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»Wer sich mit der deutschen Besatzungspraxis und dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beschäftigt, wird auf dieses Buch nicht verzichten können.« Osteuropa, Christoph Mick
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion nahmen auch Heydrichs mobile Mordverbände - die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD - ihre Tätigkeit auf. Andrej Angrick zeichnet das mörderische Vorgehen der Einsatzgruppe D zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer nach und analysiert Tatmotive und Tatumfeld, Handlungsspielräume und Eigeninitiativen der Akteure sowie die politisch-ideologischen…mehr

Produktbeschreibung
»Wer sich mit der deutschen Besatzungspraxis und dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beschäftigt, wird auf dieses Buch nicht verzichten können.«
Osteuropa, Christoph Mick

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion nahmen auch Heydrichs mobile Mordverbände - die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD - ihre Tätigkeit auf. Andrej Angrick zeichnet das mörderische Vorgehen der Einsatzgruppe D zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer nach und analysiert Tatmotive und Tatumfeld, Handlungsspielräume und Eigeninitiativen der Akteure sowie die politisch-ideologischen Vorgaben Himmlers und Heydrichs. Aus der vergleichenden Analyse von Karriereverläufen ausgewählter Akteure der Einsatzgruppe D entwickelt er eine differenzierte Typologie des Personals der Einsatzgruppe.

Ganz bewusst wird den Blick aber auch auf die Opfer der Ostexpansion des nationalsozialistischen Deutschland gelenkt, also vor allem die jüdische Bevölkerung, Kranke, Zigeuner undKriegsgefangene, die so aus ihrer Anonymität wieder ins historische Bewusstsein gerückt werden.
Autorenporträt
Andrej Angrick, Dr. phil., Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2004

Blutwurst zur Exekutionspause
An dem mörderischen Treiben der Einsatzgruppe D waren Fronttruppen nur selten beteiligt

Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941-1943. Hamburger Edition, Hamburg 2003. 796 Seiten, 40,- [Euro].

"Die Strafer", so wurden sie von den schicksalsgläubigen Einheimischen genannt. Aus deutscher Sicht waren sie normale Staatsdiener mit einem anormalen staatlichen Auftrag: Massenmord. Sie brachen in kleinen motorisierten Kolonnen wie apokalyptische Reiter über die Ortschaften der besetzten Sowjetunion herein und zogen erst weiter, wenn das gesamte jüdische Leben vom Kleinkind bis zum Greis ausgelöscht war. Dazu benötigten diese ungeheuerlichen Repräsentanten einer sogenannten "Kulturnation" meist nur wenige Tage, denn sie verrichteten ihr blutiges Handwerk zielstrebig und effizient, nach immer gleichem Muster. Erst wurden alle Juden erfaßt, dann wie Vieh zusammengetrieben, schließlich ohne Gnade erschossen, später auch in Gaswagen erstickt, zuletzt noch als Tote beraubt.

Die vier Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD waren die "erfolgreichsten" Todesschwadronen der NS-Ideologie. In den ersten Wochen des Ostkrieges wurden zunächst nur kommunistische Funktionäre und jüdische Männer im wehrfähigen Alter ermordet. Doch schon bald, ab Mitte Juli 1941 zählten immer häufiger auch Frauen und Kinder zu den Opfern, ehe man ab Mitte August auf höchsten Befehl dazu überging, systematisch alle Juden in der Sowjetunion umzubringen. Daneben gerieten weitere Verdächtige und Unliebsame ins Visier: Rotarmisten, Flüchtlinge, Zigeuner, Behinderte. Ein Personal von nicht viel mehr als dreitausend SS-Leuten und Polizisten bildete die Kerntruppe eines Mordprogramms, das allein bis zum Jahresende 1941 etwa eine halbe Million Menschenleben verschlang. Kaum jemals zuvor in der Weltgeschichte haben so wenige Menschen so viele ermordet.

Dieser schreckliche Beginn des Holocaust wurde schon in den Nürnberger Prozessen thematisiert, dann aber für Jahrzehnte mehr oder weniger vergessen. Erst die große Pionierstudie von Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm stellte Anfang der achtziger Jahre die Kenntnis über die Einsatzgruppen und ihre Morde auf eine solide Grundlage. Seither ist das Gesamtbild bekannt. Jedoch fehlen für viele Bereiche noch die Detailuntersuchungen. Andrej Angrick hat nun die bisher beste vorgelegt, eine Geschichte der Einsatzgruppe D, ein Buch, das für die künftige Erforschung der Einsatzgruppen neue Maßstäbe setzt.

Angrick erzählt Geschichte, beredt, chronologisch, positivistisch, analytisch, beinahe möchte man sagen: erfrischend altmodisch. In einer Zeit, in der sich die historische Forschung bei Vernachlässigung der Fakten immer mehr mit Theorien, Diskursen und Konstrukten beschäftigt, vertraut er auf die Stärken der traditionellen Methodik. Daß dabei die Strukturanalyse nicht zu kurz kommen muß, zeigt ein Kapitel, das die Darstellung der Ereignisse unterbricht und sich eingehend dem Täterprofil zuwendet. Im Mittelpunkt stehen aber das Handeln einer deutschen Einheit und seine Bedingungen. Der Leser, der sich mehr für die - gewiß mühsame und unsichere - Rekonstruktion historischer Wirklichkeit interessiert als für Überlegungen über ihre Dekonstruktion, wird es danken.

Der Gegenstand ist düster. Angrick beschreibt eingehend, manchmal vielleicht zu detailliert in der Wiederholung fast identischer Abläufe, entsetzliche Verbrechen zuvor ungekannten Ausmaßes. Die Einsatzgruppe D bestand aus kaum mehr als sechshundert Mann und wurde an der südlichen Flanke der Ostfront eingesetzt, erst im Verbund der 11. Armee, dann seit Mitte 1942 bei der Heeresgruppe A. Sie zog ihre Blutspur von der rumänischen Grenze über Bessarabien, die südliche Ukraine, die Krim und den Don bis in den Kaukasus hinein, ehe sie beim Rückzug der deutschen Truppen ihre Aufgabe verlor und im Mai 1943 aufgelöst wurde. Es ist ein Verdienst Angricks, daß er erstmals auch die Verbrechen der Einsatzgruppe während der Sommeroffensive von 1942 aufdeckt. Insgesamt säumten weit über einhunderttausend Tote ihren Weg.

Dabei war - auch das zeigt diese akribische Studie - der Massenmord zwar ihre zentrale Aufgabe, keineswegs aber ihre einzige. Die Führung der Einsatzgruppe erhob von vornherein den Anspruch, nicht nur zu zerstören, sondern auch zu gestalten - im Sinne der nationalsozialistischen Großraumplanung. Sie mischte sich in den Gegensatz zwischen Rumänen und Ukrainern ein, übrigens lange zugunsten letzterer, betreute die Volksdeutschen und warb um die Kollaboration von Krimtataren, Kosaken und Kaukasiern. Und selbst die systematische Ermordung aller Juden schien in der perversen Logik der nationalsozialistischen Ideologie den konstruktiven Zielen einer völkischen Neuordnung zu dienen. Die Realisierung dieser "großgermanischen" Politik, die etwa die Krim zu einem deutschen "Gotenland" machen sollte, verhinderte allein der ungünstige militärische Verlauf.

Für die jüdische Bevölkerung der besetzten Gebiete kamen die Erfolge der Roten Armee freilich zu spät. Die Einsatzgruppe D mordete so effizient, daß sich kaum ein Opfer aus den Netzen des Terrors befreien konnte. Allerdings verdeutlichen Angricks Forschungen, daß diese Schreckensbilanz ohne den Beitrag der Wehrmacht weitaus schwächer ausgefallen wäre. Nach anfänglichem Kompetenzgerangel kam es zu einer guten Zusammenarbeit. Die Generalstäbe wußten von dem mörderischen Treiben, erhoben aber keinen Einspruch, sondern gaben den Mordkommandos Himmlers großen Handlungsspielraum und unterstützten sie logistisch. Teilweise lag der Massenmord sogar in ihrem Interesse, da sie von dem Verschwinden "nutzloser Esser", dem Freiwerden von Unterkünften sowie dem Raub materieller Güter zu profitieren meinten. Die rückwärtigen Dienste beteiligten sich häufig direkt an den Untaten und registrierten es nüchtern, wenn die von ihnen belegten Räume "judenfrei" wurden. Die Fronttruppen waren dagegen nur selten an diesen Verbrechen beteiligt. Doch trotz unbestreitbarer Arbeitsteilung betätigte sich die Wehrmacht auch im Gebiet der Einsatzgruppe D insgesamt als williger Kooperationspartner der Mörder, schärfer formuliert: als ebenfalls verbrecherische Institution.

Die Geschichte des Judenmords füllt viele Seiten des Buches mit grausigen Details. Die Großaktion in Nikolajew etwa, eine von vielen, ging über drei Tage und kostete fünftausend Menschen das Leben. Es spielten sich solch unbeschreibliche Szenen ab, daß selbst einige der Mörder die Nerven verloren und nicht weiterverwendet werden konnten. Andere ließen sich zu sadistischen Taten hinreißen. Die meisten "funktionierten" aber "reibungslos" und bewahrten auch dann die Ruhe, als in den Exekutionspausen ausgerechnet Blutwurst als Verpflegung ausgegeben wurde.

Wer waren die Täter? Die Einsatzgruppe war kein homogener Verband. Ihr gehörten intellektuelle SD-Ideologen und ehrgeizige Polizeioffiziere ebenso an wie einfache Polizisten der Ordnungspolizei, Waffen-SS-Angehörige, Dolmetscher sowie notdienstverpflichtete Fahrer, Köche und Mechaniker. In seiner mörderischen Wirkung war dieser zusammengewürfelte Haufen allerdings erschreckend "homogen". Angrick verteufelt diese Männer nicht. Auch sie waren meist "ganz normale" Deutsche und keine gewissenlosen Fanatiker. Der Autor vermutet mit einigem Recht, "daß unter einem anderen, einem demokratischen System der Großteil der Täter nie zu Verbrechern geworden wäre". Und, nicht weniger beunruhigend: Die meisten "Strafer" wurden nach dem Krieg für ihre Untaten nicht bestraft, sondern ohne Probleme in die bundesrepublikanische Gesellschaft integriert. Die Erinnerung an die eigenen Verbrechen verbarg sich unter der Oberfläche einer neuen Identität, die sich in den kollektiven Verdrängungsprozeß einfügte. Der Massenmörder und Biedermann stand weder vor noch nach 1945 außerhalb der Gesellschaft.

JOHANNES HÜRTER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Historisch und soziologisch einwandfrei findet Götz Aly die Untersuchung über die Einsatzgruppe D von Andrej Angrick. Die Blutspur, die das deutsche Mordkommando durch den Süden der Sowjetunion gezogen hat, verfolge der Autor bis ins Detail zurück und liefere so eine "gewaltige, quellenstarke" Analyse. Der Leser erfahre so nicht nur Neues über die Germanisierungsmaßnahmen und Ausrottung von Kommunisten auch nach 1942, sondern erhalte gleichzeitig ein "ausführliches Soziogramm" der Mördergruppe. Besonders schätzt Aly, dass Angrick auf eine möglichst genaue "täterbiografische Reduktion der deutschen Bürde" verzichtet und sich weigert, eine typische NS-Täter-Sozialisation zu entwickeln. Für derlei "modisch" gewordene Versuche gebe Angricks Analyse "keine Anhaltspunkte".

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»[E]in Buch, das für die künftige Erforschung der Einsatzgruppen neue Maßstäbe setzt.« Frankfurter Allgemeine Zeitung»Wer sich mit der deutschen Besatzungspraxis und dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beschäftigt, wird auf dieses Buch nicht verzichten können.« Osteuropa