This first English language biography of Bertolt Brecht (1898-1956) in two decades paints a strikingly new picture of one of the twentieth century's most controversial cultural icons. First published in 2014 and now available in paperback, it was critically lauded and declared the definitive life of this great artist and writer.
Drawing on letters, diaries and unpublished material, including Brecht's medical records, Parker offers a rich and enthralling account of Brecht's life and work, viewed through the prism of the artist. Tracing his extraordinary life, from his formative years in Augsburg, through the First World War, his politicisation during the Weimar Republic and his years of exile, up to the Berliner Ensemble's dazzling productions in Paris and London, Parker shows how Brecht achieved his transformative effect upon world theatre and poetry.
Bertolt Brecht: A Literary Life is a powerful portrait of a great, compulsively contradictory personality, whose artistry left its lasting imprint on modern culture.
Drawing on letters, diaries and unpublished material, including Brecht's medical records, Parker offers a rich and enthralling account of Brecht's life and work, viewed through the prism of the artist. Tracing his extraordinary life, from his formative years in Augsburg, through the First World War, his politicisation during the Weimar Republic and his years of exile, up to the Berliner Ensemble's dazzling productions in Paris and London, Parker shows how Brecht achieved his transformative effect upon world theatre and poetry.
Bertolt Brecht: A Literary Life is a powerful portrait of a great, compulsively contradictory personality, whose artistry left its lasting imprint on modern culture.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2019Chronisch krank und bibelfest
Sympathisch unverrucht: Stephen Parker geht Bertolt Brechts Lebensspuren nach
"Dies ist keine offizielle Biographie", gibt Stephen Parker seinem Leser mit auf den Weg. Der jedoch stellt nach spätestens eintausend Seiten Lektüre fest, dass die vermeintliche Einschränkung reine Formsache ist. "Bertolt Brecht", 2014 bei Bloomsbury mit dem Untertitel "A Literary Life" und zum 120. Geburtstag im Brecht-Verlag Suhrkamp als "Eine Biographie" erschienen, ist ohne Zweifel die bisher umfassendste und vollständigste, der Verlag nennt sie gar kühn "die endgültige Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk". Dieser Anspruch liest sich aus dem Fleiß, mit dem der englische Germanistik-Professor seine Quellen ausgewertet und verarbeitet hat. Obgleich zu einer "Darstellung" - zumal im Kontext eines wegweisend starken Dramatikers und Selbstdarstellers - sicherlich mehr notwendig ist als ein geschriebenes Leben. Hier kann nach wie vor die 1988 von Werner Hecht herausgegebene Insel-Monographie in Bild- und Textdokumenten visuell ergänzen.
Das einzige Foto in Parkers Buch befindet sich auf dem Titel und zeigt einen jüngeren Brecht nachdenklich, aber kommunikativ und ohne Brille, Lederjacke oder Zigarre. Diese nahbarere Variante des Originalcovers war eine gute Entscheidung, denn das Bild zeigt ihn sympathisch unverrucht und un(selbst)stilisiert. Das entspricht auch Parkers Zugang zu Brechts Biographie - zumindest was einige wichtige, vieldiskutierte Stichworte wie Religion oder Kommunismus betrifft. So werden die entscheidenden roten Fäden, an denen entlang die Biographie Brechts Lebensweg bis 1956 nachvollzieht, bereits bei dessen Geburt 1898 geknüpft.
Um hier nur das gewichtigste und komplexeste Motiv zu nennen: die lebenslange Krankheit. Das Wissen um sie gewähre "eine bessere Einsicht in die erratische Kraft der blendenden, chamäleonartigen Persönlichkeit des jungen Brecht, in seine außerordentliche, intensive Kreativität ebenso wie in seine finsteren, selbstzerstörerischen Neigungen", schreibt Parker. Und findet einen Zusammenhang zwischen Brechts Sensibilität und Melancholie, seiner neurologisch bedingten Nervosität, der chronischen Herzinsuffizienz und dem Nierenleiden auf der einen Seite sowie seiner Faszination für die Passion Christi auf der anderen Seite, der Sympathie für die Maler Bosch und Brueghel ("ein makabrer Sinn für die nackte physische Realität des Todes"), der Widersprüchlichkeit seiner Launen und Provokation durch Gegenpositionen, ja: sogar der Überheblichkeiten und Ausschweifungen als "Macho-Mann". Seine Persönlichkeit zeichne aus, "dass er von seinen Beschwerden, Depressionen, Todesahnungen dazu angetrieben wurde, das Leben voll auszukosten und den Moment einzufangen".
Dazu passt, dass der Bühnenbildner Caspar Neher, seit früher Schulzeit mit Brecht befreundet, später das Bild des "Wasser-Feuer-Mannes" formte. Brecht selbst bezeichnete sich bekanntlich als "melancholerisch", und all dies schlug sich natürlich nicht nur in seinen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, sondern auch in Lyrik, Prosa und Dramatik nieder. Selbst den Brechtschen Verfremdungseffekt ordnet Parker dem lebenslänglichen Krankheitsbild unter und erklärt überraschend, aber plausibel Theatertheorie in Physiotherapie.
Obendrein sei der geniale Außenseiter, charismatische Bestimmer, besessene Arbeiter und obsessiv Unabhängige schon als Kind Stratege gewesen und als solcher ein hochentzündlicher Wirkstoff. Bezähmt wird der lebensbedrohliche Sturm der "Gefühlsverwirrung" nur durch "enorme lyrische Sensibilität": Literatur wirkt gleichermaßen als Ventil wie Heilung. Die poetischen Rhythmen "verwandelten tiefe Furcht und Instabilität in einen dynamisch rhythmischen Fluss, verwandelten Chaos in Ordnung und Schwäche in Stärke".
Wer sich vornimmt, diese Brecht-Biographie als Nachschlagewerk zu nutzen, wird wenig Erfolg haben. Zwar lässt sich in der ansprechenden Chronologie durchaus gezielt nach bestimmten Lebensphasen, Ereignissen, Schlagworten suchen. Doch ist das Angebot Parkers, Zeitgeschichte als Lebensgeschichte zu lesen, menschliche Schwäche als künstlerische Stärke zu erfahren und Weg wie Werk im Zusammenhang zu begreifen, viel zu reizvoll, um es abzulehnen. Ob es um Brechts Bibelfestigkeit geht, seinen inszenatorischen Kontrollzwang oder seine politischen Sympathien - stets lässt der Autor seinen Leser das solide Fundament, auf dem seine Interpretationen gebaut sind, nachvollziehen. Das macht Parkers Lust am Hinterfragen im Brechtschen Sinne so ansteckend.
TERESA GRENZMANN
Stephen Parker: "Bertolt Brecht". Eine Biographie.
Aus dem Englischen von Ulrich Fries und Irmgard Müller. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
1030 S., geb., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sympathisch unverrucht: Stephen Parker geht Bertolt Brechts Lebensspuren nach
"Dies ist keine offizielle Biographie", gibt Stephen Parker seinem Leser mit auf den Weg. Der jedoch stellt nach spätestens eintausend Seiten Lektüre fest, dass die vermeintliche Einschränkung reine Formsache ist. "Bertolt Brecht", 2014 bei Bloomsbury mit dem Untertitel "A Literary Life" und zum 120. Geburtstag im Brecht-Verlag Suhrkamp als "Eine Biographie" erschienen, ist ohne Zweifel die bisher umfassendste und vollständigste, der Verlag nennt sie gar kühn "die endgültige Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk". Dieser Anspruch liest sich aus dem Fleiß, mit dem der englische Germanistik-Professor seine Quellen ausgewertet und verarbeitet hat. Obgleich zu einer "Darstellung" - zumal im Kontext eines wegweisend starken Dramatikers und Selbstdarstellers - sicherlich mehr notwendig ist als ein geschriebenes Leben. Hier kann nach wie vor die 1988 von Werner Hecht herausgegebene Insel-Monographie in Bild- und Textdokumenten visuell ergänzen.
Das einzige Foto in Parkers Buch befindet sich auf dem Titel und zeigt einen jüngeren Brecht nachdenklich, aber kommunikativ und ohne Brille, Lederjacke oder Zigarre. Diese nahbarere Variante des Originalcovers war eine gute Entscheidung, denn das Bild zeigt ihn sympathisch unverrucht und un(selbst)stilisiert. Das entspricht auch Parkers Zugang zu Brechts Biographie - zumindest was einige wichtige, vieldiskutierte Stichworte wie Religion oder Kommunismus betrifft. So werden die entscheidenden roten Fäden, an denen entlang die Biographie Brechts Lebensweg bis 1956 nachvollzieht, bereits bei dessen Geburt 1898 geknüpft.
Um hier nur das gewichtigste und komplexeste Motiv zu nennen: die lebenslange Krankheit. Das Wissen um sie gewähre "eine bessere Einsicht in die erratische Kraft der blendenden, chamäleonartigen Persönlichkeit des jungen Brecht, in seine außerordentliche, intensive Kreativität ebenso wie in seine finsteren, selbstzerstörerischen Neigungen", schreibt Parker. Und findet einen Zusammenhang zwischen Brechts Sensibilität und Melancholie, seiner neurologisch bedingten Nervosität, der chronischen Herzinsuffizienz und dem Nierenleiden auf der einen Seite sowie seiner Faszination für die Passion Christi auf der anderen Seite, der Sympathie für die Maler Bosch und Brueghel ("ein makabrer Sinn für die nackte physische Realität des Todes"), der Widersprüchlichkeit seiner Launen und Provokation durch Gegenpositionen, ja: sogar der Überheblichkeiten und Ausschweifungen als "Macho-Mann". Seine Persönlichkeit zeichne aus, "dass er von seinen Beschwerden, Depressionen, Todesahnungen dazu angetrieben wurde, das Leben voll auszukosten und den Moment einzufangen".
Dazu passt, dass der Bühnenbildner Caspar Neher, seit früher Schulzeit mit Brecht befreundet, später das Bild des "Wasser-Feuer-Mannes" formte. Brecht selbst bezeichnete sich bekanntlich als "melancholerisch", und all dies schlug sich natürlich nicht nur in seinen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, sondern auch in Lyrik, Prosa und Dramatik nieder. Selbst den Brechtschen Verfremdungseffekt ordnet Parker dem lebenslänglichen Krankheitsbild unter und erklärt überraschend, aber plausibel Theatertheorie in Physiotherapie.
Obendrein sei der geniale Außenseiter, charismatische Bestimmer, besessene Arbeiter und obsessiv Unabhängige schon als Kind Stratege gewesen und als solcher ein hochentzündlicher Wirkstoff. Bezähmt wird der lebensbedrohliche Sturm der "Gefühlsverwirrung" nur durch "enorme lyrische Sensibilität": Literatur wirkt gleichermaßen als Ventil wie Heilung. Die poetischen Rhythmen "verwandelten tiefe Furcht und Instabilität in einen dynamisch rhythmischen Fluss, verwandelten Chaos in Ordnung und Schwäche in Stärke".
Wer sich vornimmt, diese Brecht-Biographie als Nachschlagewerk zu nutzen, wird wenig Erfolg haben. Zwar lässt sich in der ansprechenden Chronologie durchaus gezielt nach bestimmten Lebensphasen, Ereignissen, Schlagworten suchen. Doch ist das Angebot Parkers, Zeitgeschichte als Lebensgeschichte zu lesen, menschliche Schwäche als künstlerische Stärke zu erfahren und Weg wie Werk im Zusammenhang zu begreifen, viel zu reizvoll, um es abzulehnen. Ob es um Brechts Bibelfestigkeit geht, seinen inszenatorischen Kontrollzwang oder seine politischen Sympathien - stets lässt der Autor seinen Leser das solide Fundament, auf dem seine Interpretationen gebaut sind, nachvollziehen. Das macht Parkers Lust am Hinterfragen im Brechtschen Sinne so ansteckend.
TERESA GRENZMANN
Stephen Parker: "Bertolt Brecht". Eine Biographie.
Aus dem Englischen von Ulrich Fries und Irmgard Müller. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
1030 S., geb., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2019Ein Wassertrinker besingt den Schnaps
Stephen Parkers große Biografie Bertolt Brechts erlaubt neue Blicke auf den schwierigen Klassiker
Wenn der Suhrkamp-Verlag damit wirbt, Stephen Parker lege mit seiner neuen Brecht-Biografie auf gut 1000 Seiten „die endgültige Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk“ vor, kann man kurz misstrauisch werden. Gibt es über den Dichter, der sich in seinem Werk um größtmögliche Klarheit bemühte und in seinen sexuellen wie politischen Wegen und Abwegen hinreichend skandalisiert wurde, wirklich noch Unbekanntes zu sagen? Schon die letzten drei Brecht-Biografien, die ressentimentvergiftete von John Fuegi, bei dem der Dichter zum misogynen Giftzwerg und menschenverachtenden Ideologen schrumpft (1086 Seiten), die vor allem in den Werkanalysen ordentliche von Jan Knopf (560 Seiten) und die deutlich von den Sichtblenden der DDR-Germanistik geprägte von Werner Mittenzwei (1400 Seiten) ließen es nicht an Detailfreude fehlen. Auch das Bedürfnis nach lebensnahen Einblicken und menschelnder Annäherung, nach popkulturellem Starkult und wohligem Schauder wird andernorts großzügig bedient. Zuletzt konnte man dem Dichter im Kino in einem prominent besetzten Musical-Film („Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“) und in Heinrich Breloers neuer Doku-Fiktion begegnen.
Wer es genauer wissen will, ist bei Stephen Parker an der richtigen Adresse. Nicht nur, weil neben seinem glänzend geschriebenen Buch die Werke seiner Konkurrenten ein wenig steif wirken, dürfte es für lange Zeit die gültige Biografie des schwierigen Klassikers bleiben. Parker, Germanistik-Professor an der Universität in Cardiff, hat den Vorteil der britischen Nüchternheit und des räumlichen wie zeitlichen Abstands zu den ideologisch aufgerüsteten Scharmützeln der Brecht-Exegese. Der Dichter ist für ihn weder Hass- noch Verehrungsobjekt, sondern ein Forschungsgegenstand.
Zu den überraschenden Akzenten, die Parker setzt, gehört die detailliert nachgezeichnete Krankheitsgeschichte. Zeit seines Lebens laborierte der schmächtige Brecht an Herz- und Nierenproblemen. Der forcierte Vitalismus, die besonders im Frühwerk gepflegte Kraftmeier-Attitüde in der Pose des wilden Mannes mit Lederjacke und Zigarre im Baal-Stil wirken vor diesem Hintergrund wie Kompensationsmanöver: ein Wassertrinker besingt den Schnaps. Die Beschreibung des jugendlichen Augsburger Punks, der unbekümmert seine Bürgerschreckspiele genießt und offenbar ziemlich unwiderstehlich ausgesuchte Höflichkeit mit unverschämter Frechheit verbindet, lässt etwas von der Faszinationskraft des werdenden Genies ahnen.
Umgekehrt gehören die neusachliche Kühle, etwa im „Lesebuch für Städtebewohner“ und die sehr dezidierte Abwehr des Sentiments im Theater zu den Verhaltenslehren der Kälte, die sich Brecht verordnet. Ihnen folgen auch die ohne größere Rücksichten eingesetzten Distanzierungsmanöver, mit denen er sich die zahlreichen Liebesverhältnisse vom Leib, oder eher: vom Herzen fernhält. Die kokette Warnung, „in mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen“, war oft genug durchaus wörtlich gemeint. Dank Parker kann man diese Techniken des sich Entziehens auch als Versuche lesen, die eigene schwache Konstitution zu schützen. Parker ist ein fairer Autor, deshalb zeichnet er die neben der Ehefrau Helene Weigel wichtigen Frauen in Brechts Leben, etwa die Kommunistin Margarete Steffin, die in Stalins Gulag umgekommene Carola Neher oder die selbstzerstörerische Ruth Berlau als starke, unabhängige Persönlichkeiten – das Gegenteil missbrauchter Opfer.
Die manische literarische Produktion dient immer wieder nicht nur der Selbstverständigung und Selbststilisierung, sondern auch der Stabilisierung eines so haltlosen wie in vieler Hinsicht labilen Künstlers. Nicht sehr originell, aber schlüssig zeigt Parker, dass sich Brechts Annäherung an den Kommunismus auch als Versuch einer Selbstdisziplinierung verstehen lässt.
An Details wird sichtbar, wie politisch naiv Brecht noch zu Beginn der Dreißigerjahre sein konnte. Wenige Monate vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten investiert er sein gesamtes Vermögen in den Kauf eines Landhauses in Bayern – kein Gedanke daran, dass die Emigration notwendig werden könnte. Gegenüber Brechts politischer Radikalisierung (samt der zumindest nach außen loyalen Haltung gegenüber dem Regime Stalins) bleibt Parker nüchtern analytisch. Auch wenn er sich über ideologische Frontbildungen wundert und etwa die für Brecht gefährlichen Intrigen der parteifrommen Apparatschiks im Moskauer Exil in ihrer ganzen Verbohrtheit zeichnet, kommt er ohne die Überheblichkeit des Nachgeborenen aus. Er versucht, Brechts Verhalten aus der Zeit heraus zu erklären. Genau darin eröffnet er immer wieder, etwa bei „Galilei“, aufregende Interpretationen der Werke.
PETER LAUDENBACH
Die Frauen des Dichters treten
hier als starke, selbstbewusste
Persönlichkeiten auf
Stephen Parker: Bertolt Brecht. Eine Biografie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 1030 S., 58 Euro.
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Stephen Parkers große Biografie Bertolt Brechts erlaubt neue Blicke auf den schwierigen Klassiker
Wenn der Suhrkamp-Verlag damit wirbt, Stephen Parker lege mit seiner neuen Brecht-Biografie auf gut 1000 Seiten „die endgültige Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk“ vor, kann man kurz misstrauisch werden. Gibt es über den Dichter, der sich in seinem Werk um größtmögliche Klarheit bemühte und in seinen sexuellen wie politischen Wegen und Abwegen hinreichend skandalisiert wurde, wirklich noch Unbekanntes zu sagen? Schon die letzten drei Brecht-Biografien, die ressentimentvergiftete von John Fuegi, bei dem der Dichter zum misogynen Giftzwerg und menschenverachtenden Ideologen schrumpft (1086 Seiten), die vor allem in den Werkanalysen ordentliche von Jan Knopf (560 Seiten) und die deutlich von den Sichtblenden der DDR-Germanistik geprägte von Werner Mittenzwei (1400 Seiten) ließen es nicht an Detailfreude fehlen. Auch das Bedürfnis nach lebensnahen Einblicken und menschelnder Annäherung, nach popkulturellem Starkult und wohligem Schauder wird andernorts großzügig bedient. Zuletzt konnte man dem Dichter im Kino in einem prominent besetzten Musical-Film („Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“) und in Heinrich Breloers neuer Doku-Fiktion begegnen.
Wer es genauer wissen will, ist bei Stephen Parker an der richtigen Adresse. Nicht nur, weil neben seinem glänzend geschriebenen Buch die Werke seiner Konkurrenten ein wenig steif wirken, dürfte es für lange Zeit die gültige Biografie des schwierigen Klassikers bleiben. Parker, Germanistik-Professor an der Universität in Cardiff, hat den Vorteil der britischen Nüchternheit und des räumlichen wie zeitlichen Abstands zu den ideologisch aufgerüsteten Scharmützeln der Brecht-Exegese. Der Dichter ist für ihn weder Hass- noch Verehrungsobjekt, sondern ein Forschungsgegenstand.
Zu den überraschenden Akzenten, die Parker setzt, gehört die detailliert nachgezeichnete Krankheitsgeschichte. Zeit seines Lebens laborierte der schmächtige Brecht an Herz- und Nierenproblemen. Der forcierte Vitalismus, die besonders im Frühwerk gepflegte Kraftmeier-Attitüde in der Pose des wilden Mannes mit Lederjacke und Zigarre im Baal-Stil wirken vor diesem Hintergrund wie Kompensationsmanöver: ein Wassertrinker besingt den Schnaps. Die Beschreibung des jugendlichen Augsburger Punks, der unbekümmert seine Bürgerschreckspiele genießt und offenbar ziemlich unwiderstehlich ausgesuchte Höflichkeit mit unverschämter Frechheit verbindet, lässt etwas von der Faszinationskraft des werdenden Genies ahnen.
Umgekehrt gehören die neusachliche Kühle, etwa im „Lesebuch für Städtebewohner“ und die sehr dezidierte Abwehr des Sentiments im Theater zu den Verhaltenslehren der Kälte, die sich Brecht verordnet. Ihnen folgen auch die ohne größere Rücksichten eingesetzten Distanzierungsmanöver, mit denen er sich die zahlreichen Liebesverhältnisse vom Leib, oder eher: vom Herzen fernhält. Die kokette Warnung, „in mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen“, war oft genug durchaus wörtlich gemeint. Dank Parker kann man diese Techniken des sich Entziehens auch als Versuche lesen, die eigene schwache Konstitution zu schützen. Parker ist ein fairer Autor, deshalb zeichnet er die neben der Ehefrau Helene Weigel wichtigen Frauen in Brechts Leben, etwa die Kommunistin Margarete Steffin, die in Stalins Gulag umgekommene Carola Neher oder die selbstzerstörerische Ruth Berlau als starke, unabhängige Persönlichkeiten – das Gegenteil missbrauchter Opfer.
Die manische literarische Produktion dient immer wieder nicht nur der Selbstverständigung und Selbststilisierung, sondern auch der Stabilisierung eines so haltlosen wie in vieler Hinsicht labilen Künstlers. Nicht sehr originell, aber schlüssig zeigt Parker, dass sich Brechts Annäherung an den Kommunismus auch als Versuch einer Selbstdisziplinierung verstehen lässt.
An Details wird sichtbar, wie politisch naiv Brecht noch zu Beginn der Dreißigerjahre sein konnte. Wenige Monate vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten investiert er sein gesamtes Vermögen in den Kauf eines Landhauses in Bayern – kein Gedanke daran, dass die Emigration notwendig werden könnte. Gegenüber Brechts politischer Radikalisierung (samt der zumindest nach außen loyalen Haltung gegenüber dem Regime Stalins) bleibt Parker nüchtern analytisch. Auch wenn er sich über ideologische Frontbildungen wundert und etwa die für Brecht gefährlichen Intrigen der parteifrommen Apparatschiks im Moskauer Exil in ihrer ganzen Verbohrtheit zeichnet, kommt er ohne die Überheblichkeit des Nachgeborenen aus. Er versucht, Brechts Verhalten aus der Zeit heraus zu erklären. Genau darin eröffnet er immer wieder, etwa bei „Galilei“, aufregende Interpretationen der Werke.
PETER LAUDENBACH
Die Frauen des Dichters treten
hier als starke, selbstbewusste
Persönlichkeiten auf
Stephen Parker: Bertolt Brecht. Eine Biografie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 1030 S., 58 Euro.
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A magisterial biography of Brecht ... Parker's choice to present new material very much through the prism of the artist is compelling ... Fascinating reading. Rebecca Morrison The Independent 20140215