Denkmäler sind nicht nur ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur der Gegenwart, sondern werden auch für künftige Generationen errichtet. Dennoch werden sie vielfach zerstört, verändert oder an andere Orte gestellt, werden Opfer von Kriegen, Vandalismus und politischen Umbrüchen. Kirsten Otto analysiert erstmals systematisch solche Verluste in Berlin seit dem Untergang der Monarchie 1918. Im ersten Teil ihrer Arbeit schildert sie die Schicksale einzelner Monumente und die fortwährenden Verwerfungen innerhalb der Berliner Denkmallandschaft. Thematisiert werden unter anderem die rassistisch motivierte Entfernung von Denkmälern während des Nationalsozialismus, wie Denkmalobjekte zwischen die Fronten des Kalten Krieges gerieten oder wie mit den Monumenten kommunistischer Helden nach dem Fall der Mauer umgegangen wurde. Darüber hinaus richtet die Autorin den Fokus auf konkurrierende erinnerungspolitische und ökonomische Argumente bei den Diskussionen um Erhalt oder Beseitigung. Im zweiten Teil des Buches werden Umgangsmöglichkeiten mit Objekten und Orten unter kulturwissenschaftlichen Fragestellungen analysiert. Der Perspektivwechsel vom existierenden zum verschwundenen Denkmal ermöglicht neue Erkenntnisse über Funktion und Wirkung von Denkmälern überhaupt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Arnold Bartetzky kämpft sich durch "einige Längen" zu den spannenden Seiten von Kirsten Ottos Arbeit zu Berlins Denkmälern. Was mit ihnen geschah, eruiert die Autorin fleißig, wenngleich laut Bartetzky mitunter redundant kommentierend anhand von Archivquellen. Der Rezensent lernt, dass die meisten Denkmäler nicht dem Volkszorn, sondern dem Amtsschimmel zum Opfer fielen oder schnöder Metallknappheit. Was die Nazis mit Medizinerbüsten, die DDR mit Hohenzollern-Standbildern und das wiedervereinigte Deutschland mit Lenin-, Marx- und Thälmann-Skulpturen anstellte, weiß die Autorin dem Rezensenten zu vermitteln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2021Wenn Admirale zu Eheringen werden
Erinnerungpolitik als Rohstoffversorgung: Kirsten Ottos Geschichte des Verschwindens der Berliner Denkmäler hat manche überraschende Einsichten zu bieten.
Nach den Denkmalsturzaktionen der Black-Lives-Matter-Bewegung häufen sich auch in Deutschland Forderungen nach der Beseitigung von Monumenten, die ihren Kritikern ein Dorn im Auge sind. Ein guter Zeitpunkt für die Publikation einer Studie, die den Denkmalverlusten in einer historischen Perspektive nachgeht. Zudem ist Berlin wie kaum ein anderer Ort der Welt dafür geeignet. Vier Systemwechsel erlebte die Stadt im vorigen Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es zudem von vier Besatzungsmächten regiert, die ihre eigene Denkmalpolitik verfolgten, und mit der deutschen Teilung wurde sie auch symbolpolitisch zum Brennpunkt der Konfrontation zwischen Ost und West. Angesichts der vielen Umbrüche und Konflikte verwundert es nicht, dass von den neunhundert Berliner Denkmälern, die die Historikerin Kirsten Otto ermittelt hat, rund ein Drittel verschwunden ist. Die Ursachen dieses Verschwindens, die sie anhand einer Fülle von Quellen analysiert, sind allerdings mitunter überraschend.
Entgegen weitverbreiteter Vorstellung spielten vom Volkszorn getragene Attacken auf Denkmäler nur eine marginale Rolle. Nach dem Ersten Weltkrieg fielen zwar Schüsse auf das Reiterstandbild Friedrichs II., die Siegessäule wurde mehrmals zum Ziel von Bombenanschlägen, und nach 1989 traf die Zerstörungswut einige Statuen aus der DDR-Zeit. Dass die Bevölkerung aus politischer Motivation selbst Hand an die Denkmäler anlegte, blieb gleichwohl eine Ausnahme. Als Hauptgrund für die Zurückhaltung führt Otto an, dass die Menschen gerade in den revolutionären Umbruchsphasen ganz andere Sorgen hatten als störende Denkmäler.
Die meisten Denkmäler wurden denn auch durch Verwaltungsakte beseitigt. Die Weimarer Republik tat sich allerdings auch damit schwer, da die Zerstrittenheit in der Erinnerungspolitik die Entscheidungsprozesse blockierte. Ganz anders die Nationalsozialisten, die Erinnerungszeichen, die nicht zur NS-Ideologie passten, rigoros abräumten. Mies van der Rohes Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde verschwand ebenso wie ein Brunnen zur Erinnerung an Walther Rathenau im Wedding oder Büsten von Medizinern jüdischer Abstammung in der Charité.
Nach 1945 zeigten sich die Alliierten entschlossen, mit allen Denkmälern des Nationalsozialismus auch die Relikte des preußischen Militarismus zu beseitigen. Diesem Vorsatz entsprach der Sturz der Invalidensäule, die den Armeeeinsatz gegen die Revolution von 1848/49 glorifizierte. Meist folgten aber den Ankündigungen keine Taten, so dass ein Großteil der unliebsamen Monumente zunächst erhalten blieb.
Erst in der frühen DDR verschwanden die meisten Statuen der Hohenzollern aus dem Ost-Berliner Stadtraum. Einige preußische Helden kehrten allerdings später im Zuge der Preußen-Renaissance in der DDR auf ihre Sockel zurück. In West-Berlin hatten die Denkmäler der Monarchie bessere Erhaltungschancen - schon deswegen, weil man sich dort von der "Kulturbarbarei" im Osten abgrenzen wollte. Ein Großteil von ihnen wurde aber als Gerümpel ohne jeden Kunstwert angesehen. Das galt besonders für die Statuen der "Siegesallee", einer von Wilhelm II. gestifteten monumentalen Ahnenreihe im Tiergarten, die 1954 am Schloss Bellevue vergraben wurden.
Nach dem Untergang der DDR schienen die Tage der kommunistischen Heldendenkmäler gezählt. Von heftigen Debatten begleitet, wurde 1991 die kolossale Lenin-Statue in Friedrichshain demontiert. Von einem Denkmalsturm kann aber, wie Otto deutlich macht, auch in dieser Umbruchszeit nicht die Rede sein. Die große Mehrheit der DDR-Monumente, einschließlich der Skulpturen von Marx, Engels und Thälmann, blieb erhalten - was einer pluralistischen Erinnerungskultur gut ansteht.
Heute ist diese Kultur durch einen Fundamentalismus im Namen politischer Korrektheit gefährdet, der nur das im öffentlichen Raum dulden will, was der eigenen Weltsicht entspricht. Das Buch greift diese aktuelle Entwicklung nicht auf, es zeigt aber, dass die historischen Vorbilder der neuen Intoleranz in den Diktaturen zu suchen sind. Dementsprechend waren die NS-Zeit und die DDR für die Berliner Denkmallandschaft besonders zerstörerisch.
Die meisten Denkmäler fielen jedoch gar nicht politischer Aversion, sondern wirtschaftlicher Not zum Opfer. Das betrifft vor allem Bronzedenkmäler, weil sich das Metall verwerten ließ. Nach 1918 waren Bronzeteile von Denkmälern ein begehrtes Diebesgut, und im Zweiten Weltkrieg wurden sie massenweise für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen, darunter auch Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus wie das abscheuliche, offen antisemitische Denkmal für den Rassenideologen Theodor Fritsch. Bald nach dem Krieg wurde mit der Riesenstatue der Berolina vom Alexanderplatz ein Wahrzeichen Berlins zwecks Kupfergewinnung eingeschmolzen, und abermals stürzten sich auch Metalldiebe auf die Denkmäler.
Otto erzählt die tragikomische Geschichte des gestohlenen Standbilds von Gaspard de Coligny, einem Vorfahren Wilhelms II., aus dessen Bronze gefälschte Goldringe hergestellt wurden, nach denen großer Nachfrage bestand, da viele Berliner ihre Eheringe gegen Lebensmittel getauscht hatten. Andere Metallarbeiten wurden verschrottet und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion oder auch in die Tschechoslowakei abgeführt. Auch für die frühe DDR war das Denkmalerbe ein wichtiges Rohstoffreservoir. So erbrachte allein das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Berliner Schloss fast neunzig Tonnen Metall.
Nicht alle verschwundenen Denkmäler Berlins sind aber unwiederbringlich zerstört. Viele wurden durch Einlagerung oder Vergrabung aus dem Stadtraum verbannt. Die wiederaufgetauchten Monumente sind seit 2016 in der Spandauer Zitadelle zu sehen. Diese bemerkenswerte Dauerausstellung hätte in dem Buch eine ausführliche Besprechung als Epilog verdient. Dafür wären manche redundanten Abschnitte zum kollektiven Gedächtnis und zur Erinnerungskultur im Allgemeinen verzichtbar. Was Kirsten Otto über die Geschichte der Berliner Denkmäler zusammengetragen hat, ist allerdings trotz einiger Längen des Buches beeindruckend.
ARNOLD BARTETZKY
Kirsten Otto: "Berlins verschwundene Denkmäler". Eine Verlustanalyse von 1918 bis heute.
Lukas Verlag, Berlin 2020. 448 S., Abb., geb., 36,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erinnerungpolitik als Rohstoffversorgung: Kirsten Ottos Geschichte des Verschwindens der Berliner Denkmäler hat manche überraschende Einsichten zu bieten.
Nach den Denkmalsturzaktionen der Black-Lives-Matter-Bewegung häufen sich auch in Deutschland Forderungen nach der Beseitigung von Monumenten, die ihren Kritikern ein Dorn im Auge sind. Ein guter Zeitpunkt für die Publikation einer Studie, die den Denkmalverlusten in einer historischen Perspektive nachgeht. Zudem ist Berlin wie kaum ein anderer Ort der Welt dafür geeignet. Vier Systemwechsel erlebte die Stadt im vorigen Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es zudem von vier Besatzungsmächten regiert, die ihre eigene Denkmalpolitik verfolgten, und mit der deutschen Teilung wurde sie auch symbolpolitisch zum Brennpunkt der Konfrontation zwischen Ost und West. Angesichts der vielen Umbrüche und Konflikte verwundert es nicht, dass von den neunhundert Berliner Denkmälern, die die Historikerin Kirsten Otto ermittelt hat, rund ein Drittel verschwunden ist. Die Ursachen dieses Verschwindens, die sie anhand einer Fülle von Quellen analysiert, sind allerdings mitunter überraschend.
Entgegen weitverbreiteter Vorstellung spielten vom Volkszorn getragene Attacken auf Denkmäler nur eine marginale Rolle. Nach dem Ersten Weltkrieg fielen zwar Schüsse auf das Reiterstandbild Friedrichs II., die Siegessäule wurde mehrmals zum Ziel von Bombenanschlägen, und nach 1989 traf die Zerstörungswut einige Statuen aus der DDR-Zeit. Dass die Bevölkerung aus politischer Motivation selbst Hand an die Denkmäler anlegte, blieb gleichwohl eine Ausnahme. Als Hauptgrund für die Zurückhaltung führt Otto an, dass die Menschen gerade in den revolutionären Umbruchsphasen ganz andere Sorgen hatten als störende Denkmäler.
Die meisten Denkmäler wurden denn auch durch Verwaltungsakte beseitigt. Die Weimarer Republik tat sich allerdings auch damit schwer, da die Zerstrittenheit in der Erinnerungspolitik die Entscheidungsprozesse blockierte. Ganz anders die Nationalsozialisten, die Erinnerungszeichen, die nicht zur NS-Ideologie passten, rigoros abräumten. Mies van der Rohes Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde verschwand ebenso wie ein Brunnen zur Erinnerung an Walther Rathenau im Wedding oder Büsten von Medizinern jüdischer Abstammung in der Charité.
Nach 1945 zeigten sich die Alliierten entschlossen, mit allen Denkmälern des Nationalsozialismus auch die Relikte des preußischen Militarismus zu beseitigen. Diesem Vorsatz entsprach der Sturz der Invalidensäule, die den Armeeeinsatz gegen die Revolution von 1848/49 glorifizierte. Meist folgten aber den Ankündigungen keine Taten, so dass ein Großteil der unliebsamen Monumente zunächst erhalten blieb.
Erst in der frühen DDR verschwanden die meisten Statuen der Hohenzollern aus dem Ost-Berliner Stadtraum. Einige preußische Helden kehrten allerdings später im Zuge der Preußen-Renaissance in der DDR auf ihre Sockel zurück. In West-Berlin hatten die Denkmäler der Monarchie bessere Erhaltungschancen - schon deswegen, weil man sich dort von der "Kulturbarbarei" im Osten abgrenzen wollte. Ein Großteil von ihnen wurde aber als Gerümpel ohne jeden Kunstwert angesehen. Das galt besonders für die Statuen der "Siegesallee", einer von Wilhelm II. gestifteten monumentalen Ahnenreihe im Tiergarten, die 1954 am Schloss Bellevue vergraben wurden.
Nach dem Untergang der DDR schienen die Tage der kommunistischen Heldendenkmäler gezählt. Von heftigen Debatten begleitet, wurde 1991 die kolossale Lenin-Statue in Friedrichshain demontiert. Von einem Denkmalsturm kann aber, wie Otto deutlich macht, auch in dieser Umbruchszeit nicht die Rede sein. Die große Mehrheit der DDR-Monumente, einschließlich der Skulpturen von Marx, Engels und Thälmann, blieb erhalten - was einer pluralistischen Erinnerungskultur gut ansteht.
Heute ist diese Kultur durch einen Fundamentalismus im Namen politischer Korrektheit gefährdet, der nur das im öffentlichen Raum dulden will, was der eigenen Weltsicht entspricht. Das Buch greift diese aktuelle Entwicklung nicht auf, es zeigt aber, dass die historischen Vorbilder der neuen Intoleranz in den Diktaturen zu suchen sind. Dementsprechend waren die NS-Zeit und die DDR für die Berliner Denkmallandschaft besonders zerstörerisch.
Die meisten Denkmäler fielen jedoch gar nicht politischer Aversion, sondern wirtschaftlicher Not zum Opfer. Das betrifft vor allem Bronzedenkmäler, weil sich das Metall verwerten ließ. Nach 1918 waren Bronzeteile von Denkmälern ein begehrtes Diebesgut, und im Zweiten Weltkrieg wurden sie massenweise für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen, darunter auch Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus wie das abscheuliche, offen antisemitische Denkmal für den Rassenideologen Theodor Fritsch. Bald nach dem Krieg wurde mit der Riesenstatue der Berolina vom Alexanderplatz ein Wahrzeichen Berlins zwecks Kupfergewinnung eingeschmolzen, und abermals stürzten sich auch Metalldiebe auf die Denkmäler.
Otto erzählt die tragikomische Geschichte des gestohlenen Standbilds von Gaspard de Coligny, einem Vorfahren Wilhelms II., aus dessen Bronze gefälschte Goldringe hergestellt wurden, nach denen großer Nachfrage bestand, da viele Berliner ihre Eheringe gegen Lebensmittel getauscht hatten. Andere Metallarbeiten wurden verschrottet und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion oder auch in die Tschechoslowakei abgeführt. Auch für die frühe DDR war das Denkmalerbe ein wichtiges Rohstoffreservoir. So erbrachte allein das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Berliner Schloss fast neunzig Tonnen Metall.
Nicht alle verschwundenen Denkmäler Berlins sind aber unwiederbringlich zerstört. Viele wurden durch Einlagerung oder Vergrabung aus dem Stadtraum verbannt. Die wiederaufgetauchten Monumente sind seit 2016 in der Spandauer Zitadelle zu sehen. Diese bemerkenswerte Dauerausstellung hätte in dem Buch eine ausführliche Besprechung als Epilog verdient. Dafür wären manche redundanten Abschnitte zum kollektiven Gedächtnis und zur Erinnerungskultur im Allgemeinen verzichtbar. Was Kirsten Otto über die Geschichte der Berliner Denkmäler zusammengetragen hat, ist allerdings trotz einiger Längen des Buches beeindruckend.
ARNOLD BARTETZKY
Kirsten Otto: "Berlins verschwundene Denkmäler". Eine Verlustanalyse von 1918 bis heute.
Lukas Verlag, Berlin 2020. 448 S., Abb., geb., 36,- [Euro].
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