Die berühmteste österreichische Schriftstellerin des 19. Jhs. wurde lange nur als "Dichterin der Güte" wahrgenommen. Doch sie war viel mehr: Poetische Realistin,Dramatikerin, Aphoristikerin, Fürsprecherin der Emanzipation, Kämpferin gegen den Antisemitismus, Offiziersgattin, Uhrmacherin und "Reitnärrin". In der ersten Biografie seit 1920 verfolgt Daniela Strigl Ebner-Eschenbachs Weg von ihrer Geburt im südmährischen Zdislawitz bis zum späten Ruhm. Zerrissen zwischen adeliger Herkunft und sozialer Gesinnung, Ethos und Ironie, Ehrgeiz und Bescheidenheit, gesellschaftlichen Rücksichten und der Leidenschaft fürs Schreiben, hielt Ebner-Eschenbach gegen den Widerstand ihrer Familie, gegen die Häme der Theaterkritik unbeirrbar an ihrem Ziel fest.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Marie von Ebner-Eschenbach keine "altmodische Frau" gewesen sein kann, wie man ihr nachsagt, weiß Rezensent Karl-Markus Gauß nach der Lektüre von Daniela Strigls Biografie "Berühmt sein ist nichts", die er in den höchsten Tönen lobt. Ganz im Gegenteil sei Ebner-Eschenbach eine sehr moderne Frau gewesen, reflektiert, klug, selbstbewusst und kämpferisch, wenn es um ihre Unabhängigkeit, um soziales Unrecht, die "Frauenfrage" und den Antisemitismus ging. Strigl stütze sich in ihrer Arbeit auf die von ihr, gemeinsam mit Evelyne Polt-Heinzl und Ulrike Tanzer 2015 herausgegebene Leseausgabe, in der sie die kanonischen mit bisher unbekannten Texten ergänzte. In ihrer Biografie untersucht die Autorin die Texte in einem ersten Schritt nach Leitmotiven, unterzieht diese im Anschluss einer feinfühligen Interpretation und bezieht schließlich Leben und Werk der Schriftstllerin auf die historischen Gegebenheiten, erfahren wir von Gauß. Nicht nur lückenlos recherchiert und intelligent konzipiert sei das Ergebnis, sondern auch äußerst spannend und "gänzlich frei von Floskeln", freut sich der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016Wahrheitsfanatikerin im Traumland
Marie von Ebner-Eschenbach musste sich ihre Rolle als Literatin schwer erkämpfen. Eine Biographie zum hundertsten Todestag zeichnet den Weg nach.
Die alte Frau, die den Pathologen in seinem Büro stört und sich nicht abweisen lässt, ist arm. Und sie ist allein - "Mein Mann, Gott sei gelobt! ist tot. Von den Kindern hoff' ich, daß sie's sind", sagt sie, schließlich waren "die Söhne Trunkenbolde, die Töchter nichtsnutzig". In die Pathologie ist sie gekommen, weil sie ihren Enkel unter den Opfern eines Unglücks glaubt, den letzten ihrer Verwandten und den einzigen, wie sie sagt, der etwas taugt. Der junge Pathologe nimmt an ihr "eine stille, schlichte Größe" wahr, er führt sie zu den Toten dieses Tages, unter denen sie tatsächlich den Enkel entdeckt und betrauert. Als sie gehen will, entdeckt sie an der Wand "den guten Rock" des Toten. "Den geben Sie mir mit", sagt sie, "der Junge braucht ihn nicht mehr und ich kann ihn verkaufen." Und der Pathologe, der nun plötzlich geradezu Widerwillen gegen die Greisin verspürt, denkt: "O die Armut, die bittere, häßliche Not!"
Warum Marie von Ebner-Eschenbach, von der die 1875 publizierte Skizze "Die Großmutter" stammt, als "Dichterin des Mitleids" galt, erschließt sich von hier durchaus - nicht allerdings nur in dem Sinne, dass die geborene Gräfin Dubsky ihr Publikum durch die Schilderung harter Schicksale zum Mitgefühl motivieren wollte, sondern eher, dass sie in der Gestalt des Pathologen darstellt, was genau diesen bewegt, während er von den Lebensumständen der Alten erfährt, vom plötzlichen Tod dessen, der ihr nahesteht und in den sie Hoffnung gesetzt hatte, bis schließlich zu dem Moment, in dem sie eine ganz unsentimentale, pragmatische Sicht offenbart. Die Dichterin der Empathie erweist sich hier als kühle Analytikerin eines Gefühls, dessen überwältigende Gewalt sie oft genug dargestellt hatte.
Tatsächlich ist es leicht, den Texten Ebner-Eschenbachs, geboren 1830, gestorben heute vor hundert Jahren, auf den Leim zu gehen, schließlich enthalten sie genug an nicht selten süßlichen Floskeln und auch an stereotyp gezeichneten Figuren, um darüber die Abgründe der Handlung zu übersehen, die so gar nicht zu dieser konventionellen Prosa passen wollen und die angesichts der auffälligen Parallelen mancher Konstellationen zum Leben der Autorin die Frage aufwerfen, wer da eigentlich schreibt, aus welcher Warte und mit welchen Erfahrungen hier mit erkennbar realistischem Anspruch von den sozialen Verhältnissen in der Habsburgermonarchie berichtet wird.
Die Wiener Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl hat der Autorin Marie von Ebner-Eschenbach eine Biographie gewidmet, zusätzlich zur vierbändigen Werkauswahl, die sie im vergangenen Herbst mitherausgegeben hat (F.A.Z. vom 10. Oktober 2015). Marie Gräfin Dubsky, deren Vater im Lauf der Jahre vier jeweils deutlich jüngere Ehefrauen überleben sollte, scheint den schon früh formulierten literarischen Ambitionen seiner Tochter gegenüber äußerst kritisch gewesen zu sein - so wie im Übrigen fast die gesamte Umgebung des Mädchens. Strigl arbeitet dies als durchgehendes Muster innerhalb dieses Lebens heraus. Und selbst ihr fünfzehn Jahre älterer Vetter Moriz von Ebner-Eschenbach, der seine dreisprachig aufgewachsene, französisch schreibende Cousine mit einem an sie gerichteten deutschen Gedicht dazu aufforderte, sich als Autorin der Muttersprache zu bedienen, bot später als ihr Ehemann einiges auf, um sie am Schreiben und vor allem am Publizieren zu hindern. Zugleich aber fehlte es nicht an Zeichen größter Anerkennung von Fremden, von literarischen Instanzen wie Grillparzer, Varnhagen von Ense oder Ferdinand von Saar. Eduard Devrient in Karlsruhe oder Holtei in Wien inszenierten ihre Stücke, und der Erfolg, so scheint es, ließ die Familie trotz des komplizierten Verhältnisses nicht unbeeindruckt.
Schon das junge Mädchen Marie bezeichnet Daniela Strigl mit guten Gründen als "kleine Wahrheitsfanatikerin" - später wird im Roman "Unsühnbar" eine der vielen Heldinnen ihrer Werke, die sich mit der Autorin den Vornamen teilen, lieber die eigene Existenz und die ihres zweiten Sohnes untergraben, als weiter mit einer Lüge zu leben. Daneben aber schildert die Biographin den irritierenden "Zweifel an der Wirklichkeit" der jungen Marie, die an die Stelle derer, die sie in der Realität umgaben, herbeiphantasierte Personen zu setzen suchte. Sie entwarf sogar in Brontë-Manier ein Land, dessen Bewohnern sie Briefe schrieb.
Um die Entwicklung Marie von Ebner-Eschenbachs nachzuzeichnen, zieht Strigl eine Fülle von ausgesprochen erhellenden Dokumenten heran, darunter auch Aufzeichnungen von Personen aus dem Umfeld der Autorin. Sie hält die sehr viel späteren Selbstaussagen der Autorin gegen die zeitgenössischen Dokumente und entlarvt auf diese Weise Stilisierungen, soweit dies überhaupt noch möglich ist. Denn auch die unmittelbaren Zeugnisse dieser Biographie, allen voran der Briefbestand, ist offenbar später von der Autorin penibel durchgesehen und in ihrem Sinne bereinigt worden. Dabei zeigt sich auch ein Zug Ebner-Eschenbachs, die Widerstände gegenüber ihrem Drang zur literarischen Existenz zu betonen und den empfangenen Zuspruch eher herunterzuspielen.
Strigl geht es ersichtlich mehr um das Leben der Autorin als um das Werk. Trotzdem weist sie immer wieder auf die Ambivalenzen gerade in den erzählerischen Arbeiten hin, auf Figuren, die weit weniger eindeutig gezeichnet sind, als es den Anschein hat, und auf Texte, die sich - wie "Die Großmutter" - als überraschend vielschichtig zeigen. Denn worum es der alten Frau tatsächlich geht, um den Enkel oder den neuen Rock, bleibt offen: "Sie bedeckte das Kleid des Enkels mit Küssen, sie sprach zu ihm, sie drückte ihr Gesicht in seine Falten", heißt es am Ende der Skizze. Zugang zu ihrem Schmerz aber findet der junge Pathologe nicht. Und diesen Befund möchte man hellsichtig nennen.
TILMAN SPRECKELSEN
Daniela Strigl: "Berühmt sein ist nichts". Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie.
Residenz Verlag, Wien 2016. 440 S., Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marie von Ebner-Eschenbach musste sich ihre Rolle als Literatin schwer erkämpfen. Eine Biographie zum hundertsten Todestag zeichnet den Weg nach.
Die alte Frau, die den Pathologen in seinem Büro stört und sich nicht abweisen lässt, ist arm. Und sie ist allein - "Mein Mann, Gott sei gelobt! ist tot. Von den Kindern hoff' ich, daß sie's sind", sagt sie, schließlich waren "die Söhne Trunkenbolde, die Töchter nichtsnutzig". In die Pathologie ist sie gekommen, weil sie ihren Enkel unter den Opfern eines Unglücks glaubt, den letzten ihrer Verwandten und den einzigen, wie sie sagt, der etwas taugt. Der junge Pathologe nimmt an ihr "eine stille, schlichte Größe" wahr, er führt sie zu den Toten dieses Tages, unter denen sie tatsächlich den Enkel entdeckt und betrauert. Als sie gehen will, entdeckt sie an der Wand "den guten Rock" des Toten. "Den geben Sie mir mit", sagt sie, "der Junge braucht ihn nicht mehr und ich kann ihn verkaufen." Und der Pathologe, der nun plötzlich geradezu Widerwillen gegen die Greisin verspürt, denkt: "O die Armut, die bittere, häßliche Not!"
Warum Marie von Ebner-Eschenbach, von der die 1875 publizierte Skizze "Die Großmutter" stammt, als "Dichterin des Mitleids" galt, erschließt sich von hier durchaus - nicht allerdings nur in dem Sinne, dass die geborene Gräfin Dubsky ihr Publikum durch die Schilderung harter Schicksale zum Mitgefühl motivieren wollte, sondern eher, dass sie in der Gestalt des Pathologen darstellt, was genau diesen bewegt, während er von den Lebensumständen der Alten erfährt, vom plötzlichen Tod dessen, der ihr nahesteht und in den sie Hoffnung gesetzt hatte, bis schließlich zu dem Moment, in dem sie eine ganz unsentimentale, pragmatische Sicht offenbart. Die Dichterin der Empathie erweist sich hier als kühle Analytikerin eines Gefühls, dessen überwältigende Gewalt sie oft genug dargestellt hatte.
Tatsächlich ist es leicht, den Texten Ebner-Eschenbachs, geboren 1830, gestorben heute vor hundert Jahren, auf den Leim zu gehen, schließlich enthalten sie genug an nicht selten süßlichen Floskeln und auch an stereotyp gezeichneten Figuren, um darüber die Abgründe der Handlung zu übersehen, die so gar nicht zu dieser konventionellen Prosa passen wollen und die angesichts der auffälligen Parallelen mancher Konstellationen zum Leben der Autorin die Frage aufwerfen, wer da eigentlich schreibt, aus welcher Warte und mit welchen Erfahrungen hier mit erkennbar realistischem Anspruch von den sozialen Verhältnissen in der Habsburgermonarchie berichtet wird.
Die Wiener Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl hat der Autorin Marie von Ebner-Eschenbach eine Biographie gewidmet, zusätzlich zur vierbändigen Werkauswahl, die sie im vergangenen Herbst mitherausgegeben hat (F.A.Z. vom 10. Oktober 2015). Marie Gräfin Dubsky, deren Vater im Lauf der Jahre vier jeweils deutlich jüngere Ehefrauen überleben sollte, scheint den schon früh formulierten literarischen Ambitionen seiner Tochter gegenüber äußerst kritisch gewesen zu sein - so wie im Übrigen fast die gesamte Umgebung des Mädchens. Strigl arbeitet dies als durchgehendes Muster innerhalb dieses Lebens heraus. Und selbst ihr fünfzehn Jahre älterer Vetter Moriz von Ebner-Eschenbach, der seine dreisprachig aufgewachsene, französisch schreibende Cousine mit einem an sie gerichteten deutschen Gedicht dazu aufforderte, sich als Autorin der Muttersprache zu bedienen, bot später als ihr Ehemann einiges auf, um sie am Schreiben und vor allem am Publizieren zu hindern. Zugleich aber fehlte es nicht an Zeichen größter Anerkennung von Fremden, von literarischen Instanzen wie Grillparzer, Varnhagen von Ense oder Ferdinand von Saar. Eduard Devrient in Karlsruhe oder Holtei in Wien inszenierten ihre Stücke, und der Erfolg, so scheint es, ließ die Familie trotz des komplizierten Verhältnisses nicht unbeeindruckt.
Schon das junge Mädchen Marie bezeichnet Daniela Strigl mit guten Gründen als "kleine Wahrheitsfanatikerin" - später wird im Roman "Unsühnbar" eine der vielen Heldinnen ihrer Werke, die sich mit der Autorin den Vornamen teilen, lieber die eigene Existenz und die ihres zweiten Sohnes untergraben, als weiter mit einer Lüge zu leben. Daneben aber schildert die Biographin den irritierenden "Zweifel an der Wirklichkeit" der jungen Marie, die an die Stelle derer, die sie in der Realität umgaben, herbeiphantasierte Personen zu setzen suchte. Sie entwarf sogar in Brontë-Manier ein Land, dessen Bewohnern sie Briefe schrieb.
Um die Entwicklung Marie von Ebner-Eschenbachs nachzuzeichnen, zieht Strigl eine Fülle von ausgesprochen erhellenden Dokumenten heran, darunter auch Aufzeichnungen von Personen aus dem Umfeld der Autorin. Sie hält die sehr viel späteren Selbstaussagen der Autorin gegen die zeitgenössischen Dokumente und entlarvt auf diese Weise Stilisierungen, soweit dies überhaupt noch möglich ist. Denn auch die unmittelbaren Zeugnisse dieser Biographie, allen voran der Briefbestand, ist offenbar später von der Autorin penibel durchgesehen und in ihrem Sinne bereinigt worden. Dabei zeigt sich auch ein Zug Ebner-Eschenbachs, die Widerstände gegenüber ihrem Drang zur literarischen Existenz zu betonen und den empfangenen Zuspruch eher herunterzuspielen.
Strigl geht es ersichtlich mehr um das Leben der Autorin als um das Werk. Trotzdem weist sie immer wieder auf die Ambivalenzen gerade in den erzählerischen Arbeiten hin, auf Figuren, die weit weniger eindeutig gezeichnet sind, als es den Anschein hat, und auf Texte, die sich - wie "Die Großmutter" - als überraschend vielschichtig zeigen. Denn worum es der alten Frau tatsächlich geht, um den Enkel oder den neuen Rock, bleibt offen: "Sie bedeckte das Kleid des Enkels mit Küssen, sie sprach zu ihm, sie drückte ihr Gesicht in seine Falten", heißt es am Ende der Skizze. Zugang zu ihrem Schmerz aber findet der junge Pathologe nicht. Und diesen Befund möchte man hellsichtig nennen.
TILMAN SPRECKELSEN
Daniela Strigl: "Berühmt sein ist nichts". Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie.
Residenz Verlag, Wien 2016. 440 S., Abb., geb., 26,90 [Euro].
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