Geliebt von Lesern, mißachtet von Kritikern
Band mit Kurzgeschichten von Lily Zográfou, einer der populärsten Autorinnen Griechenlands, vorgestellt
Meine Revolution wird sich nicht gegen das Establishment und sein System richten, sondern gegen all jene, die es ertragen. Ich würde das geistige
Elend zerschlagen, die Unterwerfung, die Anspruchslosigkeit«, schreibt die griechische…mehrGeliebt von Lesern, mißachtet von Kritikern
Band mit Kurzgeschichten von Lily Zográfou, einer der populärsten Autorinnen Griechenlands, vorgestellt
Meine Revolution wird sich nicht gegen das Establishment und sein System richten, sondern gegen all jene, die es ertragen. Ich würde das geistige Elend zerschlagen, die Unterwerfung, die Anspruchslosigkeit«, schreibt die griechische Schriftstellerin Lily Zográfou in der »Vorwarnung«, die sie ihrem Buch »Beruf: Hure« voranstellte. Der Band mit Kurzgeschichten, der in Griechenland unter der Titel »Epággelma: Porni« bereits 1978 erschien, ist autobiografisch geprägt. Zográfou schildert darin Erlebnisse aus der Zeit der Militärjunta (19671974), die für sie von Berufs- und Ausreiseverbot und dem Kampf ums nackte Überleben geprägt war.
Nun liegt der Band auch auf Deutsch vor. Übertragen hat ihn der Übersetzer und Journalist Ralf Dreis, der mehrere Jahre in Griechenland lebte und ein ausgewiesener Kenner der politischen Szene des Landes ist. Dort lernte er auch Zográfous Werk kennen, die selbst nach ihrem Tod 1998 im kulturellen Leben des Landes noch eine wichtige Rolle spielt. Kürzlich stellte Dreis das Buch in Bonn vor.
Zográfou ist bis heute eine der beliebtesten Autorinnen Griechenlands. Viele ihrer 24 Romane, Theaterstücke und Essays wurden zu Bestsellern. Die Literaturkritik ignorierte sie dennoch weitestgehend. Ihr Kollege Vassilis Vassilikos (»Z«) schrieb nach ihrem Tod: »In der Literatur wird sie mit ihren bahnbrechenden nonkonformistischen Werken unvergessen bleiben. Geliebt von einer großen Leserschaft und mißachtet von den offiziellen Kritikern, da alle Schriftsteller, die gelesen werden, verdächtig sind.«
Doch nicht nur das Gelesenwerden mag der Grund für die Ignoranz der Kritik gewesen sein. Die Autorin ließ sich nicht in Schubladen stecken: Bekennende Kommunistin bis zum Tod, brach sie früh mit der kommunistischen Partei, der KKE. Mutige Kämpferin für die Rechte der Frauen, wollte sie dennoch nicht Teil der feministischen Bewegung sein: Zu sehr fürchtete sie, daß diese den Frauen neue Beschränkungen bringen könnte. Dreis meint, häufig würden Äußerungen von ihr aus dem Kontext gerissen, um sie als Antikommunistin und Antifeministin abzustempeln was ihr nicht gerecht werde: »Sie war eine streitbare Frau, die sich mit jeder Form von Staatsmacht und Autorität angelegt hat.«
1922 auf Kreta als Tochter des Journalisten Andreas Zográfou geboren, wandte sie sich schon als junge Frau gegen die Moralvorstellungen und Zwänge der kretischen Gesellschaft. Während des Zweiten Weltkrieges half die Philologie-Studentin, den Widerstand zu organisieren, wurde verhaftet und brachte im Gefängnis der deutschen Besatzer ihre Tochter zur Welt. Nach dem Ende des Studiums schrieb sie als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und veröffentlichte 1949 ihren ersten Kurzgeschichtenband. Der Durchbruch gelang ihr 1959 mit einer Abhandlung über den Schriftsteller Nikos Kazanzakis (18831957).
Dennoch ist sie bis heute in Deutschland kaum bekannt. Nur ein einziges Buch, ihr Roman »Die Frauen der Familie Ftenoudos« lag auf Deutsch vor. Im Sammelband »Beruf: Hure« mit seinen Geschichten aus dem Alltag unter der Militärdiktatur spiegelt sich das Essentielle in Zográfous literarischem Schaffen wider: Ihre Wut über Willkür und vor allem über das Mitläufertum aber auch ihr Lebenswille, ihr Mut und ihr Humor, mit dem sie der Maschinerie der Macht entgegentritt. Exemplarisch ist hier die Titelgeschichte: Zográfou schildert darin, wie sie 1972 versucht, ein Visum für eine Auslandsreise zu bekommen. Natürlich wird es ihr verwehrt, denn als Journalistin steht sie auf der schwarzen Liste. Doch statt sich abzufinden, attackiert sie den Apparat mit Humor: In »Beruf: Hure, tabulos« ändert sie ihre Angaben im Antragsformular und bringt damit die dumpfen Schergen des Systems ins Schwitzen, die ihr nun zu erklären versuchen, warum »Hure« keine Alternative zum Journalismus sein kann.