Sie war nicht nur die prominenteste politische Journalistin ihrer Zeit und Begründerin der Friedensgesellschaft, sie kämpfte Zeit ihres Lebens leidenschaftlich gegen überholte Konventionen, gegen die Unterdrückung der Frauen und gegen den Antisemitismus. Ihr Bestseller Die Waffen nieder (1889) verschaffte ihr Weltruhm, und ihrer Initiative verdanken wir die Stiftung des Friedensnobelpreises, den sie 1905 als erste weibliche Preisträgerin verliehen bekam. Brigitte Hamann fügt in dieser bebilderten Biografie ein facettenreiches Bild Bertha von Suttners zusammen: ihre Jugend in Prag und Wien, die Spielleidenschaft der Mutter, ihre romantische Liebe zu ihrem deutlich jüngeren Mann Arthur, die abenteuerliche gemeinsame Flucht in den Kaukasus, die Jahre der Entbehrung und ihre Emanzipation zu einer anerkannten Journalistin und Schriftstellerin, schließlich ihr Engagement für die internationale Friedensbewegung. Vor dem Hintergrund der politischen und sozialgeschichtlichen Ereignisse entsteht so ein lebendiges, differenziertes Panorama der untergehenden Donaumonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs jährt sich auch das Todesjahr Bertha von Suttners zum einhundertsten Mal, erinnert Christiane Liermann, und pünktlich wird noch einmal Brigitte Hamanns Suttner-Biografie aufgelegt. Das Zusammenfallen dieser Jubiläen ist umso erschütternder, als Bertha von Suttner sich ihr ganzes Leben lang gegen den Krieg engagierte, so die Rezensentin. In ihren Werken predigte die Schriftstellerin "Antiklerikalismus, Freigeist, Weltbürgertum, Frauenemanzipation und Völkerversöhnung" und hoffte auf den internationalen Pazifismus, der dem Kriegswillen ihrer Zeit entgegentreten sollte, fasst die Rezensentin zusammen. Suttner war überzeugt, dass Kriege nicht einfach passieren, sondern "gewollt und herbeigeführt werden - oder eben nicht", erklärt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2014Wo waren die Schlafwandler?
Die Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner und die Friedensbewegung vor 1914
Die Flut der Publikationen zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs wird durch die Lebensbeschreibung der Bertha von Suttner bereichert, eine der berühmtesten Stimmen für den Frieden in kriegswilliger Zeit. Irritierend ist zunächst, dass der Leser nicht darüber informiert wird, ob und inwieweit sich das Buch von Brigitte Hamann von ihrer bereits vor gut fünfundzwanzig Jahren veröffentlichten Suttner-Biographie unterscheidet. Jedenfalls liegt die Arbeit nun wieder vor, pünktlich zur hundertsten Wiederkehr von Bertha von Suttners Todesjahr 1914. Das gibt Gelegenheit, ein Leben zu betrachten, das in vielfacher Hinsicht spektakulär war und dessen Bühne irgendwo zwischen dem "Radetzkymarsch" und der "Welt von Gestern" lag.
Bertha von Suttner wurde als Comtesse Kinsky 1843 in Prag geboren. Doch die bürgerliche Herkunft der Mutter, die die Oper und das Glücksspiel liebte, bescherte dem Mädchen das Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören. Sie heiratete spät und nach damaligen Standards unkonventionell. Unstandesgemäß und abenteuerlich schlug sie sich eine Zeitlang in Georgien durch. Mit Erzählungen für die "Gartenlaube" begann ihre schriftstellerische Tätigkeit. Rasch gewann sie einen größeren Leserkreis. Sie huldigte der Religion des Fortschritts und deren Heroen Darwin und Spencer.
Nach der Rückkehr in die Heimat Mitte der 1880er Jahre stieg sie zu einer Intellektuellen von internationalem Rang auf, die gegen die "feudal-frommen" Milieus anschrieb und Antiklerikalismus, Freigeist, Weltbürgertum, Frauenemanzipation und Völkerversöhnung predigte. Dabei erwies sie sich als eine großartige stilistische Begabung, die ihre idealistischen Botschaften drastisch, witzig und pointiert vortrug. Ein fulminanter Welterfolg wurde ihr Roman "Die Waffen nieder!" (1889), der als fiktive Autobiographie einer aristokratischen Soldatenwitwe angelegt war und leidenschaftlich mit aller Kriegsverherrlichung und Militärromantik abrechnete. Einen "Tendenzroman" nannte Klaus Mann das Werk später boshaft, "primitiv gemacht, aber schlagend wirksam". Überhaupt zeigte sich der Zeitgeist tief gespalten: Während Leo Tolstoi schrieb, er wünsche, das Buch möge denselben aufrüttelnden Effekt im Kampf gegen den Krieg haben wie "Onkel Tom's Hütte" im Kampf gegen die Sklaverei, beschuldigten andere die Autorin des Defätismus, attackierten sie unflätig und versuchten, die "dicke Bertha" oder "Friedensbertha" als Frau in einer männerdominierten, militärverliebten Öffentlichkeit lächerlich zu machen.
Brigitte Hamanns Bild stützt sich auf Bertha von Suttners Tagebücher, Memoiren, literarische und friedenspolitische Schriften und umfangreiche Korrespondenz. Abbildungen zeigen die elegante Baronin, Schauplätze ihres Wirkens, aber auch höhnische Karikaturen. So ist ein gut zu lesendes Porträt entstanden, das Intimität mit Weltpolitik zu verschränken weiß. Es bietet Einblicke in die privaten Lebensverhältnisse einer fortschrittsbegeisterten und von ihrer Friedensberufung durchdrungenen Frau und stellt zugleich deren Mission in eine Ära hinein, die ebenso gründerzeitlich-saturiert wie standesdünkelhaft, nervös und aggressiv war.
Mit ihrem organisatorischen und ideellen Engagement für die internationale Friedensbewegung hat Bertha von Suttner Geschichte geschrieben. Dazu gehört auch ihre Freundschaft mit Alfred Nobel, dem melancholischen Erfinder und Hersteller jenes Sprengstoffs, der ahnen ließ, dass alle kommenden Kriege Vernichtungsschlachten unbekannten Ausmaßes sein würden. Dass Kriege angesichts der Zerstörungskraft der neuartigen Waffentechnik unrentabel und sowieso nicht mehr zu gewinnen seien, dass also durch Abschreckung Kriege verhindert werden könnten, war ein Leitgedanke des Pazifismus, dem Nobel nahestand und für den er testamentarisch den hochdotierten, nach ihm selbst benannten Friedenspreis stiftete. Bertha von Suttner hat ihn im Jahr 1905 erhalten. "Der Pazifismus als Idee durchflutet jetzt die Welt", behauptete sie damals euphorisch, als sie wieder einmal glaubte, einen potenten Sponsor aus dem europäischen Geburts- und Geldadel für die Sache des Friedens gewonnen zu haben. Entsetzt musste sie jedoch in den darauffolgenden Jahren mit ansehen, dass "der Prohaska" und "der Lehmann" - wie sie Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm II. in ihren privaten Aufzeichnungen nannte - immer stärker wurden, ebenso wie die anderen Mächtigen in Europa, die einen Krieg für machbar, ja sinnvoll hielten.
"Wie soll so viel gesätes Unkraut nicht aufsprießen, so viel aufgehäuftes Pulver nicht explodieren. Trägheit, Gleichgültigkeit, dumpfes Geschehenlassen sind die Komplizen des Eifers, den die Bösen und Dummen entfalten", schrieb sie im April 1913. Ihre Zeitdiagnosen bilden eine wertvolle Quelle für die niemals abgeschlossene Suche nach den Gründen für den großen Krieg. Metaphorische Deutungen, die Europäer seien in den Krieg "hineingeschliddert" oder hätten ihn wie "Schlafwandler" in Kauf genommen, finden bei ihr allerdings wenig Unterstützung. Denn sie war sowohl prinzipiell-programmatisch als auch im konkreten Kontext der europäischen Krisen vor 1914 zutiefst davon überzeugt, dass Kriege gewollt und herbeigeführt werden - oder eben nicht.
Der ganze Elan ihres Lebens hatte dem Ziel gegolten, im politischen Bewusstsein wie in der Praxis, bei den Eliten wie beim Volk das Leitmotiv zu verankern, Krieg sei nicht bloß nicht wünschenswert, sondern als etwas zu betrachten, das die Menschheit hinter sich lassen musste, weil Kriegführen einfach keine Handlungsoption mehr darstellte - so wie Sklavenhaltung irgendwann keine Option für eine zivile Gesellschaftsordnung mehr gewesen war. Das zeitliche Zusammentreffen ihres Todes mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs kann man auch nach einhundert Jahren nicht ohne eine gewisse Erschütterung zur Kenntnis nehmen.
CHRISTIANE LIERMANN
Brigitte Hamann: Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2013. 320 S., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner und die Friedensbewegung vor 1914
Die Flut der Publikationen zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs wird durch die Lebensbeschreibung der Bertha von Suttner bereichert, eine der berühmtesten Stimmen für den Frieden in kriegswilliger Zeit. Irritierend ist zunächst, dass der Leser nicht darüber informiert wird, ob und inwieweit sich das Buch von Brigitte Hamann von ihrer bereits vor gut fünfundzwanzig Jahren veröffentlichten Suttner-Biographie unterscheidet. Jedenfalls liegt die Arbeit nun wieder vor, pünktlich zur hundertsten Wiederkehr von Bertha von Suttners Todesjahr 1914. Das gibt Gelegenheit, ein Leben zu betrachten, das in vielfacher Hinsicht spektakulär war und dessen Bühne irgendwo zwischen dem "Radetzkymarsch" und der "Welt von Gestern" lag.
Bertha von Suttner wurde als Comtesse Kinsky 1843 in Prag geboren. Doch die bürgerliche Herkunft der Mutter, die die Oper und das Glücksspiel liebte, bescherte dem Mädchen das Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören. Sie heiratete spät und nach damaligen Standards unkonventionell. Unstandesgemäß und abenteuerlich schlug sie sich eine Zeitlang in Georgien durch. Mit Erzählungen für die "Gartenlaube" begann ihre schriftstellerische Tätigkeit. Rasch gewann sie einen größeren Leserkreis. Sie huldigte der Religion des Fortschritts und deren Heroen Darwin und Spencer.
Nach der Rückkehr in die Heimat Mitte der 1880er Jahre stieg sie zu einer Intellektuellen von internationalem Rang auf, die gegen die "feudal-frommen" Milieus anschrieb und Antiklerikalismus, Freigeist, Weltbürgertum, Frauenemanzipation und Völkerversöhnung predigte. Dabei erwies sie sich als eine großartige stilistische Begabung, die ihre idealistischen Botschaften drastisch, witzig und pointiert vortrug. Ein fulminanter Welterfolg wurde ihr Roman "Die Waffen nieder!" (1889), der als fiktive Autobiographie einer aristokratischen Soldatenwitwe angelegt war und leidenschaftlich mit aller Kriegsverherrlichung und Militärromantik abrechnete. Einen "Tendenzroman" nannte Klaus Mann das Werk später boshaft, "primitiv gemacht, aber schlagend wirksam". Überhaupt zeigte sich der Zeitgeist tief gespalten: Während Leo Tolstoi schrieb, er wünsche, das Buch möge denselben aufrüttelnden Effekt im Kampf gegen den Krieg haben wie "Onkel Tom's Hütte" im Kampf gegen die Sklaverei, beschuldigten andere die Autorin des Defätismus, attackierten sie unflätig und versuchten, die "dicke Bertha" oder "Friedensbertha" als Frau in einer männerdominierten, militärverliebten Öffentlichkeit lächerlich zu machen.
Brigitte Hamanns Bild stützt sich auf Bertha von Suttners Tagebücher, Memoiren, literarische und friedenspolitische Schriften und umfangreiche Korrespondenz. Abbildungen zeigen die elegante Baronin, Schauplätze ihres Wirkens, aber auch höhnische Karikaturen. So ist ein gut zu lesendes Porträt entstanden, das Intimität mit Weltpolitik zu verschränken weiß. Es bietet Einblicke in die privaten Lebensverhältnisse einer fortschrittsbegeisterten und von ihrer Friedensberufung durchdrungenen Frau und stellt zugleich deren Mission in eine Ära hinein, die ebenso gründerzeitlich-saturiert wie standesdünkelhaft, nervös und aggressiv war.
Mit ihrem organisatorischen und ideellen Engagement für die internationale Friedensbewegung hat Bertha von Suttner Geschichte geschrieben. Dazu gehört auch ihre Freundschaft mit Alfred Nobel, dem melancholischen Erfinder und Hersteller jenes Sprengstoffs, der ahnen ließ, dass alle kommenden Kriege Vernichtungsschlachten unbekannten Ausmaßes sein würden. Dass Kriege angesichts der Zerstörungskraft der neuartigen Waffentechnik unrentabel und sowieso nicht mehr zu gewinnen seien, dass also durch Abschreckung Kriege verhindert werden könnten, war ein Leitgedanke des Pazifismus, dem Nobel nahestand und für den er testamentarisch den hochdotierten, nach ihm selbst benannten Friedenspreis stiftete. Bertha von Suttner hat ihn im Jahr 1905 erhalten. "Der Pazifismus als Idee durchflutet jetzt die Welt", behauptete sie damals euphorisch, als sie wieder einmal glaubte, einen potenten Sponsor aus dem europäischen Geburts- und Geldadel für die Sache des Friedens gewonnen zu haben. Entsetzt musste sie jedoch in den darauffolgenden Jahren mit ansehen, dass "der Prohaska" und "der Lehmann" - wie sie Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm II. in ihren privaten Aufzeichnungen nannte - immer stärker wurden, ebenso wie die anderen Mächtigen in Europa, die einen Krieg für machbar, ja sinnvoll hielten.
"Wie soll so viel gesätes Unkraut nicht aufsprießen, so viel aufgehäuftes Pulver nicht explodieren. Trägheit, Gleichgültigkeit, dumpfes Geschehenlassen sind die Komplizen des Eifers, den die Bösen und Dummen entfalten", schrieb sie im April 1913. Ihre Zeitdiagnosen bilden eine wertvolle Quelle für die niemals abgeschlossene Suche nach den Gründen für den großen Krieg. Metaphorische Deutungen, die Europäer seien in den Krieg "hineingeschliddert" oder hätten ihn wie "Schlafwandler" in Kauf genommen, finden bei ihr allerdings wenig Unterstützung. Denn sie war sowohl prinzipiell-programmatisch als auch im konkreten Kontext der europäischen Krisen vor 1914 zutiefst davon überzeugt, dass Kriege gewollt und herbeigeführt werden - oder eben nicht.
Der ganze Elan ihres Lebens hatte dem Ziel gegolten, im politischen Bewusstsein wie in der Praxis, bei den Eliten wie beim Volk das Leitmotiv zu verankern, Krieg sei nicht bloß nicht wünschenswert, sondern als etwas zu betrachten, das die Menschheit hinter sich lassen musste, weil Kriegführen einfach keine Handlungsoption mehr darstellte - so wie Sklavenhaltung irgendwann keine Option für eine zivile Gesellschaftsordnung mehr gewesen war. Das zeitliche Zusammentreffen ihres Todes mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs kann man auch nach einhundert Jahren nicht ohne eine gewisse Erschütterung zur Kenntnis nehmen.
CHRISTIANE LIERMANN
Brigitte Hamann: Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden. Christian Brandstätter Verlag, Wien 2013. 320 S., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Eine Biographie, wie frau sie sich wünscht: lebendig, mit vielen Zitaten, engagiert, aber mit kritischer Distanz. Noch heute hätte das kriegsfreudige Feuilleton seine Freude an der 'Friedensbertha'.« Emma