Der weltberühmte Dirigent Bernard Haitink feiert 2019 seinen 90. Geburtstag und wird sich nach seinem Haitinks Abschiedskonzert (6.9.2019 in Luzern) ab September "eine unbefristete Auszeit" gönnen - Anlass genug, die Aufmerksamkeit auf ihn zu richten, der das Rampenlicht nie gesucht hat: Sein Tun war kompromisslos auf die Musik fokussiert.Im Zentrum des Buches stehen Gespräche, die die beiden prominenten Autoren von 2007 bis 2019 mit Bernard Haitink geführt haben. Sie beleuchten das Leben und Schaffen Haitinks gleichermaßen: von den Jugendjahren des gebürtigen Amsterdamers in den von den Deutschen besetzten Niederlanden, seiner Ausbildung zum Geiger bis zur Dirigentenlaufbahn. Vertieft wird dies in thematischen Blöcken zu Haitinks Musizieren, seinen Interpretationsansätzen und seinen pädagogischen Tätigkeiten. Zwei große Essays runden das Buch ab: eine biografische Darstellung der über sechzig Jahre lang dauernden Dirigentenkarriere; und ein Beitrag, der Haitinks Musikauffassung und deren Konkretisierung in Opernaufführungen, Konzerten und zahllosen Aufnahmen schildert. Dabei werden deren Veränderungen über ein sehr langes aktives Leben hinweg erkennbar und im historischen Umfeld verortet.Eine Reihe von exklusiven Fotografien - zum Teil aus dem Privatarchiv des Dirigenten - illustrieren den Band.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2019Das Orchester ist zu umarmen
Ein Gesprächsband mit dem Dirigenten Bernard Haitink
Was mag bei einem Neunzigjährigen die Ankündigung eines "unbefristeten Sabbaticals" bedeuten? Noch ein letztes Mal in seiner Karriere hat Bernard Haitink versucht, der öffentlichen Aufmerksamkeit abseits des Auftritts auf der Konzertbühne zu entgehen. Im Juni gab er in einem Interview mit einer Zeitung seiner niederländischen Heimat zu, dass er die Vagheit seiner Ankündigung gewählt habe aus Unlust "auf all diese offiziellen Abschiedsdinge", stellte in Aussicht, dass er vielleicht doch noch einmal auftreten könnte, um gleich anzufügen, dass er allerdings nicht glaube, wieder dirigieren zu können, wenn er einmal damit aufgehört habe. Das Aufhören scheint Haitink nicht leichtzufallen, nicht nur wegen der drohenden Feierlichkeiten.
Am 6. September wird er noch einmal auftreten mit den Wiener Philharmonikern. Anton Bruckners 7. Sinfonie wird auf dem Programm stehen, das Konzert findet beim Lucerne Festival statt, dem Haitink seit Jahrzehnten eng verbunden ist. Dort hat er nach Claudio Abbados Tod die Rolle eines charismatischen, vom Publikum besonders geliebten Festival-Primus eingenommen. Genauer vielleicht: Er wurde in eine Rolle hineingedrängt, wie es ihm in seiner Karriere offenbar öfters passierte. "Ich hatte niemals die Ambition, irgendwo Chefdirigent zu werden", lautet eines von Haitinks Bekenntnissen, die nachzulesen sind im Gesprächsband, der pünktlich zum Abschied erschienen ist. Darin wird er nicht müde, von seiner "Scheu" zu erzählen, die zu Beginn seiner Laufbahn "furchtbare Ausmaße" angenommen habe, von seiner "Neigung, sich abzuwenden, wenn es schwierig wird", und davon, dass seine Karriere - mit 27 Jahren bereits debütierte er beim Amsterdamer Concertgebouworkest, schon vier Jahre später wurde er gemeinsam mit Eugen Jochum zum Dirigenten des Orchesters ernannt - deutlich zu schnell Fahrt aufnahm und er nicht selten ein Gefühl der Überforderung empfand. Innerhalb weniger Jahre debütierte Haitink damals vor den großen europäischen Orchestern und lernte in kurzer Zeit ein gewaltiges Repertoire.
Über solche Dinge lässt sich im Alter vielleicht leichter sprechen. Dass Haitink, der von sich sagt, er sei "nicht sehr verbal", sich hier so öffnet, dürfte allerdings auch mit den vertrauten Gesprächspartnern zu tun haben: Erich Singer, langjähriger Pressechef und Dramaturg des damals noch "Internationale Musikfestwochen Luzern" genannten Festivals, und Peter Hagmann, ehemals Musikredakteur der "Neuen Züricher Zeitung". Sogar die ein oder andere versteckte Bosheit lässt sich der Dirigent entlocken, wenn er Herbert von Karajans Orchesterklang "vollbusig" nennt, bezweifelt, ob Sir Simon Rattle denn über eine so intensive Erfahrung mit Karajan verfüge, dass er seine Verehrung für ihn auch untermauern könnte, oder wenn er Christian Thielemanns Auftritt beim Wiener Neujahrskonzert bewundert mit den Worten: "Er war sehr gut vorbereitet, hat über alles nachgedacht - selbst darüber, wo er lächelte und wann er die Philharmoniker gewähren ließ." Haitink selbst, so erfahren wir, hat zweimal abgelehnt, das Neujahrskonzert zu dirigieren. Außer ihm soll das nur noch Pierre Boulez gewagt haben.
So interessant es ist, was Haitink über das Dirigieren selbst sagt ("Man muss - das ist Dirigieren - man muss das Orchester umarmen, musikalisch und mental."), an anderen Stellen hätte man gern mehr erfahren: Warum Thomas Manns "Doktor Faustus" mit seinem eigentümlich düsteren Musikverständnis sein Lieblingsbuch ist, weshalb er die Gedichte von Joseph von Eichendorff so liebt, oder wie es für ihn ist, ein Stück zu dirigieren, das er "überhaupt nicht ausstehen" kann. Gustav Mahlers "Sinfonie der Tausend" nämlich, die Haitink trotz Antipathie einspielte.
Stattdessen fragen die beiden Autoren, die eine erkennbar bewundernde Haltung einnehmen, ausführlich nach den Erlebnissen des Dirigenten in Luzern (der Band wurde vom Lucerne Festival finanziell unterstüzt) und nach seinen Erfahrungen mit dem Tonhalleorchester Zürich (auch die Stiftung einer großen Schweizer Bank gab Geld). Dass beide Autoren die Gesprächsaussagen Haitinks noch einmal wiederkäuen, Erich Singer in einem biographischen Überblick im Stil einer Künstlerbiographie des neunzehnten Jahrhunderts, Peter Hagmann in einem unterwürfigen Essay zu Haitinks zweifellos interessanter Aufführungsästhetik, gehört zu den Redundanzen dieses Buches. Sie stehen in seltsamem Gegensatz zur Wortkargheit des Gewürdigten, der von sich behauptet, er sei niemals ein Intellektueller gewesen. Vielleicht ja nur aus Scheu vor dem Begriff.
CLEMENS HAUSTEIN
Peter Hagmann und Erich Singer: "Bernard Haitink". ,Dirigieren ist ein Rätsel' -
Gespräche und Essays.
Bärenreiter/Henschel Verlag, Kassel 2019. 183 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Gesprächsband mit dem Dirigenten Bernard Haitink
Was mag bei einem Neunzigjährigen die Ankündigung eines "unbefristeten Sabbaticals" bedeuten? Noch ein letztes Mal in seiner Karriere hat Bernard Haitink versucht, der öffentlichen Aufmerksamkeit abseits des Auftritts auf der Konzertbühne zu entgehen. Im Juni gab er in einem Interview mit einer Zeitung seiner niederländischen Heimat zu, dass er die Vagheit seiner Ankündigung gewählt habe aus Unlust "auf all diese offiziellen Abschiedsdinge", stellte in Aussicht, dass er vielleicht doch noch einmal auftreten könnte, um gleich anzufügen, dass er allerdings nicht glaube, wieder dirigieren zu können, wenn er einmal damit aufgehört habe. Das Aufhören scheint Haitink nicht leichtzufallen, nicht nur wegen der drohenden Feierlichkeiten.
Am 6. September wird er noch einmal auftreten mit den Wiener Philharmonikern. Anton Bruckners 7. Sinfonie wird auf dem Programm stehen, das Konzert findet beim Lucerne Festival statt, dem Haitink seit Jahrzehnten eng verbunden ist. Dort hat er nach Claudio Abbados Tod die Rolle eines charismatischen, vom Publikum besonders geliebten Festival-Primus eingenommen. Genauer vielleicht: Er wurde in eine Rolle hineingedrängt, wie es ihm in seiner Karriere offenbar öfters passierte. "Ich hatte niemals die Ambition, irgendwo Chefdirigent zu werden", lautet eines von Haitinks Bekenntnissen, die nachzulesen sind im Gesprächsband, der pünktlich zum Abschied erschienen ist. Darin wird er nicht müde, von seiner "Scheu" zu erzählen, die zu Beginn seiner Laufbahn "furchtbare Ausmaße" angenommen habe, von seiner "Neigung, sich abzuwenden, wenn es schwierig wird", und davon, dass seine Karriere - mit 27 Jahren bereits debütierte er beim Amsterdamer Concertgebouworkest, schon vier Jahre später wurde er gemeinsam mit Eugen Jochum zum Dirigenten des Orchesters ernannt - deutlich zu schnell Fahrt aufnahm und er nicht selten ein Gefühl der Überforderung empfand. Innerhalb weniger Jahre debütierte Haitink damals vor den großen europäischen Orchestern und lernte in kurzer Zeit ein gewaltiges Repertoire.
Über solche Dinge lässt sich im Alter vielleicht leichter sprechen. Dass Haitink, der von sich sagt, er sei "nicht sehr verbal", sich hier so öffnet, dürfte allerdings auch mit den vertrauten Gesprächspartnern zu tun haben: Erich Singer, langjähriger Pressechef und Dramaturg des damals noch "Internationale Musikfestwochen Luzern" genannten Festivals, und Peter Hagmann, ehemals Musikredakteur der "Neuen Züricher Zeitung". Sogar die ein oder andere versteckte Bosheit lässt sich der Dirigent entlocken, wenn er Herbert von Karajans Orchesterklang "vollbusig" nennt, bezweifelt, ob Sir Simon Rattle denn über eine so intensive Erfahrung mit Karajan verfüge, dass er seine Verehrung für ihn auch untermauern könnte, oder wenn er Christian Thielemanns Auftritt beim Wiener Neujahrskonzert bewundert mit den Worten: "Er war sehr gut vorbereitet, hat über alles nachgedacht - selbst darüber, wo er lächelte und wann er die Philharmoniker gewähren ließ." Haitink selbst, so erfahren wir, hat zweimal abgelehnt, das Neujahrskonzert zu dirigieren. Außer ihm soll das nur noch Pierre Boulez gewagt haben.
So interessant es ist, was Haitink über das Dirigieren selbst sagt ("Man muss - das ist Dirigieren - man muss das Orchester umarmen, musikalisch und mental."), an anderen Stellen hätte man gern mehr erfahren: Warum Thomas Manns "Doktor Faustus" mit seinem eigentümlich düsteren Musikverständnis sein Lieblingsbuch ist, weshalb er die Gedichte von Joseph von Eichendorff so liebt, oder wie es für ihn ist, ein Stück zu dirigieren, das er "überhaupt nicht ausstehen" kann. Gustav Mahlers "Sinfonie der Tausend" nämlich, die Haitink trotz Antipathie einspielte.
Stattdessen fragen die beiden Autoren, die eine erkennbar bewundernde Haltung einnehmen, ausführlich nach den Erlebnissen des Dirigenten in Luzern (der Band wurde vom Lucerne Festival finanziell unterstüzt) und nach seinen Erfahrungen mit dem Tonhalleorchester Zürich (auch die Stiftung einer großen Schweizer Bank gab Geld). Dass beide Autoren die Gesprächsaussagen Haitinks noch einmal wiederkäuen, Erich Singer in einem biographischen Überblick im Stil einer Künstlerbiographie des neunzehnten Jahrhunderts, Peter Hagmann in einem unterwürfigen Essay zu Haitinks zweifellos interessanter Aufführungsästhetik, gehört zu den Redundanzen dieses Buches. Sie stehen in seltsamem Gegensatz zur Wortkargheit des Gewürdigten, der von sich behauptet, er sei niemals ein Intellektueller gewesen. Vielleicht ja nur aus Scheu vor dem Begriff.
CLEMENS HAUSTEIN
Peter Hagmann und Erich Singer: "Bernard Haitink". ,Dirigieren ist ein Rätsel' -
Gespräche und Essays.
Bärenreiter/Henschel Verlag, Kassel 2019. 183 S., geb., 24,95 [Euro].
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