegung allein traut Hegel die Gestaltung eines Systems zu. Nun, im Jahre 1817, ist Hegel milder gestimmt. Er muß, inzwischen zum Professor ernannt, sich einen Platz gegen die Heroen der Gegenwart nicht mehr erkämpfen. Er kann im Rückblick anhand eines Bandes der Werkedition Jacobis dessen Verdienste um den werdenden Idealismus mit ausgeprägterem Gerechtigkeitssinn anerkennen.
Anhand der "Nachgelassenen Schriften" Karl Wilhelm Ferdinand Solgers, der 1819 gestorben war, entdeckt Hegel einen fernstehenden Verwandten im Geiste. Der Professor in Frankfurt an der Oder gehört an den Rand des Idealismus, war mit Tieck der romantischen Bewegung verbunden und erfährt doch durch Hegel ex post den spekulativen Ritterschlag. "Wir finden bei ihm das spekulative Bedürfnis der Vernunft lebendig, das Interesse und Bewußtsein der höchsten Gegensätze und der Widersprüche, die daraus entspringen, wie den Mut, dieselben nicht mit Klagen und Demut auf die Seite zu stellen, sondern ihnen in ihrer ganzen Bestimmtheit und Härte ins Angesicht zu sehen und allein in ihrer Auflösung die Befriedigung des Geistes zu suchen und zu gewinnen." Das später berühmt gewordene Verdikt über die romantische Ironie überhaupt und insbesondere diejenige Schlegels taucht hier erstmals auf. Ironie sei ein leeres Überspringen der Sache. Fichtes Philosophie habe diese Frivolität der Reflexion befördert. Wir kennen das Urteil aus den Vorlesungen über Ästhetik, die aber erst postum in den dreißiger Jahren erschienen sind. Daß freilich Solgers Ironie trotz seiner spekulativen Ernsthaftigkeit die "Beimischung von etwas Schiefem" anhafte - diese Bemerkung kann Hegel in jener Rezension nicht unterdrücken.
Die politische Anteilnahme an den aktuellen Vorgängen, die Hegel schon in seiner Jugend bewies, lebt wieder auf aus Anlaß der englischen Reformbill. Kurz vor seinem Ende widmet Hegel ihr einen der letzten großen Aufsätze (1831). "England ist so auffallend in den Institutionen wahrhaften Rechts hinter den anderen zivilisierten Staaten Europas aus dem einfachen Grunde zurückgeblieben, weil die Regierungsgewalt in den Händen derjenigen liegt, welche sich in dem Besitz so vieler Privilegien befinden." Wie das? England bildete doch das alte Vorbild des politisch interessierten Kontinents, dem der von Hegel hoch geschätzte Montesquieu schon Tribut gezollt hatte. Dem wird mit gewissem Stolz nun die "stille Arbeit der wissenschaftlichen Bildung" entgegengehalten. Der "rohen Ignoranz der Fuchsjäger und Landjunker, einer bloß in Gesellschaften, durch Zeitungen und Parlamentsdebatten erlangten Bildung, und der meist nur durch Routine erworbenen Geschicklichkeit des Rechtsgelehrten" müsse durch gründliche Einsicht in die Vernunftstrukturen der Institutionen ein Gegengewicht geschaffen werden.
Die verbreitete Bewunderung eines traditionsbewährten Pragmatismus der Engländer erscheint abgelöst durch das Ideal eines durch intensive Begriffsanstrengung rational begründeten Rechtsstaats. Dieser Konflikt hat mit dem bis vorgestern heftig weitergefochtenen Schulstreit um die revolutionäre Umdeutung Hegels gar nichts zu tun. Er ist aber seinerseits nicht etwa abgetan und im Schlund der zahllosen vergessenen Meinungen versunken. Pragmatismus oder Rationalität - dieses Schibboleth durchzieht auch noch die gegenwärtige Debatte um Recht und Politik. Über die theoretisch argumentierende "Rechtsphilosophie" hinaus, die das staatliche Institutionengefüge als Vernunft in die Geschichte exponiert, erfahren wir also Hegels aktuelle Einschätzung der englischen Nachbarn. Man mag das als hochmütig verdammen.
Immerhin steht das Europa der Zukunft unter anderem im Zeichen jenes Konflikts, den der Berliner Philosoph vor mehr als hundertfünfzig Jahren beim Namen nannte. Die Engländer halten sich unter Berufung auf ihre Inselgeschichte abseits von bürokratischen Monstern wie Brüssel oder Maastricht. Andere sehen eine übernationale Vereinigung für das logische Ergebnis der neueren Geschichte an. Auf welcher Seite Vernunft regiert, die verbaliter natürlich beidseitig beansprucht wird, ist wie in allen historischen Konflikten offen. RÜDIGER BUBNER
G. W. F. Hegel: "Berliner Schriften". (1818-1831). Voran gehen: Heidelberger Schriften (1816-1818). Neu herausgegeben von Walter Jaeschke. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1997. 550 S., geb., 98,- DM.
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